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1.3 Ein theologischer und ökonomischer Blick auf die Kirche – eine Quadratur des Kreises? Kirche – eine Quadratur des Kreises?

1.3.1 Ressentiments der beiden Disziplinen

Theologie und Betriebswirtschaft, Kirche und Management scheinen Begriffswelten zu sein, die sich wie Feuer und Wasser gegenseitig ausschließen. A.JÄGER, evangelischer Professor für Theologie und Wirtschaftsethik, hat über das Verhältnis von Theologie und Ökonomie geurteilt, sie seien wie zwei Schwestern, die nach einer langen Zeit der Entfremdung sich nun wieder gegenüber stünden und sich nichts mehr zu sagen hät-ten.394 Daran ist – bei allem Hinken, das solche Vergleiche immer mit sich bringen – sicher richtig, dass Theologie und Ökonomie enger miteinander verbunden sind,395 als

394 Vgl. JÄGER,A.,Diakonie als christliches Unternehmen. Theologische Wirtschaftsethik im Kontext diakonischer Unternehmenspolitik, Gütersloh 21986, 9.

395 Über eine ursprüngliche Verknüpfung zwischen Ökonomie und Theologie besteht kein Konsens.

Während manche Theologen im antiken Verständnis von griech. oi=koj (Haus, Haushalt) und griech.

oivkonomi,a (Verwaltung des Hauses, Haushaltung) wirtschaftliche Anknüpfungspunkte im Sinn von

„gerechtem Hauswirtschaften“ und theologische im Sinn von „Haushalt, Familie, Ordnung Gottes“

sehen – in späterer Ausprägung als Heilsökonomie Gottes –, lehnen andere dies ab.

Auffallenderweise stellen nur Theologen derartige Überlegungen an, auf dem Gebiet der

Wirt-ihnen heute bewusst und lieb ist. Die Sprachlosigkeit zwischen den beiden Disziplinen weicht in Deutschland erst in den letzten Jahren und macht nun ihrerseits einem manchmal sehr aufgeregten und vorwurfsvollen, manchmal einem herablassenden oder auch resignierenden Ton Platz. Da Kirche primär Untersuchungsobjekt der Theologie ist, werden zunächst die Ressentiments der Theologie gegen eine interdisziplinäre Zu-sammenarbeit mit der Betriebswirtschaft vorgestellt, um anschließend umgekehrt die – soviel sei schon jetzt angedeutet: dem Umfang und Inhalt nach wesentlich geringeren Vorbehalte – der Betriebswirtschaft gegen die Theologie aufzuführen.

Erste Vorbehalte auf dem Gebiet von Theologie und Kirche gegen eine Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse setzen bereits bei der betriebswirtschaftlichen Terminologie an. Das Vokabular der Betriebswirtschaft wird dabei in erster Linie „mit Macht und Einfluss, Leistung und Fortschritt, Einkommen und Erfolg, Prestige und Anerkennung“ oder auch „mit Geschäftemacherei und Korruption, Willkür und Miss-brauch, mit Ausbeutung und Zerstörung und vor allem einer ausschließlich auf materia-listische Dinge gerichteten Lebenseinstellung“396 gleichgesetzt. Vor diesem Hinter-grund ist die Argumentation naheliegend, dass die Wertvorstellungen von Betriebswirt-schaft und Theologie als unvereinbar gelten müssen: Kirche und „Markt“ funktionieren nach vollkommen verschiedenen Prinzipien, Kirche kann deshalb keinesfalls mit be-triebswirtschaftlichen Termini und Gesetzmäßigkeiten beurteilt werden.397 Von Seiten der Theologie wird dabei besonders herausgestellt, dass das Wirken der Kirche durch derartige Begriffe allein auf wirtschaftliche Aspekte reduziert wird, so dass eine ent-scheidende Dimension des theologischen Glaubensgebäudes verloren geht.398 Wort-schöpfungen wie etwa „Communio-Management“ und „Kirchen-Marketing“ oder allein schon der Vergleich von Kirche mit einem „Dienstleistungsunternehmen“ und Gläubi-gen als seinen „Kunden“399 sind in manchen Bereichen der Theologie verpönt und mit großer Ablehnung verbunden.400 Und wenn ein Theologe wie N.METTE vom „Eindrin-gen betriebswirtschaftlicher Konzepte in die kirchliche Praxis und Ekklesiologie“401

schaftswissenschaften wird auf die ursprüngliche griech. Herkunft von „Ökonomie“ und „Ökono-mik“ so gut wie nie Bezug genommen, sondern die Vergleichbarkeit mit der engl. Bedeutung von

