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6 BEURTEILUNG AUSGEWÄHLTER FUSIONEN IN DER

6.2 Zusammenschlussbeurteilung ausgewählter Fälle durch die Wettbewerbsbehörden

6.2.1.3 Südzucker/Saint Louis Sucre (2001)

Die zwei soeben genannten Unternehmenszusammenschlüsse aus der Zuckerindustrie wurden von der deutschen Kartellbehörde - dem Bundeskartellamt - überprüft. Der folgende Fall wurde von der Europäischen Kommission – Generaldirektion Wettbewerb - in Brüssel beurteilt. Es handelt sich um die geplante Fusion zwischen dem französi-schen Zuckerproduzenten Saint Louis Sucre und der deutfranzösi-schen Südzucker AG. Da die Umsatzschwellen bei diesem grenzübergreifenden Zusammenschluss überschritten wurden, ist die Kommission die zuständige Beurteilungsbehörde, wobei in der prakti-schen Vorgehensweise die betroffenen nationalen Kartellbehörden zur Informations- und Entscheidungsgrundlage beitragen. Am 20. Juli 2001 wurde das entsprechende Vorhaben angemeldet. Es handelt sich um folgende Parteien:

351 Vgl. BUNDESKARTELLAMT 2002, B2 – 31/02, „Nordzucker/Union-Zucker“, S. 34

352 Vgl. BUNDESKARTELLAMT 2002, B2 – 31/02, „Nordzucker/Union-Zucker“, S. 35

353 BGH WuW/E DE-R 24, 28 „Stromversorgung Aggertal“

354 Vgl. BUNDESKARTELLAMT 2002, B2 – 31/02, „Nordzucker/Union-Zucker“, S. 31

a) Die Südzucker AG gehört zu den weltweit größten Zuckerherstellern und produziert neben Zuckerprodukten Süßungsmittel, Lebensmittelzusatzstoffe, Stärke, Melasse, landwirtschaftliche Produkte, Speiseeis355 und Tiefkühlkost. Der Schwerpunkt der Akti-vitäten des Konzerns liegt in Deutschland, Belgien, Österreich sowie Mittel- und Osteu-ropa. Die Konzernbeteiligungen erstrecken sich auch auf die belgische Raffinerie Tir-lemontoise und die österreichische Agrana.

b) Saint Louis Sucre (SLS) ist der zweitgrößte französische und siebtgrößte europäi-sche Hersteller von Zucker. Daneben produziert die SLS Alkohol und handelt mit Me-lasse. Frankreich, Mittel- und Osteuropa gehören zu den Produktionsgebieten. Über eine Holdinggesellschaft ist die SLS zudem mit 13,8% am größten spanischen Zucker-produzenten „Ebro Puleva“ und mit 44,5% an dem französischen Zuckerproduzenen

„Sucrière Distellerie des Ouvré Fils“ beteiligt.

Da bei einem Zusammenschluss weltweit die Umsatzgrenze von 5 Mrd. Euro und ge-meinschaftsweit eine Umsatzgrenze von mehr als 250 Mio. € überschritten wird, fällt das Vorhaben unter die europäische Fusionskontrollverordnung (vgl. dazu Kapitel 5.2).

Aus den Anmeldungsunterlagen geht hervor, dass sich das Zusammenschlussvorhaben geopraphisch auf Deutschland, Belgien und Frankreich auswirkt, wobei die Effekte auf die Zuckermärkte in Süddeutschland und Belgien zu wettbewerbsbedenklichen Kons-tellationen führen würden356. Der sachlich relevante Markt bezieht sich nach Angaben der Unternehmen auf Industrie- und Haushaltszucker sowie auf die Lieferung von Zu-cker für Handelsmarken. Die Unterteilung der zwei zuerst erwähnten sachlichen Märk-te führt zu keinen weiMärk-teren Bedenken, da bereits älMärk-tere Entscheidungen eine ähnliche Unterteilung vornahmen357. Die Unterteilung in Handelsmarken ist dagegen unbe-kannt. Dennoch handelt es sich nach Ansicht der Behörden358 um einen getrennten Markt, da ein Handelsunternehmen Qualität, Marketing und andere Spezifika selbst bestimmen und somit unabhängig von den Interessen der Hersteller agieren kann.

