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Zivilisationskonflikt und Globalisierung – Huntington und seine Kritiker 35

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 43-47)

2.2 Problemfelder

2.2.1 Zivilisationskonflikt und Globalisierung – Huntington und seine Kritiker 35

Dem Theorieansatz des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers S. Huntington, der an der Harvard University lehrte, liegen als Bezugsgrößen nicht Nationalkultu-ren, sonderntransnationale Kulturräumezugrunde. Diese nennt er, im Anschluss u. a. an die Kulturkreistheorie Oswald Spenglers aus den 1920er Jahren, »civilizati-ons«. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der im Kontext von wirtschaftlicher und kultureller Globalisierung zurückgehenden Bedeutung der Nationalstaaten und -kulturen seien Kulturräume zu den für die internationalen Beziehungen und die In-terkulturelle Kommunikation dominierenden Bezugsgrößen avanciert. Die »World of Civilizations. Post 1990« sieht Huntington in seinem 1993 in der ZeitschriftForeign Affairs erschienenen Aufsatz »The Clash of Civilizations«, den er 1996 zu einem

gleichnamigen Buch ausbaute, vonneun Kulturräumenmit je spezifischen Werte-und Handlungssystemen geprägt:

die westliche Zivilisation, die neben Westeuropa auch Nordamerika, Australien und Neuseeland umfasst;

die lateinamerikanische Zivilisation;

die afrikanische Zivilisation, die Huntington wegen der islamischen Prägung Nordafrikas und der Sahelzone auf Zentral- und Südafrika begrenzt;

die orthodoxe Zivilisation (Russland und große Teile Ost- und Südosteuropas);

die chinesisch-konfuzianische Zivilisation;

die buddhistische Zivilisation (Tibet, Mongolei, Südostasien);

die japanische Zivilisation;

die hinduistische Zivilisation Indiens;

die islamische Zivilisation, die sich von Indonesien über Pakistan und den vorder-asiatischen Raum bis nach Nord- und Westafrika sowie nach Südosteuropa (Bos-nien-Herzegowina) erstreckt.

Die von Huntington unterschiedenen Kulturräume (»civilizations«) sind, wie ihre skizzierte geopolitische Eingrenzung belegt, im Kern durch religiöse Faktoren bestimmt. Sie folgen einer Logik von Zentrum und Peripherie, die jeden Kulturraum von einer oder zwei Führungsmächten (»core states«) bestimmt sieht, wie etwa die USA im westlichen Kulturraum, Saudi-Arabien, der Iran und Ägypten im islamischen Kulturraum und China im chinesisch-konfuzianischen Kulturraum. Ausgehend von einem sowohl historisch fundierten wie aktualitätsbezogene welthistorische Ent-wicklungen analysierenden Ansatz, rückt Huntington zwei zentrale Thesen in den Mittelpunkt seiner Reflexion: zum einen die Thesevom Aufstieg der chinesisch-konfuzianischen Kultur, die im 21. Jahrhundert die Führungsrolle in der Welt über-nehmen würde. Diese »asiatische Affirmation« werde Ost- und Südostasien zum neuen Gravitationszentrum der Weltwirtschaft und der Weltpolitik machen.

Zum anderen vertritt Huntington die These von der Renaissance der islami-schen Kultur, deren religiös fundiertes Wertesystem in radikalem Widerspruch zum westlichen Werte- und kulturellen Entwicklungsmodell stehe und ein zunehmendes Konfliktpotential hervorgebracht habe. Ausgehend von der grundlegenden These, dass über die Hälfte aller gegenwärtigen bewaffneten Auseinandersetzungen einen interkulturellen Hintergrund aufwiesen, d. h. auf dem Konflikt zwischen sehr unter-schiedlichen, häufig religiös geprägten Werten bzw. Kulturstandards beruhten, stellt Huntington fest, dass ein Großteil dieser Konflikte an der zivilisatorischen Bruchlinie zwischen der islamischen und anderen Zivilisationen – insbesondere der westlichen – ausgebrochen sei. Diese »blutigen Grenzen des Islam« (»Islam’s bloody borders«, Huntington 1996, 254–259) ziehen sich von Bosnien über den Libanon, Syrien und Israel und einen Teil der Konfliktherde in Westafrika (Elfenbeinküste, Tschad, Mali), über die Grenzen zwischen Pakistan und Indien bis nach Indonesien (Papua-Neugui-nea) und die Philippinen. Durch die islamische Emigration in westliche Länder, vor allem nach Frankreich, Deutschland, Italien, Kanada, Großbritannien und in die USA, verlaufe diese Konfliktlinie zwischen modernen und islamisch geprägten fun-damentalistischen Zivilisationsstilen jedoch nicht nur an den Grenzen des islami-schen Raums, sondern inzwiislami-schen auch innerhalb der westlichen Zivilisation.

