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Multikulturalität, Transkulturalität, Diversität

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 28-32)

2.1 Konzepte

2.1.6 Multikulturalität, Transkulturalität, Diversität

Die BegriffeMultikulturalitätundTranskulturalität bezeichnen Phänomene, die völlig anders gelagert sind als der Gegenstandsbereich der Interkulturalität, aber zu-gleich mit ihm verknüpft sind. Unter Multikulturalität wird im Allgemeinen das Ne-beneinander verschiedener Kulturen (im anthropologischen Sinn) innerhalb eines sozialen Systems (meistens einer Nation) verstanden. Der Begriff ›multikulturell‹

entstand 1941 in den USA, der Begriff ›Multikulturelle Gesellschaft‹ jedoch erst 1964/65 in Kanada (Mintzel 1997, 22). Mintzel definiert im Anschluss an Schulte (1990) den Begriff ›Multikulturalität‹ wie folgt:

»Mit Multikulturalität wird erstens eine gesellschaftliche Tatsache bezeichnet, etwas empirisch Gegebenes, nämlich die Tatsache, daß in einer Gesellschaft bzw. einer staatlich organisierten Gesellschaft/Bevölkerung mehrere Kulturen koexistieren, sei es friedlich oder im Konflikt, sei es in einem Nebeneinander oder in einem integrierten Miteinander. Multikulturalität bezeich-net folglich ein sozio-kulturelles Charakteristikum einer Gesellschaft, ihre vielfältige kulturelle Differenziertheit, worauf diese Multikulturalität auch immer beruhen mag.« (Mintzel 1997, 58).

In der Forschung werden grundlegendvier Modelle multikultureller Gesellschaf-tenunterschieden:

das assimilationistische Modell, das auf die kulturelle Anpassung der Minder-heitenkulturen oder Einwandererkulturen abzielt. Die französische Gesellschaft, insbesondere während der Dritten Republik (1871–1940), verkörpert dieses Mo-dell par excellence, das auf eine möglichst rasche Assimilation abzielt. Auch tra-ditionell assimilationistisch ausgerichtete Gesellschaften und Kulturen wie die französische orientieren sich aufgrund der neuen Dimensionen von Immigration und Globalisierung und der damit verbundenen Herausforderungen jedoch zu-nehmend an integrativen Varianten des Assimilationsmodells (Amselle 1996);

6. dasIntegrationsmodell:Dieses Modell multikultureller Gesellschaften ist gleich-falls prinzipiell auf kulturelle Anpassung von Immigranten- und Minderheiten-kulturen ausgerichtet, geht jedoch von einer längeren Übergangsphase aus und gesteht den kulturellen Minderheiten Sonderrechte zu (beispielsweise im

religiö-sen, schulischen und politischen Bereich). Gesellschaften wie die britische, US-amerikanische und deutsche Gesellschaft verkörpern dieses Modell in unter-schiedlichen Ausprägungen. Dieses traditionelle Verständnis von Integration, das deutliche Affinitäten zu Assimilation aufweist, hat sich jedoch in den letzten zehn Jahren, vor allem auch in Deutschland, im wissenschaftlichen und politischen Diskurs deutlich gewandelt. Die deutsche Staatsministerin für Migration, Flücht-linge und Integration und, Aydan Özo˘guz, definiert»Integrationspolitik«als »in-tegrative Politik«, die nicht nur auf Verhaltens- und Werteänderungen bei den Im-migranten, sondern auch in der Aufnahmegesellschaft ziele: »Was wir brauchen, ist nicht eine Integrationspolitik für 16 Millionen Menschen mit Migrationshinter-grund, sondern eine integrative Politik für alle 81 Millionen Menschen in Deutsch-land« (»Rede auf den Nürnberger Tagen für Integration. 10 Jahre deutsche Integra-tionspolitik – die Innenansicht«. Nürnberg, 16.04.2015, http://www.bamf.de/

SharedDocs/Videos/DE/BAMF/ntfi-2015-rede-oezoguz.html).

