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6 BEURTEILUNG AUSGEWÄHLTER FUSIONEN IN DER

6.2 Zusammenschlussbeurteilung ausgewählter Fälle durch die Wettbewerbsbehörden

6.2.1.1 Nordzucker AG (1997)

Ebenso wie bei der Milchindustrie nimmt die Zahl der Zuckerfabrikgesellschaften in der EU weiterhin ab. Die fünf größten Rübenzucker erzeugenden Unternehmen produzie-ren heute ca. 58 % des EU-Rübenzuckers (vgl. Kapitel 2.5). In den Jahproduzie-ren 1996/97 verhandelten die vier norddeutschen Zuckerunternehmen Zuckerverband Nord AG (ZVN), Zucker-AG Uelzen-Braunschweig (ZAG), Union-Zucker Südhannover GmbH und die Zuckerfabrik Harsum AG über eine mögliche Fusion, um dadurch zu der neuen Nordzucker AG zu verschmelzen326. Bis auf die der Harsum AG stimmten die Gesell-schafter diesen Plänen zu, so dass das Vorhaben beim Bundeskartellamt (§ 39 GWB) angezeigt werden konnte. Das Bundeskartellamt erklärte am 14. November 1997, dass es dem Fusionsvorhaben nicht zustimmen würde, da durch den schluss eine marktbeherrschende Stellung erreicht werden würde. Einem Zusammen-schluss unter den drei verbleibenden Unternehmen würde nur zugestimmt, wenn diese insgesamt 100.000 t Weißzuckerquote an Konkurrenzunternehmen abgäben. Von die-ser Auflage abgeschreckt, trat die Union-Zucker von dem Fusionsvorhaben zurück.

Eine Fusion zwischen der verbleibenden ZVN und der Zucker AG Uelzen-Braunschweig wurde durch das Bundeskartellamt ohne weitere Auflagen genehmigt327.

6.2.1.1.1 Motive der Fusion

Bevor Argumentation und Vorgehensweise des Bundeskartellamtes vorgestellt werden, sollen zunächst Motive von Seiten der Zusammenschlusspartner illustriert werden (in Ergänzung mit Kapitel 6.1). Folgende Kennzahlen prägten die unabhängigen Unter-nehmen vor der Fusion (Tabelle 19):

326 Vgl. ZUCKERINDUSTRIE 47 (1997) 8, S. 666

327 Vgl. ZUCKERINDUSTRIE 48 (1998) 1, S. 49

Tabelle 19: Kennzahlen der Zusammenschlusspartner 1996/97

ZVN ZAG Union-Zucker Harsum

Bruttoumsatz (Mio. DM) 1145 588 173 23

Werke 7 4 1 1

Stamm-Mitarbeiter 1148 677 213 39

Aktionäre/Gesellschafter 12884 8111 2015 291

Anbaufläche (ha/Jahr) 98600 68300 15200 2146

Rübenverarbeitung (1000 t) 4655 3126 752 110

Tagesverarbeitung (t/Tag) 56000 38000 9300 1800

Zuckererzeugung (t/Jahr) 762000 486000 121000 17363

EU-Höchstquote (t/Jahr) 639105 410543 101383 15245

Quelle: NIEDERHUT-BOLLMANN/SCHRADER 2001, S. 11

Die Argumente der Fusionsbefürworter bewegten sich in erster Linie dahingehend, den gestiegenen Anforderungen der Nachfrageseite gerecht zu werden. Die zunehmende Europäisierung im LEH erfordere ebenfalls eine Präsenz am europäischen Markt. Nur dann könnten Ergebnisverbesserungen durch eine Zusammenlegung des Einkaufs und die Erzielung höherer Rabatte realisiert werden328. Eine Liberalisierung des Welthan-dels und Öffnung der europäischen Märkte würde ferner das zukünftige Wettbewerbs-geschehen am Zuckermarkt bestimmen. Ziel sei es daher, bereits zuvor alle möglichen Einsparungspotentiale zu mobilisieren329. Möglich wäre dies durch330:

- den Abbau von Überkapazitäten,

- die Konzentration der Zuckersortenproduktion auf geeignete marktnahe Stand-orte,

- die Steigerung der Produktivität in allen Werken,

- die Zusammenlegung der vier Verwaltungen unter Einbindung der Vertriebsge-sellschaft,

- die Verbesserung der Rübenlogistik,

- die Zusammenfassung und den Ausbau der Forschungs- und Entwicklungsakti-vitäten.

328 Vgl. ZVN 1995/96, S. 61

329 Vgl. ZVN 1995/96, S. 62 ff.

330 Vgl. ZVN 1995/96, S. 66 f.

Monetär wurden Synergieeffekte der beiden Zusammenschlusspartner von jährlich 25 Mio. € pro Jahr geschätzt331.

6.2.1.1.2 Prüfung durch das Bundeskartellamt

Aus Geheimhaltungsgründen werden im folgenden keine detaillierten Daten oder Na-men genannt. Dies scheint zur Verdeutlichung des Prinzips der Überprüfung auch nicht notwendig.