Kundenkriterien beziehen sich lediglich auf Preis, Qualität, freie Kapazitäten sowie Lie-ferzuverlässigkeit359. In diesem Fall findet also keine Betrachtung aus Sicht des End-kunden (Verbraucher), sondern des Bezugsunternehmens statt. Uneinigkeit dagegen

355 Seit 01.10.2001 nicht mehr im Konzernportfolio

356 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 4, Rdnr. 12

357 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Entscheidung 97/624/EG vom 14. Mai 1997 in der Sache IV/F-3/M.34.621 - Irish Sugar u.a., ABl. L 258 vom 22.9.1997, S. 1 (Rn. 90) und EU-KOMMISSION, Entscheidung

1999/210/EG vom 14. Oktober 1998 in der Sache IV/F-3/33.708 - British Sugar u.a., ABl. L 76 vom 22.3.1999, S. 1 (Rn. 59)

358 Nach einer eigenen Marktuntersuchung

359 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 6

herrscht in der räumlichen Abgrenzung des relevanten Marktes. So tragen die Vertre-ter der UnVertre-ternehmen vor, dass die Märkte entweder national oder gar europaweit ab-zugrenzen wären. Die Kartellbehörde ist teilweise einer anderen Auffassung. Zwar treffe eine nationale Marktabgrenzung für Staaten wie z.B. Frankreich zu, da die Zu-ckerunternehmen innerhalb Frankreichs keine geographische Gebietsaufteilung auf-weisen360, im Falle Deutschlands könne allerdings maximal der süddeutsche Raum als relevanter Markt angenommen werden, da Marktuntersuchungen von Kunden und Wettbewerbern die regionale Aufteilung bestätigten361. Nachdem zunächst auch der Handelsmarkenzucker regional abgegrenzt werden sollte, konnten die Unternehmen die Kartellbehörden davon überzeugen, dass dieser Markt weitläufiger abgegrenzt werden müsste. Da nur wenige europäische marktmächtige Großkunden Handelsmar-ken nachfragen und auch die Marktuntersuchung keine einheitlichen Ergebnisse liefer-te, wird für dieses Marktsegment eine größere Marktabgrenzung offen gehalten362. Eine Marktuntersuchung ergibt, dass insgesamt der Wettbewerb durch die ZMO äu-ßerst eingeschränkt ist. Ferner stellt sich heraus, dass die Marktpreise 10-20% über den EU-Interventionspreisen liegen363. Europaweit würde die Südzucker ihren Anteil an der europäischen Höchstquote von 16,4 auf 21,5% erhöhen können. Am Absatzmarkt würden folgende Marktanteile (Tabelle 21) in den jeweiligen Gebieten entstehen:

Tabelle 21: Marktstruktur des Zuckermarktes in Europa Sachlich

rele-vanter Markt Räumlich

rele-vanter Markt Mengen

(in 1000 t) Südzucker SLS Wettbewerber 1 Wettbewerber 2 Industrie-

zucker

Frankreich 1660 0-10% 10-20% 20-30%

(Beghin-Say)

360 Die Zuckerproduktionsstätten befinden sich im wesentlichen im Norden und Nordosten des Landes.

361 Offiziell wird das mit den steigenden Transportkosten bei zunehmender Entfernung begründet.

362 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 10 f.

363 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 14

Tabelle 21 (Fortsetzung) Sachlich

rele-vanter Markt Räumlich

rele-vanter Markt Mengen

(in 1000 t) Südzucker SLS Wettbewerber 1 Wettbewerber 2 Haushalts-

Deutschland 152 15-25% 5-15% 40-50%

(Nordzucker

20-30%

(Pfeifer) Quelle: EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 16

Danach kommt es hauptsächlich in Belgien und Süddeutschland für Industrie- und Haushaltszuckermärkte zu wettbewerbsrechtlich bedenklichen Konzentrationsgraden.

