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C. Das akzessorische Diskriminierungsverbot in der Europäischen

I. Der normative Bezug zu der Gewährleistung des Genusses eines

Anfänglich ging die Europäische Kommission für Menschenrechte davon aus, dass Art. 14 EMRK nur dann verletzt sein könne, wenn zugleich eine andere materielle Konventionsnorm verletzt sei.615 Später setzte sich, bestätigt durch die Entscheidung des Gerichtshofes im Belgischen Sprachenfall616, die Auffassung durch, dass Art. 14 EMRK zwar nach wie vor keine selbstständige Gleichheitskontrolle - losgelöst von anderen Vorschriften der Konvention - ermögliche, jedoch auf der anderen Seite auch nicht zwingend eine Verletzung einer anderen Konventionsnorm Voraussetzung für die Anwendung des Diskriminierungsverbotes sei.617 Die Kommission wandelte ihre Auslegung des Art. 14 EMRK im Belgischen Sprachenfall sowie im Fall Grandrath618 also dahingehend, dass sich nunmehr eine Konventionsverletzung auch aus dem Zusammenwirken einer anderen Konventionsbestimmung mit Art. 14 EMRK ergeben kann, seine Anwendung also nicht zwingend von der Verletzung eines an-deren Konventionsrechtes abhängt.619

Als Konsequenz schließt der Gerichtshof hieraus, dass eine Maßnahme, durch wel-che ein durch die Konvention geschütztes Recht betroffen ist, welwel-che jedoch alleine im Blick auf dieses Recht konventionsgerecht wäre, in Verbindung mit Art. 14 EMRK dennoch gegen dieses Recht verstößt, wenn sie diskriminierende Wirkungen hat.620 Die somit auch weiterhin bestehende akzessorische Bindung der Anwendung des Diskriminierungsverbotes des Art. 14 EMRK an zumindest die Berührung eines

614 Eiffler, JuS 1999, 1068 (1071); Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, § 26 Rdnr.

1f.; Peters, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 213; Gomien, Short Guide to the European Convention on Human Rights, S. 145: „Instead, the protection of Article 14 is acces-sory to the other substantive rights in the Convention: it has no independent life of its own.”

615 EGMR, Urteil vom 08. März 1962, ISOP v. Austria, Yb 1962, 108 (124); Freudenschuß, EuGRZ 1983, 623 (625).

616 EGMR, EuGRZ 1975, 298 (301).

617 Peukert, in: Frohwein/Peukert, EMRK, Art. 14 Rdnr. 2; König/Peters, in: Grothe/Marauhn, EMRK/GG, Kapitel 21 Rdnr. 30.

618 Commission, Grandrath v. Federal Republic of Germany, Yb 1967, 626 (680) Ziff. 40.

619 Freudenschuß, EuGRZ 1983, S. 623 (625); Peukert, in: Frohwein/Peukert, EMRK, Art. 14 Rdnr. 2.

620 EGMR, EuGRZ 1975, 298 (301).

ren Konventionsrechtes führt im Ergebnis dazu, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte staatliche Maßnahmen, durch welche keines der Konventions-rechte tangiert ist, nicht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK hin überprüfen kann.621

Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, in welchem Umfang Art. 14 EMRK den „Genuss“, also die Ausübung einzelner Konventionsrechte zu gewährleisten hat.

Dies ist jeweils im Einzelfall nach „Art und Ausmaß der Ausübung“ der einzelnen Rechte zu bestimmen.622

1. Aufgrund Vorbehalt zulässige Eingriffe

Soweit ein Konventionsrecht aufgrund eines Schrankenvorbehalts eingeschränkt werden kann (z. B. Art. 8 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2 EMRK), entfaltet das Diskriminierungsverbot seine Wirkung dahingehend, dass eine insofern zulässige Beschränkung dennoch eine Verletzung des Konventionsrechtes darstellen kann, wenn sie ohne ausreichende Rechtfertigung diskriminierende Wirkungen hat.623

So entschied der EGMR im Marckx-Fall624, in welchem es um das eingeschränkte testamentarische Verfügungsrecht einer unverheirateten Mutter nach belgischem Recht gegenüber ihrem Kind ging, dass insofern eine unzulässige Diskriminierung gegenüber verheirateten Müttern und somit eine Verletzung von Art. 1 des 1. Zusatz-protokolls i. V. m. Art. 14 EMRK und Art. 8 EMRK in Verbindung mit Art. 14 EMRK bestand. Hintergrund war, dass die uneheliche Tochter der Beschwerdeführerin nach Art. 756 des belgischen Code Civil keinerlei Erbrecht am Nachlass ihrer Mutter bis zur Anerkennung ihrer Kindschaft hatte. Auch dann kam ihr nur ein außerordentli-ches Erbrecht zu. Erst mit der Adoption wurde sie als ordentliche Erbin anerkannt

621 Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 3 III 1 Rdnr. 67.

