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B. Der allgemeine Gleichheitssatz in den Rechtsordnungen ausgewählter

I. Der allgemeine Gleichheitssatz in Deutschland

2. Zusammenfassung

Die Rechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz hat eine Entwick-lung durchlaufen, die von dem Bemühen gekennzeichnet ist, dem schwer zu fassen-den Gebot der relativen Gleichheit inhaltliche Konturen und möglichst klare Grenzen zu geben. Dabei ist diese Entwicklung noch nicht zu Ende. Dies zeigt sich nicht zu-letzt an der intensiven Beschäftigung mit der Frage der inhaltlichen Bestimmung des Gleichheitssatzes in der Literatur.

200 Bryde/Kleindieck, Jura 1999, 36 (41).

201 Bryde/Kleindieck, Jura 1999, 36 (41).

202 Siehe hierzu: Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 30; Kommers, Der Gleichheitssatz: Neuere Ent-wicklungen und Probleme im Verfassungsrecht der USA und der Bundesrepublik Deutschland, in:

Link, Christoph (Hrsg.), Der Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat, S. 40ff.; unter Bezug-nahme auf die Rechtsprechung des Supreme Court auch: Müller, VVDStRL 47, S. 37 (51f.).

203 Bryde/Kleindieck, Jura 1999, 36 (43).

Zunächst hat das BVerfG die Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG anhand des Willkürverbo-tes vollzogen und damit dem Gesetzgeber bei möglichen Ungleichbehandlungen – scheinbar204 - nur äußerste Grenzen gesetzt.

Grundlegende Aussage des Willkürverbotes ist, dass wesentlich Gleiches nicht will-kürlich ungleich, wesentlich Ungleiches jedoch auch nicht willwill-kürlich gleich behandelt werden darf.

Die deutsche Gleichheitsdogmatik kennt somit neben der unzulässigen Ungleichbe-handlung auch die unzulässige GleichbeUngleichbe-handlung als Verstoß gegen den Gleich-heitssatz, wobei letztere zumeist weniger streng zu beurteilen sein dürfte, da zum einen von Verfassungs wegen das Gebot der Gleichbehandlung gilt und zum ande-ren Gleichbehandlungen im Regelfall weniger einschneidend hinsichtlich ihrer diskri-minierenden Wirkung sind als Ungleichbehandlungen.

Bei seinem Bemühen um eine erhöhte Justiziabilität des allgemeinen Gleichheitssat-zes hat das BVerfG in der Folge verschiedene, in der Verfassung angelegte Grund-prinzipien nutzbar gemacht und dogmatische Anleihen bei anderen Grundrechten genommen, etwa bei den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG. Auf die-sem Wege kam es auch zur Einbindung des im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Ü-bermaßverbotes in die Gleichheitsprüfung. Ergebnis dieser Bemühungen war die Fortentwicklung der gleichheitsrechtlichen Jurisdiktion anhand der so genannten

„Neuen Formel“.

Im Ergebnis praktiziert das Gericht eine abgestufte Prüfungsdichte in Abhängigkeit von Regelungsgegenstand und angewandten Differenzierungsmerkmalen.

Die dabei aufgetretenen Schwierigkeiten in der konkreten Anwendung resultieren daraus, dass, worauf in der Literatur vielfältig hingewiesen wurde, das Verhältnismä-ßigkeitsprinzip seiner reinen Ausprägung nach strukturell nur sehr bedingt mit den Eigenheiten der Gleichheitsprüfung als Entsprechungsprüfung zu harmonisieren ist.

204 Auch vor Entwicklung der Neuen Formel hat das BVerfG die Prüfungsintensität variiert und unter Anwendung des Willkürverbotes die Grenzen dessen, was als willkürlich und damit unerlaubt oder – umgekehrt – als zulässige Differenzierung zwischen unterschiedlichen Personengruppen oder Sach-verhalten anzusehen war, unterschiedlich weit gezogen, vgl. insoweit Bryde/Kleindieck, Jura 1999, 36 (44), die diesbezüglich feststellen, dass „sich eine entscheidende Wende weder im 55. (zivilprozes-suale Angriffs- und Verteidigungsmittel) noch im 88. Band (Transsexuellengesetz) vollzogen hat.“