„economcis“ herausgestellt. Zur ursprünglichen Nähe von Ökonomie und Theologie vgl. die Hinwei-se des evang. Theologen MANZESCHKE,A.,Gott, der Glaube und der Markt: Grenzgänge zwischen Theologie und Ökonomie, in: LUIBL,H.J./STÄDTLER,K.,/SUDERMANN,CH.u.a. (Hrsg.), Gott und die Wissenschaften (Evangelische Hochschuldialoge 1), Berlin 2007, 118-135; sowie die Deutung des Schweizer Verwaltungsexperten und theologisch interessierten BISCHOFBERGER,Kirchliches Mana-gement, 13. Anderer Meinung ist hingegen C.R.FAMOS, der keine traditionellen Bande zwischen den beiden Disziplinen ausmachen will, vgl. DERS.,Kirche zwischen Auftrag und Bedürfnis. Ein Beitrag zur ökonomischen Reflexionsperspektive der Praktischen Theologie (ReligionsRecht im Dialog 3), Münster 2005, 149f.

396 MALIK,F., Managementperspektiven, Stuttgart 1994, 13.

397 Vgl. POTT,M.,Kundenorientierung in Pastoral und Caritas? Anstöße zum kirchlichen Handeln im Kontext der Marktgesellschaft (TPPR 9), Münster 2001, 204f.

398 Vgl. HASLINGER,Kirche – ein Unternehmen, 56.

399 Ebd.

400 Vgl. z.B. BAUMGARTNER, Kirche – ein Dienstleistungsunternehmen, 309-319; GRÄB-SCHMIDT, Kirche ist kein Unternehmen, 65-80.

401 METTE,Kirche als Unternehmen, 156.

spricht, verrät schon der Sprachgebrauch, dass ökonomische Konzepte als unliebsame Eindringlinge auf dem abgesteckten Feld der Theologie gesehen werden.

Ein weiterer Vorwurf der Theologie gegen die Anwendung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse auf dem Gebiet von Kirche ist die Kurzlebigkeit der verschiedenen öko-nomischen Theorien und Modelle. Demnach „kommen und gehen“ die Management-konzepte der Betriebswirtschaft, „sie sind kurzlebig wie alle Modeerscheinungen. Sie leben – ähnlich wir die Mode – von ständiger Wiederholung des Bisherigen auf verfei-nerte Weise, ohne tiefgehende Lösungen für Bedürfnisse und Probleme anzubieten, die eine sich verändernde Welt stellt.“402 Die langlebige, da in Jahrhunderten und Jahrtau-senden denkende und agierende Kirche „verfällt mit der Diskussion um die Übernahme moderner Management-Methoden den herrschenden Denkgewohnheiten ihrer Zeit.403 Schnell werden in diesem Zusammenhang wahre Horrorszenarien an die Wand gemalt:

Bei Einsatz der modernen Management-Methoden „modernisiert sich [die Kirche] mit allen Mitteln, mutiert zu einem ökumenischen Religionskonzern, in dem von der On-line-Beichte bis zur Church-Card Christliches zu religiösem Sondermüll verschwätzt wird. Die Kirche entschließt sich, sich als Teil des Sinnstiftungs- und Sozialmarktes zu begreifen, unterwirft ihr Personal und ihre Strukturen den Prinzipien unternehmerischer Betriebsführung, der Effizienzkontrolle, und nutzt die Möglichkeiten des Marktes, um ihre religiösen Angebote an den Mann (und die Frau) zu bringen: Eine kompetente Werbeagentur ist da effektvoller als eine ganze Handvoll von Bischöfen.“404 Wer mit der Kirche so umgehe, „betreibe ihren Verrat“.405 N.METTE urteilt über Programme und Modelle, die betriebswirtschaftliche Methoden für Kirche einsetzen, dass sie nichts anderes wollen, als die „Kirche als Reparaturwerkstatt für die immer zahlreicher wer-denden Opfer infolge der beschleunigten Mobilisierung zu effektivieren […]. Und dazu soll sie sich genau der rationalen und effektiven Mittel bedienen, die die moderne Be-triebswirtschaft dafür bereithält“?406 Angesichts der Schnelllebigkeit und damit einher-gehenden Beschleunigung aller Lebensbereiche sollen Kirche und Theologie in dieser Perspektive gerade Wegbereiter der Entschleunigung sein und keine Anleihen bei den sich selbst wie andere verändernden Management-Modellen nehmen; Kirche und

402 Vgl. GEISELHART,H.,Das Managementmodell der Jesuiten. Ein Erfolgskonzept für das 21. Jahrhun-dert, Wiesbaden 1997, 11-22.

