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B. Der allgemeine Gleichheitssatz in den Rechtsordnungen ausgewählter

II. Der allgemeine Gleichheitssatz in Frankreich

1. Der allgemeine Gleichheitssatz in der Verfassung der Republik

hältnismäßigkeitserfordernisse reichen“206, so wird deutlich, dass die althergebrachte Willkürformel auch heute noch anzuwenden ist, nämlich immer dann, wenn eine ver-schärfte Prüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht notwendig ist. Das Willkürverbot hat also keinesfalls ausgedient. Dass es in der tatsächlichen Recht-sprechung des Verfassungsgerichts heute nicht öfter praktisch sichtbar wird, liegt wesentlich daran, dass die hierfür geeigneten Fälle nur selten zur Entscheidung ge-langen.207

Im Ergebnis stellt sich die Neue Formel somit als Weiterentwicklung der Gleichheits-prüfung anhand des Willkürverbots dar, ohne dass diese dadurch überholt wäre.208 Das BVerfG trifft seinen Entscheidungen keineswegs in jedem Fall anhand der Neu-en Formel, vielmehr greift das BVerfG auch in jüngerer Zeit noch auf das Willkürver-bot zurück und legt dieses seinen Entscheidungen zugrunde.209 Durch diese Art der Handhabung ermöglicht das Willkürverbot gewissermaßen eine Basiskontrolle, die in Fällen intensiverer, personenbezogener Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die neue Formel verdichtet wird.210 Die Neue Formel des BVerfG stellt sich somit mehr als Fortsetzung und Fortentwicklung seiner Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz dar, weniger als grundlegende Änderung.211

stimmt: “Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Repu-blik. Sie gewährleistet die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied der Herkunft, Rasse oder Religion. Sie achtet jeden Glauben.“

Politische Bedeutung erlangte der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz in Westeuropa erstmals mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.08.1789.213

Während Art. 1 Satz 2 der Verfassung von 1958 lediglich die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Ansehung ihrer Herkunft, Rasse oder Religionen normiert, spricht Art. 1 der Menschenrechtserklärung von 1789 von der Gleichheit aller Men-schen von Geburt an.214 Art. 6 der Menschenrechtserklärung von 1789 gewährleistet die Gleichheit vor dem Gesetz und den gleichen Zugang aller Bürger zu allen Wür-den, Stellen und öffentlichen Ämtern.215 Art. 13 normiert den Grundsatz der Lasten-gleichheit.216 Verschiedene Gleichheitsverbürgungen finden sich zudem in der Prä-ambel der französischen Verfassung von 1946. Auf diese ebenso wie auf die Erklä-rung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 nimmt die Präambel der Verfassung von 1958 Bezug. Hintergrund dieser Bezugnahme ist, dass in diesen Texten beson-dere Ausgestaltungen des Gleichheitsprinzips enthalten sind und diese auch der neuen Verfassung auf diesem Weg inkorporiert werden sollten.217 Der allgemeine Gleichheitssatz ist mithin in der französischen Verfassungskodifikation, welche der Conseil constitutionnel seiner Entscheidungsfindung zugrunde legt, gleich mehrmals niedergelegt.218

Während heute die meisten Übersetzungen den Artikel 1 nach der Revision als Bestandteil des Titels I. (Die Souveränität) einordnen, wird der Artikel 1 auf der offiziellen Internetseite des Präsidenten der Republik (www.elysee.fr) weiterhin als Teil der Präambel aufgeführt.

213 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 529.

214 „Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten. Soziale Unterschiede dür-fen nur im gemeinen Nutzen begründet sein.“

215 „Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Formulierung mitzuwirken. Es soll für alle gleich sein, mag es be-schützen, mag e bestrafen. Da alle Bürger in seinen Augen gleich sind, sind sie gleicherweise zu allen Würden, Stellungen und Beamtungen nach ihrer Fähigkeit zugelassen ohne einen anderen Unter-schied als den ihrer Tugenden und ihrer Talente.“

216 „Für den Unterhalt der Streitmacht und für die Kosten der Verwaltung ist eine allgemeine Abgabe unumgänglich. Sie muß gleichmäßig auf alle Bürger unter Berücksichtigung ihrer Vermögensumstän-de verteilt werVermögensumstän-den.“

217 Vergleiche zu den einzelnen speziellen Gleichheitsverbürgungen Itin, Grundrechte in Frankreich, S.

150.

