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Lauterkeitsrecht: Plädoyer für ein allgemeines Europäisches Wettbewerbsrecht

D. Institutionelle Aspekte

III. Zivilprozessuale Neuausrichtung

Bei einer Überprüfung der zivilprozessualen Möglichkeiten sind zwei Aspekte zu beachten: zum einen sollte der große prozessuale Makel des Kartellrechts, nämlich die überlange Verfahrensdauer, abgebaut werden . Hier könnte das Kartellrecht vom Lauterkeitsrecht profitieren . Zum anderen müsste in lauterkeitsrechtlichen Verfah­

ren stärker als bislang ökonomischen Erwägungen Rechnung getragen werden98

.

Hierzu bieten sich drei Reform­Möglichkeiten an: Erstens müsste bei den zuständigen Richtern ein „capacity building“ erfolgen . Dazu wären die Richter ökonomisch zu schulen . Plastisch ausgedrückt: Ein Richter im UWG­Verfahren müsste neben dem UWG­Kommentar von Hefermehl/Köhler/Bornkamm ebenso selbstverständlich wettbewerbsökonomische Lehrbücher zur Verfügung haben99 . Die Nachhaltigkeit einer solchen ökonomischen Fortbildung (die freilich auch in kartellrechtlichen Kammern und Senaten positiv wirken würde) wäre nur gegeben, wenn die Richter entsprechend ihrer Eignungen eingesetzt würden und nicht, gera­

dezu willkürlich, von einem Mietrechts­ in einen Strafrechtssenat und von dort in einen Wettbewerbssenat versetzt würden .

Zweitens könnte der ökonomische Sachverstand verstärkt extern rekrutiert wer­

den . Dies würde eine weitere Öffnung der Gerichte für Ökonomen bedeuten . Dabei wäre ein Modell des hauptamtlichen Beisitzers einem solchen des ehrenamtlichen vorzuziehen .

96 Dafür auch Mäsch, EuR 2005, 625 (641) .

97 Vgl . Möllers, a .a .O . (Fn . 90), 429 .

98 Beachte aber Nothdurft, in: FS Günther Hirsch, S . 285 ff .; Gerber, in: Drexl/Idot/Monéger, Economic Theory and Competition Law, S . 20 ff .

99 Schulz, a .a .O . (Fn . 66); Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3 . Aufl . 2008 .

Drittens wäre die Zentralisierung von Verfahren in branchenspezifischen Kam­

mern anzudenken . Ebenso wichtig wie allgemeines ökonomisches Verständnis ist nämlich ein guter Marktüberblick . Zu erwägen wäre dann etwa, alle Sachverhalte (nicht nur die wettbewerbsrechtlichen) aus dem Bereich der Telekommunikations­

wirtschaft oder des Einzelhandels usw . einer Kammer zuzuweisen . Dies entsprä­

che der Ordnung des Bundeskartellamts, das die eingehenden Fälle nicht nach Ein­

gang oder nach Rechtsfragen sortiert, sondern nach der jeweils betroffenen Bran­

che . Denkbar wäre darüber hinaus, eine Behörde wie das Bundeskartellamt auch damit zu betrauen, lauterkeitsrechtliche Musterverfahren von allgemeiner Bedeu­

tung durchzuführen – unabhängig von einem konkreten Fall, sondern zur Unter­

suchung bestimmter Geschäftspraktiken (vgl . das Instrument der Sektoruntersu­

chung, § 32 e GWB) .

Auch die ökonomischen Ansprüche müssten allerdings der institutionellen Si tua tion angepasst werden, und das heißt: sie müssten reduziert oder zumindest handhabbar gemacht werden . Eine umfangreiche Analyse inklusive der Benutzung ökonometrischer Modelle ist in einem Eilverfahren unrealistisch . Wünschenswert wäre in erster Linie eine Klarstellung des europäischen wie des deutschen Gesetz­

gebers, dass die untersuchten Maßnahmen und Entscheidungen daraufhin geprüft werden müssen, ob sie den Wettbewerb beschränken oder nicht . Von den Gerich­

ten ist zu verlangen, dass sie die Auswirkungen der beanstandeten Maßnahme und die Auswirkungen ihrer Entscheidung im Hinblick auf den betroffenen Markt in der Entscheidung zumindest bedenken und das heißt auch: erörtern . Hilfreich wäre dafür ein „ökonomischer Leitfaden“, aus dem einfache, für den Einzelfall redu­