Dies liegt im Wesentlichen daran, dass der Vergleich zweier Sachverhalte, der denk-notwendig Bestandteil jeder, auf der Gegenüberstellung mehrerer Personengruppen, Personen oder Sachverhalte und der vergleichenden Bewertung ihrer Unterschiede und Gemeinsamkeiten basierenden, Gleichheitskontrolle ist, strukturell etwas ande-res ist als die Abwägung, ob ein eingesetztes Mittel angemessen ist, ein billigenswer-tes Ziel zu erreichen. Diese finale Verknüpfung hin auf ein festgesetzbilligenswer-tes gesetzgebe-risches Ziel, bei dem alleine die Frage verbleibt, ob der hierfür eingeschlagene Weg, das angewandte Mittel geeignet, erforderlich und angemessen ist, ist der Gleich-heitsprüfung gerade fremd. Andernfalls wäre der Gesetzgeber verpflichtet, den An-forderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips folgend, immer die gerechteste und zweckmäßigste Lösung zu verwirklichen. Dies würde den notwendigen Gestaltungs-spielraum des Gesetzgebers unerträglich einengen.

Dennoch erscheint es zumindest erwägenswert, das Prinzip verhältnismäßiger Rege-lungen - wenn auch mit beträchtlichen Schwierigkeiten - für die inhaltliche Anreiche-rung der Gleichheitsprüfung neben anderen KonkretisieAnreiche-rungsinstrumenten nicht von vornherein auszuschließen. Denn in einem besteht weitgehende Einigkeit: Das Will-kürverbot bietet nicht für alle Fälle ungleicher Behandlung probate Antworten auf die Frage, welches Maß an Ungleichheit konkret noch vertretbar ist. Selektive Verschär-fungen der Prüfungsdichte müssen möglich und vor allem auch praktisch zuverlässig handhabbar sein. Dieser Erkenntnis folgend hat das BVerfG mit seiner Neuen Formel Verhältnismäßigkeiterwägungen in die Gleichheitsprüfung integriert. Dies ist immer dann richtig, wenn sich eine Ungleichbehandlung in das von den Freiheitsgrundrech-ten bekannte Regel-Ausnahme-Verhältnis einfügen lässt, wenn also grundsätzlich die Vergleichsgruppen eine Gleichbehandlung fordern, der Gesetzgeber aber den-noch eine differenzierende Regelung treffen will.205

Eine grundsätzliche Neugestaltung der Gleichheitsrechtsprechung hat das BVerfG mit der Entwicklung der Neuen Formel allerdings nicht vollzogen. Wenn das BVerfG feststellt, dass sich „Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz […] je nach Regelungsge-genstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetz-geber [ergeben], die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an

205 So die Unterscheidung bei Bryde/Kleindieck, Jura 1999, 36 (38).

hältnismäßigkeitserfordernisse reichen“206, so wird deutlich, dass die althergebrachte Willkürformel auch heute noch anzuwenden ist, nämlich immer dann, wenn eine ver-schärfte Prüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht notwendig ist. Das Willkürverbot hat also keinesfalls ausgedient. Dass es in der tatsächlichen Recht-sprechung des Verfassungsgerichts heute nicht öfter praktisch sichtbar wird, liegt wesentlich daran, dass die hierfür geeigneten Fälle nur selten zur Entscheidung ge-langen.207

Im Ergebnis stellt sich die Neue Formel somit als Weiterentwicklung der Gleichheits-prüfung anhand des Willkürverbots dar, ohne dass diese dadurch überholt wäre.208 Das BVerfG trifft seinen Entscheidungen keineswegs in jedem Fall anhand der Neu-en Formel, vielmehr greift das BVerfG auch in jüngerer Zeit noch auf das Willkürver-bot zurück und legt dieses seinen Entscheidungen zugrunde.209 Durch diese Art der Handhabung ermöglicht das Willkürverbot gewissermaßen eine Basiskontrolle, die in Fällen intensiverer, personenbezogener Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die neue Formel verdichtet wird.210 Die Neue Formel des BVerfG stellt sich somit mehr als Fortsetzung und Fortentwicklung seiner Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz dar, weniger als grundlegende Änderung.211