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7 BERÜCKSICHTIGUNG UND WERTUNG WICHTIGER KOMPONENTEN

7.2 Beurteilung von Nachfragemacht

7.2.5 Gefahren

7.2.5.1 Wohlfahrtsökonomische Gefahren

Die wohlfahrtsökonomischen Implikationen der Nachfragemacht unterscheiden sich in Abhängigkeit vom Vorhandensein von Marktmacht auf der Lieferstufe508. Nachfrage-macht kann als GegenNachfrage-macht dann wohlfahrtserhöhend wirken, wenn seitens der Liefe-rantenseite eine hohe Konzentration vorliegt und gleichzeitig die nachfragemächtigen Käufer auf ihren Absatzmärkten einem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt und da-durch gezwungen sind, die erreichten Vorteile an ihre Konsumenten weiterzugeben (Gegenmachthypothese)509.

Nachfragemacht kann dagegen negative Wohlfahrtswirkungen haben, wenn die Liefe-rantenseite kleinstrukturiert ist und in scharfem Wettbewerb steht. Eine solche Situa-tion erlaubt es mächtigen Nachfragern, die Produzentenrente der Lieferstufe abzu-schöpfen. Im Zuge der Rentenumverteilung von den Herstellern zum Handel ergeben sich Wohlfahrtsverluste, die auf eine Unterbeschäftigung von Ressourcen, eine Aus-höhlung der Innovationskraft und eine Abschreckung potentieller Newcomer auf Liefe-rantenseite zurückzuführen sind. Soweit der Handel nicht gleichzeitig auf den Absatz-märkten mit intensivem Wettbewerb konfrontiert ist, werden zusätzlich die Konsumen-tenrenten reduziert510.

7.2.5.2 Gefahr einer Kartellbildung

Eine zusätzliche Gefahr bei Verringerung der Anzahl möglicher Abnehmer besteht im wesentlichen darin, dass bei Koordination der Abnehmer ein sogenanntes Nachfrage-kartell gebildet werden kann511. Dieses Nachfragekartell zielt zunächst durch Verringe-rung der nachgefragten Menge auf die Senkung der Einkaufspreise. Die durch das

507 Vgl. dazu auch SCHULZE, S. 16 ff.

508 Vgl. dazu ausführlich Marktstrukturmodelle (Bilaterales Monopol, Monemporist, Monopsonist etc.) z.B. in:

DOBSON CONSULTING 1999, S. 10 ff.; MARTIN 2001, S. 23 ff.

509 Vgl. dazu Ausführungen Aiginger/Wieser/Wüger 1999, S. 33 ff.

510 Vgl. AIGINGER/WIESER/WÜGER 1999, S. 33 ff.

511 Vgl. OLBRICH 1998, S. 477

Nachfragekartell initiierte Reduktion der nachgefragten Menge wird auf dem Absatz-markt zu Preiserhöhungen gemäß den gegebenen Elastizitäten führen. Durch oligopo-listisches Parallelverhalten kann es somit dem Handel gelingen, Konsumentenrenten abzuschöpfen, die nicht an die Hersteller weitergegeben werden. Allerdings wird die Stabilität eines solchen Kartells angezweifelt512. Für Außenseiter oder Kartellmitglieder kann es in dieser Situationen vorteilhaft sein, offen oder heimlich zusätzliche Mengen zu geringfügig höheren Preisen zu kaufen. Ein solches Vorgehen wird den Marktanteil dieses Unternehmens auf der Bezugs- und Abnehmerseite erhöhen und ist zumindest kurzfristig auch profitabel513. Die Wahrscheinlichkeit eines abgestimmten Kartellverhaltens nimmt mit Abnahme der unabhängigen Handelsunternehmen zu.

Festzuhalten bleibt, dass eine präventive Fusionskontrolle somit nur mit einer begleitenden Missbrauchsaufsicht einen fairen Wettbewerb garantieren kann514.

7.2.6 Praktische Auswirkungen und Indikatoren von Nachfragemacht

WEINDELMAIER und FLORIOT stellten bei ihrem Vergleich des deutschen mit dem französi-schen LEH fest, dass niedrigere Einkaufspreise eine entscheidende Wettbewerbsstra-tegie darstellen, so dass der LEH seine Machtposition zur Durchsetzung immer niedri-gerer Einstandspreise bzw. zur ständigen Forderung nach Konditionenverbesserung ausnutzt515. Andere Autoren beschreiben die Entwicklung als Bestreben, im Nachfra-gewettbewerb den Einkauf auf weniger Lieferanten mit möglichst umfassendem Pro-duktprogramm oder auf eine geringere Artikelzahl zu konzentrieren. „Dies lässt den Konditionendruck auf die wenigen innovativen, von Auslistung bedrohten Herstellern grundsätzlich in dem Maße anwachsen, wie der Handel ansonsten Rationalisierungspo-tentiale erschließen könnte. Sie dürften durch Konditionenzugeständnisse zwar i.d.R.

