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Interaktionsanalyse: Interkulturelle und kulturkontrastive Ansätze

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 57-60)

kontrastive Ansätze

Unter ›Interkultureller Interaktion‹ sind Formen der Begegnung zwischen Angehöri-gen verschiedener Kulturen zu verstehen, in denen verbale Kommunikation natur-gemäß eine wichtige, aber keineswegs ausschließliche Rolle spielt. Neben der ver-balen Kommunikation und der mit ihr eng verknüpften paraverver-balen Kommunika-tion (IntonaKommunika-tion, Sprechrhythmus etc.) sind die non-verbale KommunikaKommunika-tion und die mediatisierte Kommunikation zu unterscheiden.

Unternon-verbaler Kommunikationwerden Gestik, Mimik, Proxemik (Körper-bewegungen im Raum) sowie non-verbale Handlungen gefasst, die häufig Formen der verbalen Kommunikation begleiten und unterstützen. Sie haben, ebenso wie die verbale Kommunikation, eine kulturspezifische Bedeutung und einen kulturspezifi-schen Stellenwert. So spielen Gestik und Mimik beispielsweise in maghrebinikulturspezifi-schen und lateinamerikanischen Kulturen, aber auch in der französischen und italieni-schen Kultur eine weitaus größere Rolle in der interpersonalen Kommunikation als in der deutschen Kultur. Der nachhaltige Einsatz von Gestik und Mimik in der französi-schen Kultur, der beispielsweise beim Vergleich der Fernsehübertragungen der Neu-jahrsansprachen des französischen Staatspräsidenten und der deutschen Bundes-kanzlerin geradezu ins Auge springt, wird wiederum von deutschen Kommunikati-onspartnern bzw. Zuschauern häufig als unangemessen und übertrieben empfun-den. Er erfordert somit im Rahmen der interkulturellen Kommunikation einen Sensibilisierungs- und Lernprozess.

Mitmediatisierter interkultureller Kommunikationsind nicht lebensweltliche Interaktionssituationen, sondern ihreDarstellungin unterschiedlichen Medien ge-meint: vor allem Presse, Film, Fernsehen, Hörfunk, Werbung und Internet. Mediati-sierte interkulturelle Kommunikation bezieht sich somit zwar häufig auf die Alltags-wirklichkeit, verändert und stilisiert diese jedoch oft grundlegend. Vor allem in Mas-senmedien wie Film und Fernsehen prägt sie in entscheidendem – und bisher zu we-nig erforschtem – Maße das interkulturelle Kommunikationsverhalten der Zuschauer, Leser oder Zuhörer in der Lebenswirklichkeit, d. h. ihre Verhaltens-, Wahrneh-mungs- und Reaktionsmuster gegenüber Gesprächspartnern aus anderen Kulturen.

Für die Analyse interkultureller Interaktionsprozesse ist die Unterscheidung von kulturkontrastivenundinteraktionistischen Ansätzenvon zentraler Bedeutung.

Kulturkontrastive (englisch: cross-cultural) Ansätze gehen von der Feststellung grundlegend verschiedener Kulturstandards, Kommunikationsstile und Verhaltens-weisen in unterschiedlichen Kulturen aus und leiten hieraus potentielle Probleme bzw. Konflikte in der Interkulturellen Kommunikation ab. Die Kulturstandardtheo-rie, wie sie in unterschiedlichen Ausprägungen etwa von Geert Hofstede oder Ale-xander Thomas entwickelt wurde, analysiert nicht den Verlauf und die Dynamik in-terkultureller Interaktionssituationen, sondern die dem Verhalten der Kommunikati-onspartner zugrunde liegenden unterschiedlichen Werte, Symbolsysteme, Rituale und Vorstellungsmuster.

