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Europäisches Lauterkeitsrecht?

D. Unmittelbarer Leistungsschutz

Die schwierigste Frage ist die nach der Berechtigung eines unmittelbaren lauter­

keitsrechtlichen Leistungsschutzes, also eines Schutzes der „Leistung als solcher“ .45 Da ein solcher Schutz sich gegen die Nachahmung selbst richtet, ist er immate­

rialgüterrechtlicher Natur: Dem Rechtsinhaber kommt unabhängig von der Frage eines besonderen Handlungsunrechts ein absolutes Recht gegen Nachahmer zu . Mit eigenständig lauterkeitsrechtlichen Gesichtspunkten lässt sich dieser Schutz nicht begründen . Eine Nachahmung ist als solche nicht unlauter . Zum einen ist die Wett­

bewerbsfreiheit in einer Marktwirtschaft der Normalfall, Nachahmungsschutz die

41 Scott/Oliver/Ley-Pineda, in: Bently/Davis/Ginsburg (Fn . 11), S . 285 (297 ff) .

42 So der Ansatz von Spence, a .a .O . (Fn . 40), S . 312 ff .

43 Vgl . EuGH GRUR 2006, 345, Rn . 26 – Siemens/VIPA; Ohly, GRUR 2007, 3 (9) .

44 So etwa EuGH, Urt . v . 18 .06 .2009, Rs . C­487/07, Rn . 49, 78 – L’Oréal/Bellure .

45 Vgl . dazu Sack, a .a .O . (Fn . 7); Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, 2008, S . 313 ff . Weihrauch, Der unmittelbare Leistungsschutz im UWG, 2001; Wiebe, in: Festschrift Schricker, 2005, 773 ff .; demnächst Schröer, Der unmittelbare Leistungsschutz, im Erscheinen .

begründungsbedürftige Ausnahme .46 Zum anderen folgt aus den zeitlichen, sach­

lichen und formalen Grenzen des geistigen Eigentums, dass jenseits dieser Gren­

zen die Imitation zulässig sein muss: Ist der Patentschutz nach 20 Jahren abgelau­

fen, so ist der nachstoßende Imitationswettbewerb systemimmanent . Insbesondere handelt es sich bei der Nachahmung nicht um eine unlautere Behinderung, 47 denn Wettbewerb ist zwar hinderlich, als solcher aber erlaubt . Zwar kann das Recht den Imitationswettbewerb einschränken, die Gründe hierfür, etwa die Förderung von Innovation oder Kreativität, lassen sich aber nicht aus dem Behinderungstatbestand gewinnen . Vielmehr gaukelt der Behinderungstatbestand ein vermeintliches Hand­

lungsunrecht vor, das bei Lichte betrachtet lediglich darin besteht, dass dem Origi­

nalhersteller Konkurrenz gemacht wird .

Das Gemeinschaftsrecht regelt den unmittelbaren Leistungsschutz nicht . Im Gegenteil stoßen hier die Gegensätze zwischen kontinentaleuropäischen Systemen und dem common law unvermittelt aufeinander . Daher hat der europäische Gesetz­

geber Teilbereiche, die nach traditioneller deutscher Auffassung in den Regelungs­

bereich des UWG­Leistungsschutzes fielen, immaterialgüterrechtlich geregelt . Beispiele sind der Schutz von Datenbanken, von nicht eingetragenen Geschmacks­

mustern und der erweiterte Schutz der bekannten Marke . Daneben verbietet aller­

dings Art . 4 lit . g Werbe­Richtlinie Werbevergleiche, in denen ein Produkt nicht als Imitation oder Nachahmung eines Produkts mit geschützter Marke oder Handelsna­

men dargestellt wird . Die Berechtigung dieser Vorschrift ist im Fall einer ansonsten erlaubten Nachahmung zweifelhaft, einiges spricht dafür, dass sie in unzulässiger Weise die Meinungsfreiheit beschränkt (Art . 10 EMRK) . Während der BGH die Fragwürdigkeit dieser Vorschrift erkannt hat und um eine enge Auslegung bemüht ist,48 hat der EuGH soeben entschieden, dass verbotene Imitationswerbung auch vorliegen kann, wenn sich der Eindruck der Imitation nur aus dem Werbehinweis darauf ergibt, dass ein bestimmtes Produktmerkmal (z .B . der Duft eines Parfums) nachgeahmt wurde .49 Diese bedenklich weite Imitation schränkt in systemwidri­

ger Weise die Nachahmungsfreiheit ein, ohne die Wertungsgesichtspunkte für diese Einschränkung offen zu legen .