ihre Listung sichern, aber auch in erheblichem Maß den im horizontalen Wettbewerb der Lieferstruktur erzeugten Innovations- und Rationalisierungsdruck bezahlen“516. In der Praxis treten Marktmachtphänomene nur in den seltensten Fällen direkt in Form niedrigerer Preisforderungen gegenüber den Herstellern auf517. Vielmehr sind es indi-rekte Maßnahmen, die sich letztendlich auch auf die Produktpreise auswirken, jedoch nicht unmittelbar einem Produkt zugeordnet werden können. Vor allem sind es

512 Dazu APPEL 1992, S. 143

513 Vgl. dazu auch Kapitel 4.1.3

514 Vgl. AIGINGER/WIESER/WÜGER 1999, S. 52 und S. 187

515 Vgl. WEINDLMAIER/FLORIOT 2001, S. 143

516 Vgl. LADEMANN 1996, S. 26

517 Vgl. HERMES 1988, S. 9

tionen, die zu einem Spiegelbild der Wettbewerbsverhältnisse zwischen einem Anbie-ter und seinem Abnehmer führen518.

Dabei können bei einzelnen Produkten beachtliche absolute Beträge beobachtet wer-den (vgl. Abbildung 33):

Abbildung 33: Bedeutung von Rabatten und Konditionen

Anm.: Listen-, Rechnungs- und tatsächlich erzielter Preis entspricht dem Endverbraucherpreis Quelle: BENDL 2000, S. 218

BENDL führte in seiner Studie eine Umfrage zur Höhe und praktischen Gestaltung von Konditionsvereinbarungen durch. Unter anderem prüfte er die Hypothese, ob die Höhe der Konditionenvergütung durch den Grad der Abhängigkeit eines Herstellers von sei-nen Handelskunden beeinflusst wird. Stark abhängige Hersteller müssten somit höhe-re Konditionen gewähhöhe-ren519. Er kommt in seiner Untersuchung zu folgenden Ergebnis-sen (vgl. Tabelle 26 und Tabelle 27).

518 Vgl. BENDL 2000, S. 25

519 Vgl. BENDL 2000, S. 50

Tabelle 26: Verteilung nach Branchen

Fleischverarbeitung 11 7,05% 5-10% 0-5% 10-15%

Herstellung und

Tabelle 27: Verteilung nach Umsatzkonzentration und horizontaler Marktposition 80% der Herstellerumsätze

werden erzielt mit... Anzahl der Nenn-

ungen Durchschnittliche

BENDL zog aus seinen Untersuchungen folgenden Schluss: Obwohl von Industrie und Handel der Wunsch nach fairen und leistungsbezogenen Konditionssystemen vorgetra-gen wird, sind die Konditionsverhandlunvorgetra-gen in der Praxis nach wie vor durch eine op-portunistische Verhaltensweise der Verhandlungsparteien geprägt, die vorrangig an der Höhe der gewährten Konditionen ausgerichtet ist. Die Hersteller versuchen, für eine Handlungsleistung möglichst geringe Konditionen zu vergüten bzw. für eine Kon-dition eine maximale Gegenleistung zu erhalten, wohingegen die Handelsunternehmen bestrebt sind, immer mehr Konditionen bei möglichst geringer Gegenleistung zu ver-einnahmen. Als Bestimmungsfaktor der Konditionenhöhe wird vor allem die Machtposi-tion des Handels gegenüber den Herstellern angeführt und nicht die betriebswirtschaftlich begründete und an der optimalen Gestaltung der Wertschöpfung ausgerichtete Festlegung der Vergütungshöhen und –staffeln520.

Die verschiedenen Konditionsforderungen führen generell bei einem Vergleich ver-schiedener Leistungen zu einer mangelnden Transparenz. Hinzu kommt, dass es sich

520 Vgl. BENDL 2000, S. 149

um sehr „sensible“ Daten handelt und somit der Zugriff erschwert ist521. Trotz Beste-hen eines sogenannten „Geheimwettbewerbs“ kam HERMES zu dem Fazit, dass Konditi-onen des Handels zumindest mittelfristig innerhalb der jeweiligen Branche bekannt werden522. HERMES vertrat die These, dass somit von Verkaufspreisen auf Einkaufsprei-se in der Regel rückgeschlosEinkaufsprei-sen werden kann523.

Marktanteile als alleiniger Indikator zur Beurteilung der Machtverhältnisse scheinen wenig aussagefähig. Als eines der Hauptprobleme beim Vergleich der Marktanteile ist die Abgrenzung des relevanten Marktes zu nennen. Der Marktanteil sagt keineswegs etwas über das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Hersteller und Handel aus, denn die Ausweichmöglichkeiten beider Seiten bleiben unberücksichtigt524. Ebenso bleiben dy-namische Effekte, räumlich unterschiedliche Zugänglichkeiten sowie potentieller Wett-bewerb unberücksichtigt, und es kann daher bei isolierter Betrachtung des aktuellen Marktanteils zu Fehlschlüssen kommen.