zierte Kriterien ersichtlich sind, die ein Richter abprüfen kann . Als Vorbild eines solchen Leitfadens könnten etwa die „Guidelines for Policymakers“ des britischen Office of Fair Trading heran gezogen werden100 . Schmidtchen hat Leitfragen für die kartellrechtliche Fallbearbeitung formuliert101, die etwas ausführlicher gestaltet für das Lauterkeitsrecht adaptiert werden könnten . Selbstverständlich könnte ein solcher Leitfaden keine komplexen ökonomischen Erwägungen ersetzen . Es würde aber überhaupt das Bewusstsein für den mit der Entscheidung verbundenen wettbe­

werblichen Eingriff geschärft .

Schließlich wäre zu fordern, dass in lauterkeitsrechtlichen Verfahren häufiger die wirtschaftlichen Erkenntnisse in ähnlich gelagerten Kartellrechtsfällen ver­

wertet würden . So können beispielsweise Rabattfragen, Kampfpreise oder Diskri­

minierungen Gegenstand des Kartellrechts ebenso wie des Lauterkeitsrechts sein . Hier wäre ein materieller Gleichlauf anzustreben .

100 Office of Fair Trading, Completing competition assessments in Impact Assessments, August 2007, OFT876, abrufbar unter http://www .oft .gov .uk/shared_oft/reports/comp_policy/oft876 . pdf .

101Schmidtchen, a .a .O . (Fn . 60), 14 .

E. Zusammenfassung

In diesem Beitrag wurde die Auffassung vertreten, dass ein europäisches Lauter­

keitsrecht stärker wettbewerbsfunktional ausgerichtet sein sollte als es bislang in den europäischen Richtlinien und in den nationalen Gesetzen der Fall ist . Dazu bietet sich, so wird vorliegend etwas gewagt gefordert, de lege ferenda die Schaf­

fung eines europäischen Wettbewerbsrechts an, das Lauterkeits­ und Kartellrecht miteinander verbindet und einheitlich konzipiert . Dies ergibt inhaltlich Sinn, da Wettbewerb das übergeordnete Ordnungsprinzip der europäischen Marktwirtschaft ist . Auch systematisch wäre dies begrüßenswert . Ob es einer einheitlichen europä­

ischen Regelung bedarf, kann dahin gestellt bleiben, da die Kommission bereits in dieser Hinsicht eine Festlegung getroffen hat .

Ein allgemeines europäisches Wettbewerbsrecht müsste am Wettbewerbsprin­

zip ausgerichtet sein und dürfte andere Schutzzwecke nur in untergeordneter Weise berücksichtigen . Hier wird vertreten, dass eine solche wettbewerbsfunktionale Aus­

legung schon derzeit geboten ist . Faktisch würde dies freilich das Lauterkeitsrecht zu einem „Kartellrecht der kleinen Münze“ machen . Auf jeden Fall ist eine bessere ökonomische Fundierung des Lauterkeitsrechts anzustreben – ganz im Sinne des

„more economic approach“, der im Kartellrecht vertreten wird . Dafür spricht nicht zuletzt der – meist unterschätzte – Wettbewerbs­Konnex der UWG­Fallgruppen .

Eine Neuausrichtung des europäischen Wettbewerbsrechts könnte auch insti­

tutionelle Konsequenzen zeitigen . Begrüßenswert wäre die Schaffung einer ein­

heitlichen Kompetenz bei der Generaldirektion Wettbewerb . Die Zivilverfahren sollten stärker auf die Wettbewerbsförderung hin ausgerichtet werden . Der hier als Beispielsfall herangezogene iPhone­Rechtsstreit vermittelt Kenntnis davon, wie schwierig unter den aktuellen institutionellen Bedingungen eine ökonomisch fun­

dierte Rechtsprechung ist, die zudem die derzeitigen Probleme von UWG und Kar­

tellrecht hinreichend erfasst . Unter dem Regime eines zukünftigen europäischen Wettbewerbsrechts würde ein solcher Fall vielleicht gar nicht anders, trotzdem aber besser entschieden .

