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Interkulturalität – Métissage – Hybridität

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 25-28)

2.1 Konzepte

2.1.5 Interkulturalität – Métissage – Hybridität

Interkulturelle Kommunikation zielt auf diekommunikative Dimension der Bezie-hungenzwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen, auf verbaler, nonverba-ler und medianonverba-ler Ebene.Der Begriff ›Interkulturalität‹betrifft seinerseits alle Phä-nomene, die aus dem Kontakt zwischen unterschiedlichen Kulturen entstehen, aber nicht notwendigerweise eine kommunikative Dimension (im engeren interaktiona-len Sinn) aufweisen: beispielsweise

Phänomene der Sprachmischung, wie sie die aus französischen, englischen, spa-nischen und afrikaspa-nischen Elementen bestehenden Kreolsprachen der Karibik darstellen;

Formen der Kulturmischung bzw. des kulturellen Synkretismus, beispielsweise in der Kleidung (Afrolook), der Architektur (spanisch-maurischer Stil) oder der Mu-sik (Reggae);

Prozesse der kreativen Integration von Elementen fremder Kulturen, die sich in zahlreichen kulturellen Bereichen, wie beispielsweise in der Literatur (Rezeption fremdkultureller Werke, wie die Shakespeare-Rezeption in Frankreich und Deutschland), im Theater (z. B. die kreative Integration von Elementen des asiati-schen Tanztheaters) oder in der bildenden Kunst (z. B. Einfluss afrikanischer Kunst auf die Avantgarden der Moderne, wie bei Pablo Picasso) zeigen.

Der Begriff›Interkulturalität‹, der umfassender ist als der Begriff der Interkulturel-len Kommunikation, betrifft somit schwerpunktmäßigResultateund Konsequen-zen interkultureller Kommunikationsvorgänge. Die Beeinflussung Picassos etwa durch die afrikanische Kunst oder der Einfluss des balinesischen Theaters auf die Konzeption des Avantgardetheaters durch den französischen Theatertheoretiker, Dichter und Dramatiker Antonin Artaud (1896–1946) z. B. beruhten jeweils auf interkulturellen Begegnungen und Kommunikationsvorgängen, d. h. der Konfronta-tion und dem kreativen Dialog der beiden Künstler mit außereuropäischen Künstlern und ihren Werken, vor allem im Kontext der Pariser Weltausstellungen 1900 und 1937. Statt des Begriffs ›Interkulturalität‹ werden vor allem in der neueren Forschung zum Teil andere Termini wie ›Hybridität‹, ›Hybridisierung‹, ›Métissage‹ und ›kul-tureller Synkretismus‹ verwendet (Lüsebrink 2004a; Gruzinski 2007). Diese bezeich-nen unterschiedliche Formen der Kulturmischung, in erster Linie im ästhetischen Bereich. Ihr gemeinsames Charakteristikum ist die kreative Verbindung und Ver-schmelzung von Elementen aus unterschiedlichen Kulturen, häufig als Konsequenz unmittelbarer interkultureller Kontakte.

Der wohl älteste und zugleich am weitesten verbreitete Begriff zur Bezeichnung von Phänomenen der Interkulturalität ist der Begriff›Métissage‹,der im 16. Jahrhun-dert im portugiesischen Sprach- und Kulturraum entstand und kolonialen Ursprungs ist (Laplantine/Nouss 2001; Lüsebrink 1992/93; Gruzinski 2008). Als Bezeichnung für die biologische Mischung von Angehörigen verschiedener Ethnien im 16. Jahr-hundert in Brasilien geprägt (alsmestizão), avancierte der Begriff vor allem seit den 1930er Jahren zu einem kolonialideologischen Zentralbegriff, vor allem im französi-schen Kolonialreich. Er bezeichnete die anvisierte assimilationistische Verschmel-zung der Kulturen des Mutterlandes und der Kolonien unter der Hegemonie der fran-zösischen Kultur zu einer »Nation polychrome de 100 millions d’habitants«, einer vielfarbigen, in bestimmten Grenzen multikulturellen, aber sprachlich zunehmend homogener werdenden französischen Sprach- und Kulturgemeinschaft mit 100 Mil-lionen Einwohnern auf fünf Kontinenten (Lüsebrink 1992/93).

Die Konzeption der kolonialen Rassen- und Kulturmischung, die vor allem das französische Kolonialreich, aber auch die unabhängig gewordenen ehemaligen spa-nisch- und portugiesischsprachigen Kolonien in Südamerika als einheitsstiftende Nationalideologie vertraten, hob sich scharf etwa von der deutschen Kolonialideo-logie ab, die auf der Idee der Rassen- und Kulturtrennungbasierte und in der Begriffe wie ›Kulturmischung‹ negativ konnotiert waren.

Die frühe afrikanische und afrokaribische Literatur- und Kulturtheorie – vertreten etwa durch Léopold Sédar Senghor, Abdoulaye Sadji und Aimé Césaire – setzte der kolonialen Theorie des ›Métissage‹ die Konzeption der›Négritude‹entgegen, die auf einer Aufwertung und Idealisierung der Ästhetik und der kulturellen Normen Afrikas

gründete und Phänomene kultureller und rassischer Hybridisierung radikal und zum Teil polemisch ablehnte (Riesz 2006). Der RomanNini, mulâtresse du Sénégal(1947) des senegalesischen Schriftstellers Abdoulaye Sadji ist eines unter vielen Beispielen für die fiktional-ästhetische Umsetzung dieser kulturellen und kulturpolitischen (Ge-gen-)Position zur kolonialen Ideologie der Rassen- und Kulturmischung.