Integration wird somit in zunehmendem Maße als ein wechselseitiger Prozess verstanden, in dem sich sowohl die Migranten als auch die Aufnahmegesellschaft verändern, wie der Soziologe Friedrich Heckmann unterstreicht:

»Integration ist der Mitgliedschaftserwerb von Zuwanderern in den Institutionen, sozialen Beziehungen und sozialen Milieus der Aufnahmegesellschaft. Integration als Prozeß der Mitgliedschaftswerdung und Angleichung der Lebensverhältnisse entwickelt sich schritt-weise entlang der Dimensionen der strukturellen, kulturellen, sozialen und identifikativen Integration. Sie erfordert Integrationsleistungen der Migranten und bedarf der Offenheit und Förderung seitens der Aufnahmegesellschaft. Sie ist somit ein wechselseitiger, wenn-gleich nicht wenn-gleichgewichtiger Prozeß, der über Generationen verläuft. Integration als Zu-stand und Ergebnis soll heißen, daß volle und gleichberechtigte gesellschaftliche Mitglied-schaft einer zugewanderten Gruppe in der AufnahmegesellMitglied-schaft besteht und sich die Le-bensverhältnisse angeglichen haben. Ethnische Herkunft und Migrationshintergrund spie-len für Ressourcenverteilung und die Strukturierung sozialer Beziehungen keine Rolle mehr« (Heckmann2015, 58).

7. dasApartheid-Modell, das, wie in Südafrika vor 1995, im ›Dritten Reich‹ sowie in zahlreichen kolonialen Gesellschaften, auf eine strikte Abtrennung, Abschottung und häufig auch Ghettoisierung der kulturellen Minderheiten abzielt. In diesen Gesellschaften wird die »Herkunft absolutiert und in Hierarchien eingeordnet. Die Grenzen ethnischer Gruppen sind undurchlässig, und allein die ethnische Rang-ordnung entscheidet über die Verteilung der sozialen Chancen. Diese Tradition der Behauptung und Bekräftigung von Differenz ist am deutlichsten im modernen Rassismus ausgeprägt« (Leggewie 1993, 48–49);

8. daspolyzentrische Modell, das sich durch ein prinzipiell gleichberechtigtes Ne-beneinander verschiedener Kulturen innerhalb einer Gesellschaft auszeichnet.

Zumindest teilweise entsprechen diesem Modell Gesellschaften wie die der Schweiz, Belgiens, Kanadas und tendenziell auch Kaliforniens. Es handelt sich hier um »Gesellschaften ohne kulturelles Zentrum und ohne hegemoniale Mehr-heit. Dieser Aggregatzustand tritt ein, wenn das historische Gerüst des europäi-schen Universalismus, der Nationalstaat als Denk- und Handlungseinheit, nach-gibt und transnationale Mobilität in einem Maße stattfindet, daß die Weltgesell-schaft von einer Abstraktion zu einer erfahrbaren Realität wird« (Leggewie 1993, 50).

Der BegriffTranskulturalität, der vor allem in der lateinamerikanischen und anglo-amerikanischen, aber zunehmend auch in der europäischen Diskussion verwendet

wird (Ortiz 1940; Meyer 1997; Welsch 1992, 2005), dient zur Bezeichnung pluraler kultureller Identitäten, die durch die hochgradige Vernetzung und Verflechtung vie-ler Kulturen der Gegenwart entstanden sind. Diese machen eine Unterscheidung zwischen ›Eigenheit‹ und ›Fremdheit‹ und damit die Vorstellung autonomer kulturel-ler Systeme, die den Begriffen ›Interkulturalität‹ und ›Multikulturalität‹ zugrunde liegt, fragwürdig, wie Wolfgang Welsch darlegt: »Kulturen sind intern durch eine Pluralisierung möglicher Identitäten gekennzeichnet und weisen extern grenzüber-schreitende Konturen auf. Sie haben eine neuartige Form angenommen, die durch die klassischen Kulturgrenzen wie selbstverständlich hindurchgeht. Das Konzept der Transkulturalität bezeichnet diese veränderte Verfassung der Kulturen und ver-sucht daraus die notwendigen konzeptuellen und normativen Konsequenzen zu ziehen.« (Welsch 1995, 42). Ertler/Löschnigg definieren den Begriff in ähnlicher Perspektive zur Bezeichnung soziokultureller Verhaltensweisen, die Formen der kul-turellen Hybridität, des Kosmopolitismus und gemischter oder fragmentierter eth-nischer Identitäten verkörpern (»trans-culturalism refers to those attitudes which welcome cultural hybridity, cosmopolitism and mixed or fragmented ethnic ideni-ties« (Ertler/Löschnigg 2004, 10).