Nach den meisten europäischen Rechtsordnungen ist die Nachahmung nicht sondergesetzlich geschützter Produkte als solche selbst dann nicht unlauter, wenn sie in identischer Form mit technischen Mitteln („unmittelbare Leistungsüber­

nahme“, „sklavische Nachahmung“) geschieht . Besonders deutlich erklärt Art . 11 Abs . 1 des spanischen Ley 3/1991 de Competencia Desleal: „Die Nachahmung von fremden Leistungen und fremden unternehmerischen Initiativen ist frei, es sei denn,

46 Zur Berechtigung des Grundsatzes der Nachahmungsfreiheit Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn . 9/2;

Peukert (Fn . 45), S . 884 ff . und passim; Wiebe, in: Münchener Kommentar, § 4 Nr . 9 UWG Rn . 15 ff .; dagegen Fezer, WRP 2001, 989 (1007); Lubberger, in: Festschrift Ullmann (Fn . 14), S . 737 ff.

47 Baumbach/Hefermehl, 22 . Aufl ., 2001, § 1 Rn . 208; Müller-Laube, ZHR 1992, 480 (491);

Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rn . 9/14b; Harte/Henning/Sambuc, § 4 Nr . 9 Rn . 160 .

48 BGH GRUR 2008, 628, Rn . 26 – Imitationswerbung .

49 So etwa EuGH, a .a .O . (Fn . 44), Rn . 75 .

diese sind durch ein vom Gesetz anerkanntes Ausschließlichkeitsrecht geschützt .“50 Allerdings lässt sich verbreitet beobachten, dass die Gerichte – oft in systematisch schlecht zu vertretender Weise – Mittel und Wege finden, um als unlauter empfun­

dene Leistungsübernahmen zu unterbinden . Erneut bilden die common law­Rechts­

ordnungen die eine Extremposition . Die nicht täuschende Produktnachahmung als solche ist außerhalb des Immaterialgüterrechts erlaubt, wie verschiedene Gerichte in grundsätzlicher Weise betont haben .51 Allerdings wurde dieser strenge nume­

rus clausus jedenfalls in der Vergangenheit teilweise durch eine großzügige Hand­

habung des Urheberrechts kompensiert .52 Auch in den Niederlanden, deren Recht keine lauterkeitsrechtliche Generalklausel kennt, wird die Ausschlussfunktion der Immaterialgüterrechte betont . Allerdings kann ausnahmsweise ein Produkt, das auf einer Ebene mit den geschützten Immaterialgütern steht, auf der Grundlage der deliktsrechtlichen Generalklausel gegen Nachahmung geschützt werden .53 Gerade bei den Instanzgerichten scheint dieser lauterkeitsrechtliche Schutz des Arbeits­

ergebnisses beliebt zu sein .54 Die Gerichte in zahlreichen Ländern betonen zwar den Grundsatz der Nachahmungsfreiheit, nutzen allerdings die Flexibilitäten der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel teilweise dazu, um unter der Flagge des „mit­

telbaren“ Nachahmungsschutzes letztlich doch „unmittelbaren“ Schutz zu bieten . Im deutschen Recht ist das Paradebeispiel der Saisonschutz für Modeneuheiten .55 Doch auch das „Wechselwirkungsprinzip“, dem zufolge bei erheblicher wettbe­

werblicher Eigenart und enger Nachahmung an die besonderen Unlauterkeitsmerk­

male keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen,56 führt teilweise, wie oben dargestellt, praktisch zu einem reinen Leistungsschutz . Dem Wortlaut nach bietet das schweizerische Recht Schutz gegen die unmittelbare Übernahme eines marktreifen Arbeitsergebnisses mit technischen Mitteln (Art . 5 lit . c UWG CH) . Diese Vorschrift, die ursprünglich ein Äquivalent zum EG­Datenbankenschutz bieten sollte, wird in der Praxis aber sehr zurückhaltend angewandt .57 Auch hier stellt das französische Recht das andere Extrem dar, denn die Ausnutzung frem­

der Kosten und Mühen ist grundsätzlich als parasitärer Wettbewerb unlauter . Auch in Deutschland hielt das RG in seiner frühen Rechtsprechung in diesem Fall ein besonderes Unlauterkeitsmerkmal für gegeben,58 gab diese Linie aber bald auf .59

50 Übersetzung aus GRUR Int . 1991, 551 .