403 Zitiert nach DIETZFELBINGER, D., Kirche, höre die Signale. Vom Nutzen des Managements, in:

DERS./TEUFFEL,J.(Hrsg.), Heils-Ökonomie? Zum Zusammenwirken von Kirche und Gesellschaft (LLG 12), Gütersloh 2002, 85-106, 99 (Anm. 52).

404 GRONEMEYER/ROMPEL,Erfolg ist keiner der Namen Gottes, 102.

405 GUTMANN,H.-M., Der gute und der schlechte Tausch. Das Heilige und das Geld – gegensätzliche ökonomische Beziehungen, in: EBACH,J./GUTMANN,H.-M./FRETTLÖH, M.L. u.a. (Hrsg.), „Leget Anmut in das Geben“. Zum Verhältnis von Ökonomie und Theologie, Gütersloh 2001, 162-225, 212-215; ähnlich auch dargestellt bei STIERK,W., Geld hinkt nicht. Zur ökonomischen Anamnese akuter Verrenkungen im Kirchenmarketing, in: EBACH,J./GUTMANN,H.-M./FRETTLÖH,M.L.u.a. (Hrsg.),

„Leget Anmut in das Geben“. Zum Verhältnis von Ökonomie und Theologie, Gütersloh 2001, 226-232.

406 METTE,Kirche als Unternehmen, 162.

logie sollen sich ihre tradierte Ungleichzeitigkeit bewahren, so lautet die Argumentation hinter diesem Vorwurf der Kurzlebigkeit von betriebswirtschaftlichen Methoden.

Ein wieder anderer Vorwurf gegen die Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Methodik für die Kirche betont, dass Theologie und Kirche nicht auf fremde Hilfe angewiesen sind. In den Fällen, in denen z.B. Unternehmensberatungen von Diözesen gerufen wur-den, hagelte es Anfragen von mehreren Seiten, ob die Theologie der Kirche nicht mehr allein helfen kann bzw. warum sich Theologie und Kirche nun unbedingt vom Fremden helfen lassen müssen. Auf Seiten katholischer wie evangelischer Theologie herrscht die Meinung, dass es als Warnsignal gesehen werden muss, wenn „für ein kirchliches Lei-tungsgremium die Einbeziehung einer Beratungsfirma vom Markt offenbar näher liegt als der Appell an die gesammelte Kompetenz theologischer Disziplinen. Gewiss vermag theologischer Sachverstand allein einem angestauten Wust von institutionellen, konzep-tionellen, strukturellen, rechtlichen und zunehmend mehr auch ökonomischen Proble-men längst nicht mehr standzuhalten“,407 doch eine Kirche, „die nach modernsten Ma-nagement-Methoden arbeitete und dafür eine nahtlos angepasste theologische Legitima-tion beanspruchen würde, muss zu den ekklesiologischen Schreckvorstellungen gehö-ren.“408 Die Vorwürfe beschwören für Theologie und Kirche ein Horrorszenario nach dem anderen, doch die eigentliche Angst und der wohl größte Vorbehalt zeigt sich im nächsten Punkt, der deshalb auch die umfangreichste Argumentation für sich bean-sprucht.

Der wichtigste Vorbehalt gegen die Anwendung von betriebswirtschaftlichen Manage-ment-Methoden für Kirche greift einige Inhalte der bisherigen Vorwürfe auf und bün-delt sie zu einem Generalverdacht und -vorwurf: Kirche und Markt sind inkompatible Realitäten, denn Kirche lässt sich nicht mit Marktmechanismen vergleichen, da sie eine höhere Wirklichkeit besitzt. Zur Verdeutlichung der Unvergleichbarkeit zwischen Kir-che und Markt bzw. ökonomisKir-chen Modellen werden von Theologen gerne typisKir-che Markt-Metaphern benutzt in dem Sinn, dass Kirche untergehen wird, wenn sie sich

„verkauft“, in anderen Fällen wird auch vom „Ausverkauf der Theologie“ gesprochen;

manche Autoren stellen die provokante Frage: „Macht BWL nicht einmal mehr vor Kirchentüren Halt?“409 Argumentationen dieser Art sind nicht neu und wurden bzw.

werden immer wieder von verschiedenen Theologen bemüht, wie die folgenden Bei-spiele zeigen:

407 JÄGER,A.,Konzepte der Kirchenleitung für die Zukunft. Wirtschaftliche Analysen und theologische Perspektiven, Gütersloh 1993, 30.