Huntingtons Kulturkonflikttheorie, die im Kontext der Ereignisse des 11. Septem-bers 2001, der Zuspitzung des Israel-Palästina-Konflikts und des Irakkrieges 2003 weltweit diskutiert wurde und eine der derzeit einflussreichsten Theorieansätze zur

politischen Dimension der Interkulturellen Kommunikation darstellt, ist gleicher-maßen auf wissenschaftlicher wie auf publizistischer Seite auf heftige Kritik gesto-ßen. So betont der Politiker und Sozialwissenschaftler Strasser in einem Artikel in der WochenzeitungDie Zeit:»Samuel Huntington hat mit seinem Bestseller »Kampf der Kulturen« ein Muster vorgegeben, das als Orientierungshilfe begierig aufgegrif-fen wurde: Er beschwört den unvermeidbaren Zusammenstoß des Westens mit dem Islam.« (Strasser 1997, 20). Im Anschluss an die Kritik von T. Meyer (1997) an Hun-tingtons Ansatz unterzieht er insbesondere dessen Kulturbegriff einer kritischen Überprüfung: »Die auf Herder zurückgehende Auffassung, die auch der Huntington-These zugrunde liegt, daß die Kulturen jeweils in sich und gegeneinander abge-schlossene Ganzheiten bilden, ist ganz offensichtlich falsch. Zwischen den Kulturen gibt es mannigfaltige Überlappungen, die ein friedliches Zusammenleben auf der Basis von Toleranz, gegenseitiger Achtung und wechselseitiger Befruchtung laut Meyer auch weiterhin durchaus möglich erscheinen lassen« (Strasser 1997, 20).

Senghaas unterstreicht dieses Argument, indem er darauf hinweist, dass ein »we-sentliches Manko der Huntingtonschen Argumentation also darin liege, dass er auf der Makroebene Kulturbereiche als Wesenheiten unterstellt und bei allem Sinn für Geschichte und Konflikte im Kern kulturessentialistisch argumentiert« (Senghaas 1997, 217; vgl. auch Meyer 1997). Mit»kulturessentialistisch« ist gemeint, dass (nach Huntington) jeder Kultur bestimmte, nicht (oder nur langsam) wandelbare Ei-genschaften zugeschrieben werden, die allen Angehörigen einer Kulturgemein-schaft eigen sind. Obwohl Huntington durchaus das Verdienst zukomme, die (inter) kulturelle Dimension – im Gegensatz zu den traditionell privilegierten diplomati-schen, militärischen sowie ethnischen Faktoren – im Hinblick auf die Analyse von Kriegen und Konfliktherden systematisch zu berücksichtigen, seien seine Untersu-chungen, so der Frankfurter Politikwissenschaftler Harald Müller, zu grobrastrig, zu ahistorisch und durch ihre radikale Gegenüberstellung von Religionen und Kulturen (»Clash of Civilizations«) zu undifferenziert. Müller geht im Gegensatz zu Hunting-ton nicht von einem homogenen, sondern von einem komplexen, interkulturell ge-prägten Kulturbegriff aus. Selbst Auseinandersetzungen wie der Nahostkonflikt, der auf den ersten Blick im Wesentlichen durch kulturell-religiöse Faktoren bestimmt er-scheint, könnten nur durch ein komplexes Bündel von Faktoren erklärt und analy-siert werden, zu denen in erster Linie das Erbe des Kolonialismus und die hiermit verbundenen kollektiven Demütigungen gehörten. Neben einer Zunahme von Kon-flikten seien, auch in den geopolitischen Bruchlinien zwischen westlicher und isla-mischer Welt, Prozesse der Liberalisierung und Modernisierung unter westlichem Einfluss erkennbar, wie im Iran und in der Türkei. Ausgeblendet blieben bei Hun-tington auch »die gewaltigen kooperationsfördernden Kräfte der wirtschaftlichen Globalisierung, die statt dessen in ein längst veraltetes, merkantilistisches Schema gepreßt werden, demzufolge der Gewinn des einen immer der Verlust des anderen sein muß« (Müller 1998, 224).

