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Praxisfelder und Wissenschaftsdisziplinen

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 11-15)

Interkulturelle Kommunikation als wissenschaftliche Fachdisziplin(oder Teildis-ziplin) ist seit den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten und Kanada entstanden.

Im nordamerikanischen Kontext bildeten die aus der Immigration und der

Heraus-bildung einer multikulturellen Gesellschaft entstehenden Probleme den entschei-denden Anstoß für interkulturelle Lehre und Forschung, die schwerpunktmäßig in der Psychologie, der Soziologie und der Pädagogik verankert wurde (Asante/Gudy-kunst 1989). Der Begriff »intercultural communication« wurde erstmals durch das WerkThe Silent Language(1959) des US-amerikanischen Ethnologen und Verhal-tensforschers E. T. Hall einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit vermittelt.

Die Entwicklung interkultureller Fragestellungen in Europa, die sich seit den 1980er Jahren vor allem in Deutschland, Frankreich und den skandinavischen Ländern zeigte, weist im Unterschied hierzu neben den Problemkreisen ›Immigration‹ und

›Multikulturalismus‹deutliche Schwerpunktein folgenden Bereichen auf:

interkulturelle Wirtschaftskommunikation (Management, Personalentwicklung, Werbung, Marketing)

interkulturelle Pädagogik

Migrationsforschung

Hinzugekommen sind in den letzten Jahren auchForschungsrichtungenwie:

die interkulturelle Philosophie (Mall 1999)

die interkulturell und kulturvergleichend ausgerichtete Psychologie (Thomas 1991a, 1991b)

die interkulturelle Medienanalyse (Lüsebrink/Walter 2003) und die interkultu-relle Literaturwissenschaft (Hofmann 2006; Kirsch 2011)

interkulturelle Ausrichtungen der Nationalphilologien, insbesondere die Interkul-turelle Germanistik (Wierlacher 2000, 61–79; Wierlacher 2001 und Wierlacher/

Bogner 2003) und die Interkulturelle Romanistik (Lüsebrink 1996; 2007)

interkulturelle Orientierungen in der Geschichtswissenschaft (Dinges 2004; Per-nau 2011).

Auch der lange vernachlässigtenreligiösen Dimensionwird in der interkulturellen Forschung, Lehre und Weiterbildung in den letzten Jahren zunehmende Aufmerk-samkeit gewidmet, nicht nur, aber sicherlich auch wegen der aktuellen Krisen und Konflikte im Vorderen Orient und ihren Auswirkungen auf Europa. So wurden an der Universität Regensburg im Rahmen des Zusatzstudiums ›Internationale Hand-lungskompetenz‹ Ausbildungsmodule zur interreligiösen Kompetenz angeboten.

›Religion‹ wird hier als ein »Schlüssel zum Verstehen anderskultureller Gruppen sowie zur bewussten Auseinandersetzung mit eigenkulturellen Besonderheiten«

gesehen – »zwei wesentliche Voraussetzungen für interkulturelles Lernen und für die Entwicklung interkultureller Kompetenz« (so A. Thomas im Prospekt einer Workshop-Tagung im Oktober 2004 zum Thema »Interreligiöse Kompetenz. Pro-gramm- und Qualifizierungsbausteine für die internationale Jugendarbeit«). Der aus der Republik Kongo stammende afrikanische Theologe Claude Ozankom hat für die Beschreibung der interkulturellen Übertragung religiöser Inhalte und Glaubensvor-stellungen in andere Kulturräume den Begriff›Inkulturation‹geprägt. Bezogen auf die kreative Aneignung – und damit auch die Transformation – des Christentums in Afrika sind hiermit »Ausdrucksformen christlichen Glaubens gemeint, die sich immer entschiedener am afrikanischen sozio-kulturellen Kontext orientierten und unter dem Terminus Inkulturation in der Praxis erprobt und in der Theologie reflek-tiert werden« (Ozankom 2004, 17). Auch in den Schnittbereichen zwischen Natur-und Kulturwissenschaften finden interkulturelle Fragestellungen zunehmend Berücksichtigung: so etwa in der medizinischen Traumaforschung, in der

Möglich-keiten und Grenzen der interkulturellen Übertragbarkeit okzidentaler Konzeptionen von Gesundheit und Krankheit, Trauma und Psychotrauma, Therapie und Präven-tion analysiert werden, beispielsweise in einem Forschungsprojekt des Hamburger Universitätsklinikums in Zusammenarbeit mit dem mosambikischen Traumatologen Victor Igreja.

Die ersten wissenschaftlichen Zeitschriften zur Interkulturellen Kommunika-tion entstanden in den 1970er Jahren mit demInternational Journal of Intercultural Relations und der ZeitschriftThe International and Intercultural Communication.