Der kolonial belastete Begriff ›Métissage‹ ist in vielen Ansätzen der neueren post-kolonialen Kulturtheorie durch den Begriff›Hybridität‹ersetzt worden. Es ist sicher-lich kein Zufall, dass der karibische Raum – als ein interkultureller Raum von anti-zipatorischer Dynamik – und nicht Europa, Afrika, Asien oder Nordamerika die ers-ten führenden Theoretiker postmoderner Hybriditätstheorien hervorgebracht hat:

den kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz, der zu Beginn der 1940er Jahre hierfür den Begriff der ›Transkulturalität‹ (transculturación) schuf (vgl. Ortíz 1940);

und den gleichfalls aus Kuba stammenden Schriftsteller und Essayisten Alejo Car-pentier, der 1949 mit seinem Essay »De lo real maravilloso americano«, einem Nach-wort zu seinem RomanEl Reino de este mundo, eine Art programmatisches Manifest einer neuen interkulturellen Literatur- und Kulturwissenschaft formulierte (vgl. Car-pentier 1984). Ähnlich wie 40 Jahre später Edouard Glissant sowie Jean Bernabé und die anderen Autoren des kulturpolitischen ManifestsÉloge de la Créolité(Lob der Kreolität) sieht Carpentier in allen Kulturen interkulturelle Strukturen, die ihre ei-gentliche Dynamik bestimmen. In besonderem Maße gelte dies für den südamerika-nischen Kontinent und den karibischen Raum, deren Kulturen seit ihrer Entdeckung und Eroberung durch die europäischen Kolonialmächte grundlegend synkretistisch geprägt seien. In allen lateinamerikanischen Gesellschaften stelle die europäisch ge-prägte Kultur nur eine vermeintlich homogene Oberfläche dar, unter der sich eine komplexe interkulturelle Vielschichtigkeit verberge.

Zeitgenössische lateinamerikanische Künstler wie Adriana Varejão aus Brasilien und Meyer Vaisman aus Venezuela haben diesesPhänomen der verdrängten inter-kulturellen Hybridität der eigenen Gesellschaft in unterschiedlichen Motiven künstlerisch gestaltet: Adriana Varejão beispielsweise, indem sie künstlerische Arte-fakte, die symbolisch für die Ästhetik der Kolonialzeit stehen – wie ein klassisches Landschaftsgemälde oder eine auf einer Leinwand aufgeklebte Bodenkeramik –, an ihrer Oberfläche aufbricht, Einzelstücke herausreißt und den Blick auf aufgemalte Gedärme und blutende Wunden freilegt, eine Metapher zugleich für die verdrängte Gewalt der kolonialen Eroberung und Assimilation. Die lebensgroße Skulptur von Meyer Vaisman mit dem TitelBarbara Fischer/Psichanalisis y psichoterapíaaus dem Jahr 2000 vereint in synkretistischer Weise unterschiedliche kulturelle Identitäten und Rollenbilder. Die Pose der Frau erinnert an eine religiöse Pietà; die Kleidungs-stücke stammen von dem venezolanischen Künstler und seinen Eltern; er selbst ist in clownartiger Pose auf Fotografien zu erkennen, die den Brillengläsern der Skulp-tur aufgeklebt sind: »This sculpSkulp-ture«, so der Katalogkommentar der Ausstellung Ul-tra Baroque. Aspects of Latin American Art,die im Frühjahr und Sommer 2001 in San Diego und San Francisco gezeigt wurde, »is another example of the ironic hybrid within Vaisman’s complex body of work« (Armstrong/Zamudio-Taylor 2000, 102).

Die postkoloniale Theoriebildung in den Kulturwissenschaften hat dazu beigetra-gen, den im kolonialen Kontext entstandenen Begriff ›Métissage‹ neu zu interpretie-ren und zu perspektivieinterpretie-ren, insbesondere im Zusammenhang mit dem ästhetischen und kulturellen Begriff ›Barock‹. So unterstreichen der französische Kulturanthro-pologe Serge Gruzinski und der mexikanische Kunsthistoriker Victor Zamudio-Tay-lor in ihren Beiträgen für den Katalog der AusstellungUltra Baroquein erster Linie

zwei Dimensionen der ›Métissage‹in historischer Perspektive: zum einen die Di-mension der ›Métissage‹ als Form interkultureller Identität im Kontext des Kolonialis-mus, für die in Lateinamerika derBarockdie dominierende ästhetische und architek-turale Ausdrucksform bildete; und zum anderen die Dimension des kulturellen Wi-derstandes, der sich nicht in Verweigerung und Schweigen, sondern in der subversi-ven Aneignung und Umwandlung europäischer Kultur- und Identitätsmuster in außereuropäischen Gesellschaften zeigt (Lüsebrink 1995).

Die kulturhistorische Aufarbeitung von Phänomenen und Prozessen der ›Métis-sage‹ im kolonialen Raum der Vergangenheit eröffnet zugleich neue Sichtweisen auf Strukturen kultureller Hegemonie der Gegenwart: beispielsweise auf die Formen der Verfremdung und des produktiven Umgangs mit okzidentaler Konsum- und Musik-kultur in Afrika (Kohl 2001); auf die sehr unterschiedlichen Aneignungsweisen der materiellen Kultur angloamerikanischer Provenienz in Ländern Asiens, Lateiname-rikas und AfLateiname-rikas; und auf die – gleichfalls von der List und vom Einfallsreichtum der Unterlegenen geprägte – kreative Aneignung der französischen Sprache und Kultur in den ›frankophonen‹ Ländern außerhalb Europas.

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