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Ethik und Wirtschaftsrecht I. Grundlagen und Anwendungsfelder

Lauterkeitsrecht oder rein wirtschaftliche Betrachtungsweise?

B. Ethik und Wirtschaftsrecht I. Grundlagen und Anwendungsfelder

Was haben gute Sitten, was hat Lauterkeit mit Ethik zu tun? Der folgende Beitrag geht davon aus, dass Ethik eine moralphilosophische Kategorie bezeichnet .9 Zur Aufgabe der Ethik gehört es danach, Maßstäbe für das (gute, das richtige) Handeln zu liefern .10 Für Kant geht es um die Antwort auf die Frage: „Was soll ich tun? Wie soll ich handeln?“ . Seine Antwort ist der kategorische Imperativ: „Handle immer nur nach derjenigen Maxime, durch die Du zugleich wollen kannst, daß sie allge­

meines Gesetz wird .“11

Wettbewerbsrechtler, die sich der Ausgestaltung von Verhaltensregeln im Wett­

bewerb widmeten, haben daneben stets auch die volkstümliche Vorstufe, die Kate­

gorie der Anstandsregeln, als möglichen Handlungsleitfaden in Erwägung gezo­

gen . Darunter fallen die in einer Gruppe oder Gesellschaft als Maßstab für richtiges Handeln anerkannten Regeln .12 Diese Kategorie eröffnet zwar auch den Zugang zu eingerissenen Unsitten, doch war im Wettbewerbsrecht stets anerkannt, dass nur die „guten Sitten“, also die ehrbaren Kaufmannsregeln durchgesetzt werden soll­

ten .13 Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass „der Markt“ allein redliches Verhalten nicht bewirken werde .

Diese Einschätzung hat sich jedenfalls in der Rhetorik der Unternehmenspraxis geändert . Wirtschaftsethik ist ein wichtiges Thema in den Vorstandsetagen und den Hochglanzbroschüren der global agierenden player geworden . Die Gründe hierfür sind vielfältig . Zunächst ist das gesteigerte Bewusstsein für richtiges Handeln im Wettbewerb eine Folge von Modernisierungsprozessen . Der Einzelne ist aus sozi­

alen Kontrollmechanismen wie der Familie, Gruppe und Gemeinschaft herausge­

rissen worden . Seine Individualisierung ist eine Folge dieser Modernisierung, die letztlich wiederum eine Folge der Globalisierung von Handlungszusammenhängen darstellt . Mit den Entwurzelungsprozessen einher geht ein Verlust einzelstaatlicher Steuerungsmöglichkeiten . An die Stelle lokaler stabiler Gemeinschaften treten lose communities, die für sich homogene Verhaltensmaßstäbe entwickeln müssen . Auch Unternehmen haben dieses Interesse . Die im Internet häufig als vermeintlicher code of conduct zitierte netiquette14 ist ein Beispiel .

Als Antwort auf die erodierenden und zunehmend in Wettbewerb miteinander geratenden Wertmaßstäbe könnte man mit Kant ethische Normen vom Subjekt

9 Birnbacher/Hoerster, Texte zur Ethik, 1976, S . 9 .

10 Andersen, Einführung in die Ethik, 2000, S . 2; A. Burkhardt, Einführung in die Ethik, Basel 1996, S . 16 .

11 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Kant­Studienausgabe, herausgegeben von Wei­

schedel, Bd . IV, 5 . Aufl . 1983, S .51 .

12 Vgl . BVerfGE 7, 198 (215) – Lüth: Anschauungen der ‚anständigen Leute‘ davon, was im so­

zialen Verkehr zwischen den Rechtsgenossen ‚sich gehört‘ .

13 BGH GRUR 1969, 474 (476) – Bierbezug; BGHZ 81, 291 (297) – Bäcker-Fachzeitschrift;

Norde mann, a .a .O . (Fn . 3), Rn . 39 .