Die Auseinandersetzung um Huntingtons Buch, das mit derReflexion über die kulturellen Ursachen von Krisen und Konfliktenein zentrales Problemfeld der In-terkulturellen Kommunikation betrifft, verweist somit auch auf Grundprobleme und Aporien interkultureller Lehre und Forschung:

die Tendenz zum essentialistischen Kulturbegriff, der kulturelle Wesenheiten um-greift und hiermit – häufig unbewusst – an Denkschemata der Völkerpsychologie anschließt und bei der ›Kultur‹ als eine Art ›geschlossener Container‹ betrachtet wird;

die Überbetonung des Kulturellen (»Kulturalismus«), die zur Vernachlässigung oder gar Ausblendung anderer, vor allem historischer und politischer Analyse-und Erklärungsfaktoren führen kann;

und schließlich der Hang zur kulturellen Polarisierung und Gegenüberstellung, der sich in anderer, differenzierterer Ausprägung auch in den werteanalytischen Ansätzen von Hall, Hofstede und Trompenaars findet.

2.2.2 | Missverständnisse und Konfrontationen – zur konfliktuellen Dimension Interkultureller Kommunikation

Interkulturelle Kommunikation wird in der wissenschaftlichen Praxis ebenso wie im Alltag als Mittel zur Verständigung zwischen Kulturen angesehen. »Interkulturelle Kommunikation gilt als wesentliche Voraussetzung für die friedliche Koexistenz der Kulturen. Interkulturalität erscheint somit als Modell für die Entstehung einer poli-tisch bejahten multikulturellen Weltgemeinschaft.« (Hahn/Platz 1999, 1).

Angesichts der konsens- und verständigungsorientierten Zielsetzung zahlreicher Ausbildungs- und Trainingsprogramme zur Interkulturellen Kommunikation mag auf den ersten Blick erstaunen, dass das besondere Interesse der interkulturellen For-schung dem Dysfunktionieren, den Konflikten, Missverständnissen undCritical Inci-dents der Kommunikation zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen gilt.

Häufig handelt es sich umunbeabsichtigteKonflikte, die auf Missverständnisse zu-rückzuführen sind. Kultur und Konflikt sind »nur auf den ersten Blick schroffe Ge-gensätze. Bei näherem Zusehen scheinen sie untrennbar ineinander verflochten [...].

Denn Kulturen organisieren nicht nur die Formen und Rahmenbedingungen kom-munikativen, sondern auch des unkommunikativen Handelns« (Assmann/Assmann 1990, 13). Nicht das Funktionieren, sondern Störungen, Krisen und Konflikte bilden einen Zentralbereich interkultureller Forschung, von der Makroperspektive des ›Zi-vilisationskonflikts‹, die Huntington verfolgt, bis zur Mikroperspektive der interkul-turellen Interaktion, bei der sich Konflikte in Missverständnissen, Aggressionen, sprächsunterbrechungen oder -abbrüchen oder auch in simplem Schweigen der Ge-sprächspartner zeigen. Sie »dienen in der Wissenschaft und im Training zur kontras-tiven Gegenüberstellung kultureller Charakteristika, die sich in einer interpersonellen Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Gesellschaften als kulturelle Un-terschiede manifestieren und zu interkulturellen Missverständnissen führen können.

›Critical Incidents‹sind repräsentativ fürtypische, wiederholtvorkommende Miss-verständnisse« (Barmeyer 2000, 109). Critical Incidents können definiert werden als:

»Episodenartige Darstellung einer Konfliktsituation (aus der Perspektive eines Beteiligten);

diese Darstellungen werden in der Regel dazu benutzt, Wissen über Handlungsorientierungen und Gewohnheiten von Personen in einer fremden Kultur und/oder über Mechanismen der Bearbeitung interkultureller Situationen zu gewinnen.« (Müller-Jacquier 1999, 179).