408 Ebd., 36. 

409 Zitiert in Anlehnung an BUTZER-STROTHMANN,K., Muss das Marketing vor der Kirchentür Halt machen? Spirituelles Gemeindemanagement aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in: ABROMEIT,H.-J./

BÖHLEMANN,P./HERBST,M.u.a. (Hrsg.), Spirituelles Gemeindemanagement. Chancen – Strategien – Beispiele, Göttingen 2001, 31-41, 31.

„Das Christentum ist nicht ein Kaufhaus, das ängstlich besorgt seine Werbung auf Ge-schmack und Stimmung des Publikums einstellen muss, weil es eine Ware losschlagen will, die die Kunden eigentlich weder wollen noch brauchen – so wird es freilich leider nicht sel-ten beschrieben; wäre es so, dann könnte man den Bankrott des Unternehmens ruhig hin-nehmen. In Wahrheit ist christlicher Glaube die göttliche Medizin, die sich nicht nach den Kundenwünschen und dem, was ihnen schmeckt, richten darf, wenn sie dabei die Kunden nicht zugrunde richten will; sie muss ihrerseits verlangen, dass die Menschen sich von ih-rem eingebildeten Bedürfen, das in Wahrheit ihre Krankheit ist, abwenden und sich der Weisung des Glaubens anvertrauen.“410

Schon in den 1960/70er Jahren wendete sich J.RATZINGER mit diesen Worten gegen einen Irrweg, genauer: gegen das Abkommen vom Weg der Wahrheit, wenn sich Theo-logie und Kirche zu sehr nicht-theologischen Mechanismen aussetzen. Mit etwas zu-rückhaltenderen Worten warnt auch K. LEHMANN vor einer voreiligen Ineinssetzung von theologischem und ökonomischem Bereich:

„Kirche und Wirtschaft sind zwei von einander verschiedene Bereiche. Wirtschaft erscheint heute wie alle anderen Bereiche der Gesellschaft als ein ,System‘, das letztlich nur sich selbst steuern kann. Die Wirtschaft hängt zunehmend von sich selbst ab.“411

Diese Vorwürfe aus dem Bereich der Theologie wenden sich dezidiert gegen die öko-nomische, d.h. marktorientierte Rationalität der Betriebswirtschafts- und Management-lehre, wenn sie z.B. die Ziel-Mittel-Rationalität oder den marktwirtschaftlichen Wett-bewerb im Widerspruch zum sakramentalen Verständnis von Kirche sehen.412 Demnach verliere sich Kirche an das „Kapital“, wenn sie dem dort offensichtlichen Effizienzden-ken verfällt. Indem sie sich auch noch marktförmig mache, verrate sie vor allem ihre eigene Klientel in Form der „Marktversager“ und „Marktverweigerer“ nach dem Vor-bild Jesu. Die evangelische Theologin U.GRÄB-SCHMIDT wendet sich in diesem Sinn entschieden gegen Analogien zwischen Kirche und Marktgesellschaft:

„Die Kirche hat keine Produzenten und Kunden, sondern sie ist das Ensemble ihrer Mitglieder, dem auch die Leitenden eingegliedert sind. Diese sind nicht die Anbieter, die auf Bedürfnisse eingehen und ihre Ware darauf abstimmen. Weder verkauft sie ihre Ware noch leistet sie einen therapeutischen Dienst. Wer überhaupt etwas anbietet, bietet sich selbst an, gibt sich preis als Zeuge erfahrener, erlebter Wahrheit oder der Hoff-nung darauf. Alle stellen sich in den Raum der Mitteilung, in der HoffHoff-nung, dass sich hier Erleben einstellt. Dass dieser Raum gut oder schlecht organisiert werden kann, und dass hier dann das ganze Arsenal an Überlegungen der Effizienz ihre Rolle spielen muss, ist richtig, aber er ist auf alle Fälle schlecht organisiert, wenn er ein Kundenverhältnis sugge-riert, wenn auch nur als Metapher. Das Bild vom Kunden legt nämlich nahe, dass es sich beim Glauben, beim Evangelium um ein Produkt handelt. Ein Produkt wird konsumiert.