Es erscheint sinnvoll, den Begriff›Transkulturalität‹, der häufig in ähnlicher Be-deutung verwendet wird wie ›Interkulturalität‹ oder ›Hybridität‹, schärfer und präzi-ser zu konturieren und von verwandten Begriffen deutlicher abzugrenzen. Ähnlich wie die Begriffe ›Transfer‹, ›Translokalität‹, ›Transregionalität‹ und ›Transnationali-tät‹, die er einschließt und die spezifische Ausprägungsformen von Transkulturalität repräsentieren, bezeichnet er im eigentlichen Sinn alle Phänomene und Prozesse, die die Grenzen einer Kultur (zum Beispiel einer Nationalkultur oder eines Kultur-raums) überschreiten und hierdurch mehreren Kulturen oder Kulturräumen gemein-sam sind. Hierzu zählen etwa Phänomene wie

der Transfer der okzidentalen Buchkultur und des lateinischen Alphabets seit dem 15. Jahrhundert in alle Kulturen des Globus;

Übersetzungen sowie der Kulturgrenzen überschreitende Transfer von Medien-angeboten und -formaten, der bei Fernsehserien wieDallasundCSIoder Film-Blockbustern wieTitanicundAvatareine weltweite Dimension einnimmt;

und schließlich Prozesse wie die Chinamode im 18. Jahrhundert oder die Japan-mode um 1900 (›Japanismus‹), die sich in allen europäischen Kulturen der Zeit finden, oder die Amerikanisierung, die seit dem Zweiten Weltkrieg und in ver-stärktem Maße seit den 1980er Jahren alle Gesellschaften des Globus erfasst und – wenn auch in stark unterschiedlichem Maße – geprägt hat.

Transkulturalität verweist somit auf Phänomene und Prozesse der kulturellen Grenzüberschreitung. Transkulturelle Prozesse gehen häufig, aber nicht zwangs-läufig, mit interkulturellen Prozessen einher. So wurde das lateinische Alphabet global verbreitet, ohne das es verändert wurde. Viele transkulturelle Phänomene hingegen, die die Amerikanisierung ausmachen, wie zum Beispiel der Transfer von Medienformaten (wie Talkshows undReality-Shows) oder die Verbreitung des Fast-foods, gehen mit starken interkulturellen Veränderungen einher, die ihre Aneignung in anderen Kulturen und Kulturräumen kennzeichnen (s. Kap. 5.5 und 5.6).

Die Begriffe ›Multikulturalität‹ und ›Transkulturalität‹ sind somit mit Prozessen der Interkulturellen Kommunikation und Phänomenen der Interkulturalität eng ver-knüpft. Die Kommunikation zwischen ethnischen Minderheitengruppen und der he-gemonialen Nationalkultur innerhalb eines sozialen Systems – beispielsweise