218 Wahle, Der allgemeine Gleichheitssatz in der Europäischen Union, S. 175.

Die Grundrechte sind also auch heute noch, mit Ausnahme der Gleichheit aller Bür-ger vor dem Gesetz (Art. 2) und der persönlichen Freiheit (Art. 66), nur in der Präam-bel der Verfassung von 1958 durch Bezugnahme auf die PräamPräam-bel der Verfassung von 1946 und die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte enthalten, nicht in den einzelnen Bestimmungen der Verfassung.219 Die heute geltende Verfassung Frank-reichs beinhaltet demnach keinen eigenständigen Grundrechtsteil.220 Dies hat histo-rische Gründe. Das Gesetz wurde zunächst als Garant der Freiheit, nicht als Mög-lichkeit der Freiheitsbeschränkung verstanden.221 Ein auf der Ebene der Verfassung angesiedelter Schutz vor Freiheitsbeeinträchtigungen durch gesetzliche Regelungen schien also unnötig.222 Das Gleichheitsprinzip war aber in verschiedenen Ausprä-gungen als principe général du droit, d. h. als Ausdruck einer allgemein anerkannten Auffassung von Staat und Gesellschaft223, in der französischen Rechtsprechung an-erkannt.224 Der Gleichheitssatz wurde folglich trotz seiner Erwähnung in verschiede-nen Verfassungsbestimmungen zunächst als principe général du droit aufgefasst, also als allgemeiner Rechtsgrundsatz, der nur Bindungswirkung für die gesetzesaus-legende und gesetzesanwendende Staatsgewalt entfaltete.225 Grundrechtsverletzun-gen vermutete man ausschließlich auf Seiten der ausführenden Gewalt, wesweGrundrechtsverletzun-gen zunächst nur eine Kontrolle des gesetzmäßigen Handelns der Verwaltung eingeführt wurde, wofür allerdings eine Festschreibung der Grundrechte nicht im Verfassungs-text, sondern in einfachen Gesetzen ausreichte.226 Vereinzelt wurde in der Rechts-lehre daraus gefolgert, dass den nur in der Präambel der Verfassung niedergelegten Grundrechten keine Verbindlichkeit zukomme, da sie nicht in der Verfassung selbst geregelt seien.227 In einer Entscheidung vom 16. Juni 1971 stellte der Conseil consti-tutionnel dann erstmals fest, dass er Gesetze nicht alleine an den einzelnen Artikeln,

219 Hübner/Constantinesco, Einführung ins französische Recht, S. 68.

220 Gogos, Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen, S.

131.

221 Gehlert, Der Schutz der Grundfreiheiten in Frankreich durch die Überprüfung der Verfassungsmä-ßigkeit geltender Gesetze, S. 10.

222 Gehlert, Der Schutz der Grundfreiheiten in Frankreich durch die Überprüfung der Verfassungsmä-ßigkeit geltender Gesetze, S. 10f.

223 Itin, Grundrechte in Frankreich, S. 34.

224 So etwa in seiner Ausprägung als: L´égalité devant la loi, l´égalité devant les charges publiques, l´égalité devant l´impot, l´égalité des citoyens devant la justice, l´égalité entre les usagers des services publics, l´égalité accès des nationaux aux emplois publics u.a.m., vgl. Itin, Grundrechte in Frankreich, S. 36.

225 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 539.

226 Gehlert, Der Schutz der Grundfreiheiten in Frankreich durch die Überprüfung der Verfassungsmä-ßigkeit geltender Gesetze, S. 11.