Man lässt sich damit bedienen. Der Glaube ist aber kein Produkt, das man konsumiert,

410 RATZINGER,J., Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 21972, 95f.

411 LEHMANN,K.,Profilschärfung oder Konzentration auf das Kerngeschäft: Was kann die Kirche von der Wirtschaft lernen?, in: Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (Hrsg.), Arbeitge-berforum Wirtschaft und Gesellschaft. „Reformen ohne Soziale Gerechtigkeit?“, Berlin 2005, 13-23, 13.

412 Vgl. zum Folgenden die Zusammenfassung bei DIETZFELBINGER,Kirche höre die Signale, 85ff.

sondern das christliche Leben selbst. Er ist ein Geschehen, das man mitproduziert, kein Ergebnis, sondern ein Prozess […]. Ich denke, die Kirche könnte vor allem dadurch attrak-tiver werden, wenn sie zeigt, dass sie aus den allgemein üblichen Denkschemata der Be-dürfnisbefriedigung herausfällt.“413

Die Theologie wird in ihrer Argumentation dabei auch von soziologischer Seite unter-stützt, wenn z.B. der Soziologe R. GRONEMEYER Kirche vor einer Marktorientierung warnt: Gerade in einer Zeit, in der selbst zwischenmenschliche Beziehungen unter das Diktat des Marktes und der Ökonomie zu geraten drohen, verspielt die Kirche ihre Chance, wenn sie für sich selbst eine marktorientierte Modernisierung anstrebt. Die Kirche vollzieht auf einem solchen Weg in den Markt letztlich eine „Entkernung des-sen, was Kirche von jeher ausgemacht hat. Das wäre die Veräußerlichung des Religiö-sen.“414 Eine marktorientierte Kirche, so folgert GRONEMEYER, ist aber eine „götzen-dienerische Kirche“.415 Im Rahmen der Abwehrhaltung gegen die Anwendung ökono-mischer Methoden für die Kirche findet sich auch der Vorwurf der „Vermarktung des Evangeliums“, denn eine Kirche, die sich in das kommerzielle Verhältnis von „Anbie-tern“ und „Kunden“ begibt, veräußert ihre Botschaft. „Je mehr sich die Kirche in die Nischen der Marktgesellschaft einzwängt, ihre Methoden übernimmt und sich ununter-scheidbar macht, desto nachdrücklicher verspielt sie ihre Chance.“416 In dieser Reihe von Abwehrhaltungen gegen den Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumente für Theo-logie und Kirche sei hier abschließend der Publizist CH.NÜRNBERGER angeführt, nach dessen Urteil gerade die Kirche die Chance hätte, sich weltübergreifend dem Kapitalis-mus – in Form der Ökonomie, Betriebswirtschafts- und Managementlehre – entgegen-zustellen, stattdessen sympathisiere und kooperiere sie mit ihm. Nach Meinung NÜRNBERGERS sind Prinzipien wie „Ökonomie“ und „Effizienz“ in der Kirche fehl am Platz, denn „Ökonomie im Reich Gottes sieht anders aus als in den overdesignten Bera-terbüros“ 417 der Wirtschaftsfachleute.

Diese Vorbehalte von theologischer Seite gegen die Anwendung betriebswirtschaftli-cher Methoden für Kirche sind als Warnungen und gleichzeitig als Ängste zu lesen:418

1. Wer sich auf die Betriebswirtschaftslehre einlässt, verkauft sich an die Bedürf-nisse des „Marktes“ und der „Kunden“ und verrät damit die Botschaft vom Reich Gottes.

2. Wer sich auf die Betriebswirtschaftslehre einlässt, hat ein falsches Kirchenbild:

Er macht aus der Kirche ein marktkonformes Unternehmen, das Waren

413 GRÄB-SCHMIDT,Kirche ist kein Unternehmen, 75f.

414 GRONEMEYER/ROMPEL,Erfolg ist keiner der Namen Gottes, 103.

415 Ebd., 106.

416 Ebd., 102.

417 NÜRNBERGER,CH.,Kirche, wo bist du?, München 2000, 164.

418 Vgl. zur folgenden Aufstellung grundsätzlich ABROMEIT, H.-J./BÖHLEMANN,P./ HERBST,M. u.a.

(Hrsg.), Spirituelles Gemeindemanagement. Chancen – Strategien – Beispiele, Göttingen 2001, 90.

tet, aus der hierarchischen Leitung Management, aus den kirchlichen Amtsträ-gern Wirtschaftsbosse.