Die Marktuntersuchung hat ergeben, dass kaum Anreize für andere Unternehmen be-stehen, das jeweilige traditionelle Absatzgebiet zu verlassen, da sich die Konkurrenten unmittelbar der Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sehen. Solche Vergel-tungsmaßnahmen sind in der Zuckerindustrie besonders leicht möglich, weil es sich bei Zucker um ein homogenes Massenprodukt handelt und die Märkte angesichts der bestehenden Produktionsquoten und Interventionspreise transparent sind364. Daher ist die Kommission zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Südzucker bereits zuvor in Süddeutschland in einer Position befand, die es ihr erlaubte sich gegenüber Abneh-mern, Wettbewerbern und letztendlich Verbrauchern unabhängig zu verhalten365. Ähn-liches gilt für den belgischen Markt.

Im weiteren geht es um die Klärung der Frage, ob eine marktbeherrschende Stellung verstärkt wird. Dabei führen nach Auffassung der Kommission folgende drei Faktoren zu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung bei Südzucker366:

- Erstens würde der Zusammenschluss zu einer entscheidenden Verringerung von potentiellem Wettbewerb für den süddeutschen und belgischen Markt füh-ren;

364 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 18

365 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 18, Rdnr. 69

366 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 20, Rdnr. 79

- zweitens würde ein bisher kaum vorhandenes Vergeltungspotenzial geschaffen, durch das sich die Südzucker insbesondere in Süddeutschland und Belgien bes-ser gegen ausländischen Wettbewerb schützen könnte. Der Konzern hätte fort-an die Möglichkeit, effektiv Vergeltungsmaßnahmen auf dem frfort-anzösischen Zu-ckermarkt durchzuführen und so etwaige französische Wettbewerber vom Vor-dringen auf den süddeutschen und belgischen Markt abzuschrecken;

- schließlich würde der Zusammenschluss Südzucker im Vergleich zu seinen Hauptwettbewerbern erlauben, industrielle Großkunden über nationale Grenzen hinweg im Wege „europäischer Deals“ mit Zucker zu versorgen.

Um die Bedenken der Wettbewerbsbehörde im Hinblick auf die süddeutschen und bel-gischen Zuckermärkte auszuräumen, hat die Südzucker die folgenden Zugeständnisse gemacht367:

Südzucker verpflichtet sich, seine 68 % Beteiligung an der belgischen Zuckerfabrik Veurne zu veräußern368. In Süddeutschland verpflichtet sich die Südzucker ferner, ei-nem unabhängigen Zuckerhandelsunternehmen 90.000 t Quotenzucker pro Jahr aus ihren Zuckerfabriken zur Verfügung zu stellen, wobei bei den Lieferbedingungen vom Interventionspreis ausgegangen wird. Die Wettbewerbsbehörde begrüßt die Zusagen und wertet diese als ausreichend369. Ein durchgeführter Markttest370 bestätigte diese Einschätzung. Für den belgischen Markt wären demnach 10% des gesamten Marktvo-lumens und mehr als 10% des IndustriezuckermarktvoMarktvo-lumens Belgiens für Wettbe-werber verfügbar. Darin sieht die Behörde eine ausreichende Stärkung der belgischen Zuckerindustrie und einen hinreichenden Ausgleich für den Wegfall von SLS371. Für den süddeutschen Raum würde die Kommission eine ähnliche Zusage (Veräußerung einer Fabrik) gegenüber einer Mengenabgabe favorisieren. Unter den besonderen Um-ständen hätte allerdings in Süddeutschland – im Gegensatz zu Belgien – der Verkauf einer Zuckerfabrik keinen hinreichenden Erfolg gebracht. Speziell handelt es sich um Bedenken bei der Bereitschaft der betroffenen Landwirte, die zugleich als Anteilseigner der Südzucker fungieren. Darüber hinaus kündigte das deutsche

367 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 36 Rdnr. 151 und 152. Die zuvor vorgeschlagene Zusage der Südzucker, sich von der spanischen Beteiligung trennen zu wollen, wurde zurückgezogen, nachdem die Kommission herausstellte, dass eine Genehmigung des Zu-sammenschlusses nicht von der Beteiligung an der Ebro Puleva abhänge.

368 Veurne: Höchstquote ca. 60000 t

369 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 37

370 Als Markttest wird in diesem Falle eine Kunden- und Konkurrenzbefragung im Hauptprüfverfahren be-zeichnet. In anderen Fällen kann der Markttest auch ökonometrische Untersuchungen beinhalten.