227 Hübner/Constantinesco, Einführung ins französische Recht, S. 68.

sondern auch anhand der Präambel der Verfassung überprüfen werde.228 Damit hat er klargestellt, dass die in der Präambel der Verfassung von 1958 erwähnten und in Bezug genommenen Rechte Verfassungsrang genießen.229 Dem hat sich die Rechts-lehre weit überwiegend angeschlossen.230 In einer Entscheidung vom 27. Dezember 1973 befand der Conseil constitutionnel dann auch folgerichtig, dass die in dem kon-kreten Fall angefochtene gesetzliche Regelung ungültig sei, da sie nicht mit dem in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 enthaltenen und durch die Präambel der geltenden Verfassung von 1958 gewährleisteten „principe de l´égalité“

vereinbar sei.231

Der Gleichheitssatz gehört insgesamt zu den in der Rechtsprechung am häufigsten angewendeten Grundrechten der Verfassung und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789.232 Dabei ist zu beachten, dass die verfassungsrechtliche Gleichheitsverbürgung lediglich die Gleichheit „vor dem Gesetz“ gewährleistet. Sie erstreckt sich nicht auf private Rechtsbeziehungen und bindet private Personen und Einrichtungen nicht.233 In den letzten Jahren sind in Frankreich im Zuge der Umset-zung der Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften zum Abbau von Diskriminie-rungen, namentlich der Richtlinien 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehand-lungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft sowie der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Ver-wirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf allerdings mehrere Regelungen erlassen worden234, welche nunmehr den Schutz vor bestimmten Dis-kriminierungen in privaten Rechtsbeziehungen vorsehen.235 Ergebnis dieser Recht-setzung ist, dass nunmehr, beispielsweise im Bereich des Arbeitsrechts, in Art. L.

122-145 des Code du travail eine Vielzahl von möglichen Anknüpfungspunkten für unzulässige Diskriminierungen im Arbeitsleben genannt sind, etwa Herkunft,

228 CC 71-44 DC vom 16.07.1971, Liberté d´association, Favoreu/Philip, Les grandes décisions du Conseil consitutionnel (GDCC), S. 242.

229 Hübner/Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S. 6.

230 Hübner/Constantinesco, Einführung ins französische Recht, S. 68.

231 CC 73-51 DC vom 27. Dezember 1973, Taxation d´office, Rec. 25.

232 Grewe, EuGRZ 2002, 209 (210); Bauer, Verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz in Frankreich, S. 168.

233 Nickel, Gleichheit und Differenz in der vielfältigen Republik, S. 166f.

234 Loi n° 1066 du 16 novembre 2001 relative à la lutte contre des discriminations; loi n° 2001-397 du 9 mai 2001relative à l´égalité professionelle entre les femmes et les hommes; loi de moderni-sation sociale n° 2002 du 17 janvier 2002; loi n° 2002-303 du 4 mars 2002; loi n° 2003-6 du 2 janvier 2003; Loi n° 2005-102 du 11. février 2005 pour l'égalité des droits et des chances, la participation et la citoyenneté des personnes handicapées.

235 vgl. hierzu im Einzelnen mit zahlreichen Beispielen, Le Friant, NZA Sonderbeilage 22/2004, 49ff.

schlecht, sexuelle Orientierung, Alter, Familienstand etc. und Verstöße gegen die vorgesehen Diskriminierungsverbote zur Ungültigkeit der diskriminierenden Maß-nahmen, zur Wiedergutmachung, zu Strafmaßnahmen und zu Schadensersatzan-sprüchen gegenüber dem Arbeitgeber führen können.236 Um Diskriminierungen wei-ter effektiv zu begegnen, hat Frankreich zudem eine Hohe Behörde für den Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichheit (Haute Autorité pour la Lutte contre les Discriminations et pour l´Egalité) ins Leben gerufen, welche im Jahr 2005 ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie ist als unabhängige Institution ausgestaltet und bietet Orien-tierung, Beratung, einen Schlichtungsdienst und kann zudem Diskriminierungsfälle vor Gericht bringen.237