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Communio und Volk Gottes

2.1.6.5 Communio hierarchica

Was am Ende des ersten Kapitels von Lumen gentium in Art. 8 angesprochen wird – Kirche ist auch als sichtbares Gebilde verfasst, als Gesellschaft mit sichtbaren Organen ausgestattet und zeigt sich in der Welt als sichtbare Versammlung – legt das ganze dritte Kapitel über „die hierarchische Verfassung der Kirche und insbesondere das Bischofs-amt“ (LG 18-29) genauer dar. Wer angesichts des Wortes „Verfassung“ von diesen Artikeln der Kirchenkonstitution eine Darstellung der grundlegenden Rechte und Pflich-ten aller Glieder des Volkes Gottes erwartet, liegt falsch. Denn die Konzilsväter be-schreiben im vorliegenden Kapitel nicht die verfassungsmäßigen Grundlagen der Kirche insgesamt, sondern behandeln nur einen Teil davon, nämlich die institutionalisierten

„Dienste“ (ministeria; LG 18,1) der „Hirten“ des Volkes Gottes (pastores; LG 20,3),672 also jener Gläubigen, die das Weihesakrament (ordo) empfangen haben bzw. ordiniert sind. Ausführlich behandeln die einzelnen Artikel vor allem – vgl. die Formulierung „in specie“ in der Kapitelüberschrift – die Bischöfe und das Bischofskollegium sowie deren Relation zum Papstamt bzw. zur Gesamtkirche,673 nach den Amtspflichten des Bischofs widmet sich LG nur mehr kurz den Presbytern (LG 28) und Diakonen (LG 29).674

672 Vgl. hierzu die Hirten-Terminologie des dritten Kapitels von Lumen gentium. In Ableitung von Christus, dem „ewigen Hirten“ (LG 18,2) und „Hirten der ganzen Kirche“ (LG 22,2), sollen auch die Bischöfe Hirten für ihren Teilkirche sein: „Christus, der Herr, hat, um das Volk Gottes zu weiden und ständig zu mehren, in seiner Kirche verschiedene Dienste eingesetzt“ (LG 18,1); „er wollte, dass […]

die Bischöfe in seiner Kirche bis zur Vollendung der Welt Hirten seien“ (LG 18,2); er sandte die Apostel, damit sie die Völker „unter der Führung des Herrn durch ihr Dienen weideten alle Tage bis zur Vollendung der Welt“ (LG 19); die Apostel haben ihren Nachfolgern empfohlen, „auf die gesam-te Herde Acht zu haben, in die sie der Heilige Geist hineinsgesam-tellgesam-te, die Kirche Gotgesam-tes zu weiden“ (LG 20,2); die Bischöfe sind es, die „an Gottes Stelle der Herde vorstehen, deren Hirten sie sind“ (LG 20,3); die Bischöfe, „diese Hirten, die erwählt sind, die Herde Gottes zu weiden“ (LG 21,1); der

„Herr hat allein Simon zum Fels […] bestellt und ihn als Hirten seiner ganzen Herde eingesetzt“

(LG 22,2); „die Einheit der Herde Christi“ (LG 22,2); die „einzelnen Bischöfe üben ihre pastorale Leitung über den ihnen anvertrauten Anteil des Volkes Gottes […] aus“ (LG 23,2); die Bischöfe müssen „mit Hilfe des Herrn zum Guten hin wandeln, um zusammen mit der ihnen anvertrauten Herde zum ewigen Leben zu gelangen“ (LG 26,3); den Bischöfen „wird das Hirtenamt, das heißt die anhaltende und tägliche Sorge für ihre Schafe, voll überantwortet“ (LG 27,1); der „Bischof […] soll sich das Beispiel des guten Hirten vor Augen halten, der gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (LG 27,3); er soll Sorge tragen auch „für jene, die noch nicht von der einen Herde sind“ (LG 27,3); „aus Überzeugung zum Vorbild ihrer Herde geworden“ sollen die Presbyter „ihren örtlichen Gemeinden“ vorstehen und dienen (LG 28,4) [Hervorhebungen durch G.Z.].

673 Das dritte Kapitel der Kirchenkonstitution Lumen gentium folgt nach eigenen Worten „den Spuren des ersten Vatikanischen Konzils“ (LG 18,2) zur Einsetzung des päpstlichen Primats und setzt mit der ausführlichen Behandlung des Bischofsamts die hierarchische Lehre der Kirche fort. Insbesonde-re die Deutung der Relation zwischen dem Kollegium der Bischöfe und dem Primat der Universal-kirche bzw. des Papstes wird seit dem Zweiten Vatikanum bis in die Gegenwart immer wieder disku-tiert und lehramtliche Verlautbarungen kreisen um die Fragen von Einheit und Vielfalt, Vorrangig-keit und NachrangigVorrangig-keit. Vgl. dazu z.B. im Überblick KEHL,M.,Der Disput der Kardinäle. Zum Verhältnis von Universalkirche und Ortskirchen, in: StZ 221 (2003), 219-232.

