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7 BERÜCKSICHTIGUNG UND WERTUNG WICHTIGER KOMPONENTEN

7.1 Konzepte der Marktabgrenzung und ihre Problematik

7.1.4 Das Substitutionskonzept

Auf der Grundlage der Vorstellung, dass Produkte gemäß ihrer Eigenschaft der Befrie-digung von spezifischen Bedürfnissen miteinander konkurrieren, wird beim Substituti-onskonzept versucht, die Marktabgrenzung seitens der Nachfrage vorzunehmen. Dabei wird unterstellt, das gesamte Spektrum heterogener Güter lasse sich in verschiedene Bedarfsmärkte (ARNDT (1958); ABBOTT (1958)) aufteilen. Güter sind einem Bedarfs-markt zuzuordnen, wenn sie die gleichen Grundbedürfnisse befriedigen. Gleiche Grundbedürfnisse zu definieren bzw. empirisch zu ermitteln, ist jedoch problematisch.

Zur empirischen Beurteilung solcher Güter können

- Expertenbefragungen und demoskopische Umfragen (nach der sog. funktiona-len Austauschbarkeit) oder

- Beobachtungen tatsächlichen Nachfrageverhaltens (sog. reaktive Austausch-barkeit)

zugrundegelegt werden. Während bei Befragungen von Experten deren subjektive Wertungen nicht auszuschließen sind, erfordern Nachfragebeobachtungen, dass bei einzelnen Angeboten Parameteränderungen (z.B. Preisänderungen) durchgeführt wer-den, auf welche die Nachfrager reagieren. Wettbewerbsrelevante Märkte wären dann durch hohe Kreuzpreiselastizitäten der Nachfrage gekennzeichnet, schwache Kreuz-preiselastizitäten hingegen zeigen Marktgrenzen an404. Im günstigsten Fall ergeben

402 Vgl. LANCASTER 1971, S. 126

403 Dazu ausführlich mit Beispiel in BAUER 1989, S. 61 ff.

404 Vgl. HERDZINA 1999, S. 74

sich bei diesem Verfahren in der Kette der Substitute deutliche Substitutionslücken405, so dass sich einzelne Gütergruppen klar voneinander trennen lassen.

Bezüglich der geläufigen Marktabgrenzungskonzepte kann festgestellt werden, dass sie zunächst begriffliche Raster (Bedarfsmarkt, Substitutionslücken, Produktionsflexibi-lität, Angebotsraum) sowie Messkonzepte (Kreuzpreiselastizitäten von Nachfrage und Angebot) zur Ermittlung der Enge der Substitutionsbeziehungen liefern. Offen bleibt allerdings, ob Kreuzpreiselastizitäten überhaupt empirisch zu ermitteln sind. Des wei-teren ist die Frage, bei welchem Wert der Kreuzpreiselastizitäten die Marktgrenzen liegen, objektiv nicht zu beantworten406. Dennoch scheint aus ökonomischer Sicht das Konzept der Substitutionslücken einen brauchbaren Ansatz zu liefern. Daher wird im folgenden dieser Ansatz vertieft.

7.1.4.1 Substitutionslücken als Basis für die räumliche Marktabgrenzung

Innerhalb eines Marktes mit verteilten Angebots- und Nachfragestandorten können die Anbieter aufgrund unterschiedlich hoher Raumüberwindungskosten über unterschied-lich starke Wettbewerbspositionen verfügen. Der Markt endet an der Stelle, wo keine Substitutionsmöglichkeiten mehr vorliegen und umfasst dadurch alle Anbieter, die un-tereinander austauschbare Bezugsalternativen darstellen. Der auf diese Weise abge-grenzte Markt lässt sich von einem Monopolisten oder dem Kollektiv der vorhandenen Anbieter beherrschen, da für die Nachfrager keine Ausweichmöglichkeiten mehr be-stehen407. Unter Zugrundelegung einer Ansiedlung einer großen Zahl von Nachfragern und zweier räumlich getrennter Anbieter entlang einer Strecke lässt sich der Fall einer räumlichen Substitutionslücke wie folgt illustrieren408 (Abbildung 26).

