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B. Der allgemeine Gleichheitssatz in den Rechtsordnungen ausgewählter

V. Der allgemeine Gleichheitssatz in Großbritannien

1. Das britische Modell der absoluten Parlamentssouveränität

Das britische Rechtssystem ist wesentlich dadurch geprägt, dass dem Parlament eine umfassende Gesetzgebungskompetenz zukommt, wobei die durch das

447 Baum, Der Schutz verfassungsmäßiger Rechte im englischen common law, S. 29.

448 Vergleiche etwa die Magna Charta Libertatum von 1215 oder die Bill of Rights von 1689.

449 Baum, Der Schutz verfassungsmäßiger Rechte im englischen common law, S. 29.

450 Baum, Der Schutz verfassungsmäßiger Rechte im englischen common law, S. 31.

451 Koch, Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, S. 28.

452 Koch, Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, S. 28.

ment erlassenen Gesetze nach englischem Verständnis nicht durch eine Verfas-sungsgerichtsbarkeit kontrolliert und gegebenenfalls für unwirksam erklärt werden können.453 Das Parlament seinerseits ist keinerlei Rechtsquellen untergeordnet.454 Vielmehr kommt dem Parlament nach englischem Verständnis die unbeschränkte Kompetenz zu, seinerseits Rechtssetzungs- und Rechtsprechungsakte ausnahmslos zu revidieren.455 Diese unangetastete Parlamentssouveränität gegenüber allen Staatsgewalten steht der Entwicklung eines Grundrechtskataloges mit Verfassungs-rang entgegen.456 Der englische Verfassungsrechtler Albert Venn Dicey hat diesen Grundsatz in seiner „Introduction to the study of the law of the constitution“ wie folgt umschrieben: “The principle of Parliamentary sovereignty means neither more nor less than this, namely, that Parliament thus defined has, under the English constitu-tion, the right to make or unmake any law whatever; and further, that no person or body is recognised by the law of Britain as having a right to override or set aside the legislation of Parliament.”457

Für den Grundsatz der unbeschränkten Parlamentsouveränität findet sich keine ori-ginäre Rechtsquelle. Er ergibt sich vielmehr aus der englischen Rechtstradition.458 Die unbeschränkte Machtfülle des Parlaments wird verständlich, wenn man sich ver-gegenwärtigt, dass nach englischen Staatsverständnis das Parlament nach und nach in die unbeschränkte Herrschaftsgewalt, die zuvor durch den Monarchen ausgeübt wurde, eingerückt ist und diese heute, sozusagen an seiner statt, weiterführt.459 Ur-sprünglich bezweckte die Sovereignty of Parliament die Begrenzung staatlicher Machtausübung seitens des Monarchen durch gegenseitige Machtbeschränkung im Sinne einer „balanced constitution“ zum Schutze der Freiheit der Bürger.460 Gegen-über dem Parlament schien sich die Frage der Sicherung der Grundrechte zunächst nicht zu stellen, denn das Parlament war ja seinerseits Vertretung und Repräsentant

453 Schieren, ZParl 1999, 999 (1001).

454 Gogos, Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen, S.

142.

455 Gogos, Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen, S.

142.

456 Gogos, Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen, S.

142; Baum, Der Schutz verfassungsmäßiger Rechte im englischen common law, S. 29f.

457 Dicey, Introduction to the study of the law of the constitution, S. 39f.

458 Schieren, ZParl 1999, 999 (1001).

459 Dicke, DÖV 1971, 409 (409); vergleiche auch Graf von Bernstorff, Einführung in das englische Recht, S. 42f.

460 Baum, Der Schutz verfassungsmäßiger Rechte im englischen common law, S. 30f.

des Volkes, dessen Freiheit es zu schützen galt und etwaiger Grundrechtseinschrän-kungen folglich nicht verdächtig.461 Die Akzentverschiebung von der Machtbeschrän-kung zur (theoretisch) unbeschränkten Machtausübung durch das Parlament setzte mit Herausbildung des sozialen Interventionsstaates sowie dem modernen Parteien-system, welche zu einer Machtverschiebung zugunsten des Unterhauses führten, ein.462 Trotz dieser Bedeutungsverschiebung der Sovereignty of Parliament wurde die unbeschränkte Machtfülle des Parlaments infolge seiner demokratischen Legiti-mation bisher nicht in Frage gestellt.463

Konsequenz der unbeschränkten Parlamentssouveränität ist, dass das Parlament Gesetze verfassungsrechtlichen Inhaltes grundsätzlich mit derselben Mehrheit än-dern kann wie einfache Gesetze.464 Das Parlament kann umgekehrt einen gegen-über allen anderen Rechtssubjekten bindenden und durch nichts zu beschränkenden Grundrechtsschutz im Gesetzeswege schaffen, eine Unabänderlichkeit seiner Grund-rechtsverbürgungen gegen gesetzgeberische Änderungen späterer Parlamente ver-mag es jedoch nicht zu gewährleisten.465 Das Parlament kann also umfassenden Grundrechtsschutz, auch mit unmittelbarer Verpflichtungswirkung für Private, durch Gesetz herbeiführen, dieser bliebe aber immer Grundrechtsschutz durch, aber nicht gegen den Gesetzgeber.466

Entsprechend diesem Grundverständnis und dem Fehlen einer abgestuften Normen-hierarchie, wird in England unter dem Begriff "Verfassung" auch nicht eine Samm-lung einiger höchster Rechtssätze verstanden, sondern vielmehr der gegenwärtige Status, verstanden als eine Art Bestandsaufnahme der Regelungen, Funktions - und Handlungsweisen der einzelnen Staatsorgane.467 „Verfassung“ meint nach britischem Verständnis also eher einen Oberbegriff für das die Staatstätigkeit betreffende

461 von Simson, Verfassungszweifel in England, in: FS Carstens, S. 853 (856).

