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Fremdbilder in interkulturellen Interaktionssituationen

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 145-150)

situationen

Fremdwahrnehmungsmuster prägen in entscheidendem Maße Wirklichkeitserfah-rungen und damit auch KommunikationserfahWirklichkeitserfah-rungen mit Angehörigen anderer Kul-turen. Ein exotisches Bild fremder Kulturen erweist sich hierbei häufig – neben den Sprachproblemen – als kommunikationshemmend. Studien zum interkulturellen Kontakt im Rahmen von Studienreisen nach Marokko haben beispielsweise gezeigt, dass zwar vor dem Beginn der Reise der »Kontakt zu Einheimischen« eine wichtige Reisemotivation bildete (bei 39,2 % der Befragten; Weiss 1998, 59), persönliche Ge-spräche mit Einheimischen sich jedoch – abgesehen von Reiseführern und dem Bus-fahrer – kaum entwickelten. Aufgrund der Verstärkung der bereits vorhandenen Ste-reotypen »Marokkaner sind sehr aufdringlich«, »arm« und »traditionell« nahm der Wunsch zu direkten Kontakten unter den Reiseteilnehmer/innen zudem im Lauf der Reise eher ab, während sich zugleich exotische Klischees verstärkten: »Die altbe-kannten Stereotype und Klischees werden im Prospekt angekündigt, in den

Massen-Abb. 4.16 Merkel und Sarkozy in der Finanzkrise (Quelle:

http://www.mrkunz.

ch/ karikatur/

20110816­finanz krise.jpg, 15.1.2012)

medien immer wieder bestätigt und vor Ort präsentiert. Interkulturelle Kommunika-tion als Teil eines besseren Verständnisses der marokkanischen Gesellschaft und Kul-tur hat hier nur sehr wenig Raum« (Weiss 1998, 116).

Eine Untersuchung zu den Kommunikationsmustern deutscher Touristen in Tunesien belegt, in anderer Konstellation, ähnliche interkulturelle Kommunikations-barrieren, die auch auf Selbst- und Fremdwahrnehmungsmustern beruhen. So hat-ten 87 % der befraghat-ten deutschen Tunesienurlauber über die Tunesier ein positives Bild, obwohl nur 4 % von ihnen mit Tunesiern ein Gespräch geführt hatten. Die deut-schen sowie die europäideut-schen Touristen vor Ort, mit denen die Deutdeut-schen zu 41 % bzw. 8 % Kontakt hatten, wurden hingegen deutlich weniger positiv beurteilt (32 % bzw. 57 % »positive Wahrnehmung«; Pfaffenbach 1999, 55). Das Erklärungsmuster hierfür ist darin zu finden, dass die Tunesier, einschließlich der tunesischen Touris-ten, sich in die Vorstellung der multikulturell-exotischen »Urlaubskulisse« einfügTouris-ten, während die anderen deutschen und europäischen Touristen, auch durch den inter-personalen Kontakt bedingt, weitaus kritischer gesehen und beurteilt, von deut-schen Touristen »beherrschte Hotels« sogar als »zu deutsch empfunden wurden«

(ebd., 56).

Für die Analyse der Präsenz, Funktion und Dynamik von Fremdwahrnehmungs-mustern in interkulturellen Interaktionssituationen bestehen vor allemzwei Unter-suchungsansätze und -methoden: (1) der Ansatz der interaktionalen Soziolinguis-tik; und (2) der kommunikationspsychologische Ansatz.

1. Der methodischeAnsatz der interaktionalen Soziolinguistikzielt darauf ab, auf der Grundlage der möglichst präzisen, auch non-verbale und paraverbale Signale einbeziehenden Transkription von Gesprächssituationen die kommunikationsspezi-fische Rolle von Fremdbildern, insbesondere von Stereotypen, herauszuarbeiten.

Folgende Leitfragestellungen stehen hierbei im Vordergrund:

»Wie werden Menschen zu Fremden gemacht; d. h. welche Differenzen werden relevant gesetzt, um die Kategorie des Fremden zu konstruieren, und wie werden Grenzziehungen zwischen dem Eigenen und Fremden artikuliert?

Wer definiert Differenz und wie wird Differenz gewertet?

