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Fremdwahrnehmung in Medien

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 138-145)

Die Medien sind in weit stärkerem Maße als lebensweltliche Erfahrungen für die Ver-mittlung von Wissen über andere Kulturen und somit auch für die Herausbildung mehr oder weniger differenzierter Perzeptionsmuster von Bedeutung. So gaben mehr als die Hälfte (53 %) der im Rahmen einer Studie zum Deutschlandbild in

Frankreich befragten Franzosen an, ihre Kenntnisse über Deutschland würden im Wesentlichen aus dem Radio stammen; 47 % nannten das Fernsehen, 37 % überre-gionale Zeitungen, erst an vierter Stelle folgten Informationen aus Gesprächen mit Personen, die Deutschland besucht hatten (Bassewitz 1990, 33). Den Darstellungen interkultureller Gesprächs- und Begegnungssituationen im Fernsehen, beispiels-weise in Form von Talkshows, könne, so Real (1989) und Tanja Thomas (2002), ein

»wesentlicher Einfluss auf die Kommunikationsprozesse zugeschrieben werden: sie bewirken eine qualitative Veränderung der menschlichen Erfahrung, strukturieren Zeit und Raum und gestalten maßgeblich die Kultur moderner Gesellschaften: sie formen den Alltag, über sie konstituieren sich auch kollektive und nationale Identitä-ten, an ihnen entlang bildet sich das Bewusstsein« (T. Thomas 2002, 159).

Bestimmte Mediengattungen wie die Sportberichterstattung tragen in entschei-dendem Maße zur sozialen Tradierung, Verbreitung und Verfestigung von Stereoty-pen, insbesondere von VölkerstereotyStereoty-pen, bei. So stellt J. Müller (2004) als Ergebnis seiner umfangreichen, methodisch wegweisenden Studie zur Fußballberichterstat-tung in Deutschland und Frankreich u. a. fest:

Fremdwahrnehmung und Fußballberichterstattung

»Die Fußball-Berichterstattung hat sowohl für Deutschland als auch für Frankreich die Existenz eines imaginären Volkscharakters offenbart, dessen Darstellung in den verschiedenen Pressepublikationen und Fernsehsendern in den zentralen Punkten fast völlig deckungsgleich ist. Bezüglich der französischen Deutschland-wahrnehmung sind in erster Linie folgende Fremdbilder zu nennen: die Disziplin, der Eifer, die Arbeitsamkeit und der Wille, die der fehlenden Kreativität und Unbe-kümmertheit gegenüberstehen; Erfolg durch Effizienz, die aufgrund der ungenü-genden Brillanz auch als notwendig dargestellt wird; daneben die Rauheit und Härte des Umgangs und der Sprache verbunden mit der körperlichen Größe und einer gewissen Behäbigkeit als Gegensatz zur Eleganz. Umgekehrt gipfelt das offensichtlich Schöne, die Leichtigkeit und Eleganz, das Kunstvolle, Kreative und Spielerische, das sich im französischen Fußball-Spielstil als imaginärer Volkscha-rakter aller Franzosen zu offenbaren scheint, in den Augen der Deutschen letzt-endlich doch in einer übertriebenen Verspieltheit und in durch mentales Versagen hervorgerufener Erfolglosigkeit.« (Müller 2004, 535).

Sowohl in der Auslandsberichterstattung als auch in anderen Formen der Darstel-lung anderer Kulturen in der eigenen Gesellschaft lassen sich jedoch häufig frappie-rende Asymmetrien zwischen soziokulturellen Realitäten und ihrer medialen Wahrnehmungfeststellen, in sehr markanter Weise auch in Deutschland. »Ihrer Zu-sammensetzung nach ist die Bundesrepublik«, so der Ethnologe Hermann Bausinger (1987, 13), »eine multikulturelle Gesellschaft. In ihrem Selbstverständnis und in der praktischen Kommunikation ist sie es nicht. Man braucht nur auf die Haltung der Rechtsinstanzen, der Bürokratie, aber auch der Massenmedien zu verweisen, um naiv-optimistische Erwartungen in dieser Hinsicht zu widerlegen: Der Anteil von Fernsehsendungen in der Sprache der Arbeitsimmigranten erreicht bei weitem nicht deren Prozentanteil an der deutschen Bevölkerung, von einem Minderheitenschutz ganz zu schweigen«. An diesem mittlerweile drei Jahrzehnte zurückliegenden Be-fund des Anthropologen Bausinger hat sich trotz gewisser Neuentwicklungen nichts Grundlegendes verändert.