462 Baum, Der Schutz verfassungsmäßiger Rechte im englischen common law, S. 30.

463 Dicke, DÖV 1971, 409 (409).

464 Schwarze, Europäisches Verfassungsrecht, S. 541.

465 Koch, Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, S. 35.

466 Koch, Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, S. 35.

467 Dicke, DÖV 1971, 409 (409).

Recht468 und beinhaltet „alle Regeln, welche unmittelbar oder mittelbar die Verteilung oder die Ausübung souveräner Gewalt im Staate betreffen“469.

Auch die Grundrechte werden daher im englischen Recht nicht als fest umrissene verfassungsrechtliche Begrifflichkeit aufgefasst, vielmehr werden sie in der Form als Menschenrechte (human rights) und bürgerliche Freiheiten (civil liberties) eher als politisch-moralische Forderungen, weniger als juristische Garantien verstanden.470 Die britische Verfassungstradition hat es bislang eher vorgezogen, auf abstrakt for-mulierte Grundrechtsgarantien - und dabei auch auf die verfassungsrechtliche Nor-mierung eines allgemeinen Gleichheitssatzes471 - zu verzichten. Konkrete Ansprüche des Einzelnen erwachsen aus den Menschenrechten nach englischem Verständnis nur, wenn diese in dem für jedermann bindenden „allgemeinen“ Recht (Law of the Land) anerkannt sind.472 Dieses setzt sich zusammen zum einen aus den durch die Rechtsprechung anhand hergebrachter Rechtstraditionen und Grundannahmen ent-wickelten Rechtssätzen (common law473) und zum anderen aus dem durch das Par-lament erlassenen Gesetzesrecht.474

468 Baum, Der Schutz verfassungsmäßiger Rechte im englischen common law, S. 33.

469 Dicey, Introduction to the study of the law of the constitution, S. 23: “Constitutional law, as the term is used in England, appears to include all rules which directly or indirectly affect the distribution or the exercise of the sovereign power in the state.”

470 Gogos, Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen, S.

143f.

471 Kingston/Irmie, im Grabitz, Grundrechte in Europa und den USA, S. 743.

472 Gogos, Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen, S.

144.

473 Der Begriff common law kann mit drei verschiedenen Bedeutungen verwendet werden: zum einen als Beschreibung des gesamten Rechts der angelsächsischen Völkerfamilie in Abgrenzung zum Zivil-recht (civil law) der kontinentaleuropäischen Staaten, zum anderen als das durch die Spruchkörper als Konsequenz ihres eigenen Rechtssetzungsauftrages entwickelte Richterrecht im Gegensatz zu dem von dem Parlament geschaffenen Gesetzesrecht (statute law) und schließlich – als eng umrissener, historischer Begriff – als das alte gemeine Recht im Unterschied zur so genannten equity, so die Er-läuterung von Koch, Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Groß-britannien und Nordirland, S. 45f. Fn. 91. Hier soll der Begriff common law nur im Sinne des durch die Spruchkörper entwickelten originären Richterrechtes verstanden werden.

474 von Simson, Verfassungszweifel in England, in: FS Carstens, S. 853, der insoweit feststellt: „In England wird das, was rechtens ist, als etwas zunächst unartikuliert Vorhandenes, als im Sein und Wesen der Gesellschaft begründet aufgefasst, in Ansehung dessen es die Aufgabe des Richters sei, an Hand der ihm unterbreiteten konkreten Fälle die Lösung aufzufinden, die diesen Fällen gerecht wird. Das derart vom Common Law erreichte wird dann gelegentlich in Gesetzesform gebracht. […]

Das Gesetz - so die ursprüngliche Theorie - folgt dem Richterspruch und eilt ihm nicht voraus. Dass die ständig zunehmende Bedeutung des Statute Law hier allmählich Wandel schafft, versteht sich. Im Verfassungsdenken aber bleibt es im Wesentlichen dabei, dass das Common Law dessen Inhalt und, was hier wichtig ist, dessen Grenzen bestimmt.“ Hier zeigt sich eine weitere Besonderheit des briti-schen Rechtssystems. Neben dem Parlament kommt auch den Gerichten die Aufgabe der Rechts-schöpfung und Rechtsetzung zu. Urteile der Gerichte geben nicht nur Auskunft über das Recht, ihre inhaltlichen Feststellungen sind ihrerseits Recht. Wesentliche Grundlage hierfür ist, dass ganze