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7 BERÜCKSICHTIGUNG UND WERTUNG WICHTIGER KOMPONENTEN

7.2 Beurteilung von Nachfragemacht

7.2.1 Marktmacht im LEH: Problemstellung und Stand der Literatur

7.2.1.1 Problemstellung

Die Lebensmittelindustrie betrachtet die zunehmende Konzentration des LEH als ernsthafte Gefahr. Die überwiegend mittelständisch strukturierten Verarbeitungsbe-triebe sind der Nachfragemacht der großen Handelsunternehmen zunehmend ausge-setzt. Dies führt soweit, dass zum Teil kleinere Herstellerunternehmen in den Aus-weichmöglichkeiten akut eingeschränkt sind und sich somit der Verhandlungsstärke der Abnehmerseite erlegen fühlen466. In 2000 repräsentierten allein die Top 10-Handelsunternehmen einen Marktanteil von nahezu 84 Prozent. „Prognosen gehen für 2010 von einer weiteren Umsatzverdichtung aus, so dass der zuvor genannte Wert dann bereits von lediglich fünf maßgeblichen „Playern“ erzielt wird“, prognostiziert die Beratungsgesellschaft KPMG467. Laut einer Umfrage der KPMG International bei füh-renden Unternehmen der Ernährungsindustrie sehen 80 % der Befragten die größte Bedrohung für ihr Unternehmen in der zunehmenden Konzentration des Handels.

Der Handel dagegen verweist auf einen intensiven Wettbewerb, der durch niedrige Umsatzrenditen geprägt ist, und damit nur geringe Möglichkeiten zur Erzielung ab-normaler Renditen zulässt. Diesem Argument sollte jedoch nur eingeschränkt Auf-merksamkeit geschenkt werden, da die Umsatzrentabilität keinen geeigneten Indikator zur Messung der Wettbewerbsfähigkeit darstellt468. Abbildung 28 verdeutlicht das Ver-hältnis der Konzentration zwischen dem LEH und der Ernährungsindustrie in Europa:

464 Vgl. HEWITT 1998

465 Im Fall Kesko/Toko in Finnland bestand die Kommission sogar auf eine Entflechtung bereits fusionierter Unternehmensteile. Vgl. EU-KOMMISSION, Competition Letters1996 (2), S. 35; 1996 (3), S. 34; 1997 (1), S. 17; vgl. Untersuchung in Auftrag der EU-Kommission: DOBSON CONSULTING (1999)

466 Vgl. dazu DRESCHER 1999, S. 231 verweist auf Artikel, die diese These stützen.

467 Vgl. KPMG/EHI 2001, S. 18

468 Vgl. DRESCHER 1999, S. 231 und die dort zitierte Literatur

Abbildung 28: Unternehmenskonzentration – Ernährungsindustrie und Einzelhandel im Vergleich 1998

Anm.: Durchschnittliche Unternehmensgröße: Produktionswert pro Unternehmen in Mio. Euro Quelle: DEUTSCHE GENOSSENSCHAFTSBANK 2000, S. 59

7.2.1.2 Stand der Forschung

Die Preisgestaltung im LEH ist schon länger Gegenstand der wissenschaftlichen For-schung, sowohl vom positiven als auch normativen Standpunkt aus. Normative Stu-dien untersuchen in erster Linie die Preisgestaltung von einzelnen Produkten oder Pro-duktgruppen. Die meisten Untersuchungen greifen auf Modelle der Preisdiskriminie-rung zurück (BLATTBERG und NESLIN 1990; KIM et al. 1995) und unterstellen die Markt-form der monopolistischen Konkurrenz. Demnach kann der LEH bis zu einem gewissen Grad Marktmacht ausüben. Marktmacht begründet sich aufgrund steigender Suchkos-ten seiSuchkos-tens der Verbraucher oder infolge einer gewissen Bequemlichkeit (Beziehen aller Einkäufe aus einem Geschäft)469. Die positive Ökonomie befasst sich dagegen in erster Linie mit der Preisgestaltung bei unterschiedlichen Wettbewerbsverhältnissen und kann somit dem klassischen Gebiet der Industrieökonomik zugeordnet werden.

Umstritten ist dabei, ob es sich beim Lebensmitteleinzelhandel um ein Polypol, ein Oligopol oder gar um die Marktform der monopolistischen Konkurrenz handelt470. In Europa sind bisher nur sehr wenige empirische Studien zum Thema Angebotsmacht bzw. Nachfragemacht im Handel erschienen. Der überwiegende Teil der Arbeiten stammt aus den USA, wo aufgrund der langen Antitrust Tradition schon seit längerem

469 Vgl. DRESCHER 1999, s. 233 und die dort zitierte Literatur

470 Vgl. DRESCHER 1999, S. 233

anspruchsvolle Untersuchungen vorliegen und auch die entsprechende Datenbasis Rückschlüsse auf regionale Konzentrationsentwicklungen erlaubt471.