Trotz des fortschreitenden Prozesses der Globalisierung und einer wachsenden

Internationalisierung der Volkswirtschaften und Konsumkulturen ist paradoxerweise die Auslandsberichterstattung in ihren verschiedenen Formen (Magazine, Dokumen-tationen, Reisefeuilletons etc.) beispielsweise im Fernsehen in den letzten 40 Jahren tendenziell zurückgegangen. Das Interesse für außenpolitische Themen etwa in Deutschland ist vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges deutlich gefallen und

»liegt heute auf dem Niveau der 50er Jahre« (Kretzschmar 2002, 146).

Dies zeigt sich beispielsweise am Publikumsinteresse für die beiden wichtigsten Auslandskorrespondentensendungen im deutschen Fernsehen, dem Weltspiegel in der ARD und demAuslandsjournalim ZDF. Für beide Sendungen lagen die Zuschau-erzahlen Mitte der 1980er Jahre bei 5,5 Millionen (Auslandsjournal) bzw. 6,9 Millio-nen (Weltspiegel), während sie Ende der 1990er Jahre auf jeweils 2,7 MillioMillio-nen ge-sunken waren (Kretzschmar 2002, 146).

Noch einschneidender ist der Rückgang der regelmäßigen, auf Auslandskorres-pondenten gestütztenBerichterstattung in den US-amerikanischen Medien: Drei Viertel der 100 größten US-amerikanischen Tageszeitungen verzichten mittlerweile auf Auslandskorrespondenten und greifen lediglich auf Agenturmaterial zurück. Ge-nerell besteht die Tendenz, die teuren Auslandsbüros mit festen Korrespondenten-plätzen von Reisekorrespondenten abzulösen, den »›parachutist correspondents‹, die von den Heimatredaktionen aus zum Ort des Geschehens fliegen und per SNG (Satellite News Gathering) berichten« (Kretzschmar 2002, 145). Mit diesem »Ad-hoc-Journalismus«, der auf spektakuläre Ereignisse (Naturkatastrophen, Kriege, Atten-tate) zielt, sind einschneidende qualitative Konsequenzen verknüpft: »kurze Ein-spielungen mit einem »Aufsager« ersetzen immer mehr die ausgiebigen Dreharbeiten vor Ort, die für eine Einordnung komplexer Vorgänge notwendig sind« (ebd., 145).

Generell lässt sich in westlichen Industrieländern seit Mitte der 1980er Jahre eine zunehmendeTendenz zur »Ent-Politisierung« und »Entertainisierung«der Radio-und Fernsehprogramme feststellen, die zur Bevorzugung innenpolitischer zu Lasten außenpolitischer und internationaler Themen geführt hat. Die Kluft zwischen zuneh-mender Internationalisierung aller Bereiche, einschließlich der alltäglichen Konsum-und Lebenswelt, Konsum-und der zurückgehenden Präsenz fremder Kulturen Konsum-und Gesellschaf-ten in europäischen und nordamerikanischen Medien, vor allem in NachrichGesellschaf-tensen- Nachrichtensen-dungen, ist frappierend und zugleich paradox. Für die Menschen in Deutschland be-deutet, so die Medienwissenschaftlerin Sonja Kretzschmar, »die Globalisierung offenbar eher die Zunahme von Unüberschaubarkeit – auf die sie mit einem Rückzug ins Regionale, Übersichtliche, reagieren. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender sind ohnehin die einzigen Sender in Deutschland, die einen regelmäßigen Programmplatz für Auslandsberichterstattung besitzen. Die kommerziellen Sender berichten nur bei aktuellen Ereignissen aus dem Ausland; nur der Nachrichtensender n-tv hat die Sen-dungAuslandsreportim Programm, die aber mangels Korrespondenten meist nur mit Agenturmaterial gefüllt wird« (Kretzschmar 2002, 147).

Dirk Sager, langjähriger ZDF-Studioleiter in Moskau, der bei den Medientagen 2009 in München auf die Gefahren des sensationsbezogenen »Fallschirmjournalis-mus« einging, beklagte die zunehmende Boulevardisierung des Programms, welche die Auslandsberichterstattung mehr und mehr an den Rand dränge. Er empfinde es als einen Ausdruck von Verachtung der Menschen, wenn ein Sender beispielsweise für ganz Afrika nur zwei Korrespondenten habe. Sager: »[Wir erleben] von Afrika nur die Zuspitzung von Hunger, Krisen und Katastrophen – nicht aber deren Hin-tergründe« (https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/OEA_

Fundraising/Jahresberichte_Archiv/Jahresbericth_2009_Web.pdf).