14 Vgl . P. Jung, GRUR Int . 1998, 841 (842) m .w .N .; Hoeren, WRP 1997, 993 .

her begründen . Das erforderte eine deontologische Ethik, die davon ausgeht, dass Handlungsleitsätze an sich, und nicht (nur) in Bezug auf einen bestimmten Zweck hin Geltung beanspruchen . Die in der Wirtschaft zu beobachtenden Tendenzen, aber auch die eher wertrelativistischen Strömungen der Globalisierung stehen einer solchen Zwecksetzung allerdings reserviert bis abwehrend gegenüber . Hier über­

wiegt eine utilitarische, eher noch eine Ethik des Eigennutzes, die sittliche Nor­

men dadurch implementiert, dass sie das angeborene Eigeninteresse des Subjekts funktionalisiert .15 Wenn der wirtschaftende Mensch seinen Eigennutzen verfolgt, so liegt es nicht fern, darüber nachzudenken, inwieweit ethisches Handeln diesen Eigennutz mehren kann . In diese Richtung gehen die Bemühungen der Wirtschaft, sich als good corporate citizens, als ethischen Richtlinien verpflichtete Einheiten darzustellen und hierüber eine von den Kunden als sympathisch wahrgenommene corporate personality („We care“) zu bilden .16 Nicht von ungefähr gehen Unterneh­

men in jüngerer Zeit verstärkt gegen jede äußere Bedrohung dieser Identität durch Produktkritik oder reputationsgefährdende Tatsachenberichterstattung vor, indem sie eine Verletzung eines angeblichen Unternehmenspersönlichkeitsrechts geltend machen .17 Daran zeigt sich, dass Ethik nicht nur Pflichterfüllung um ihrer selbst willen, sondern auch Werkzeug im Kampf um Sympathie bei den stakeholders ist . II. Die Notwendigkeit lauterkeitsrechtlicher Sanktionen für ethisches Fehlverhalten

1 . Die lauterkeitsrechtlichen Betrachtungen der Vergangenheit kreisten vor allem um die Frage, ob der Bruch von Rechtsregeln eine zusätzlich moralische Quali­

tät hatte, der dazu führte, dass sich das rechtsuntreue Unternehmen einen Vorteil im Wettbewerb gegenüber seinem rechtstreuen Konkurrenten verschaffte .18 In diesem Zusammenhang ging es für den Juristen vor allem darum herauszufin­

15 Als radikalster Vertreter gilt Thomas Hobbes, Leviathan (1651), Ausgabe Neuwied/Berlin 1966, Kapitel 13, S . 94­102 (dort zur psychologischen Grundlegung des Egoismus) . In der Wirtschaft wurde dieses Programm bekanntlich nutzbar gemacht durch Adam Smith, An In­

quiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776, dort mit der berühmten Pas­

sage in Chapter 2, Ausgabe Oxford 1976 (Glasgow Edition Bd . II), S . 26: „It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker that we expect our dinner, but from their regard to their own interest . We address ourselves, not to their humanity but to their self­love, and never talk to them of our own necessities but of their advantages . Nobody but a beggar chooses to depend chiefly upon the benevolence of his fellow­citizens .”

16 Vgl . Quante, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht juristischer Personen . Eine zivilrechtliche Studie, 1999, S . 97; aus betriebswirtschaftlicher Sicht Birkigt/Stadler/Funck, Corporate Iden­

tity, Grundlagen, Funktionen, Fallbeispiele, 11 . Aufl . 2002, S . 19 .

17 BGH NJW 2008, 2110; KG NJW 2000, 2210 (Versteckte Kamera in DB­Zügen); LG Hamburg ZUM 2007, 212 (Fernsehfilm „Nur eine einzige Tablette“ zur Contergan­Affaire der Firma Grünenthal 1961); Born, AfP 2005, 110; Brinkmann, GRUR 1988, 516; Gostomzyk, NJW 2008, 2082 .

18 Zur Trennung von Rechts­ und Sittenwidrigkeit BGH GRUR 1974, 281 (282) – Clipper (zum Verstoß gegen Preisauszeichnungsvorschriften unter der Fallgruppe „Vorsprung durch Rechts­

bruch“; Köhler/Piper, UWG, Einf . Rn . 257 .

den, welche Rechtsregeln unmittelbaren Einfluss auf das Marktverhalten neh­

men, also dafür sorgen, dass ethische Mindeststandards auch zu Rechtsregeln werden . Diese Entwicklung ist keine allein lauterkeitsrechtliche . Sie entspricht vielmehr dem Grundsatz, dass bestimmte moralische Mindeststandards stets, und daher auch im Wettbewerb, einzuhalten sind .19 Die Ausformulierung sol­

cher Mindeststandards erfolgt durch Rechtsregeln, die einen Ordnungsrahmen für das Wirtschaftshandeln bilden . Man kann insoweit auch von einer Rechts­

moral20 oder einer Ordnungsethik sprechen .21 Deren Ziel im Wettbewerbsrecht ist es, gemeinsame Handlungsbedingungen oder Spielregeln für die Marktteilneh­