51 Repräsentativ für das englische Recht Hodgkinson & Corby Ltd v Wards Mobility Services Ltd [1994] 1 WLR 1564; Court of Appeal, L’Oréal v. Bellure, [2007] EWCA Civ 968, Rn . 137 ff .

52 Vgl . Beater, Nachahmen im Wettbewerb, 1995, S . 265 ff .; Ohly, a .a .O . (Fn . 1), S . 153 ff .

53 Hoge Raad, GRUR Int . 1987, 792 – Decca; Henning-Bodewig, GRUR Int . 1982, 667 ff .

54 Quaedvlieg, GRUR Int . 1997, 971 ff .

55 BGHZ 60, 168 = GRUR 73, 478 – Modeneuheit; BGH GRUR 84, 453 – Hemdblusenkleid;

BGH GRUR 1998, 477 – Trachtenjanker.

56 BGH GRUR 2007, 984, Rn . 14 – Gartenliege; BGH GRUR 2008, 793, Rn . 27 – Rillenkoffer;

BGH GRUR 2008, 1115, Rn . 18 – ICON .

57 Vgl . Hilty, in: Festschrift Ullmann (Fn . 14), S . 643 ff .

58 RGZ 73, 294 (297) – Schallplatten; RGZ 115, 180 (183) – Puppenjunge .

59 RG GRUR 1929, 483 – Spielzeugsignalscheibe; RGZ 135, 385 (394) – Künstliche Blumen;

Nerreter, a .a .O . (Fn . 2), 411 .

Aus ökonomischer Sicht gilt dasselbe Kalkül, das allgemein den Rechten des geistigen Eigentums zugrunde liegt, wenn auch mit Einschränkungen beim Kenn­

zeichenschutz und bei den persönlichkeitsrechtlichen Elementen des Urheber­

rechts . Nachahmungsschutz führt zu Wohlfahrtsverlusten (statische Ineffi zienz), kann Weiterentwicklungen behindern (dynamische Ineffizienz) und zu uner­

wünschtem strategischen Verhalten Anlass geben .60 Wenn allerdings der Wettbe­

werb wegen der Gefahr sofortiger Nachahmung eine erwünschte Leistung nicht aus eigener Kraft hervorbringt, kann ein befristeter Leistungsschutz den dynami­

schen Wettbewerb fördern .61 Die ökonomische Analyse spricht also nicht per se gegen den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz . Ein jeweils aufgrund einer ökonomischen Einzelfallanalyse „maßgeschneiderter“ Leistungsschutz (gleichsam ein „more economic approach“ des Lauterkeitsrechts) kann Wohlfahrtsverluste auf das nötige Maß beschränken .62 Hingegen ist die aktuelle Landschaft des geis­

tigen Eigentums durch vergleichsweise starre, häufig aber zu weitgehende Rechte geprägt .

Andererseits ist auch die Rechtssicherheit aus verfassungsrechtlichem wie aus ökonomischem Blickwinkel ein nicht zu vernachlässigender Wert . Sowohl der Originalhersteller als auch der Imitator benötigen Planungssicherheit, die durch einen ex ante unkalkulierbaren Leitungsschutz beeinträchtigt wird . Allerdings darf man sich von einem strengen theoretischen Ausschluss des unmittelbaren Nach­

ahmungsschutzes keinen deutlichen Gewinn an Rechtssicherheit versprechen . Für sämtliche mir bekannten europäischen Rechtsordnungen gilt die realistisch­skepti­

sche Beobachtung, dass Gerichte Mittel und Wege finden, um ihrer Ansicht nach schützenswerte Leistungen zu schützen . Starre Ausschlussregeln wie ein numerus clausus der Immaterialgüterrechte, oder eine Beschränkung auf „mittelbaren“ Leis­

tungsschutz begünstigen unsystematische Kompensationshandlungen . So leiden Rechtssicherheit und Methodenehrlichkeit .