Nicht der Marktanteil, sondern vielmehr der Bezugsanteil kann dagegen als ein geeig-neter Indikator zur Beschreibung der geschilderten Relationen dienen525. Ein hoher Bezugsanteil von einem Hersteller ermöglicht einer Handelsorganisation die Ausübung von Druck auf Preise und Konditionen. Je höher der Bezugsanteil eines Abnehmers ist, desto schwieriger und kostenintensiver wird es für einen Hersteller, Absatzmengen, die bei einem Abbruch der Geschäftsbeziehungen verloren gehen, bei anderen Ab-nehmern auszugleichen526. Der in der Regel steigende Bezugsanteil der Abnehmer von Handelsmarken und die mit der Produktion von Handelsmarken verbundenen spezifi-schen Transaktionskosten erhöhen somit die Abhängigkeit der Hersteller von einzelnen Abnehmern527.

GRACIA und ALBISU528 versuchten anhand des Anteils von Handelsmarken (vgl. zur Be-deutung in Europa Abbildung 34) bzw. Herstellermarken am Gesamtsortiment des Handelsunternehmens, die Marktmachtbeziehungen abzuleiten.

521 Vgl. BENDL 2000, S. 194 erklärt damit die niedrige Rücklaufquote seiner Befragung.

522 Vgl. HERMES 1988, S. 11

523 Vgl. HERMES 1988, S. 12

524 Vgl. LADEMANN 1986, S. 80

525 Vgl. BENDL 2000, S. 192

526 Vgl. BÖGER 1990, S. 130

527 Vgl. SCHULZE 1998, S. 56

528 GRACIA/ALBISU 2001, S. 467 ff.

Abbildung 34: Bedeutung von Handelsmarken in Europa 1999

G B C H B

FN L D NE S S A UIR L I C SG R

0 1 0 2 0 3 0 4 0 5 0

Land

A n t e il in %

Quelle: AC NIELSEN 2001

Da sich auch im Zeitverlauf eine Verschiebung zugunsten der Handelsmarken abzeich-net, folgern die Autoren, dass sich Marktmacht tendenziell von den Herstellern zu den Handelsunternehmen verlagert529. Die Kritik an diesem Ansatz ergibt sich zum Teil bereits aus den vorigen Ausführungen dieses Kapitels (vgl. Kapitel 7.2.4.2). Ein we-sentlicher Aspekt besteht darin, dass der Handel ein hohes Maß an Beschaffungssi-cherheit sowie kontinuierliche Sortimentsstrukturen zu gewährleisten versucht, um allein aus Gründen der Imagepflege und der ausgeprägten Markenbindung der Kon-sumenten, eine Einkaufsstättentreue zu erreichen. Somit sind Produkte bestimmter Hersteller nicht ohne weiteres durch Produkte anderer Hersteller bzw. andere Produkt-gruppen zu ersetzen. Außerdem wird die Produktion von Handelsmarken von vielen Herstellern als eine Chance zur Auslastung ihrer Produktionskapazitäten und zur Schaffung neuer Absatzpotentiale genutzt.

Vielversprechender erscheint der Ansatz LADEMANNs zu sein, in welchem er die Fluktua-tion von Herstellern näher untersucht530. Leider fehlt es hier noch an detaillierten Kenntnissen, so dass der durchschnittliche Wert von ca. 2-3 % beim Austausch der Lieferbeziehungen für spezifische Produkte nur geringe Aussagekraft besitzt.

Weiterer Betrachtung bedarf es bei der Gestaltung der Absatzkanäle. Zwar nimmt un-bestritten der klassische Lebensmitteleinzelhandel eine dominierende Form beim

529 Vgl. GRACIA/ALBISU 2001, S. 482; AIGINGER/WIESER/WÜGER 1999, S. 81 ff.

530 Vgl. LADEMANN 1996, S. 32; LADEMANN 2001, S. 44

ributionsweg ein, dennoch gibt es für spezifische Produkte alternative Absatzmöglich-keiten. Für jedes einzelne Produkt müssen also individuelle Ausweichmöglichkeiten und deren Wechselkosten und Potentiale ermittelt werden, damit sich ein Abbild des möglichen Machtspielraums eines Abnehmers machen lässt. Für Lebensmittel können mehrere Vertriebsformen miteinander konkurrieren (Abbildung 35).

Abbildung 35: Vertriebsform von Lebensmitteln

G e sam tve rsor gu ng

Das Machtpotential der nachgelagerten Stufe wird demnach nicht nur von den Markteintritts- und -austrittskosten innerhalb einer Vertriebsform sondern auch durch die (potentiellen) Wechselkosten unterschiedlicher Absatzkanäle bestimmt.