Wie werden Differenzen reproduziert, aufrechterhalten – d. h. über welche ›Wege‹

wird Konsens über Kategorisierungen und Zuschreibungen organisiert?« (T. Tho-mas 2002, 157).

In Bezug auf die Dynamik interkultureller Kommunikationssituationen folgt hieraus die Fragestellung, »wie die Beteiligten an einem bestimmten historischen Moment Selbst- und Fremdbilder konstruieren, wie sie die Konstruktionen bearbeiten, wie sie sich über die Bilder einigen und damit Diskurse und Diskursregeln (re)produzie-ren« (T. Thomas 2002, 160). Die folgende Situation einer Talkshow im deutschen Fernsehen (SWR-Sendung »Streit im Schloß«, 26.2.1999), die von T. Thomas ana-lysiert wurde, vermag zu illustrieren, wie Selbst- und Fremdbilder interaktiv ›her-gestellt‹ werden. Gesprächsteilnehmer in dem nachfolgenden Gesprächsausschnitt sind neben der Moderatorin Dorothee von Bose (Mod.) Petra Roth (P. R.), damals Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt/Main, und Bülent Aslan (B. A., Forum tür-kische Deutsche, CDU). Am übrigen Gespräch nahm darüber hinaus u. a. auch die nachfolgend erwähnte Ausländerbeauftragte des Berliner Bezirks Schöneberg, Emine Demirbüken, teil:

Mod. ... sind Sie jetzt kein Türke mehr – jetzt haben Sie ihren türkischen Paß abgegeben, Sie haben den deutschen Paß, was sind Sie jetzt?

B. A. also zunächst einmal die Frage der kulturellen Identität hat nichts mit der Frage zu tun, für welchen Staat ich mich entscheide, bei welchem Staat ich meine staatliche Anbindung suche, ich möchte doch nochmals auf-greifen, was Frau Demirbüken zuletzt gesagt hat, wir betonen die Staats-bürgerschaft aus Integrationsgesichtspunkten viel zu hoch in der öffent-lichen Diskussion, es gibt zum einen viel wichtigere Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, und zum anderen müssen wir im Bereich der Staatsbürgerschaft die Diskussion insofern unterscheiden, wir dis-kutieren hier nicht, ob wir die Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland, ob wir denen ein Angebot machen wollen, das ist unsere Position als CDU, das sieht man an der Politik, die wir in der Vergangen-heit gemacht haben und die jetzt auch in der Diskussion dargestellt wird, Frau Roth hat es angesprochen, 1993 hat die CDU die erleichterte Einbür-gerung eingeführt und als Ergebnis sind dramatische – eh oder drastische ein drastischer Anstieg in den Einbürgerungszahlen rausgekommen.

Mod. jetzt werden Sie mal nicht so politisch. Ich will wissen, erstmal, was mit ihnen ist – sind Sie Türke oder sind Sie Deutscher oder spielt das für Sie keine Rolle?

B. A. ich bin Deutscher türkischer Herkunft, so einfach ist das Mod. ein Deutscher türkischer Herkunft

P. R. das ist das, das ist das, was ich in Frankfurt haben will – Deutsche türki-scher Herkunft

Mod. und was sagt Ihre Familie dazu?

B. A. meine Familie ist auch eingebürgert.

Aus: T. Thomas 2002, 163–164

Die Gesprächssequenz kreiste um die Problematik der Staatsangehörigkeit, die auf Seiten der Moderatorin als primäre Grundlage personaler Identität (»Was sind Sie jetzt?«) erscheint, wobei sie kennzeichnenderweise aus der Tatsache, dass Bülent As-lan nun den deutschen Pass besitzt, nicht folgert, er sei nun Deutscher geworden, sondern seine neue Identität mit einer Negation beschreibt (»kein Türke mehr«). Auf den Einwand, Identität lasse sich nicht (nur) über die Staatsangehörigkeit definieren, geht die Moderatorin nicht ein, sondern stellt ihren Gesprächspartner vor die von ihr gesetzte Alternative,entwederDeutscher oder Türke zu sein. Die Antwort (»Deut-scher türki(»Deut-scher Herkunft«) wird zunächst retardierend aufgenommen, d. h. als in gewisser Hinsicht ungewöhnlich markiert und dann von Petra Roth, der Frankfurter Oberbürgermeisterin, bestätigt, aber gleichzeitig entpersonalisiert und aus ihrer komplexen kulturellen Problematik herausgelöst. Aslan erhält keine Gelegenheit, dies aus seiner Sicht näher zu erläutern. Die Frage der Moderatorin, was denn seine Familie dazu sage, zielt auf die Privatsphäre des Gastes und basiert auf der Grund-vorstellung, dass eine solche Identitätsdefinition in der türkischen Familie auf Wi-derstand stoßen müsse. Zugleich stellt die Moderatorin das Konzept der CDU, »das unter dem Schlagwort ›Deutscher ausländischer Herkunft‹ firmiert, implizit in Frage«