Diskussion

Frauke Henning-Bodewig

Herzlichen Dank, Rupprecht Podszun für diese hervorragende Aufbereitung der Materie . Nachdem Herr Podszun ein überzeugter Kartellrechtler ist und einige Jahre beim Bundeskartellamt gearbeitet hat, habe ich ein bisschen auf den Satz gewartet, dass das Lauterkeitsrecht doch eigentlich überflüssig, zumindest nur ein geduldeter Annex der Königsdisziplin Kartellrecht sei – so kommt mir nämlich mitunter (sehr überspitzt natürlich) die Haltung mancher Kartellrechtler zum UWG vor . Gott sei Dank waren die Ausführungen dann jedoch weitaus diferenzierter und lauterkeits­

rechtsfreundlicher . Danach ist die gängige Auffassung, das Kartellrecht diene dazu, dass es Wettbewerb gibt und das Lauterkeitsrecht, dass dieser Wettbewerb dann fair abläuft, wohl doch zu simpel . Es ist offenbar alles weitaus komplizierter – wie kompliziert, darüber wollen wir jetzt diskutieren .

Axel Beater

Herr Podszun, in einem Punkt scheint mir Ihr anregendes Referat falsch oder zumindest unvollständig zu sein, nämlich bezüglich der Frage der Sperrwirkung des Kartellrechts und der damit zusammenhängende Frage, wie sich die beiden Rechts­

gebiete zueinander verhalten . Sie haben auf die Schutzzwecke und u .a . die Siche­

rung des freien Wettbewerbs abgestellt . Damit ist die Frage, wie sich die Gebiete voneinander abgrenzen, jedoch unvollständig formuliert . Das zentrale Kriterium der Abgrenzung liegt m .E . in der Art der Wettbewerbsverstöße . Im Wettbewerbs­

recht geht es typischerweise um konfrontatives Verhalten, also um Deliktsrecht . Der eine schädigt den anderen und der Geschädigte wehrt sich dagegen . Hier passt die Steuerung über zivilrechtliche Klagemöglichkeiten, auch wenn sie in bestimmten Bereichen versagen mag . Beim Kartellrecht ist es anders: hier wird der Wettbewerb nicht beeinträchtigt dadurch, dass der eine den anderen schädigt, sondern dadurch, dass zwei gemeinsame Sache machen . Wir sind also nicht im Deliktsrecht, sondern beim Vertragsrecht . Und gegen solche Wettbewerbsbeschränkungen ist die Klage des Geschädigten ein ganz und gar untaugliches Mittel . Die Geschädigten eines Kartells sind vielleicht Konkurrenten oder aber Verbraucher, aber die erfahren vom Kartell erst einmal gar nichts . Von daher finde ich es zwingend, dass bei uns – wie in vielen anderen Ländern – das Kartellrecht über eine Behörde durchgesetzt wird und zwar auch bei Fusionskontrollen und bei der marktbeherrschenden Stellung . Über letzteres ließe sich eventuell noch streiten, aber auch da hat eine Behörde noch ihren Sinn, wenn es darum geht, die Marktanteile zu ermitteln, etc . Im Zivil­

prozess mag dies zwar theoretisch auch klärbar sein, ist aber für die Parteien pro­

blematisch . Die entscheidende Zäsur ist also die sanktionsrechtliche Schiene, bei der beide Gebiete typischerweise ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben . Und von daher erscheint mir auch die „Probeabonnement“­Entscheidung einleuchtend . Umstritten war ja u .a ., ob die Preisbindung missbräuchlich ausgeübt wurde und hierüber hat die Kartellbehörde zu entscheiden . Diese Behördenbefugnis, die auch einen Ermessungsspielraum beinhaltet, wird gestört, wenn man mit einer zivilrecht­

lichen UWG­Klage dazwischenfunkt . Umgekehrt sind andere Praktiken, die auch in der „Probeabonnement“­Entscheidung eine Rolle gespielt haben, nämlich Boy­

kott, Behinderung, nun wieder konfrontative Praktiken, gegen die sich der Boy­

kottierte selbst wehren kann und wird . Hierfür ist das Zivilrecht geeignet, so dass ich auch kein Problem mit einer parallelen Anwendung des UWG habe . Als letzten Punkt möchte ich darauf hinweisen, dass es im Kartellrecht keine Generalklausel des Wettbewerbs gibt – dieses ist im Prinzip in seinen Tatbeständen abschließend;

neue Sachverhalte, wie z .B . abgestimmtes Verhalten, kann das Kartellrecht daher nicht erfassen .