Auch im internationalen Vergleich zeigen sich signifikante Unterschiede, wobei sich im deutschen Fernsehen – im Vergleich etwa zu Frankreich und Großbritannien – ein unterdurchschnittliches Interesse an fremden Kulturen und eine mangelnde Be-reitschaft feststellen lassen, neue Sende- und Berichterstattungsformen zu erproben.

So liegt der Anteil der ausgestrahlten Dokumentationen, die fremde Kulturen als Thema behandeln, in Deutschland bei 2,5 % und in Großbritannien bei 4,5 % (Kretzschmar 2002, 222). Die auslandsbezogenen Sendungen im deutschen Fernse-hen weisen zudem eine deutlich stärkere Europa-Zentriertheit auf, zu Lasten vor al-lem der Sendungen zu Asien und Schwarzafrika.

Darüber hinaus lassen sich im Ländervergleichkulturelle Spezifikader medialen Darstellung fremder Kulturen beobachten (Kretzschmar 2002):

So ist in Frankreich einefehlende Tradition der politischen Berichterstattungim Fernsehen zu beobachten, die sich in dem geringen Anteil von Auslandsmagazi-nen zeigt (ebd., 228).

In Deutschland »existieren verhältnismäßigwenig Dokumentationen zu ethnolo-gischen Themen, in Frankreich und Großbritannien hingegen fast doppelt so viele Filme. Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit fremden Kulturen durch die Ausstrahlung von Filmen, die schwerpunktmäßig fremde Riten und Gebräuche thematisieren, findet in Deutschland nur in geringem Umfang statt« (ebd., 229).

Im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich weisen in Deutschland fremde Kulturen, insbesondere die Migrantenkulturen,keinen festen Programmplatzauf:

»sie rücken nur aus aktuellen, stereotypisierten Anlässen in den Fokus der länge-ren politischen Reportagen, beispielsweise mit dem Thema der Russen-Mafia oder den vietnamesischen Zigarettenhändlern« (ebd., 236).

Anders als in Großbritannien und Frankreich, in denen das Fernsehprogramm un-terschiedlichenreligiösen GruppenDarstellungsmöglichkeiten bietet, weisen die nicht-christlichen Religionen in Deutschland keine festen Sendeplätze auf und sind im Programm nur sehr marginal präsent.

»In Bezug auf dieregionalen Schwerpunktezeigt sich, dass Großbritannien und Frankreich innerhalb der anglophonen und frankophonen Welt verhältnismäßig eng mit nicht-europäischen fremden Kulturen verbunden sind. In Deutschland ist dies nicht der Fall. Das deutschsprachige Ausland und Europa selber bilden hier die transnationalen Bezugspunkte.« (ebd., 244).

»Das Fernsehangebot in Deutschland spiegelt ein gesellschaftliches Leben wider, in dem derKontakt und Austausch mit nicht-europäischen Kulturen ohne Tra-ditionist. Frankreich und Großbritannien waren Zentren von globalen Kolonial-reichen, und seit dieser Zeit waren die Länder auch Schauplatz von Auseinander-setzungen zwischen Menschen von europäischen und nicht-europäischen

Kultu-Deutschland Frankreich Großbritannien

Europa (EU) 27,5 % 16,3 % 16,3 %

Europa (nicht EU) 9,9 % 4,4 % 1,9 %

Asien 16,5 % 22,2,% 40,7 %

Schwarzafrika 9,5 % 17,8 % 9,3 %

Abb. 4.13 Darstellung ausgewählter fremder Kulturräume im deutschen, französischen und briti­

schen Fernsehen (Untersuchungszeitraum 1998, nach Kretzschmar 2002, 223, 225, 227)

ren. In Deutschland fehlt die Erfahrung mit nicht-europäischen Kulturen und auch die Tradition des Umgangs mit ihnen. In einer Welt der globalen Vernetzung, in der Kulturen in zunehmendem Maße miteinander konfrontiert werden, wird dieser Mangel an Erfahrung im kulturellen Dialog in Deutschland offensichtlicher als früher, und auch das Fernsehen nimmt hier keine Vorreiterrolle in der Gesell-schaft wahr. Der deutsche Fernsehblick über die Grenzen bleibt allzu oft auf das deutschsprachige Ausland und Europa beschränkt« (Kretzschmar 2002, 245). Ins-besondere dassubsaharische Afrikaspielt in deutschen Medien, abgesehen von punktuellen Berichten über Naturkatastrophen, Hungersnöte, Bürgerkriege und gewaltsame politische Ereignisse, nur eine sehr marginale Rolle (Schmidt/Wilke 1998, 179).