Der Vergleich unterschiedlicher kommunikativer Codes und unterschiedli-cher Wertesystemebildet somit die methodische Grundlage kulturkontrastiver An-sätze. Ihnen liegt, explizit oder implizit, ein Modell Interkultureller Kommunikation

zugrunde, das dem linguistischen Kommunikationsmodell (Sender-Kanal-Empfän-ger) strukturell gleicht und die Vorstellung eines ›Aufeinandertreffens‹ von Kulturen einschließt. In der Literatur zur Interkulturellen Kommunikation, vor allem auch in anwendungsbezogenen Werken wie Management-Ratgebern (Lewis 2000), wird in diesem Zusammenhang häufig die problematische Metapher des ›Aufeinanderpral-lens zweier Kulturen‹ verwendet. Hiermit wird auf die Vorstellung zurückgegriffen,

»kulturell determinierte ›Blöcke‹ von Institutionen, Wertorientierungen, historischen Erfahrungen, Alltagspraktiken – je nach Kulturbegriff – begegneten sich schockartig in unkontrollierbarer, entpersonalisierter Form mit wenig vorhersehbaren Resulta-ten« (Müller-Jacquier 2004, 74; vgl. auch Blommaert 1991).

Kulturkontrastive Ansätze, die häufig auf psychologischen, anthropologischen oder kulturwissenschaftlichen Kategorien basieren, grenzen somit den Untersu-chungsgegenstand ›Interkulturelle Kommunikationssituation‹ auf unterschiedliche Interaktionsvoraussetzungen der Kommunikationspartner ein (Müller-Jacquier 2004, 73; s. S. 52, Kap. 3.2). Nach Einschätzung von Müller-Jacquier (2004, 106), der die Grenzen des kulturkontrastiven Ansatzes beleuchtet, »beschäftigen sich über 90 % der empirischen Arbeiten unter dem Titel ›Interkulturelle Kommunikation‹ mit vergleichenden Einstellungsuntersuchungen zu kulturspezifischen Wertorientierun-gen, die alsDimensionen(Hofstede) oder alsKulturstandards(Thomas) in verschie-dene Maßnahmen der Auslandsvorbereitung eingehen«. Es müsse, so Müller-Jacquier, »bezweifelt werden, ob die bisherigen vergleichenden Untersuchungen für die Praxis interkultureller Kommunikation so relevant sind, wie sie erscheinen. Vor allem dann, wenn Interaktionssituationen zwischen Vertretern der untersuchten Kulturen über die Phase der Erstbegegnung hinausgehen, ergeben sich nicht nur die in manchen kulturvergleichenden Untersuchungen einschränkend projektierten wechselseitigen Anpassungen, sondern auch die Reaktionen auf Anpassungsleistun-gen derco-participants, d. h. ein System derReaktion auf die Reaktionmit lokalen Konventionalisierungstendenzen« (Müller-Jacquier 2004, 106 f.).

Mit »Co-SprecherInnen« (»co-participants«) sind »die in einer gemeinsamen Situa-tion Interagierenden« gemeint, früher vereinfachend als ›Sprecher‹ und ›Hörer‹ be-zeichnet. Der Terminus soll darauf hinweisen, dass alle Situationsbeteiligten die ab-laufende Interaktion beeinflussen, auch wenn sie – oberflächlich gesehen – inaktiv sind und z. B. schweigen, zuhören, ihre Proxemik [Bewegungsverhalten] verändern etc.« (Müller-Jacquier 1999, 179). Es sei in der Tat, vor allem in multikulturellen Ge-sellschaften, in gesellschaftlichen Gruppen mit intensiven Auslandskontakten sowie in interkulturell geprägten und mehrsprachigen Grenzräumen, häufig nicht mehr auszumachen, ob ein Interaktionspartner »aufgrund persönlicher, kulturspezifisch für den Umgang mit Fremden herausgebildeter, empathisch angepasster und/oder aufgrund interaktionsadäquater Werteorientierungen handelt« (Müller-Jacquier 2004, 107).

Interaktionistische Ansätzeder Analyse interkultureller Interaktionssituationen basieren überwiegend auf linguistischen Analysemethoden. Diese zielen auf die Dy-namik interkultureller Interaktionssituationen und gehen davon aus, dass sich Kom-munikationspartner in solchen Situationen anders verhalten als in eigenkulturellen Kommunikationssituationen. Sie greifen aufgrund ihres Vorwissens bzw. vorgepräg-ter Vorstellungsmusvorgepräg-ter von der Kultur des Gegenübers (die auch sehr svorgepräg-tereotyp sein können) nicht nur auf modifizierte sprachliche und non-verbale Verhaltensmuster zurück, sondern gleichen diese in der Kommunikationssituation selbst aufgrund der beobachteten Reaktionen der Interaktionspartner auch beständig an. Der