Jules Stuyck

Ich kann nur aus meiner Praxis im Kartellrecht und Lauterkeitsrecht in Brüssel bestätigen, dass die Abgrenzungsfrage äußerst wichtig ist . Im belgischen Recht gibt es gleichfalls viele Verbindungen zwischen den beiden Rechtsgebieten . Meine Frage bezieht sich auf Ihre Aussage über das Lauterkeitsrecht als „kleine Münze“ und die von Herrn Podszun angesprochenen Schwellen, z .B . die „de minimis“­Regel . Wenn etwas nach nationalem Recht de minimis ist, kann es dann sein, dass es, obgleich wettbewerbsbeschränkend, vom Kartellrecht freigestellt wird, aber gleichwohl nach Lauterkeitsrecht verboten wird? Dieses Ergebnis würde mich verwundern; in Bel­

gien hat die Cour de Cassation dieses Ergebnis in einem neueren Urteil ausdrücklich nicht zugelassen .

Rupprecht Podszun

Ein solches Ergebnis wäre in der Tat unhaltbar . Man muss sich fragen, welche Rest­

aufgabe dem Lauterkeitsrecht zuzuweisen ist, wenn die Wettbewerbsförderung im Wesentlichen Sache des Kartellrecht ist . Nur das, was man dann noch für regelungs­

bedürftig hält, sollte man über das Lauterkeitsrecht angehen . Wolfgang B. Schünemann

In vielen Punkten stimme ich mit den Ausführungen von Herrn Podszun überein . Wenn man die von Ihnen angesprochenen Fragen europäisch einzuordnen versucht, gelangt man de lege lata zu Art . 81 EG . Im Primärrecht gibt es also eigentlich nur Kartellrecht . Gleichwohl gibt es das Sekundärrecht, das wir als Lauterkeitsrecht qualifizieren . Läuft das darauf hinaus, de lege lata, dass das Lauterkeitsrecht auf europäischer Ebene doch eine Art spezielles Kartellrecht ist oder abgeleitet wird aus dem Kartellrecht?

Rupprecht Podszun

Die beiden einschlägigen Richtlinien nennen jeweils im Erwägungsgrund 3 als erstes den funktionierenden Wettbewerb, d .h . sie dienen der Sicherung des funk­

tionierenden Wettbewerbs . Das ist insofern konsequent, als sie auf Artikel 95 EG gestützt sind . Mitunter wird herausgestellt, dass Art . 95 EG eine Kompetenzgrund­

lage für Gesundheitsschutz und Verbraucherschutz enthalte – im Wesentlichen geht es jedoch um den Binnenmarkt und somit auch die Wettbewerbsidee . Insofern hege ich eine gewisse Sympathie dafür, dass man die Richtlinie zum Kartellrecht zählt, auch wenn dies etwas zu weitgehend erscheinen mag .

Hans W. Micklitz

Auch insofern verdient der „more economic approach“ Aufmerksamkeit . Wie Herr Schünemann bereits gestern gesagt sagte, verlangt eine Folgenanalyse von den Ökonomen vielleicht etwas Unmögliches; kein Geringerer als Mestmäcker hat alle Versuche einer Ökonomisierung des Wirtschaftsrechts oder überhaupt des Rechts kritisiert . Auch über die politischen Folgewirkungen sollte man sich im Klaren sein; bei einer Ökonomisierung wird die Eingriffsschwelle angehoben;

im Grunde genommen ist das, was die EG­Kommission im Kopf hat, Industrie­

politik . Josef Drexl

Ich glaube, das Europarecht steht vor einem Riesenproblem . Beim „iPhone“­Fall denkt man ja nicht nur an Art . 81 EG, sondern auch an Art . 82 EG . Herrn Beater möchte ich insofern widersprechen, als wir es in beiden Rechtsgebieten mit einsei­

tigen Verhaltensweisen zu tun haben – und natürlich hat das Kartellrecht auch eine Generalklausel, denn Art . 82 EG spricht vom „Missbrauch einer marktbeherrschen­

den Stellung“ . Auch die Anhänger des „more economic approach“ wissen letztlich nicht, wie man den Missbrauch im Sinne des Art . 82 EG erfassen soll . Im Gegenteil entsteht der Eindruck eines Scheiterns der Kommission, wenn man sich betrachtet, wie die Dinge in den USA gesehen werden . Dort verlangt man bei einseitigen Wett­

bewerbsverstößen regelmäßig den Nachweis des Verbraucherschadens als Grad­

messer dafür, dass der Wettbewerb geschädigt ist und nicht nur die individuellen Interessen des Wettbewerbers . In Europa ist dies nicht unbedingt anerkannt; viele – auch die Kommission – scheinen das Herbeiführen einer marktausschließenden Wirkung (foreclosure) genügen lassen zu wollen . So argumentieren in Europa viele ökonomisch, aber am Schluss kommt man doch zu unterschiedlichen Maßstäben der Beurteilung .