674 Das Zweite Vatikanum gilt sprichwörtlich und im doppelten Wortsinn als „Konzil der Bischöfe“, denn nach der ausführlichen Lehre des I. Vatikanums über das Papstamt widmeten sich die Konzils-väter in Fortsetzung und Ergänzung dieser Lehre vor allem dem Bischofsamt. So wichtig die intensi-ve Beschäftigung des Zweiten Vatikanums mit dem Amt des Bischofs ist, so offensichtlich macht es auf eine notwendige Intensivierung und Beschreibung der Lehren des Presbyterats und Diakonats aufmerksam, wie auch auf eine Vertiefung der Theologie der Kirche als Volk Gottes – möglicher-weise im Rahmen eines neuen Konzils.

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senselemente der hierarchischen Verfassung der Kirche sind nach LG 18-29 also das Amt des Papstes und die (ordinierten) Ämter des Bischofs, Presbyters und Diakons, denn

„Christus, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat, machte durch seine Apostel deren Nachfolger, nämlich die Bischöfe, seiner Weihe und Sendung teilhaftig, die (wiede-rum) das Amt ihres Dienstes in vielfältiger Abstufung vielfältigen Trägern in der Kirche rechtmäßig übergeben haben. So wird der von Gott eingesetzte Dienst in verschiedenen Ständen von jenen ausgeübt, die schon von alters her Bischöfe, Presbyter und Diakone ge-nannt werden.“ (LG 28,1)

Allein in diesem kurzen Passus zeigen sich wichtige Eckpunkte der Theologie des ordi-nierten Amtes bzw. Weiheamtes, das eine besondere Stellung und Funktion in der Communio hierarchica einnimmt: Einmal wird hier hingewiesen auf die apostolische Sukzession der Bischöfe, die die strukturelle Kontinuität der Überlieferung und Nach-folge von Christus über die Apostel zu den Bischöfen gewährleistet. Zum anderen wird die Dreigliederung des Weiheamtes bzw. ordinierten Amtes erwähnt, das durch Kon-sekration und Handauflegung der Bischöfe weitergegeben wird und sich als der eine Ordo aufteilt in Bischofs-, Presbyter- und Diakonenamt.675 Da das ganze dritte Kapitel der Kirchenkonstitution aber „insbesondere dem Bischofsamt“ gewidmet ist (vgl. Über-schrift zu LG 18-29), beschäftigt es sich mit diesem Thema in der Hauptsache. „Im Zusammenhang mit der Bischofsweihe und der darin verliehenen ,Fülle des Weihesak-ramentes‘ steht dann auch die (manchen wie eine Quadratur des Kreises klingende) Vermittlungsformel von der ,communio hierarchica‘, der ,hierarchischen Gemein-schaft‘ (LG 21).“676 Mit dieser Formel wird ausdrücklich die Einbindung des einzelnen Bischofs in die Gemeinschaft des Bischofskollegiums beschrieben, implizit ist damit auch die Relation einer Teilkirche zur Gemeinschaft der Universalkirche mit ge-meint.677 Für sich betrachtet erscheinen die beiden Termini communio und hierarchica als Widerspruch und doch ist die „communio hierarchica“ im Sinn des Zweiten Vatikanums und der Ekklesiologie als notwendige Verfassungskonstante der Kirche zu verstehen – wie ist dies zu erklären?

- Zur Erinnerung: Communio hat als „Leitidee“ des Konzils zu gelten, denn in An-lehnung an das Mysterium der Kirche als Heilssakrament weist sie darauf hin, dass Kirche mehr ist als menschliche Gemeinschaft. Communio deutet auf den trinitarischen Gott als denjenigen, der die Gemeinschaft der Gläubigen begrün-det und sie zugleich stärkt und aufbaut.

675 Vgl. GRILLMEIER,A.,Kommentar zum III. Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche (Art. 28), in: LThK.E 1, 247-255, 248-250. Das Thema der apostolischen Sukzession durchzieht LG 18-29, die Dreigliedrigkeit des einen Weiheamtes wird u.a. mit Verweisen auf das Konzil von Trient vorausgesetzt und deshalb in LG nicht ausführlicher erläutert (vgl. z.B. die Verweise der Anm. 99, 101, 103f von LG 28,1).