Letztlich läuft die Frage nach dem unmittelbaren Leistungsschutz auf eine ins­

titutionelle Frage hinaus: Ist nur der Gesetzgeber zur Schaffung von Immaterialgü­

terrechten berufen, oder können auch die Gerichte Interessen mit absoluter Wirkung schützen? Eine solche Entstehung von Immaterialgüterrechten von Fall zu Fall an­

hand konkret zu entscheidender Probleme hat im deutschen Recht Tradition, in dem § 1 a .F . UWG eine „Schrittmacherfunktion“ (Eugen Ulmer) zukam .63 Einiges spricht dafür, dass eine offene Abwägung des Für und Wider beim Leistungsschutz der derzeit verbreiteten Praxis einer verkappten Schutzgewährung vorzuziehen wäre . Ein solcher Leistungsschutz wäre nur bei Subsidiarität gegenüber dem Imma­

terialgüterrecht vertretbar . Immer wenn der immaterialgüterrechtliche Gesetzgeber aufgrund einer Abwägung zwischen Leistungsschutz und Gemeinfreiheit bewusst Freiräume lässt, muss das Lauterkeitsrecht sie beachten . Besonders die Vorschriften

60 Lemley, 83 Texas Law Review, 1031 ff .

61 v. Weizsäcker, Kyklos, 1981, 345 ff .; Schmidtchen, in: Oberender (Hrsg .), Wettbewerb und Geistiges Eigentum, 2007, S . 9 (19) .

62 Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, 2006, S . 595 .

63 Ulmer, Urheber­ und Verlagsrecht, 3 . Aufl ., 1980, S . 40 .

über die Schutzdauer von Rechten und über Schranken des Schutzes sichern die Gemeinfreiheit .

Allerdings bestehen gegen diesen Ansatz drei gewichtige Einwände . Erstens be­

steht auf Gemeinschaftsebene das Dilemma, dass der EuGH mangels einer ausrei­

chenden Anzahl von Präjudizien und wegen der Abstraktheit der Vorlagefragen zu einer sachgerechten Interessenabwägung nicht in der Lage wäre, während auf der anderen Seite Leistungsschutz durch die nationalen Gerichte zu einer Rechtszer­

splitterung führen würde . Zweitens ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass Instanzgerichte, die freie Bahn für die Gewährung von Leistungsschutz er­

hielten, die Wertungen des Immaterialgüterrechts nicht hinreichend beachten und daher praktisch die Gemeinfreiheit übermäßig beschneiden würden . Drittens hat das Recht des geistigen Eigentums eine nie gekannte Ausdehnung erreicht . Nach Schutzlücken muss man mit der Lupe suchen, und einiges spricht dafür, dass die Wissenschaft ihre rechtspolitische Energie auf die Beschränkung übermäßigen Schutzes als auf die Einführung neuer Schutzmöglichkeiten verwenden sollte . An­

dererseits bietet eine leistungsschutzrechtliche Generalklausel die Möglichkeit, den derzeitigen immaterialgüterrechtlichen Schutz auf einen berechtigten Kernbereich zurückzuführen und das reduzierte Immaterialgüterrecht durch einen lauterkeits­

rechtlichen Schutz geringerer Dauer und geringerer Intensität zu ergänzen . Auch wenn ich eine gewisse Sympathie für eine leistungsschutzrechtliche Gene­

ralklausel nicht verhehle, bin ich mir bisher keineswegs sicher, ob nicht die Gegen­

argumente überwiegen . Ich möchte daher folgenden Normierungsvorschlag für eine gemeinschaftsrechtliche leistungsschutzrechtliche Generalklausel in einer künfti­

gen B2B­Lauterkeitsrichtlinie schlicht zur Diskussion stellen .

„Die Übernahme fremder marktreifer Leistungsergebnisse kann für begrenzte Zeit untersagt werden. Bei der Gewährung derartigen Leistungsschutzes sind die Interessen des Schutzsuchenden, der Übernehmenden und der Allgemein-heit unter Achtung der Wertungen des Immaterialgüterrechts zu einem ange-messenen Ausgleich zu bringen. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

(i) die Eigenart des Leistungsergebnisses, (ii) die Nähe der Leistungsüber-nahme, (iii) das Allgemeininteresse an der Erbringung des Leistungsergebnis-ses, (iv) die Wahrscheinlichkeit, dass der Wettbewerb bei fehlendem Schutz die Leistung nicht hervorbringen wird .“