Alsgemeinsame Charakteristikades Umgangs mit fremden Kulturen in den drei größten europäischen Medienöffentlichkeiten lassen sich festhalten:

Die generellbescheidene Präsenz von fremden Kulturenin den Medien der größten europäischen Gesellschaften und Öffentlichkeiten (Kretzschmar 2002, 242).

DieDominanz der Reisemagazineals »zentrale Form der Beschäftigung mit frem-den Kulturen«. Diese »zeigen deutlich, dass sich die Beschäftigung mit fremfrem-den Kulturen im Fernsehen grenzwertig zwischen Unterhaltung und Information be-wegt. Bunte Bilder, schöne Strände, und im Zweifelsfall noch ein paar Hinter-grundinformationen zu Land und Leuten, damit der Urlauber nicht wegen unpas-sender Kleidung auffällt, beziehungsweise wegen kulturellen Fehlverhaltens in schwierige Situationen kommt« (ebd., 236).

Die wichtige Rolle auch derAbenteuer- und Reisefilme, die gleichfalls einen mas-senwirksamen Rahmen bilden, in dem sich die Zuschauer über Menschen frem-der Kulturen informieren.

Imkommerziellen Fernsehenist eine deutlicheDominanz exotischer Darstellungs-musterzu beobachten, zu Lasten dokumentarischer, politischer und ethnologi-scher Formen. »Das öffentliche Fernsehen«, so Thierry Garrell, Leiter der Doku-mentarabteilung bei La Sept/Arte in Frankreich, »braucht keine fremden Kultu-ren, braucht den Anderen nicht, es braucht allein den Exotismus, das exotische Vergnügen« (zit. nach ebd., 305).

Neben ihrer Rolle als Vermittler von Bildern, Informationen und Wissen über andere Kulturen stellen Medien wichtigeIndikatoren für mentale Einstellungsstrukturen gegenüber fremden Ländern dar. Dies wird besonders deutlich in Konflikt- und Spannungssituationen wie der Wiedervereinigung Deutschlands, bei der in auslän-dischen Medien, vor allem in England und Frankreich, Ängste über ein wieder erstarktes neues Deutschland geweckt wurden und stereotype Vorstellungen über deutschen Militarismus und deutsche Großmachtgelüste selbst auf den Titelblättern französischer Wochenzeitschriften während der Jahreswende 1989/90 zu finden waren. In ihnen war von der »Grosse Allemagne« (das große, gefräßige Deutsch-land), von der Bedrohung durch ein »Viertes Reich« (»La menace du IVe Reich«,Le Monde, 3.3.1990), vom »Blitzkrieg« der Wiedervereinigung (L’Express, 16.3.1990), von der Furcht vor einem »deutschen Europa« (»Europe allemande«) und der »Beun-ruhigung Frankreichs« (»inquiétude française«, Le Point, Oktober 1990) die Rede.

Symbole wie der deutsche Reichsadler standen emblematisch für die Angst vor der Wiederkehr vergangener Großmachtträume und der Auferstehung des preußischen Geistes unter neuen Vorzeichen, die auch von Meinungsumfragen bestätigt wurde

und somit nicht nur ein Medienphänomen darstellte. So gaben 36 % der befragten Franzosen im März 1990 zu, »Angst« vor der Wiedervereinigung Deutschlands zu haben, 64 % hielten eine ökonomische Vorherrschaft (»domination économique«) des wiedervereinigten Deutschlands in Europa für wahrscheinlich und 58 % äußer-ten, hiervor »eher Angst« zu haben (L’Express, 16.3.1990).

In einem Interview in der ZeitschriftTransatlantiksprach der französische Islam-wissenschaftler Jacques Berque im August 1990 von der Gefahr, die »europäische Konstruktion«, die bisher auf einem gewissen Gleichgewicht der europäischen Mächte beruht habe, »könne ins Wanken« geraten: »Dabei geht es nicht um ein mili-tärisches Gleichgewicht. Nach den Verwüstungen des letzten Krieges halte ich es für ausgeschlossen, daß irgendein Volk verrückt genug ist, einen Wettstreit kriegeri-scher Art auch nur ins Auge zu fassen. Doch die wirtschaftlichen und demographi-schen Unterschiede müssen sehr wohl beachtet werden.« (Berque 1990, 14). In der britischen Öffentlichkeit fanden sich zum Teil noch deutlich negativere Reaktionen und Deutschlandperzeptionen als in Frankreich. Der britische Handels- und Indus-trieminister Nicholas Ridley sah in einem Interview imSpectator(14.7.1990) »die Deutschen als Gefahr für Frieden und Stabilität in Europa«. Die Europäische Wäh-rungsunion sei ein »Deutscher Überfall mit dem Ziel, ganz Europa zu beherrschen«

(Mork 1999, 125).