676 KEHL,Kirche, 104 [Hervorhebungen wie im Original].

677 Vgl. ebd.

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- „Hierarchie“ und „hierarchisch“ werden im allgemeinen Sprachgebrauch als – negativer – Gegenentwurf zu demokratischen Strukturen verstanden. Der Herr-schaft und (Mit-)Bestimmung von unten, vom Volk her, wird die Hierarchie als Herrschaft von oben über mehrere Ebenen nach unten entgegengesetzt – oftmals wird Hierarchie auch mit Herrschaftsformen wie Monarchie, Autokratie oder Aristokratie gleichgesetzt. Ähnlich wie der Terminus Communio meint der Be-griff „Hierarchie“ aber im Sinn des erneuerten Kirchenverständnisses des Zwei-ten Vatikanums nicht mehr „weltliche Herrschaft“ sondern etwas völlig anderes.

Insbesondere die kanonistische Forschung hat die eigentliche und für Kirche wesentliche Bedeutung dieses Terminus herausgestellt: Theologisch und etymo-logisch richtig verstanden will Hierarchie keine „heilige“, absolute oder unver-fügbare Herrschaft legitimieren, sondern bezieht sich auf den „heiligen Ur-sprung“.678 Im Sinn des sakramentalen Charakters der Kirche müssen ihre (Äm-ter-)Strukturen im trinitarischen Ursprung Gottes, auf diesen zurückweisen und sich an ihm orientieren. Dem ordinierten Amt in seinen Ausfaltungen kommt dabei die besondere Verantwortung zu, die Anbindung an den Ursprung zu ge-währleisten, aus diesem Grund steht es in der Nachfolge der Apostel (successio apostolica) und ist zum Dienst für das Volk Gottes geweiht. Allein eine so ver-standene hierarchische Struktur ist für Kirche nicht nur angebracht, sondern notwendig, wenn sie ihrem Sendungsauftrag gerecht werden will.

Wenn die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanums im dritten Kapitel also von der

„hierarchischen Verfassung der Kirche, insbesondere des Bischofsamtes“ spricht, so ist den Ausführungen das Verständnis zugrunde zu legen, das sich aus dem sakramentalen

678 Vgl. die etymologischen Hinweise in Anm. 247 dieser Arbeit. Zum Begriffsinhalt vgl. FREITAG, Hierarchie, 86; ERDÖ,Hierarchie, 239; AYMANS/MÖRSDORF,KanR I, 12f u. 24. Auf der Seite der Dogmatik und Fundamentaltheologie (Ekklesiologie) äußern einige Fachvertreter starkes Misstrauen gegen die Termini „Hierarchie“ und communio hierarchica. So hält z.B. M.KEHL den Begriff „hie-rarchisch“ als „nicht sehr geeignet“ für die nähere Bestimmung des „einheitsstiftende[n] und integ-rierende[n] Moment[s] innerhalb der Communio“ (DERS.,Kirche, 105; vgl. ebd., 116). Die Ausfüh-rungen B.J.HILBERATHS geben generell das Verständigungsproblem des Begriffs „Hierarchie“ zu bedenken: „Ich halte es nur für kontraproduktiv, von Hierarchie zu sprechen, um die Bedeutung und in gewissem Sinn auch Unableitbarkeit des ordinierten Dienstes in der Kirche herauszustellen. Wer in unserer heutigen Gesellschaft verbindet mit dem Reden von Hierarchie den Gedanken des heiligen Ursprungs bzw. der von Gott gesetzten Ordnung? Entsprechende Hinweise von Theologen sind zwar in einem inneren Zirkel verständlich, aber gesellschaftlich nicht kommunikativ. Selbstverständlich stimmt es, dass es in der Kirche eine ,von Gott gegebene‘ Ordnung gibt, wenn damit gemeint ist, dass das ordinierte Amt zum Sein der Kirche hinzugehört. Der Ausdruck ,Hierarchie‘ bringt aber immer die Assoziation einer Stufung und eines Abhängigkeitsverhältnisses mit sich, was mit der Grundüberzeugung des Konzils, dass das Amt ein Amt in der Kirche ist, auch da, wo es in bestimm-ten Vollzügen der Gemeinde gegenübersteht, nicht zu vereinbaren ist. […] Also nicht weil das Amt abgeschafft werden soll, wende ich mich gegen die Bezeichnung der Kirche als Communio hierarchica. Vielmehr geht es mir darum, den grundsätzlichen Gedanken der Communio nicht durch einen Begriff zu verdunkeln, der jedenfalls weithin Assoziationen mit sich bringt, die dem Gedanken der Koinonia = Communio zentral zuwiderlaufen.“ DERS.,Zwischen Vision und Wirklichkeit, 61f.