mer aufzustellen, also eine objektive Wertordnung zu errichten . Hierzu gehören etwa die Einhaltung umweltrechtlicher und arbeitsschutzrechtlicher Standards in der Produktion, das Verbot von Wettbewerbsabsprachen und das Verbot der Vor­

teilsnahme . Die Ausbildung einer Rahmenordnung entspricht einer ordoliberalen Überzeugung davon, dass Freiheit „geordnet“ werden muss,22 um verträglich und harmonisch zu wirken . Diese – auch von einer deontologischen Ethik gespeiste – Erkenntnis kann dazu führen, dass moralische Regeln zu Rechtsregeln werden .23 Jedenfalls soweit diese Marktverhaltensregeln sind, im Übrigen aber auch, wenn sie lauterkeitsrechtlich verankert sind, gehören sie dann zur Wettbewerbrechts­

ordnung, sind mithin auch zu befolgen und mit lauterkeitsrechtlichen Mitteln durchsetzbar .

2 . Die zuvor angesprochene Entwicklung im Zusammenhang mit der Übernahme einer besonderen Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibi-lity – CRS) führt allerdings vermehrt dazu, dass Unternehmen – eigennützig – selbst Verhaltensmaßstäbe formulieren und darum bemüht sind, diese Maßstäbe auch in ihrem wettbewerblichen Verhalten umzusetzen .24 Das europäische Wett­

bewerbsrecht fördert diese Art der Selbstregulierung .25 In diesem Zusammen­

hang ist es nicht der Staat, der Verhaltensmaßstäbe setzt, sondern es sind die Handelnden selbst . Die Wirtschaftswissenschaften sprechen daher von einer Handlungs­ oder Unternehmensethik als einem selbst verordneten ethischen Ver­

19 Vgl . G. Schulze, JuS 1999, 636 (637) .

20 So im allgemeinen Zivilrecht Sack, in: Staudinger, 12 . Aufl ., § 138 Rn . 40; Jauernig, § 138 BGB Rn . 6; Hübner, BGB – Allgemeiner Teil, 2 . Aufl . 1995, Rn . 892; T. Bezzenberger, AcP 1996, 395 (399) .

21 Vgl . insoweit Homann, in: Korff, Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd . 1, Gütersloh 1999, S . 322 (327) .

22 Zur philosophischen Fundierung dieses, letztlich wiederum auf Kant zurückgehenden Ansatzes W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 1984 .

23 Im allgemeinen Zivilrecht neigt man angesichts des zunehmenden Wertepluralismus dazu, die­

sen Weg der Ausformulierung einer objektiven, an den Grundrechten orientierten Werteord­

nung für den einzig gangbaren zu halten, um dem Maßstab der guten Sitten (etwa in §§ 138, 826 BGB) Konturen zu verleihen, vgl . Bezzenberger, AcP 1996, 395 (399 und 401) m .w .N .

24 Carrol/Buchholtz, Business and Society: Ethics and Stakeholder Management, 6 . Aufl . Mason/

Ohio 2006; Maignan/Ferrell, Corporate citizenship as a marketing instrument, 2001, 35; dies., Europ . J . Marketing, 457­484 .

25 Fezer/Peifer, UWG, 2 . Aufl . 2009, Anh . § 3 Abs . 3 Rn . 1­4; Peifer, WRP 2008, 556 (561) .

halten, das nach einer Vorteils­/Nachteilsabwägung gewählt wird in der Hoff­

nung, dass hieraus Vertrauen und Sympathie zunächst als Sozialkapital hernach aber auch als wirtschaftliches Kapital in Form besserer und stabilerer Absatzbe­

ziehungen entsteht .26

Dieser Ansatz entspricht der utilitarischen oder egoistischen Ethik . Die Durchset­

zung solcher selbst gesetzten Maßstäbe erfolgt herkömmlich allein durch Instru­

mente der Sozial­ oder besser: der Selbstkontrolle der Akteure . Daher stellt sich die Frage, ob es zur besseren Durchsetzung auch noch einer Rechtskontrolle, also einer Art Koregulierung, bedarf und wie genau diese auszusehen hat . Dass Instru­

mente der Koregulierung auch im Wettbewerbsrecht zunehmend Beachtung finden und durch das europäische Recht besonders empfohlen werden, bedarf in diesem Zusammenhang keiner besonderen Vertiefung .27

C. Ethik und Acquis Communautaire