und betrachtet damit die Kategorie ›Deutscher türkischer Herkunft‹ als Problem der

›Türken‹: »Konflikte, Konflikteskalationen projiziert sie auf die ›Anderen‹, Intoleranz und Ursprung von Konflikten durch Reaktionen auf Seiten der Wir-Gruppe ver-schweigt sie« (T. Thomas 2002, 165–166).

Keim (2002) hat in einer Analyse von Gesprächen im Rahmen eines Erstkontakts, die im Zusammenhang mit einem Deutschkurs in Poznan 1994 zwischen deutschen und polnischen Teilnehmern geführt wurden, die Präsenz und Funktionsweise von Stereotypen und vor allem den spielerischen Umgang mit ihnen aufgezeigt. So wur-den in Situationen wie der Überquerung der Straße auf oder neben einem Zebrastrei-fen durch die Kursteilnehmer Stereotypen wie »Ordentliche Deutsche«, »Unordentli-che Polen« sowie »die Deuts»Unordentli-chen können sich im Urlaub nicht benehmen« aktiviert.

Zugleich wurde aber auch, wie Keim herausarbeitet, inspielerisch-ironischer Weise mit ihnen umgegangen, d. h. sie wurden thematisiert und durch Ironie und Selbst-infragestellung der Gesprächspartner relativiert und aufgehoben. Diesespielerische Thematisierung und Überwindung von Stereotypenin solchen Situationen erwies sich als möglich, weil die Gesprächspartner dem gleichen sozialen und beruflichen Milieu angehörten und der (Erst)Kontakt in einer entspannten und freundlichen At-mosphäre stattfand und nicht in einer Konkurrenzsituation.

2. Der methodischeAnsatz der Kommunikationspsychologiezielt bei der Ana-lyse der Präsenz und Funktion von Stereotypen in interkulturellen Interaktionssitua-tionen auf die Herausarbeitung unterschiedlicher Kulturstandards (s. Kap. 2.1.7).

Zentrale Begriffe der Analyse sind a) Selbstkonzept b)Trendkonzept, c) Hand-lungskonzeptund d)Relationskonzept. Hierunter werden die in der Interaktion zu beobachtenden kulturspezifischen Vorstellungen der eigenen Identität (a), der Iden-tität der Kommunikationspartner (b), der für eine Situation angemessenen Handlun-gen (c) und Handlun-generell von interpersonalen BeziehunHandlun-gen (d) verstanden.

Die Analyse der folgenden deutsch-japanischen Kommunikationssituation ver-anschaulicht diesen methodischen Ansatz:

»Eine kleine Gruppe von Freunden und Bekannten beschließt, gemeinsam zum Essen zu gehen. Neben einer Japanerin sind überwiegend Deutsche dabei. Als die Frage die Runde macht, welches Restaurant man aufsuchen solle, meint die Japa-nerin, es sei ihr egal, sie sei mit jedem einverstanden. Etwas später geht es in dem Restaurant um die Bestellungen. Noch bevor der Kellner sie aufnimmt, fragt man am Tisch unter anderen die Japanerin, was sie denn gewählt habe. Als sie mit der Antwort eine ganze Weile zögert, meint einer ihrer deutschen Freunde: »Nur keine falsche japanische Bescheidenheit. Sag‹ doch einfach, was Du gerne essen möch-test.« Die Japanerin fühlt sich (wie sie später bekundet) bloßgestellt ...« (Rez/

Kraemer/Kobayashi 2005, 15).

