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Die Bestimmung der Kirche als Sakrament

2.1.2 Die Zielsetzung der Heilsvermittlung

„Kirche ist […] allgemeines Sakrament des Heiles“ (LG 48,2) bzw. „Sakrament des menschlichen Heils“ (LG 59).581 Die nähere Bestimmung der Kirche als Heils-Sakra-ment verdeutlicht ihre eigentliche Zielsetzung, die sich unmittelbar aus ihrem trinitari-schen Ursprung ergibt: Kirche ist dazu da, um Gottes Heil zu vermitteln. So prägnant diese Aussage ist, so wenig aussagekräftig ist sie – im theologischen wie allgemeinen – Sprachgebrauch, denn mit ihr stellt sich die Frage: Was ist „Heil“? Das lateinische

„salus“ durchzieht die Dokumente des Zweiten Vatikanums wie ein roter Faden und dokumentiert die wichtige Bedeutung des Begriffs und seines Gehalts.582 Doch schon die frühen Konzilskommentare – wie auch die späteren – lassen eine direkte Deutung der Komponente „Heil“ des sakramentalen Charakters der Kirche offen, so formuliert zum Beispiel P.SMULDERS 1966vage:„Das Heil, wie es in der Bibel angekündigt und verheißen wird, könnte wohl umschrieben werden als die Gemeinschaft mit Gott und mit den Mitmenschen“583 und „das Heil ist eben so allumfassend, dass man es kaum anvisiert.“584

581 Die prägnante Formulierung in LG 48,2 und 59 kombiniert die ausführlicheren Beschreibungen von LG 1,1 („Sakrament […] für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Men-schengeschlechts“) und LG 9,3 („damit sie [= die Kirche] allem und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei“).

582 Vgl. z.B. die Aussagen „[…] damit Fürbitten gehalten werden für die heilige Kirche […] und für alle Menschen und das Heil der ganzen Welt“ (SC 53); „jedwede Art dieser Mittel, soweit es für […] das Heil der Seelen notwendig und nützlich ist, anzuwenden“ (IM 3,2); „so wird die Kirche gerufen, denselben Weg einzuschlagen, um den Menschen die Früchte des Heiles mitzuteilen“ (LG 8,3);

„Dass sie in besonderer Weise auch mit dem für das Heil der Welt leidenden Christus geeint werden“

(LG 41,6); „Bei der Besorgung ihres apostolischen Amtes, das sich auf das Heil der Seelen richtet, erfreuen sich die Bischöfe […]“ (CD 19,1); „damit die gesamte Welt im Hören auf die Verkündi-gung des Heiles glaubt, im Glauben hofft, im Hoffen liebt“ (DV 1,1); „so dass ihre Tätigkeit in die-ser Ordnung offenkundig Zeugnis für Christus ablegt und zum Heil der Menschen dient“ (AA 2).

Vgl. hierzu auch den Index verborum, 444-446.

583 SMULDERS,Kirche als Sakrament, 291f [Hervorhebung durch G.Z.].

584 Ebd., 291. Damals wie heute konzentriert sich die Kommentierung der betreffenden Konzilsaussagen so sehr auf den Aspekt der „Sakramentalität“ der Kirche und sein Herkunfts- und Bedeutungsspekt-rum, dass der darauf bezugnehmende Heilscharakter in den Hintergrund rückt. Vgl. z.B. GRILL

-MEIER,Kommentar zum I. Kapitel, 156-158 u. 178-180; SEMMELROTH,O., Kommentar zum VII.

Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, in: LThK.E 1, 314-325, 314-317; DERS., Kommentar zum VIII. Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, in: LThK.E 1, 326-347, 334-336; SMULDERS, Kirche als Sakrament, 289-312; KEHL,Kirche, 82-88; WIEDENHOFER, Ekklesiologie, 96-102; HÜNERMANN, Theologischer Kommentar, 356, 372-374, 506f, 525. Dieser Befund lässt zwei Rückschlüsse zu: entweder war die Kategorie „Heil“ – schon – zur Zeit des Zwei-ten Vatikanums etwas Selbst-Verständliches, das im wahrsZwei-ten Sinn des Wortes keiner weiteren Er-klärung bedurfte, oder sie war – und ist gegenwärtig – so schwer zu bestimmen (vgl. z.B. den Termi-nus Mysterium), dass keine weitere Erklärung möglich ist. Für das Zweite Vatikanum und sein un-mittelbares Umfeld treffen wohl beide Rückschlüsse zu, wie der Kommentar von SMULDERS nahe legt: „In der folgenden Skizze fragen wir vor allem nach der Anwendung der Kategorie des Sakra-ments auf die Kirche. […] [Deshalb] wird in unserem Beitrag auch die Kategorie des Heils eher vo-rausgesetzt als thematisch herausgearbeitet. Das ist eine bedauernswerte Beschränkung, die aber wohl vom heutigen Stand der theologischen Reflexion, wie er sich auch in den konziliaren Debatten und Dekreten spiegelt, nahegelegt wird. Zwar ist das Evangelium Heilsbotschaft, und so sollte folge-richtig das Heil das Hauptthema der theologischen und pastoralen Besinnung sein. Tatsächlich aber kümmert die Theologie sich mehr um Aspekte des Heiles, wie Sündenvergebung, Wiedergeburt, Auferstehung, Erlösung und Begnadigung, als um diese sehr allgemeine und grundlegende Wirklich-keit. Das Heil ist eben so allumfassend, dass man es kaum anvisiert.“ Ebd.

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In der Synopse und Synthese der Aussagen des Zweiten Vatikanums, die in sich ja wie-derum Zusammenschau und Verkündigung der Lehre der Kirche sind, ist Heil ganz allgemein „der Inbegriff des Guten und Wahren für Welt und Mensch“ und „ist begrün-det in Gottes gutem Willen für seine Schöpfung.“585 Der Heilsaspekt des Sakraments Kirche lässt sich deshalb am besten in Bezug auf Jesus Christus, den Mittler zwischen Gott und der Schöpfung, d.h. den Mensch gewordenen Sohn Gottes erklären. Allein der Name Jesu bringt seine Person und seine Heilssendung, die die Kirche in seinem Auf-trag weiterführt, auf den Punkt: „Jesus“ (aramäisch: Jeschua) bedeutet „Heil“.586 Gott wirkt das Heil, so die Überzeugung des Alten Testaments, und Gott wirkt endgültiges Heil für die Welt durch Jesus Christus, bezeugt das Neue Testament. Gottes Heil will die Vollendung der Welt und der Menschen – weniger im Sinn einer „besseren Welt“ in ihren irdischen Gegebenheiten, sondern im Sinn des Reiches Gottes. (Konzils-) Theologisch steht die Bestimmung der Kirche als universales Sakrament des Heils des-halb nicht nur in christologischem, sondern auch in eschatologischem Kontext. Das Heil (des Reiches) Gottes leuchtet auf „im Wort, im Werk und in der Gegenwart Christi.“587 Die Kirche „stellt Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden dar“ (LG 5,2) und sie ist

„das im Mysterium schon gegenwärtige Reich Christi“ (LG 3). Das bedeutet, dass Kir-che aktiv mit einbezogen ist in das HeilsgesKir-chehen – sie ist Mitwirkende und Vermittle-rin, das „Heil“ selbst ist sie jedoch nicht.588 Im Umkehrschluss bedeutet das aber wiede-rum nicht, dass Kirche außerhalb des Heils oder ihm gegenüber steht, denn die „affir-mative Beziehung“ zwischen Kirche und dem Heil Gottes „aufzugeben würde die Kir-che erneut jener juridisKir-chen Verkürzung ausliefern, die zu überwinden das Konzil in seinen Aussagen über Kirche ja angetreten war.“589 Als „zeichenhaft-sakramentale Antizipation des eschatologischen Heils“ ist die Kirche „keine für sich bestehende Grö-ße; sie weist vielmehr von sich weg und über sich hinaus auf das Heil der Menschen und auf das Heil der Welt“.590

585 MEYER ZU SCHLOCHTERN,Sakrament Kirche, 52f.

586 Vgl. GNILKA,J.,Heil. III. Biblisch, in: LThK3 4, 1260-1262, 1261.

587 KASPER,Kirche als universales Sakrament des Heils, 242.

588 An dieser Stelle ist noch einmal (vgl. auch schon Anm. 69 in dieser Arbeit) auf die dogmatische Formel „extra ecclesiam nulla salus“ zurückzukommen. Die Bestimmung der Kirche als Sakrament des Heils „ist keine Aussage über das Heil der Menschen außerhalb der Kirche, sondern über das be-sondere Wesen und die bebe-sondere Funktion der Kirche“, d.h. ihren Charakter als Sakrament, Zei-chen, Vermittlungsinstanz, „im Zusammenhang der Geschichte Gottes mit den Menschen“ (WIEDEN

-HOFER,Ekklesiologie, 130). Es wäre also falsch, diese Aussage als Negation der Heilsmöglichkeit für Nichtkatholiken bzw. Nichtchristen zu verstehen.