Auch der außenpolitische Alleingang Deutschlands bei der Anerkennung Kroa-tiens und Sloweniens im Jahr 1991, die ohne vorherige Konsultation der französi-schen Regierung erfolgte, führte zu negativen Stereotypen Deutschlands in der Medi-enöffentlichkeit vor allem Frankreichs. Dem wiedervereinigten Deutschland wurde eine Rückkehr zu »Hegemonialbestrebungen« der Vergangenheit unterstellt (»hégé-monisme allemand«), Marie Subtil sprach inLe Monde(13.7.1991) von einem neuen

Abb. 4.14 »Das dicke Deutschland«.

Le Point, 11. März 1990 (Übersetzung des französischen Texts: »Der Blitzkrieg des Kanzlers Kohl, um Deutschland zu vereinen, ruft Bitterkeit in der DDR und Besorgnis in Westeuropa hervor«)

»expansionisme germanique«. Pierre-Marie Gallois sah in der deutschen Jugosla-wienpolitik eine »Bestrafung der Serben, die so hartnäckig zu den Siegern der beiden Weltkriege gehalten hatten«, und glaubte feststellen zu können, dass sich Deutsch-land nun »durch die Allmacht der Wirtschaft zurückerobert hatte, was durch die Waffen verlorengegangen war« (Le Monde, auszugsweise inDie Zeit, 13.7.1992).

Yves Cuau charakterisierte Deutschland inLe Monde(27.2.1992) in diesem Kontext als »arrogant« und »dominierend« (»dominatrice«). Auch bei weniger historisch be-deutsamen Ereignissen wie den deutsch-französischen Konflikten um die Endmon-tage neuer Airbus-Flugzeugtypen in den 1990er Jahren oder dem – durch die Inter-vention des französischen Staates ermöglichten – Kauf (bzw. der ›feindlichen Über-nahme‹) des Chemiekonzerns Aventis durch das französische Unternehmen Sanofi-Synthélabo 2004 lässt sich beobachten, wie »aus einer Tiefenströmung gegenseitiger Wahrnehmung geradezu atavistisch wirkende Bilder und Klischees an die in der Re-gel freundliche Oberfläche gespült werden« (Kolboom 1991, 213).

Sehr negativ besetzte Assoziationen mit Deutschland, die vor allem auf die his-torische Vergangenheit und insbesondere das Zweite Kaiserreich und die Figur Bis-marcks sowie das ›Dritte Reich‹ und den Holocaust zurückgreifen, wurden auch in der unmittelbaren Gegenwart in populären Medien des Auslands verwendet, um politische Entscheidungen der Bundesregierung und des Bundestags anzugreifen: so etwa die Entscheidung des Bundestags Anfang Juni 2016, den Tod von

wahrschein-Abb. 4.15 Titelblatt der türkischen TageszeitungT. C. Sözcü,3.6.2016

lich über einer Million Armeniern als »Völkermord« zu bezeichnen. Die türkische BoulevardzeitungT. C. Sözcüzeigte daraufhin am 3.6.2016 auf ihrer Titelseite das Porträt der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hitlerbärtchen und Hakenkreuzen versehen. Über dem Bild ist in der Titelüberschrift des Leitartikels zu diesem Thema, der auch ausdrücklicher den Namen Hitlers erwähnt, in großen Buchstaben auf Deutsch zu lesen: »Schämen Sie sich!« (s. Abb. 4.15).

In der 2008 einsetzenden weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise und in beson-derem Maße seit der Euro- und Griechenlandkrise im Jahr 2011 lässt sich ein Wieder-aufleben traditioneller Klischees vor allem im Medium der Karikatur, aber auch in begleitenden Kommentaren, beobachten. Ähnlich wie im Kontext der Wiederverei-nigung wird die Angst vor einem wirtschaftlich und auch politisch in Europa zu star-ken Deutschland vor allem in der britischen und griechischen, aber auch in der fran-zösischen Presse durch die Wiederverwendung von negativ besetzten Nationalsym-bolen wie der preußischen Pickelhaube oder durch Parallelen zum Nationalsozialis-mus reaktiviert (s. Abb. 4.16).

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 138-145)