zwi-schen Deutzwi-schen und türkizwi-schen Arbeitsimmigranten in Deutschland oder zwizwi-schen den Inuit-Kulturen und der dominanten anglophonen Bevölkerungsmehrheit in Ka-nada – stellt eine Form der Interkulturellen Kommunikation dar, obwohl sie sich in-nerhalbnationalstaatlicher Grenzen vollzieht. Sie zeigt sich in vielfältigen interkul-turellen Phänomenen wie in der deutsch-türkischen Literatur; in Formen der Sprach-mischung und des Code-Switching; und in der Veränderung von Ritualen und Iden-tifikationsfiguren. Transkulturelle Phänomene ziehen ihrerseits häufig, wenn auch nicht durchgehend, interkulturelle Prozesse nach sich, die sich mit der Methodik des Kulturtransfers analysieren lassen (s. Kap. 5): Der Transfer und die Aufführung bei-spielsweise von Filmen und Theaterstücken in anderen Kulturen und Kulturräumen ist häufig mit Formen der sprachlichen, aber auch der interkulturellen Adaptation verknüpft, die von der Synchronisation über die Einfügung von Untertiteln und Zu-satzerklärungen bis hin zur kulturspezifischen Ästhetik von Programmheften und Film- sowie Theaterplakaten reicht.

Der Begriff der Diversität(engl.diversity; frz.diversité; dt. auch kulturelle Viel-falt) hat in den letzten Jahren sowohl im sozialen wie im wissenschaftlichen Diskurs eine zunehmende Bedeutung erlangt. Im Gegensatz zu den Begriffen ›Interkulturali-tät‹, ›Multikulturalität‹ und ›Transkulturalität‹ geht er nicht vom Kulturbegriff aus, und damit von einer mehr oder minder ausgeprägten Vorstellung des kulturellen Zu-sammenhalts einer Gemeinschaft, sondern von der Feststellung einer grundlegenden Vielfalt. Der Begriffdiversitywurde zunächst zu Beginn der 1990er Jahre in den USA geprägt und stellt eine Weiterentwicklung der Antidiskriminierungskampagnen und der hiermit verbundenen Gesetzgebungen (Affirmative Actiondurch Quotenregelun-gen etc.) dar. Er bezeichnet »any mixture of items characterized by difference and similarities« (Thomas 1996, 5).

Die hiermit u. a. im Personalmanagement verbundenen Perspektiven überwinden das Gegensatzpaar »Wir und die Anderen« und schauen nicht länger aus einer »Nor-malperspektive« auf die in irgendeiner Hinsicht (Geschlecht, kulturelle Zugehörigkeit etc.) »Fremden« (Leenen u. a. 2006, 46). Diversität wird als»komplexe, sich ständig erneuernde Mischung von Eigenschaften, Verhaltensweisen und Talenten«verstanden (Thomas 2001, 27, zit. nach Leenen 2006, 46). Der Begriff lenkt den Blick auf Diver-sitätsmerkmale, die kulturell geprägt, aber in ihrer Vielfalt und aus der Sicht der Ein-zelindividuen – und nicht von Gemeinschaften oder Gruppen betrachtet werden. Vor allem in den Praxisbereichen ›Integration von Immigranten‹ und ›Personalrekrutie-rung‹ sowie ›Personalmanagement‹ spielt der Begriff Diversität im Rahmen des Diver-sity Managementseine zunehmend wichtiger werdende Rolle (s. Kap. 6.6). Das Kon-zept der ›Diversität‹ stellt die Unterscheidung von ›Normalität‹ und ›Differenz‹ und die hiermit verknüpfte Vorstellung von ›Problemgruppen‹ grundlegend in Frage. Seine Vertreter in der Politik, in Unternehmen und in der Wissenschaft wehren sich gegen die Auffassung, es gebe »in jeder Situation, jedem Unternehmen, jeder Gesellschaft, die ›Einen, die ›Normalen‹«, und »dann noch die ›Anderen‹ – die, die sich in irgendei-ner Weise [...] unterscheiden. In dieser traditionellen Sichtweise werden nur die ›An-deren‹ als Diversity gesehen« (Thomas 2001, zit. nach Terkessidis 2010, 139). R. R.

Thomas »interpretierte Diversity als ›komplexe Zusammensetzung‹, als ›komplexe Mi-schung von Eigenschaften, Verhaltensweisen und Talenten.‹ Die Institutionen sollten nicht länger auf Gleichheit im Sinne der Anpassung an eine Norm drängen, sondern auf die prinzipielle Wertschätzung von Unterschiedlichkeit« (ebd., 47).

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 28-32)