Ich frage mich weiter, was die „kleine Münze“ sein soll . Die Kommission behauptet mit der Richtlinie exakt den richtigen Weg zu kennen und trifft deshalb eine abschließende Regelung . Es bleibt wenig Spielraum für die einzelnen Mit­

gliedstaaten, ihren eigenen Weg zu finden und es gibt damit auch keinen Wettbe­

werb der Rechtsordnungen mehr .

Zur „marktbeherrschenden Stellung“ . Wenn es keine marktbeherrschende Stel­

lung gibt, und auch ansonsten keine Wettbewerbsverzerrungen, etwa aufgrund irre­

führender Werbung, dann erscheint jedes sonstige einseitige Verhalten im Markt wettbewerbskonform . Einem Anbieter, der in einer solchen Situation versucht, alles aus den Verbrauchern herauszuholen und trotzdem keine Kunden verliert, kann dann nichts vorgeworfen werden . Offensichtlich scheint der Kunde im Vergleich zu Konkurrenzprodukten einen ausreichend großen Vorteil zu ziehen . Die Frage, die dann noch im Raume steht, ist die, ob wir dann überhaupt noch ein UWG brau­

chen? Ich glaube, wir brauchen es . Aber das sind wirkliche Grundsatzfragen . Jochen Glöckner

Zu dem von Herrn Podszun angesprochenen „fine tuning“: Dieser Begriff stammt wohl aus dem Gesetzgebungsverfahren zum schweizerischen Kartellgesetz von 1995; damals wurde ausgeführt, dass auf ein solches „fine tuning“ verzichtet wer­

den solle . Bezug genommen wurde damit auf die Botschaft zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (KG vom 23 . November 1994 (BGBl . 1995 I 468, 513 (143 .3)) . Meines Erachtens kommt das „competitive impact assessment“ dem aber am nächsten, weil man sich mit dem Kartellrecht ja relativ schwer tut, an die zu Recht herausgegriffenen Fälle heranzukommen . Ließen

sie sich mit den Instrumenten des Lauterkeitsrechts, die ja jedenfalls nach dem deut­

schen Gesetzestitel immer noch einen Wettbewerbsbezug haben, nicht besser lösen?

Hier gibt es mit der es mit der Wettbewerbsrelevanz und der Erheblichkeitsschwelle Instrumente, den „competitive impact“ zu berücksichtigen .

Ausdrücklich zustimmen möchte ich Herrn Podszuns Ausführungen zur Wett­

bewerbszentrierung des Kartellrechts . Das Problem ist jedoch in der Tat, dass wir im Wettbewerbsrecht zunehmend sozialpolitischen, gesellschaftskritischen Wer­

tungen ausgesetzt sind . Im deutschen Kartellrecht war früher in weitem Umfang, und ist heute noch bei der Zusammenschlusskontrolle die Ministererlaubnis das vorgesehene Instrument zur Berücksichtigung solcher außerwettbewerblichen Allgemeininteressen . Im Europarecht gibt es das nicht, doch auch hier begegnen uns an allen möglichen Ecken und Kanten Gemeinwohlinteressen, vgl nur den

„Wouters“­Fall, in dem es um ein Werbeverbot ging, das von einer als privater Verband strukturierten Anwaltskammer erlassen worden war (EuGH Slg . 2002 I 1577, Rn . 97 – Wouters ) . In jüngster Zeit wird diskutiert, ob man vielleicht bei der Fu sionskontrolle doch ein bisschen zurückstecken sollte, wenn es um Bankenret­

tung und dergleichen geht .

Weiter geht es darum, die richtigen Verfahren zu finden, um die verschiedenen Ziele zusammen zu bringen . Ich bin nicht der Meinung, dass jegliche nichtwett­

bewerbsgestützte Einflussnahme des Staates die Gefahr einer Wettbewerbsverzer­

rung hervorruft; es gibt wettbewerbsneutrale Eingriffe des Staates im Hinblick auf Gemeinwohlinteressen . Richtig ist, dass Eingriffe des Staates möglichst wettbe­

werbsneutral sein sollten – doch wenn beispielsweise der Waffenhandel grundsätz­

lich verboten wird, dann ist das zwar ein Eingriff in den Wettbewerb, der diesen aber gleichwohl nicht verzerrt .