Die Ausgangsthese bei der Untersuchung solcher Konfliktsituationen ist, dass »die Handlungsweisen verschiedener Kulturen in spezifischen Situationen differieren und dass es zuCritical Incidents(CI) kommt, wenn Teilhaber dieser Kulturen in Kon-takt treten« (Heringer 2004, 219). Interkulturelle Missverständnisse resultieren somit aus Fehlinterpretationen des sprachlichen oder non-verbalen Verhaltens und Han-delns des Kommunikationspartners, die auf Unkenntnis oder fehlender Erfahrung beruhen können.

Das Verhalten der Interaktionspartner wird als merkwürdig irritierend oder gar verletzend wahrgenommen und läßt die Interagierenden emotional reagieren (Bar-meyer 2012, 34). Ein Beispiel hierfür sind Unterbrechungen des Sprechverlaufs, mit sogenannten ›Überlappungen‹, die etwa im Französischen weitaus häufiger sind und anders verstanden werden als im Deutschen, wo sie eher als ein unhöfliches ›Ins-Wort-Fallen‹ gesehen werden. Unterbrechungen und der hiermit verknüpfte Spre-cherwechsel erfolgen im Deutschen tendenziell am Ende eines Satzes, im Französi-schen dagegen oft in der Mitte des Satzes, »wenn man den weiteren Verlauf der Äu-ßerung ›erraten‹ hat« (was im Deutschen problematischer ist, da Verben bzw. Präfixe für Verben als wichtige Informationsträger am Satzende stehen). »Der Wunsch nach Übernahme des Rederechts wird schon vorher durch eindeutige Mimik und Gestik eingeleitet. Während dies von Deutschen oft als Unhöflichkeit empfunden wird, ge-hört es für den Franzosen zur Normalität eines engagierten Gesprächs.« (Helmolt/

Müller-Jacquier 1991, 15). Nach Raymonde Carroll erfolgen Unterbrechungen in französischen Konversationen im Allgemeinen nicht, damit ein Gesprächspartner die Aufmerksamkeit auf sich zieht und das Wort an sich reißt, sondern um sein In-teresse an den Äußerungen des Dialogpartners kundzutun, ob in Form von Zustim-mung, Ablehnung oder Protest. Unterbrechungen des Gesprächsflusses sind im Französischen Zeichen von Engagement, Spontaneität und Anteilnahme, während ein geregelter Sprecherwechsel ohne Überlappungen von französischer Seite – ganz im Gegensatz zu deutschen Gepflogenheiten – als eher steif und formell empfunden wird (Carrroll 1987).

Die Gründe für interkulturelle Missverständnisse bzw. ›Critical Incidents‹ können jedoch sehr unterschiedlich gelagert sein. Nehmen wir das Beispiel eines Gesprächs zwischen den Betriebsleitern zweier mittelständischer Unternehmen aus Deutsch-land und Frankreich bezüglich der gemeinsamen Herstellung und des gemeinsamen Vertriebs von Werkzeugmaschinen in Drittländern (Osteuropa), das aufgrund eines Details – der Struktur des Außendienstes und der Qualifikation der Außendienstmit-arbeiter – scheitert. Die Gründe hierfür können sehr verschieden sein: unterschiedli-che unternehmerisunterschiedli-che Organisationsstrukturen (Führungs- und Verwaltungshierar-chien), unterschiedliche Qualifikationsprofile für Außendienstmitarbeiter in Deutschland und Frankreich (»agent commercial« versus »Verkäufer«), unterschied-liche Werte und Kulturstandards (Vertrautheit mit dem Zielmarkt und kulturelle An-passungsfähigkeit versus Ausgewiesenheit durch Diplome und innerbetrieblichen Aufstieg) sowie unterschiedliche Kommunikationsstile in der Verhandlungssituation (höhere Explizitheit in Deutschland versus größere Implizitheit in Frankreich, ge-mäß den Unterscheidungen von E. T. Hall).

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 43-47)