371 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 37, Rdnr. 156

terium an, dass es keinen Quotenübertragungen zustimmen werde, die nicht im Sinne der betroffenen Landwirte vollzogen würden372. Aus Sicht der Produktionsstruktur er-gäben sich außerdem keine Verbesserungen, da im Gegensatz zu Belgien eine hohe Spezialisierung einzelner Fabriken in Süddeutschland vorhanden ist und eine Heraus-lösung einzelner Fabriken aus dem Strukturverbund gesamtwirtschaftlich eher nachtei-lig wäre. Aus diesen Gründen tritt die Kommission von der Veräußerungsauflage ab und akzeptiert die von der Südzucker vorgeschlagene Lösung. Die Abgabe von 90.000 t Zucker entspricht ca. 8% des gesamten Marktvolumens in Süddeutschland und mehr als 10% des Volumens auf dem süddeutschen Markt für Industriezucker. Somit ist die Zusage im Verhältnis vergleichbar mit den „belgischen“ Zusagen. Da eine erhebliche Differenz zwischen Bezugspreis und Marktpreis (vgl. dazu Kapitel 8.1.5.1) für den Zu-ckerhändler existiert ist, besteht die Möglichkeit, den derzeitigen Marktpreis in Süd-deutschland zu unterbieten und somit für zusätzliche Wettbewerbsimpulse im süd-deutschen Gebiet zu sorgen373. Die Auswirkungen dieser Auflage erbringt letztendlich nach Ansicht der Kommission den gleichen Effekt wie bei einer Veräußerung einer Fab-rik374. Eine derartige Zusage sei ein hinreichender Ausgleich für den Wegfall der SLS am süddeutschen Markt. Anhand der geschilderten Zusagen ist somit die Kommission der Ansicht, dass der geplante Zusammenschluss weder zu einer Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem süddeutschen noch dem belgischen Markt füh-ren wird.

6.2.1.3.1 Zwischenergebnis

Es bleibt festzuhalten, dass die europäische Vorgehensweise hinsichtlich Wettbewerbs-recht mit der deutschen korrespondiert. Interessanterweise finden politische Argu-mente Berücksichtigung. Im allgemeinen kann herausgestellt werden, dass Rechtsvor-schriften lediglich den groben Rahmen vorgeben. Die individuelle Entscheidung hängt offensichtlich von den Einschätzungen der jeweiligen Beschlussabteilung, aber auch vom Verhandlungsgeschick der Vertragspartner ab.

372 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 39, Rdnr. 166

373 Der Händler hat darüber hinaus das Recht unterschiedliche Qualitäten und von jedem süddeutschen Standort aus Zucker von der Südzucker zu beziehen.

374 Vgl. EUROPÄISCHE-KOMMISSION, Fall Nr. COMP/M.2530 - Südzucker/Saint Louis Sucre, S. 41, Rdnr. 176

6.2.2 Milchindustrie

Im Bereich der Milchwirtschaft regten die Entstehung der „neuen Nordmilch“ mit den anschließenden Käufen, die kontinuierliche Vergrößerung der Humana, der Zusam-menschluss von Tuffi-Campina-Emzett und seit 2001 der ZusamZusam-menschluss der Hochwald-Eiffelperle die Diskussion in Deutschland an. Gemessen am Gesamtumsatz waren nach Berechnungen der RABOBANK im Jahr 2000 schon 45% der Akteure inner-halb der Branche an Unternehmenskäufen und -zusammenschlüssen beteiligt, wäh-rend die Quote zwei Jahre zuvor erst 13% betrug375. Insgesamt ist die Zahl der Milch-verarbeiter in Deutschland auf 250 Unternehmen zurückgegangen (vgl. Kapitel 2.6).

Die zunehmende Konzentration lässt sich auch an der verarbeiteten Milchmenge able-sen: Im Jahr 2000 erreichten die 5 Top Unternehmen einen Anteil von ca. 40% an der verarbeiteten Milchmenge. Allein an dieser Kennziffer wird offensichtlich, welchen Um-strukturierungsprozess die Milchbranche hinter sich und auch weiterhin vor sich hat.

Dabei stellt auch der Wissenschaftliche Beirat die Frage, inwieweit die Molkereistruktur mit der Handhabung des Kartellrechtes in Deutschland im Zusammenhang steht376.