622 Peukert, in: Frohwein/Peukert, EMRK, Art. 14 Rdnr. 3 mit Verweis auf die Formulierung der Euro-päischen Kommission für Menschenrechte im belgischen Sprachenfall: It [Art. 14 EMRK] concerns

„the means or the extent, of the enjoyment of the rights and freedoms already stated elsewhere“, EGMR, Urteil vom 23. Juli 1968, Serie A 6, 3 (28), sowie auf die Umschreibung des EGMR im belgi-schen Polizeigewerkschaftsfall „the modalities of the exercise of a right guaranteed“, Urteil vom 12.

April 1975, Serie A 19, 4 (20) Ziff. 45.

623 Peukert, in: Frohwein/Peukert, EMRK, Art. 14 Rdnr. 4.

624 EGMR, Urteil vom 13. Juni 1979, Serie A 31, 4 (27) Ziff. 61f., (28) Ziff. 64f.

und damit dem Rechtsstatus ehelich geborener Kinder gleichgestellt. In der Zwi-schenzeit zwischen Anerkennung und Adoption war die Testierfreiheit der Mutter in-soweit eingeschränkt, als die Tochter durch Verfügung von Todes wegen nicht mehr erwerben konnte, als der Code Civil im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge vorsah (Art. 908). Eine solche Beschränkung bestand im Falle ehelicher Kinder ebenfalls nicht.625

2. Sonstigen zulässige Eingriffe in Konventionsrechte

Auch andere, von der Konvention als zulässig angesehenen Eingriffe in durch sie gewährte Rechte, wie sie etwa nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Art. 7 Abs. 2 EMRK möglich sind, können anhand des Diskriminierungsverbotes ü-berprüft werden, da auch diese unter Umständen die Gewährleistung des Genusses dieser Rechte beeinträchtigen.626 Gleiches muss auch für die zeitweilige Außerkraft-setzung von Konventionsrechten nach Art. 15 EMRK gelten, denn auch diese bein-haltet denknotwendig eine Einschränkung des Genusses der jeweiligen Rechte.627

Schließlich kommt eine Verletzung eines Konventionsrechtes jedoch selbst dann in Betracht, wenn die Maßnahme sich nicht als Eingriff in das Recht als solches auffas-sen lässt. Dies erklärt sich aus der Bedeutung des Diskriminierungsverbotes in Art.

14 EMRK als akzessorischer Rechtsgewährung. Als solche wirkt sie im Sinne eines, wie bereits dargestellt, "integralen Bestandteiles"628 des jeweiligen Rechtes und er-weitert so dessen Gewährleistungsrahmen.629 Das heißt, selbst dann, wenn in ein

625 EGMR, EuGRZ 1979, 454 (458f.).

626 Mayer-Ladewig, EMRK, Art. 14 Rdnr. 6; Peukert, in: Frohwein/Peukert, EMRK, Art. 14 Rdnr. 7.

627 Im Irland-Fall, EGMR, Urteil vom 29. April 1976, Series A 25, 4 (85 ff.) Ziff. 225ff.; EuGRZ 1979, 149 (157f.)) musste der EGMR entscheiden, ob Polizeimaßnahmen, die auf Art. 15 EMRK gestützt waren und durch welche die Gewährleistungen des Art. 5 EMRK zeitweise ausgesetzt waren, die je-doch hauptsächlich nur gegen Mitglieder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe (gegenüber Katholi-ken) angewendet wurden, eine Verletzung gegen Art. 14 EMRK darstellen. Im Ergebnis lehnte der Gerichtshof eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes ab, da er in der durch die damals sehr akti-ve IRA ausgehende Gefährdung einer ausreichenden Rechtfertigung für die einseitige Aussetzung der Rechte aus Art. 5 EMRK sah. Dies deshalb, weil die IRA sich ausschließlich aus der katholischen Bevölkerung rekrutierte.

628 so die inhaltliche Definition bei: Peukert, in: Frohwein/Peukert, EMRK, Art. 14 Rdnr. 9.

629 EMRK, NJW 2001,1558 (1560): „Der Gerichtshof erinnert daran, dass Art. 14 EMRK nach seiner ständigen Rechtsprechung die anderen materiellen Vorschriften der Konvention und der Protokolle ergänzt. Er hat keine eigenständige Bedeutung, weil er Wirkungen nur in Bezug auf den Genuss der in diesen Vorschriften „anerkannten Rechte und Freiheiten“ hat. Die Anwendung von Art. 14 EMRK

Konventionsrecht als solches unter keinem Gesichtspunkt durch eine Maßnahme eingegriffen wird, aber der Schutzbereich dieses Rechtes grundsätzlich eröffnet ist (d.h. der zu beurteilende Sachverhalt liegt im „Regelungsbereich“ des jeweiligen Konventionsrechts630), kann sich eine relevante Verletzung alleine schon daraus er-geben, dass - unabhängig von einem Eingriff in den originären Gewährleistungsbe-reich des jeweiligen Rechtes - die zu beurteilende Maßnahme wegen ihrer diskrimi-nierenden Wirkung im Einzelfall gegen Art. 14 EMRK in Verbindung mit dem jeweili-gen Konventionsrecht verstößt.631