405 Vgl. ROBINSON 1961, S. 4 ff.

406 Vgl. HERDZINA 1999, S. 76

407 Vgl. ROBINSON 1961, S. 4

408 In Anlehnung an KOTTMANN 2000, S. 34. Es wird ausschließlich der Preiswettbewerb berücksichtigt.

Abbildung 26: Substitutionslücke bei räumlich verteilten Marktteilnehmern

Preise, Transport-kosten

P

a

P

b

A S B

α tan (α) = f

Quelle: in Anlehnung an KOTTMANN 2000, S. 34

Der Preis am Ort der Nachfrage (Ortspreis Pe) ist eine Funktion des Ab-Werk-Preises an den Produktionsstandorten A oder B (Pa bzw. Pb) und der anteiligen Transportkos-ten für eine normierte Mengeneinheit des betrachteTransportkos-ten Gutes (f = Frachtsatz für eine normierte Mengeneinheit, e = geographische Entfernung zwischen Produktionsstand-ort und Ort der Nachfrage). Dabei wird die Abwesenheit sachlicher, zeitlicher und per-sönlicher Präferenzen unterstellt. Der Preis ist der entscheidende Wettbewerbsparame-ter.

Pe = P + fe

Unter der Voraussetzung, dass keine räumliche Preisdiskriminierung möglich ist, las-sen sich hieraus die Überschneidungen zwischen den individuellen Absatzgebieten her-leiten. Für den Ortspreis auf der Konkurrenzgrenze S gilt:

Pa + faea = Pb + fbeb

Ist der Ortspreis in S aus Sicht der Nachfrager prohibitiv hoch, gibt es an dieser Stelle eine räumliche Substitutionslücke. Die Nachfrager in S fragen weder bei Anbieter A noch bei Anbieter B nach. Es bestehen keine unmittelbaren Wettbewerbsbeziehungen zwischen den beiden Anbietern; ihre wechselseitige Kreuzpreiselastizität ist Null.

CHAMBERLIN entwickelte durch die Erweiterung dieses Grundmodells das Konzept der

„chain relationship“409. In diesem Konzept führen wettbewerbswirksame Überschnei-dungen zwischen räumlich benachbarten (Teil-)Märkten dazu, dass die Anbieter- und Nachfragerreaktionen zwischen jeweils benachbarten Märkten miteinander verkettet sind und Wettbewerbsbeziehungen nicht nur zwischen unmittelbaren Nachbarn, son-dern auch zwischen weiter entfernt liegenden Anbietern bestehen können. Abbildung 27 verdeutlicht diese Verkettung.

Abbildung 27: „Chain relationship“ bei räumlich verteilten Marktteilnehmern

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an KOTTMANN 2000, S. 35

Die Abbildung zeigt vier, in gleichen Distanzen angeordnete Anbieter (I, II, III, IV).

Die gleichmäßig verteilten Nachfrager (zwischen den Anbietern) werden durch A, B und C repräsentiert. Senkt Anbieter IV zunächst den Preis, wird Anbieter III ebenfalls reagieren, da beide Anbieter um Nachfrage von C konkurrieren. Durch die Verkettung der Absatzmärkte sind jedoch auch die Anbieter II und I von diesem Wettbewerbsvor-stoß betroffen. Zwischen den vier Anbietern besteht eine Reaktionsinterdependenz.

Auch wenn es gelingt, die Substitutionsbeziehungen der (Teil-)Märkte zu bestimmen, muss festgelegt werden, bis zu welchem Grad der Substitution ein Gut bzw. ein Anbie-ter als noch zum Markt zugehörig angesehen werden soll410.

409 Vgl. CHAMBERLIN 1950, S. 103 ff.

410 Vgl. KANTZENBACH/KRÜGER 1990, S. 475

7.1.4.2 Elastizitäten als Maß für Substitutionslücken

Um Abhängigkeitsbeziehungen und Verhaltensweisen verschiedener Akteure in der Wirtschaftswissenschaft demonstrieren zu können, werden häufig Elastizitätsmaße herangezogen. „Elastizitäten sind ein geeignetes Instrument zur Analyse wettbewerbli-cher Interdependenzen und bilden ein grundlegendes Konzept zur Abgrenzung rele-vanter Märkte“ (KOTTMANN 2000, S. 38). Tabelle 24 fasst die zur Beurteilung herange-zogenen Elastizitätsmaße zusammen.

