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Ethik im deutschen Wettbewerbsrecht I. Allgemeinethik und Wirtschaftsethik

Lauterkeitsrecht oder rein wirtschaftliche Betrachtungsweise?

D. Ethik im deutschen Wettbewerbsrecht I. Allgemeinethik und Wirtschaftsethik

Im deutschen Wettbewerbsrecht ist spätestens seit Streichung der „guten Sitten“

im Gesetzestext der Ehrgeiz, Handlungsethik rechtlich durchsetzbar zu gestalten, auf dem Rückzug . Die in Judikatur und Rechtslehre verwendeten Formulierungen unterschieden auch früher nicht streng zwischen Sitte und Sittlichkeit, zwischen Ethik und Anstand . Der Wortlaut der früheren wettbewerbsrechtlichen Generalklau­

sel nahm Anleihen bei §§ 138, 817, 826 BGB . Die diesbezüglichen Gesetzesmate­

ria lien deuten darauf hin, dass sowohl Ethik als auch Anstand (Sitte und Sittlichkeit) bei der Auslegung eine Rolle spielen sollen .38 Noch heute bestimmt das „Anstands­

gefühl der billig und gerecht Denkenden“ jedenfalls den Beginn der Fallsubsumtion im bürgerlichen Recht . Im Lauterkeitsrecht wurde gleichwohl von dieser Termino­

logie nur zögerlich Gebrauch gemacht . So verengte man das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden typischerweise auf die billig und gerecht denkenden Gewerbebetreibenden .39 Das spricht für eine besondere Wirtschaftsethik . Allerdings

37 Die bisherige MarkenrechtsRL 89/104/EWG, ABl . EG L 40/1 wurde redaktionell geändert und in der Form der RL 2008/95/EG neu kodifiziert, vgl . ABl . EG L 299/28 . Die Konkordanztabelle befindet sich im Anhang der Richtlinie . Sachliche Änderungen gab es nicht .

38 Vgl . hierzu m .w .N . Eckert, a .a .O . (Fn . 1) .

39 So später der BGH, vgl . BGHZ 10, 228 (232); 15, 356 (364); 17, 327 (332); 22, 167 (181); 23, 184 (186) .

haben die Gerichte zunächst auch solche Verhaltensweisen untersagt, die zwar mög­

licherweise nicht der Kaufmannsehre, wohl aber dem Anstandsgefühl der Allge­

meinheit widersprachen .40 Der jeweils strengere Maßstab konnte damit entscheiden, die Allgemeinmoral wurde auch zur Wirtschaftsmoral . Die Kritik an dieser Verfah­

rensweise wurde bereits erwähnt .41

II. Wirtschaftsethik als Funktionsvoraussetzung

Mit der zunehmenden Überzeugung davon, dass die „guten Sitten“ wettbewerbs­

funktionale und nicht allgemein verhaltensleitende Aufgaben haben, war diese Linie auf dem Rückzug . Im Jahre 2001 stellte der BGH fest, dass Maßstab für die Bestimmung der „guten Sitten“ nach § 1 UWG a .F . zwar grundsätzlich sowohl die Wertvorstellungen der beteiligten Verkehrskreise als auch die der Allgemeinheit sein können . Gleichwohl müsse die Interessenabwägung „mit Blick auf die Aus­

wirkungen des wettbewerblichen Vorgehens“ erfolgen .42 Die Busengrabscher­ und die Benetton­Fälle nahmen im Ergebnis weniger auf Kategorien der Allgemeinmo­

ral Bezug, befürchtet wurde vielmehr, dass die massenhafte Nutzung von als auß­

erwettbewerbsrechtlich empfundenen Werbemitteln zu Nachahmereffekten führen könnte, die insgesamt den sog . Leistungswettbewerb beeinträchtigen .43

III. Gute Sitten am Vorabend der UWG-Reform 2004

Man wird – ohne die vielfach nachgezeichnete Entwicklung im Einzelnen akribisch nachzuzeichnen – folgende Einsichten als am Vorabend der UWG­Reform 2004 feststehend ansehen können:

1 . Zu den anständigen Gepflogenheiten im Wettbewerbe gehören unstreitig nicht die im Kaufmannsverkehr eingerissenen Unsitten .44 Zu den guten Sitten gehören allerdings sowohl die in den einschlägigen Verkehrskreisen der Kaufmannschaft als anständig angesehenen Gepflogenheiten als auch diejenigen Überzeugungen, die im übrigen Wettbewerb, nicht aber notwendig über diesen Bereich hinaus, als ethisches oder sittliches Verhalten angesehen werden .45

40 Zu § 826 in wettbewerbsrechtlichen Fällen: RGZ 48, 114 (124 f .); entsprechend dann zu § 1 UWG: RGZ 80, 219 (221); RGZ (GS) 150, 1 (5); RGZ 166, 315 (318 f) . Entsprechend die Rechtsprechung des BGH: BGHZ 110, 156 (174 f .) = NJW 1991, 287 . Ähnlich bereits vorher:

BGHZ 19, 392 (396 f .); BGHZ 23, 365 (371 f .); BGHZ 34, 264 (270 f .); BGHZ 43, 278 (281f .);

BGHZ 51, 236 (240); BGHZ 54, 188 (190); BGHZ 56, 18 (19); BGHZ 59, 317 (319); BGHZ 103, 203 (206); BGH NJW 1993, 3329 – Folgeverträge .

41 Oben Fn . 3 .

42 BGH GRUR 2001, 1181 (1182) – Telefonwerbung für Blindenware; ebenso vorher bereits BGHZ 130, 5 = GRUR 1995, 592 (594): „Die damit vorausgesetzte sittlich­rechtliche Wer­

tung ist im Blick auf die Funktion des § 1 UWG im Wettbewerb vorzunehmen, so daß eine Orientierung allein nach allgemein ethischen Moralvorstellungen nicht genügen kann .“

43 Vgl . etwa BGHZ 130, 5 = GRUR 1995, 592 (595) – Busengrabscher .

44 Vgl . nur BGHZ 30, 7 – Caterina Valente .

45 Vgl . nur BGH, a .a .O . (Fn . 43), 594 .

2 . Mit Mitteln des UWG soll keine Geschmackszensur in Werbung und Wettbewerb betrieben werden .46

Diese Erkenntnis wird recht eindeutig formuliert in der Entscheidung des KG zum

„Busengrabscher“­Fall . Das Gericht führt hierzu aus: „Die schlüpfrig niedrige Ebene sexueller Anspielung … ist nicht geeignet, das sittliche Empfinden … zu verletzen, … (sondern) erkennbar bloß anzüglicher Scherz .“47 Der Bundesgerichts­

hof sah dies auf der Abwägungsebene anders und argumentierte, dass zwar eine:

„Orientierung allein nach allgemein ethischen Moralvorstellungen nicht genügen kann“ . Die Grenze zur Sittenwidrigkeit sei aber überschritten, wenn eine Werbung:

„in grobem Maße gegen das allgemeine Anstandsgefühl verstößt und dadurch ärger­

niserregend und belästigend wirkt“ .48

Diese Begründung würde heute so wohl nicht mehr wiederholt werden . Schon die Entscheidung des OLG München zu einer Werbung für Wodka, die das Motiv einer Wodkaflasche und daneben das Bild einer Frau zeigte, die einen Latex anzug trug, der durch einen Reisverschluss vollständig zu öffnen war, wurde nicht mehr verboten, obgleich der Slogan „Hätten Sie nicht Lust, Sie gleich zu öffnen“ ohne weiteres als anzüglich gelten konnte .49 Das Gericht argumentierte in bewusster Abgrenzung zur BGH­Entscheidung im Fall „Busengrabscher“ aber, dass kein gro­

ber Verstoß gegen das Anstandsgefühl vorliege, weil es am „eindeutigen sexuel­

len Gehalt“ fehle . Die Anzeige „spielt somit vieldeutig­mehrdeutig mit möglichen Assoziationen .“