Im ersten Schritt reichte die Nordzucker AG, vertreten durch eine Kanzlei, alle not-wendigen Anträge ein und ergänzte diese um detaillierte Angaben über die Funktion der Zuckermarktordnung, Verarbeitungsmengen und –kapazitäten und weitere Kenn-zahlen der Beteiligten wie auch der Konkurrenzunternehmen in Deutschland (und z.T.

in Europa). Hingewiesen wurde ferner auf eine sinkende Verarbeitungsspanne und den zunehmenden Kostendruck durch höhere Inputpreise (Arbeit, Bau, Umwelt), was einen Rationalisierungszwang hervorrufe. Ebenso wurden die größten Abnehmer mit den entsprechenden Absatzmengen benannt. Neben den oben angeführten produktions-technischen Vorteilen würde ein Zusammenschluss des weiteren die Herstellung von Produkten ermöglichen, die vorher nicht produziert wurden. Dies käme der zuneh-menden Forderung des Handels nach dem „Bezug aller Produkte aus einer Hand“

nach. Außerdem wurde auf die z.T. wettbewerbsfähigeren Konkurrenzunternehmen hingewiesen und das Argument des Erhalts einer norddeutschen Zuckerproduktion angeführt. Es wurde außerdem ein Vorschlag für die Abgrenzung des sachlich und geographisch relevanten Marktes unterbreitet sowie Position zu einer evtl. marktbe-herrschenden Stellung bezogen.

Nach Erhalt der Informationen begannen die Recherchen des Bundeskartellamtes.

Nachdem die Unterlagen auf ihre Richtigkeit geprüft wurden, erfolgte zunächst eine Unterrichtung der Konkurrenzunternehmen von dem Vorhaben. Diese bezogen nun Stellung zu einzelnen Punkten wie Abnehmerstruktur, Importe, Lieferantenentfernun-gen, Zuckersorten etc. und hatten die Möglichkeit, auch Einwände und mögliche Nachteilseinschätzungen zu äußern. Ebenso wurden Mengen- und Umsatzdaten der Konkurrenten erhoben und mit den Angaben der Nordzucker verglichen. Besondere Beachtung fanden ferner Zuckerabnehmer, die sich im „typischen“ Nordzuckerabnah-meterritorium befinden. Anhand von Postleitzahlengebieten wurde letztendlich der

331 Vgl. SOMMER 1998, S. 38

Marktanteil der fusionsbeteiligten Unternehmen für die Märkte Industrie-, Haushalts- und Flüssigzucker festgelegt.

Es herrschte im wesentlichen bei den darauf folgenden Gesprächen zwischen Kartell-behörde und Unternehmensvertretern Uneinigkeit über den relevanten Markt. Der vorgeschlagene Radius von 200 bis 300 km Umkreis vom Produktionsstandort wurde von Vertretern der Zuckerunternehmen abgelehnt, denn vor allem strategische Part-nerschaften mit multinationalen Abnehmerunternehmen erforderten eine nationale oder gar europäische Präsenz. Die Kartellbehörde kam jedoch aufgrund eines nahezu 100%igen Marktanteils in Schleswig-Holstein oder Hamburg zu dem Schluss, dass dem Vorhaben nur unter Abgabe von ca. 10% der Höchstquote oder Ausscheiden ei-nes Partners zugestimmt werden könne. Durch die ZMO sei der Wettbewerb in der Zuckerindustrie besonders stark eingeschränkt. Deshalb sei der Erhalt eines Restwett-bewerbes von außerordentlicher Wichtigkeit, um auch nach einer evtl. Beendigung der ZMO einem anderen Unternehmen Zugang zum norddeutschen Markt zu ermöglichen.

Nach Mitteilung der Bedenken wurden außer den Konkurrenten zusätzlich die größten Abnehmer über die Unternehmenspolitik der fusionierenden Konzerne und mögliche Auswirkungen eines Zusammenschlusses befragt, wobei bestätigt wurde, dass der Zuckermarkt sehr reglementiert war, Preise gar abgestimmt erschienen und sogar eine nationale Abgrenzung z.T. als unzureichend (zu groß) angesehen wurde.

Abschließend wurden weitere Argumente der Zuckerunternehmen geprüft, wie z.B.

mögliche Synergievorteile (Abwägungsklausel), Besitzverhältnisse an den Zuckerrü-benlieferrechte, und die Notwendigkeit einer Aufholfusion (Anschluss an Größenord-nungen wie beispielsweise der Südzucker AG) analysiert und z.T. mit Hilfe Dritter (Bundeslandwirtschaftsministerium) überprüft.

Die Argumente der Unternehmensvertreter konnten jedoch die Beschlussabteilung nicht davon überzeugen, dass insbesondere der Restwettbewerb innerhalb der ZMO besonders schützenswert wäre, und somit die oben genannten Auflagen zu erfüllen seien. Die Kartellbehörde stimmte dem Unternehmenszusammenschluss nach Aus-scheiden der Zuckerfabrik Harsum und der Union Zucker ohne weitere Auflagen zu.

6.2.1.1.2.1 Zwischenergebnis

Einige besonders interessante Punkte seien an dieser Stelle hervorgehoben: Der Be-schaffungsmarkt (Landwirte) spielte bei der Untersuchung nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Ebenso wurden Rechtsform oder die dahinterstehenden Besitz-verhältnisse nicht näher analysiert. Auf der Abnehmerseite wurde das in den Fragebö-gen ausgewertete Hauptmotiv der Nachfragemacht des LEH überhaupt nicht berück-sichtigt, da nach Aussage der Kartellbehördenmitarbeiter alle Zuckerunternehmen

gleichermaßen von der Konzentration des LEH betroffen seien. Eine Abwägung zwi-schen Synergievorteilen und Marktmachteffekten wurde nur geringfügig, basierend auf Einschätzungen von Konkurrenzunternehmen, vorgenommen. Wie exakt die Höhe der abzugebenden Quote (entspricht gleichzeitig der Höchstquote der Union-Zucker) bzw.

die Notwendigkeit des Ausscheidens eines Unternehmens ermittelt wurde, konnte nicht zufriedenstellend geklärt werden.