Tabelle 24: Überblick verschiedener Elastizitätsmaße

Nachfragerverhalten: Eigenschaften:

ε ≡

Gibt an, um wieviel Prozent sich die bei An-bieter i nachgefragte Menge Xi bei einer pro-zentualen Änderung des Preises Pi ändert.

Kreuzpreiselastizität

ε

Gibt an, um wieviel Prozent sich die bei An-bieter j nachgefragte Menge Xj bei einer pro-zentualen Preisänderung durch Anbieter i ändert. Je höher der Wert der Kreuzpreis-elastizität ist, desto stärker reagiert die auf Anbieter j gerichtete Nachfrage auf Preisver-änderungen des Anbieters i.

ε

Gibt den Prozentsatz der auf Anbieter j ge-richteten Gesamtnachfrage an, die bei einer prozentualen Preisänderung durch i von j nach i übergeht oder von i nach j abwandert.

Anbieterverhalten: Eigenschaften:

ε

Gibt an, um wieviel Prozent sich die von An-bieter j angebotene Menge Yj bei einer pro-zentualen Preisänderung durch Anbieter i ändert. Je höher der Wert der Kreuzpreis-elastizität ist, desto stärker reagiert Anbieter j auf Preisveränderungen des Anbieters i.

Reaktionsverbundenheit der Anbieter in bezug auf Einsatz verschiedener

Gibt an, um wieviel Prozent sich der Einsatz des Wettbewerbsparameters P bei Anbieter j bei einer Variation des Parametereinsatzes durch Anbieter i verändert. Dabei wird unter-stellt, dass der Einsatz aller übrigen Wettbe-werbsparameter unverändert bleibt.

adX Gibt an, um wieviel Prozent j seinen Output ändert, wenn i eine Mengenänderung vor-nimmt (Reaktion)

Quelle: eigene Zusammenstellung auf Grundlage KOTTMANN 2000, S. 48

Obwohl Elastizitätsmaße theoretisch gute Indikatoren zur Abbildung von Wettbe-werbsbeziehungen darstellen, werden sie aufgrund zahlreicher konzeptioneller und empirischer Probleme bei der räumlichen Abgrenzung realer Märkte jedoch nur selten errechnet und sinnvoll interpretiert411. Außerdem steht bei partiellen Elastizitäten die ceteris-paribus-Annahme in der Kritik412. So beinhaltet ein Problem die Vernachlässi-gung des Nicht-Preis-Wettbewerbs. Instrumente der Unternehmenspolitik wie z.B.

Werbung, Sortiments- und Markenpolitik können eine funktionale Verknüpfung der Nachfragemenge mit diesen Aktionsparametern – und somit eine Änderung der Präfe-renzen – hervorrufen. Theoretisch könnte dieser Mangel durch die Bildung von Kreuzwerbe-, Kreuzverkaufsförderungselastizitäten etc. gemildert werden, die Opera-tionalisierung sämtlicher Instrumente der Unternehmenspolitik zur Berechnung von Kreuzelastizitäten scheint jedoch sehr aufwendig413. Ein weiterer Problembereich be-steht darin, dass faktisch eine Vorab-Marktabgrenzung vorgenommen werden muss, da die in die Untersuchung einbezogenen Produkte aus informationsökonomischen Gründen vorher bestimmt werden müssen. Bedingung dafür ist, dass die Produkte zuvor am Markt vorhanden sind (ex-post-Maß). In einigen Fällen kann die Substituier-barkeit zweier Güter aus Nachfragersicht von der Anbieterperspektive abweichen (ex-treme Beispiele: links- und rechtsgesteuerte Autos sind für Anbieter Substitute, für Nachfrager keinesfalls, bei Wein und Bier ist dies umgekehrt)414. Ungeklärt ist außer-dem die Bestimmung eines numerischen Grenzwertes, ab außer-dem Güter außer-dem gleichen (unterschiedlichen) Untersuchungsmarkt (-märkten) zugeordnet werden können.

Trotz der angeführten Kritik ist das Elastizitätskonzept besonders geeignet, wenn sich der Wettbewerb vorwiegend durch Preisvariation ausdrückt und weitere absatzpolitisch orientierte Maßnahmen vernachlässigt werden können.

7.1.5 Empirische Tests zur räumlichen Marktabgrenzung relevanter