3 . In Einzelfällen können allerdings diskriminierende Darstellungen in der Wer­

bung als unlauter angesehen werden . Das setzt allerdings voraus, dass ein Ver­

stoß gegen die Menschenwürde, insbesondere gegen die Würde der zum blo­

ßen Objekt sexueller Begierde degradierten Frau, zum Ausdruck kommt .50 Diese Begründung war bereits in „Busengrabscher“ verwendet worden .51 Fälle der dis­

kriminierenden Werbung kommen in der gerichtlichen Praxis allerdings heute kaum noch vor . Das ist anders in den Verfahren der Werbeselbstkontrolle .52 Dort

46 Vgl . nur BGH GRUR 1970, 557 – Erotik in der Ehe .

47 KG GRUR 1993, 778 – Busengrabscher .

48 BGH a .a .O . (Fn . 43), 594 .

49 OLG München, NJW­RR 1997, 107 .

50 Explizit verboten ist diese Werbung wohl nur in Norwegen, vgl . § 1 Abs . 2 norwegisches Marktgesetz, hierzu und zur Zurückhaltung in den übrigen Ländern Kur, WRP 1995, 790­796;

Wassermeyer, Diskriminierende Werbung, 2000, S . 203 .

51 Vgl . nur BGH, a .a .O . (Fn . 43), 594 .

52 Die aus dem Jahr 2004 stammenden Grundsätze des Deutschen Werberates verbieten in der kommerziellen Werbung Bilder und Texte, welche die „Menschenwürde und das allgemeine Anstandsgefühl verletzen“ . „Vor allem dürfen keine Aussagen oder Darstellungen verwendet werden, (…) die Personen auf ihre rein sexuelle Funktion reduzieren und/oder deren ständige sexuelle Verfügbarkeit nahelegen .“ Dementsprechend wurden in einem aktuellen Fall zwei Restau rants öffentlich gerügt, weil sie in Prospekten und in Anzeigen Wildspeisen mit halb­

nackten Frauen unter der Überschrift „Total wild“ „garnierten“ . Zu sehen war in dem Werbe­

material neben der Wildspeisenkarte eine Frau mit heraufgezogenem Hemd, die sich an die Brustwarzen fasst . Diese Form der kombinierten Hinlenkung auf ein Speisenangebot sei, so der

spielt es auch eine Rolle, ob Nacktheit nur als Blickfang und ohne jeden Bezug zu dem in der Werbung angebotenen Produkt genutzt wird . Werberügen werden allerdings auch dort nicht mehr mit Argumenten des Anstands, sondern solchen der Degradierung von (vorwiegend weiblicher) Nacktheit zum reinen Objekt der Aufmerksamkeit begründet .53

4 . Die Ausnutzung von Mitgefühl zu Zwecken der Produktwerbung ist nach einer dichten Reihe von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Reichweite der unternehmerischen Meinungs­ und Werbefreiheit grundsätzlich nicht (mehr54) unlauter,55 in Einzelfällen kann selbst die Funktionalisierung der Menschenwürde zu Zwecken des wettbewerblichen Erfolgs zulässig sein, jedenfalls solange nicht die Menschenwürde eines konkret Betroffenen angegriffen wird .56

5 . Insgesamt ist damit die Allgemeinethik als Verhaltensmaßstab im deutschen Wettbewerbsrecht weitgehend verschwunden . Bevor man dies bedauert und dar­

über nachdenkt, von den Öffnungsklauseln des europäischen Rechts Gebrauch

Werberat, menschenverachtend und beleidigend . Motive samt Text verstießen gegen die Grund­

sätze des Werberats, weil sie herabwürdigend und personenverachtend seien (Pressemitteilung des Deutschen Werberates vom 28 .4 .2009), vgl . www .werberat .de .