Die Arbeiten von MARION et al. (1979), LAMM (1981), COTTERILL (1986), MARION (1989), BRESNAHAN/REISS (1991) sowie BINKLEY/CONNOR (1995) zeigten durchweg einen (statis-tisch signifikant) positiven Zusammenhang zwischen Unternehmens- bzw. Verkaufs-stättenkonzentration und dem Preisniveau. Die Preisniveaudifferenzen waren dabei nicht nur auf Kostenunterschiede sondern eindeutig auch auf die aus steigender Kon-zentration resultierende höhere Marktmacht der Unternehmen zurückzuführen472. BLINKLEY und CONNOR (1998) zeigten, dass im Bereich von haltbaren Markenprodukten mit intensivem Verarbeitungsgrad eine hohe Konzentration der Hersteller mit erhöhten Preisen für die Endverbraucher einherging. Die Beobachtungen einiger Autoren über die Zusammenhänge von Konzentration und Profitabilität im europäischen Handel er-geben kein geschlossenes Bild. DRESCHER (1999) kam mit Hilfe eines Cournot-Ansatzes zu dem Schluss, dass bei Unterstellung einer quadratischen Konzentrationsfunktion des LEHs ab einem bestimmten Konzentrationsgrad das Preisniveau stieg473. In der jüngsten Studie untersuchten HERRMANN/MÖSER/WERNER (2002) Preissetzungs- und Verbraucherverhalten am Point-of-Sale und stellten insgesamt fest, dass das Verbrau-cherverhalten stark auf die Preispolitik reagierte. So konnte die allgemeine Aussage der agrarökonomischen Literatur, dass „die Preiselastizität der Nachfrage nach Nah-rungsmitteln im Absolutbeitrag niedrig ist“474, angezweifelt werden.

Aus den genannten Untersuchungen kann jedoch noch kein direkter Schluss auf die Aufteilung der Marktspannen und somit die Relation der Machtverhältnisse gezogen werden. Während auf Verbraucherebene die Einführung von Scannerdatensystemen erhebliche Transparenz erbrachte475, führt die mangelnde Verfügbarkeit von Herstel-lerabgabepreisen zu Unsicherheit über die unterschiedliche Aufteilung der Gewinnmar-gen und die strukturbedingten VerteilunGewinnmar-gen innerhalb des Absatzkanals. So kann die Aussage, es bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen Größe und Macht, bislang nicht verallgemeinert werden476.

Die Studien zur Nachfragemacht, in denen die Gegenmachthypothese überprüft wird und wonach Gegenmacht (countervailing power) die unerwünschten Wirkungen von

471 Vgl. AIGINGER/WIESER/WÜGER 1999, S. 187; DRESCHER 1999, S. 232

472 Vgl. AIGINGER/WIESER/WÜGER 1999, S. 161 ff.

473 Vgl. DRESCHER 1999

474 Vgl. HERRMANN/MÖSER/WERNER 2002, S. 99

475 Vgl. HERRMANN/MÖSER/WERNER 2002, S. 103

476 Vgl. OLBRICH 1998, S. 480

Marktmacht weitgehend neutralisiert, stammen ebenfalls weitgehend aus den USA.

Während ältere Arbeiten von LUSTGARTEN (1975), MARTIN (1982, 1983) oder WATERSON

(1980) die These bejahten, dass Konzentration der Nachfrager bzw. deren relative Größe die Gewinne der vorgelagerten Sektoren reduzierte, negiert die jüngere Litera-tur überwiegend diese Hypothese. FARRIS/AILAWADI (1992) kamen in ihrer Untersu-chung der Lebensmittelmärkte in den USA über den Zeitraum 1972 – 1990 zu dem Ergebnis, dass sowohl die Renditen der Händler als auch jene der größeren Hersteller tendenziell gestiegen sind, während die kleineren Hersteller Gewinneinbußen erlitten.

MESSINGER/NARASIMHAN (1995) wiederum stellten für die siebziger und achtziger Jahre keine Gewinnverschiebungen zwischen Händlern und Herstellern fest. Zuletzt verwar-fen CONNER et al. (1996) die These von der wohlfahrtserhöhenden Wirkung von Ge-genmacht für die Lebensmittelmärkte in den USA.

In den neueren europäischen Untersuchungen werden die Erkenntnisse der amerikani-schen Forschung, wonach starke Markenhersteller von der zunehmenden Konzentrati-on im Lebensmitteleinzelhandel weniger betroffen sind - und damit die Gegenmacht-hypothese nicht zutrifft -, weitgehend bestätigt477. KAAS/GEGENMANTEL kommen anhand der Untersuchung von Auslistungsverlusten zu dem Resultat, dass der Handel auf-grund seiner systematischen Sortimentsstruktur einen Vorteil hat. Da die Verkaufsflä-che des Handels eine weniger spezifisVerkaufsflä-che Ressource ist als die Produktionsanlage und das immaterielle Markenkapital des Herstellers, kann daher insgesamt der Handel Aus-listungsverluste besser kompensieren als die Hersteller478 (vgl. Kapitel 7.2.4.2.1).

LADEMANN, HERMES, ROMEISER weisen jedoch darauf hin, dass tendenziell umsatzschwä-chere Hersteller der Marktmacht des Handels unterlegen sind, sich aber in individuel-len Situationen durchaus andere Hersteller-Handels-Relationen ergeben können. In den anschließenden Ausführungen werden Indikatoren und Auswirkungen von Nach-fragemacht näher beschrieben.