Die Problematik, auf die HILBERATH aufmerksam macht, ist in der Kirche und in der Ausgestaltung ihrer Ämter – und nicht zuletzt in der konkreten Amtsführung – virulent. Doch liegt es m.E. auch und gerade deshalb an der Kirche, nicht das in der Gesellschaft übliche Verständnis von Hierarchie zu resignieren, d.h. (theoretisch wie praktisch) zu übernehmen, sondern Hierarchie gerade im Hin-blick auf und in Ableitung von Christus zu praktizieren.

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Charakter von Kirche als Mysterium ableitet. Auch wenn dieses dritte Kapitel explizit nur an einer Stelle von der Communio hierarchica spricht, nämlich dass die Ämter der Heiligung, der Lehre und des Leitens, die dem Bischof in der Bischofsweihe übertragen werden, „ihrer Natur nach nur in der hierarchischen Gemeinschaft mit dem Haupt und den Gliedern des [Bischofs-]Kollegiums ausgeübt werden können“ (LG 21,2), so impli-ziert es damit nicht die Existenz eines eigenen Herrschaftsbereichs in der Kirche. Viel-mehr steht die Communio hierarchica und ihre Ämterstruktur im Dienst der Communio, das heißt der Kirche. Der Nachsatz des angeführten Zitats betont den eigentlichen hie-rarchischen Aspekt dieser Communio, nämlich die Anbindung an den Ursprung in Christus:

„Aufgrund der Überlieferung nämlich […] ist es offensichtlich, dass durch die Auflegung der Hände und die Worte der Weihe die Gnade des Heiligen Geistes so übertragen und die heilige Prägung so eingeprägt wird, dass die Bischöfe in hervorragender und sichtbarer Weise die Rolle Christi selbst des Lehrers, Hirten und Priesters, übernehmen und in seiner Person handeln.“ (LG 21,2)

Als „Dienste […], die sich auf das Wohl des ganzes Leibes [Christi] richten“ (LG 18,1) garantieren nicht nur das Bischofs-, sondern auch das Presbyter- und Diakonenamt diese Anbindung an den Ursprung in Christus. Im Hinblick auf LG 21,2 sind aber die Bischöfe „nicht schlechthin Repräsentanten Jesu Christi in seiner dreifachen Sendung.

Jeder Christ, die Gemeinschaft der Gläubigen repräsentieren Christus und seine Sen-dung. Die Bischöfe repräsentieren Christus in ihrer Funktion, die sie – in der Kirche als Institution – für das Volk Gottes wahrnehmen. Insofern sie Instrumente, Diener des Wirkens Jesu Christi in seinem Volk und für die Glaubenden sind, können sie ihre Funktion nur ausüben im Heiligen Geist und in der Vollmacht Jesu Christi.“679 Mag im Verständnis von Communio hierarchica in LG auch immer wieder der Aspekt einer juridisch-feudalistischen Ekklesiologie anklingen, so ist dieser im Sinn des vorgeschal-teten Kapitels von Kirche als Volk Gottes also zu korrigieren bzw. bedeutet eine Um-kehrung der überkommenen Struktur und des damit verbundenen Denkens. Im Licht der Communio-Leitidee und der Volk-Gottes-Theologie des Zweiten Vatikanums meint Communio hierarchica nämlich richtig besehen: Nicht die Inhaber des Weiheamts kon-stituieren die Communio bzw. Kirche, sondern stehen in ihrem Dienst. Sie dienen dem ganzen Volk Gottes, indem sie aufgrund ihrer Ordination in der besonderen Verantwor-tung stehen, Christus, den Ursprung der Kirche, zu repräsentieren und auf ihn zu ver-weisen.680 Communio hierarchica tatsächlich in diesem Sinn zu verstehen und nicht als Herrschaftsinstrument der „Kleriker“ über die „Laien“ zu missbrauchen, ist vom

679 HÜNERMANN,Theologischer Kommentar, 418.

680 Besonders das Kirchenrecht und die Kanonistik thematisieren communio hierarchica als Struktur-prinzip der Kirche, daneben, d.h. nicht in Konkurrenz, sondern in anderer Perspektive ist Kirche rechtlich auch strukturiert als communio fidelium (Gemeinschaft der Gläubigen) und communio ecclesiarum (Gemeinschaft der Teilkirchen). Vgl. AYMANS/MÖRSDORF, KanR I, 23f; sowie die wegweisende Untersuchung SAIERS zum Communio-Begriff des Konzils und seinen rechtlichen Im-plikationen: DERS.,Communio.

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ten Vatikanum aufgegeben und bedarf nach wie vor der umfassenden Realisierung für das Heilssakrament Kirche: „Das Volk selbst und sein Heil gehören im Ratschluss Got-tes zur Kategorie des Zieles, während die Hierarchie als Mittel auf dieses Ziel hingeordnet ist.“681