Der Verlauf der letztlich in einer Irritation mündenden Kommunikationssituation wird durch die Präsenz von divergierenden Selbst-, Fremd-, Handlungs- und Relati-onskonzepten bestimmt, deren Inkongruenz den Beteiligten offensichtlich nicht be-wusst ist. Situationsorientierung in Japan (Relationskonzept) impliziert, die eigenen Äußerungen und das eigene Verhalten »so zu gestalten, dass die Harmonie in der Be-ziehung zwischen den Interaktionspartnern(uchi)nicht gestört wird. Orientierungs-rahmen ist eben nicht, wie es die unter Deutschen verbreitete Ausdrucksorientierung nahe legt, (›sag doch einfach, was Du gerne essen möchtest‹); vielmehr gilt es aus japanischer Sicht zu eruieren, was die Anderen möchten und (von mir) erwarten«

(ebd., 15). Gemäß dem japanischen (Selbst)Konzept desomoiyari(›dem Anderen Gedanken bringen‹, d. h. Empathie, Mitgefühl) hat sich die Japanerin völlig korrekt verhalten: »Somit war es ebenkeine›falsche japanische Bescheidenheit‹, sondern im Sinne desuchiund destatemaeangemessenes und gebotenes Verhalten – und

aus-gerechnet dafür wurde sie, aus ihrer Sicht, von ihren deutschen Bekannten bloßge-stellt« (ebd., 15). Mittatemaeist ein kulturspezifisches Handlungskonzept gemeint, das situationsorientiert ist und auf die Fragen abhebt »Was muss ich in einer be-stimmten Situation tun? Was erwarten andere von mir?« (ebd., 13).

Stereotype Fremdbilder wie die ›falsche Bescheidenheit der Japaner‹ oder ihre persönliche Unnahbarkeit, die sich in einer ›Maske des Lächelns‹ zeige, kontrastie-ren somit in der Perspektive des kommunikationspsychologischen Ansatzes mit sehr komplexen Selbst- und Relationskonzepten der Interaktionspartner. Ihre Kenntnis und die hiermit verbundene spezifische interkulturelle Kompetenz, die eineemische Annäherung an andere Kulturen impliziert (s. hierzu Kap. 2.2.3), umfasst spezifi-sche Kulturstandards bzw. Konzepte: Im untersuchten Fallbeispiel sind dies neben dem Konzept desomoiyaridas Konzept deswa(Harmonie), das impliziert, Gesprä-che und Interaktionen mit Anderen möglichst ausgegliGesprä-chen und konfliktfrei verlau-fen zu lassen; sowie das Konzept desenryo(Zögern, Zurückhaltung), das sich in Ge-sprächs- und Interaktionsstrategien wie Themenwechsel, Schweigen und Mehrdeu-tigkeit sowie dem Bestreben äußert, negative Gefühle wie Empörung, Wut, Trauer und Zorn möglichst nicht offen zu zeigen, sondern sie eher hinter einer »Maske des Lächelns« zu verbergen (Sugitani 1996; Gudykunst/Nishida 1993).

Fremdwahrnehmungsmuster sind somit immer inkommunikative Kontexte ein-gebettet und aus ihnen heraus zu verstehen: in interkulturelle Interaktionssituatio-nen sowie in kommunikative Gattungen verschiedenster Art, von der Literatur und Filmen über Werbung bis zu Diskursen von touristischen Reiseführern. Letztere transferieren, wie Bernd Müller-Jacquier (2010) aufgezeigt hat, Fremdkulturwissen in unterschiedlichster Ausprägung (von Clichés und Stereotypen bis zu fundiertem Sachwissen). Indem sie in der Interaktion mit Touristen Zeigens- und Erwähnens-wertesidentifizieren, dieseserklärenund zugleich unmittelbare Erfahrung, Vorwis-sen (der Adressaten) und eigenes WisVorwis-sen miteinander vernetzen, initiieren sie ebenso zeittypische wie paradigmatische und sozial breitenwirksame Formen des interkulturellen Lernens.

5 Kulturtransfer

5.1 | Das Konzept des Kulturtransfers – Begriffe

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 145-150)