interaktio-nistische Ansatz zielt somit auf dieDynamikvon Einstellungen, Vorannahmen, An-passungsstrategien sowie von Reaktionen und Gegen-Reaktionen, die sich imAblauf interkultureller Interaktionssituationen beobachten lassen. Ten Thije (1997), Müller-Jacquier (1999) und Bolten (1995) beschreiben diesenProzesscharakter interkul-tureller Interaktionssituationen, den es zu verstehen gelte, mit dem Begriff Inter-kultur. Hiermit ist die »Zwischenkultur« gemeint, die durch Kulturkontakt entsteht und die nicht nur in linguistischer, sondern auch in kulturwissenschaftlicher Per-spektive zu untersuchen ist. J. Bolten definiert den Begriff wie folgt:

»Das ›Dazwischen‹istder Prozeß oder die ›Interkultur‹ [...]. In diesem Sinne fokussiert der Be-griff ›Interkulturalität‹ immer auch Interaktionsprozesse, und er läßt sich genaugenommen nicht auf ausschließlich kulturvergleichende bzw. -kontrastive Ansätze anwenden« (Bolten 1995, 29).

Mark Terkessidis (2010) bezieht denBegriff ›Interkultur‹nicht, wie Müller-Jacquier, auf interkulturelle Kommunikations- und Interaktionssituationen, sondern auf die Lebenswelt postmoderner Gesellschaften in ihrer Gesamtheit, die durch Immigration in entscheidendem Maße geprägt sind. Diese sei nicht, wie der Integrationsdiskurs häufig suggeriere, durch die Abschottung einzelner Gruppen und die Unterschei-dung von vorherrschender Norm der Mehrheitsgesellschaft und Andersartigkeit von Minderheitengruppen gekennzeichnet, sondern durch eine grundlegende kulturelle Vielgestaltigkeit. Der Begriff ›Interkultur‹, wie ihn Terkessidis verwendet, steht somit in enger Beziehung zu den Begriffen ›Diversität‹, ›Hybridität‹ sowie ›Dritter Raum‹

(»Third Space«, Homi Bhabha 1994). Er begreift Kulturkontakt nicht als ein ›Aufei-nanderprallen‹ oder ›Aufeinandertreffen‹ von Kulturen, sondern als ein instabiles Vorhandensein und Interagieren sehr unterschiedlicher, sprachlich und kulturell ge-prägter Handlungsmuster, Kommunikationsstile und Werte. In der Lebenswelt post-moderner Gesellschaften entständen hieraus jeweils neue, instabile Formen der Kommunikation und Interaktion. Die komplexe soziale Wirklichkeit der Gegenwart, die Terkessidis anhand seiner eigenen, deutsch-griechischen Biographie sowie an-hand von durch Migration geprägten urbanen Räumen (wie Kreuzberg in Berlin-Mitte) beschreibt und untersucht, lasse sich nicht mehr mit Begriffen wie ›kulturelle Unterschiede‹ und ›kulturelle Identität‹ adäquat wiedergeben:

»Nicht die Unterschiedlichkeit der Kulturen oder der gegenseitige Respekt stehen im Vorder-grund – es heißt nichtInterkulturen, sondernInterkultur, also Kultur-im-Zwischen. [...]. Ein-wanderung wurde oft als eine Art Störung der Harmonie in Deutschland betrachtet. Doch diese Harmonie hat nie existiert. Und Harmonie muss auch nicht immer das Ideal sein – ak-tuell haben wir es mit Dissonanz und Brechung, mit Unreinheit und Improvisation zu tun.«

(Terkessidis 2010, 10).

›Interkultur‹ bezeichnet somit neue Kommunikationsformen und -modalitäten, die entstehen, wenn Angehörige unterschiedlicher Kulturen interagieren. Charakteris-tisch für Interkulturen als ›Drittkulturen‹ ist das in jeder interkulturellen Begeg-nungssituation (oder »Überschneidungssituation«) »aufs Neue und in einmaliger Weise geschaffene Spannungsverhältnis zwischen dem Eigenen (= dem Vertrauten) und dem Fremdem (= dem Unvertrauten). Abhängig von einer Reihe von Kontext-faktoren kann dieses Spannungsverhältnis als anregend oder überfordernd erlebt werden« (Müller/Gelbrich 2014, 3).

3.2 | Interkulturelle Interaktionsformen – psychologische

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