53 In der jüngeren Praxis der Werbeselbstkontrolle wurden – neben dem in der vorigen Fußnote erwähnten – folgende Kampagnen als herabwürdigend gerügt: (1) Ein Computeranbieter be­

warb PC­Gehäuse in einer doppelseitigen Zeitschriftenanzeige mit einer im Profil fotografier­

ten nackten Frau, die ihre Arme in die Höhe reckt . Die Anzeige war überschrieben mit „Spiel . Satz . Sieg!“ (Begründung für das Verbot: Nutzung der Werbung als Blickfang ohne Bezug zu den beworbenen Waren) . (2) Ein Veranstalter von Konzerten und Tanzveranstaltungen warb – auch in der Umgebung von Schulen – mit einem Plakat, auf dem ein Frauengesäß abgebildet wurde, begleitet von den Werbesprüchen: „Du hast den … Arsch der Welt?“ und „Zeig mir Dei­

nen Arsch!“ (Begründung: Plakat habe pornografischen Charakter, verletze das allgemeine An­

standsgefühl, präsentiere Frauen als reine Sexualobjekte und fördere dadurch eine abwertende Einstellung zur Sexualität) . (3) Ein Fuhrpark­Betrieb warb auf seinen Lieferwagen mit einem nackten Frauenkörper neben dem Firmennamen und dem Text „Schönheit kommt von innen“ . (Begründung: Gleichstellung einer Frau mit Frischfleisch menschenunwürdig und in hohem Maße frauenfeindlich); (4) Werbung für einen Likör mit dem Namen „Ficken“ (Begründung:

bewusst hergestellter Zusammenhang zwischen Alkohol und Geschlechtsverkehr, so dass der Eindruck erweckt wurde, das Getränk fördere sexuellen Erfolg) . Sämtliche Fälle sind doku­

mentiert auf der Homepage des Deutschen Werberates www .werberat .de . Weitere Beispiele finden sich bei Steinbeck, ZRP 2002, 435 (437) .

54 Anders noch BGH NJW 1995, 2488 – Ölverschmutzte Ente mit Anm . Marly, LM H . 11/1995,

§ 1 UWG Nr . 693; ablehnend zu dem Konzept u . a . Sosnitza, GRUR 1993, 540; Reichold, WRP 1994, 219; Emmerich, JuS 1995, 1041 . Von einer Belästigung des Adressaten geht aus Henning-Bodewig, WRP 1994, 533 (535); dies., GRUR 1993, 950 (952) .

55 BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170 m . zust . Anm . Fezer, NJW 2001, 580­583; v. Becker, GRUR 2001, 1101­1105; Hartwig § 1 UWG, NJW 2002, 38­39 . Ferner BVerfG NJW 2002, 1187 = GRUR 2002, 455 – Tier- und Artenschutz, m . zust . Bespr . Bottenschein, WRP 2002, 1107­1111 .

56 Vgl . hierzu BVerfGE 107, 275 = GRUR 2003, 442 (444) – Benetton-Werbung II; anders noch BGHZ 149, 247 – H.I.V. Positive II; skeptisch zur Operationalisierbarkeit der Menschenwürde im Wettbewerbsrecht bereits Beater, Unlauterer Wettbewerb, 2002, § 25 Rn . 35; für mehr Mut allerdings Ahrens, Menschenwürde als Rechtsbegriff im Wettbewerbsrecht, FS Schricker, 2005, S . 619 (627): „Zu eng wäre es, die Verletzung der Würde konkreter Personen zu verlangen“ .

zu machen, sollte man das Augenmerk darauf richten, mit welchen wettbewerbs­

rechtsimmanenten Mitteln das UWG auf die Entwicklungen im modernen Mar­

keting in der Post­Benetton­Ära reagiert . Diese Instrumente können angewendet werden, wenn die Wahrung von Anstand und Verantwortung zum unternehmeri­

schen Handlungsmaßstab und damit zum Marktgut wird . Das ist im Rahmen der Entdeckung des good corporate citizen und der corporate social responsibility (CRS) geschehen .

E. Ethische Argumente als Verkaufsargumente