Matthias Leistner

Auch mir erscheint das „impact assessment“ von grundlegender Bedeutung zu sein . Eine Berücksichtigung kann sowohl im deutschen Recht als auch im europäischen Recht erfolgen . Ob man das allerdings wirklich will, ist eine andere Frage . Ein klei­

nes Problem besteht ohnedies bei der irreführenden vergleichenden Werbung im Verhältnis zum Nichtverbraucher, denn insofern fehlt die Erheblichkeitsschwelle im europäischen Richtlinienrecht, aber auch die wird man wohl auf der Grund­

lage des Schutzes eines Systems unverzerrten Wettbewerbs und des Verhältnismä­

ßigkeitsprinzips als allgemeinem Grundsatz des Gemeinschaftsrechts in die Inter­

pretation des deutschen und europäischen Lauterkeitsrechts hineinlesen können . Nur: Wie würde das „impact assessments“ im Lauterkeitsrecht konkret aussehen?

Ein Anwendungsbefehl an den Wettbewerbsrichter? Ein Gestaltungsgebot an den Gesetzgeber? Anders ausgedrückt: Soll der Wettbewerbsrichter über die Berück­

sichtigung der Wettbewerbsfreiheit hinaus tatsächlich eine konkrete Marktanalyse betreiben? Sollen wir dem Richter zumindest gestatten, einschlägige Fallgruppen zu bilden oder soll er tatsächlich konkrete Märkte analysieren? Und wären diese drei Fragen für das deutsche und für das europäische Recht übereinstimmend zu beant­

worten oder gäbe es da Unterschiede?

Rupprecht Podszun

Zunächst zu der von Herrn Leistner, aber auch von Herrn Beater angesprochenen Frage: Was können Gerichte überhaupt leisten? Aus gutem Grund befürwortet nie­

mand, der „law and economics“ in Deutschland betreibt, eine ökonomische Analyse durch die Gerichte . Es handelt sich also in erster Linie um ein an den Gesetzgeber gerichtetes Gestaltungsgebot . Erlässt der Gesetzgeber jedoch eine Generalklau­

sel, hilft das nicht weiter . Beim Zusammentreffen von „competitive impact“ und Generalklauseln müssen die Gerichte tätig werden . Ich darf noch einmal auf die Homepage des OFT verweisen, auf der man deutlich sehen kann, wo z .B . in Groß­

britannien gerade regulatorische Fehler unterlaufen . Das führt zu der von Herrn Beater angesprochenen Sanktionsebene als entscheidendem Abgrenzungsmerk­

mal zwischen den beiden Rechtsgebieten . Man muss sich entscheiden – wollen wir die Verbandsklage oder einstweilige Verfügungen oder wollen wir sie nicht . Im

„iPhone“­Fall hat das LG Hamburg in der einstweiligen Verfügung angeordnet, dass Mobilfunkvertrag und iPhone getrennt voneinander angeboten werden müssen – als Reaktion wurde das iPhone dann einfach für einen Monat für 999 Euro angeboten, was wohl kaum eine verbraucherfreundliche Alternative ist . Das Kartellamt hätte hier weitergehende Befugnisse gehabt, aber im zivilrechtlichen Verfahren lassen sich Sanktionsprobleme schwer lösen .

Die Fragen von Herrn Micklitz und von Herrn Glöckner gehen in ähnliche Rich­

tungen . Welche Interessen sind außerhalb der Wettbewerbsförderung zu berück­

sichtigen – Industriepolitik, versteckte Industriepolitik, „more economic approach“

– und wie begegnet man sozialpolitischen Forderungen? Im Kartellrecht sollte man schon im Sinne des kartellrechtlichen Verständnisses verfahren, nämlich rein wett­

bewerblich orientiert . Dann muss es, worauf Herr Glöckner zu Recht hinwies, aber auch ein Verfahren geben, das die daraus entstandenen Folgen abzumildern geeig­

net ist . Die Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass der direkte Weg über das Kar­

tellrecht eher problematisch ist, da es zu viele institutionelle Verwerfungen – Stich­

wort: Ministererlaubnis – gibt, die nicht so recht passen . Vielleicht sollte man den Mut haben zu sagen, dass man aus bestimmten politischen Gründen ein bestimmtes Ergebnis will und deshalb bewusst eingreift .