Zweiwissenschaftliche Gesellschaftenunterschiedlicher Ausrichtung repräsentie-ren seit den 1980er Jahrepräsentie-ren die interkulturelle Forschung im internationalen Kontext:

die ARIC (Association pour la Recherche Interculturelle) und die SIETAR (Society for Intercultural Education, Training and Research), die einen deutlichen Schwerpunkt im Bereich des interkulturellen Consultings, Trainings und Managements aufweist und sich im Vergleich zur ARIC durch einen stärkeren Praxisbezug auszeichnet. In Deutschland wurde 2010 der Hochschulverband für Interkulturelle Studien gegrün-det.Das Fach bzw. die Teildisziplin Interkulturelle Kommunikationist seit Mitte der 1980er Jahre an einer ganzen Reihe deutscher Universitäten und Fachhochschu-len mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen verankert worden: so u. a. in

Bayreuth (Interkulturelle Germanistik)

Chemnitz (Interkulturelle Kommunikation/Linguistik)

Regensburg (Interkulturelle Psychologie und Interkulturelle Europastudien) Jena (Interkulturelle Wirtschaftskommunikation)

München (Ethnologie in Verbindung mit Interkultureller Kommunikation) Saar-brücken, Potsdam, Hamburg, Paderborn (Interkulturelle Medien-, Literatur- und Kulturwissenschaft)

Fulda (Modularer Masterstudiengang »European Studies and Intercultural Com-munication«)

Halle (Interdisziplinärer Studiengang »Interkulturelle Europa- und Amerikastu-dien«)

Hildesheim (Interkulturelle Kommunikation in Verbindung mit Sprach- und Über-setzungswissenschaften)

Heilbronn (Internationale Betriebswirtschaft/Interkulturelle Studien)

Der Schnittbereich vonInterkultureller Kommunikation und Wirtschaftzählt in einer ganzen Reihe interdisziplinärer Studiengänge mit wirtschaftsbezogenen Kom-ponenten zum Studieninhalt, sowohl an Universitäten als auch an zahlreichen Fach-hochschulen, an denen auch in den letzten Jahren spezifische Professuren zu die-sem Bereich ausgeschrieben und besetzt wurden (u. a. in Aalen, Fulda, Heilbronn, Hildesheim, München, Zwickau). Fragestellungen der Interkulturellen Kommunika-tion werden zudem mittlerweile in zahlreicheninterdisziplinären Lehr- und For-schungskontextenberücksichtigt und diskutiert, vor allem in der Migrations- und Integrationsforschung, der Pädagogik (»Interkulturelles Lernen«), der Tourismus-forschung, der angewandten Linguistik, beispielsweise im Bereich der Sprach-erwerbs- und Bilingualismusforschung, der Erwachsenenbildung und der Überset-zungsforschung (Götze 2004; Assmann 1999). Ihre gegenwärtige Entwicklung doku-mentiere, so betont die Japanologin I. Hijiya-Kirschnereit, Herausgeberin eines interdisziplinären Sammelbandes zur japanisch-deutschen Übersetzungsproblema-tik, ein »geschärftes Bewußtsein hinsichtlich der Bedeutung und des besonderen

Gewichts, das Fragen der Übersetzung im interkulturellen Kontext zukommt«

(Hijiya-Kirschnereit 2001, 9).

Seit dem Erscheinen der Erstauflage dieses Bandes im Jahr 2005 haben sich nicht nur in der Wissenschaftslandschaft, sondern vor allem auch im globalen Kontext Entwicklungen herauskristallisiert, die in erster Linie im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden sind und die für die Fragestellungen und Methoden der Interkulturellen Kommunikation neue Herausforderungen darstellen. Sie betreffen Phänomene und Prozesse wie die Re-Nationalisierung von Kulturen und die Renais-sance des von vielen bereits tot geglaubten Nationalstaats in Osteuropa, Asien, Lateinamerika und Teilen Afrikas; den Aufstieg der Ökonomien und Medienkulturen Chinas, Indiens, Japans und Brasiliens, die die Landkarte der Globalisierung grund-legend zu verändern beginnen; und, hiermit verknüpft, die Auseinandersetzung um die Universalität okzidentaler Werte und Normen, die seit dem Entdeckungszeitalter auch die europäische Expansion nach Übersee legitimierten und deren Kern seit dem 18. Jahrhundert Demokratie und Menschenrechte bilden, wie der US-amerika-nische Politikwissenschaftler Immanuel Wallerstein prägnant formulierte:

»Europa und die von europäischer Kultur geprägten westlichen Mächte betrachten es als ihr selbstverständliches Recht, in anderen Regionen der Welt zu intervenieren und den dort lebenden Menschen – notfalls auch mit Gewalt – ein Leben nach den Maßstäben der abend-ländischen Kultur zu vermitteln« (Wallerstein 2007, Präsentation).

Die Analyse und Aufarbeitung dieser interkulturellen Phänomene und Prozesse der Gegenwart setzen, wie auch Wallerstein betont, den Rekurs auf die historische Di-mension voraus, die in der interkulturellen Lehre und Forschung häufig vernachläs-sigt wird und zu kurz kommt. An verschiedenen Stellen des vorliegenden Buches soll versucht werden, den historischen Bedingungen und Dimensionen interkulturel-len Handelns, die auch in der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren zuneh-mend Aufmerksamkeit gefunden haben (vgl. u. a. Paulmann 2004; Pernau 2011), den notwendigen Raum zu geben.

Kulturwissenschaft

Interkulturelle Kommunikation

Speech Communication Sprachwissenschaft

Pädagogik Psychologie

Betriebswirtschaftslehre

Soziologie

Anthropologie Geschichte Literaturwissenschaft

Abb. 1.1 Wissenschaftsdisziplinen und Interkulturelle Kommunikation

2 Konzepte und Problembereiche

Im Dokument Interkulturelle Kommunikation (Seite 11-15)