3. Wer sich auf die Betriebswirtschaftslehre einlässt, sucht seine Orientierung an der falschen Stelle: Er verzichtet darauf, Zuversicht und Weisung aus dem Hö-ren des Evangeliums zu erwarten, stattdessen setzt er auf ein der Kirche „frem-des Gesetz“, die Logik der Marktwirtschaft.

4. Wer sich auf die Betriebswirtschaftslehre einlässt, setzt seine Hoffnung auf trü-gerischen Grund: Er verzichtet darauf, dem Heiligen Geist zu vertrauen, der in der Kirche mächtig ist, und setzt stattdessen auf das eigene Mühen. Die Herr-schaft des ökonomischen Denkens tritt an die Stelle der BereitHerr-schaft, sich vom Heiligen Geist führen zu lassen.

Angesichts dieser massiven Vorbehalte gegen die Betriebswirtschafts- und Manage-mentlehre ist man versucht zu meinen, Kirche sehe die ökonomischen Disziplinen als Schlange der Versuchung (vor dem neuen Sündenfall) oder als Dämon, den und dessen Übel es zu bekämpfen gilt. Oder um in den Metaphern von Glaube und Markt zu spre-chen: Es scheint, die Theologie hat Angst, „ihre Seele an den Teufel zu verkaufen“. Im Anschluss an die Schilderung der Ängste auf theologischer Seite stellt sich nun die umgekehrte Frage, welche Vorbehalte die Ökonomie gegenüber der Theologie hat oder ob die Betriebswirtschaftslehre – im theologischen Umkehrschluss – das Untersu-chungsobjekt Kirche sprichwörtlich meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Von Seiten der Betriebswirtschafts- und Managementlehre bestehen genau genommen keine Ressentiments gegenüber Theologie und Kirche, denn beide werden als Untersu-chungsobjekte unter vielen anderen betrachtet. Die neutrale und unabhängige Analyse ihrer Untersuchungsgegenstände ist eine Prämisse der ökonomischen Disziplinen.

Ein möglicher Vorbehalt der Wirtschaftswissenschaften gegenüber der Fachdisziplin Theologie war lange Zeit ihr Ruf als „Glaubenswissenschaft“. Betriebs- und Manage-mentlehre – im Verein mit Fächern des sozial-, kultur- und naturwissenschaftlichen Bereichs – betrachteten Theologie nicht bzw. nur bedingt als rationale Wissenschaft, da sie keine empirischen Methoden anwende. Der Vorwurf galt von dieser Seite der empi-rischen Wissenschaften jedoch nicht nur der Theologie allein, sondern auch den anderen Geisteswissenschaften. Inzwischen sind Ressentiments dieser Art jedoch weitestgehend ausgeräumt; wohl nicht zuletzt deshalb, weil Theologie im Rahmen ihrer praktischen Disziplinen der Religionspädagogik, -soziologie oder Pastoralpsychologie unter Beweis stellt, dass sie durchaus auch empirisch arbeitet und ihre Ergebnisse dann mit theologi-scher Methode deutet.

Darüber hinaus sieht sich die Betriebswirtschaftslehre auch keinerlei ernsthafter Bedro-hung durch Theologie oder Kirche ausgesetzt, vielmehr nimmt sie in den letzten Jahren vermehrt Impulse der christlichen Sozialethik auf und hat – daran mehr oder weniger anknüpfend – die eigene Disziplin der Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik entwickelt.

Da die Betriebswirtschaftslehre in ihrer Perspektive keine „Glaubensfragen“ behandelt,

sondern mit empirisch-rationalen Kriterien arbeitet, sieht sie die Theologie auf diesem Gebiet auch in keiner Weise als Konkurrentin, Okkupierende oder Gegnerin – anders als es umgekehrt in der Theologie der Fall ist.

Kehrt man zurück zur Analogie zu Beginn der Vorstellung der Ressentiments der bei-den Disziplinen, nämlich zur Analogie der beibei-den Schwestern, so kommt man zum Urteil, dass sich die beiden nicht einfach nur nichts zu sagen haben, sondern dass eine der beiden in der Rolle der Vorwurfsvollen und die andere in der Rolle der Schweigen-den ist. Wie wird ein Dialog zwischen diesen beiSchweigen-den möglich?