589 MEYER ZU SCHLOCHTERN,Sakrament Kirche, 54.

590 KASPER,Kirche als universales Sakrament des Heils, 243.

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2.1.3 Die Verwirklichung der Einheit mit Gott und unter den Menschen

„Heil“ zu sein heißt – nicht nur im wörtlichen Sinn, sondern auch im Hinblick auf das Reich Gottes – vollendet, ganz und eins zu sein bzw. zu werden. Gleich der erste Arti-kel von Lumen gentium spricht von der Einheit stiftenden Aufgabe der Kirche als Heils-sakrament: „Da aber die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament bzw. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Men-schengeschlechts ist […]“ (LG 1,1).591 Dem innersten christologischen Wesen der Kir-che gemäß hat die einende Funktion des Sakraments KirKir-che zwei Komponenten, die voneinander verschieden und zugleich miteinander verbunden sind: die – vertikale – Vereinigung (lat. unio) der Menschen mit Gott und die – horizontale – Einheit (lat.

unitas) der Menschen untereinander. Nach J.MEYER ZU SCHLOCHTERN ist diese Einheit

„innere Qualität des Heils; sie deutet an, dass Vereinigung beide Ebenen umfasst: die irdische Vergemeinschaftung und die Vereinigung mit Gott.“592 Nicht aus sich selbst, sondern in Christus kann die Kirche über alle menschlichen Möglichkeiten hinaus den Weg zur vollen Einheit weisen.593 Und in enger Verbindung mit diesem christologi-schen Aspekt steht hier wiederum der eschatologische Aspekt des Heilssakraments Kirche: Einheit der Menschen mit Gott und aller Menschen untereinander ist schon jetzt ansatzweise verwirklicht – in der Kirche zum Beispiel immer neu und zugleich bleibend durch das Sakrament der Eucharistie, das eigentliche „Sakrament der Einheit (und des Friedens)“ unter den Christen.594 Die universale Einheit (unio) ist in letzter Konsequenz aber Geschenk Gottes, darauf hinzuweisen und Einheit im Rahmen ihrer Möglichkeiten schon jetzt zu verwirklichen ist bleibende Aufgabe der Kirche als Sakrament – „damit nämlich alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande enger verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangen“ (LG 1,1; 8,1).

591 Von Einheit als Realisierungsform des Heils spricht auch LG 9,3 („Gott hat die Versammlung derer, die glaubend auf Jesus, den Urheber des Heils und den Ursprung der Einheit und des Friedens schauen, als Kirche zusammengerufen und gegründet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sak-rament dieser heilbringenden Einheit sei“ [Hervorhebungen durch G.Z.].

592 MEYER ZU SCHLOCHTERN,Sakrament Kirche, 55 [Hervorhebung wie im Original].

593 Vgl. GRILLMEIER,Kommentar zum I. Kapitel, 158. Dieses Motiv der Einheit scheint im weiteren Verlauf der Kirchenkonstitution immer wieder auf. Vgl. z.B. LG 9,1 („Diesen neuen Bund hat Chris-tus gestiftet, […] indem er sich aus Juden und Heiden ein Volk berief, das nicht dem Fleische nach, sondern im Geiste zur Einheit zusammenwachsen und das neue Volk Gottes sein sollte“) und LG 28,5 („[…] sollen die Priester umso mehr in vereinter Sorge und unter Leitung der Bischöfe und des Papstes jede Art von Zerstreuung beseitigen, damit das ganze Menschengeschlecht in die Einheit der Familie Gottes geführt werde“).

594 Auf die Nähe des einheitsstiftenden Aspekts der Sakramentalität der Kirche zum Sakrament der Eucharistie weist in der Fülle der Konzilskommentare nur J.L.WITTE hin. Vgl. DERS.,Die Kirche,

„sacramentum unitatis“ für die ganze Welt, in: BARAÚNA,G.(Hrsg.), De Ecclesia I. Beiträge zur Konstitution „Über die Kirche“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, Freiburg i.Br. 1966, 420-452, 423.

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