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Wirksamkeitsempfinden persönlicher Interventionen

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 103-135)

7.5 Bedeutsamkeit

7.5.3 Wirksamkeitsempfinden persönlicher Interventionen

Jenes Kapitel grenzt sich zu vorhergehenden Kapitelinhalten dahingehend ab, dass nicht einzig das Empfinden der Häufigkeit positiver Beratungsabschlüsse abgefragt wird, sondern die Einstellung zur Selbstwirksamkeit im Zwangskontext. Es wurde den Expert*innen die Frage gestellt, ob ihrer Meinung nach ein Zwangskontextset-ting ohne jegliche Intervention des*der Berater*in ebenso zu Erfolgserlebnissen füh-ren könnte.

Die Fragestellung wird von einem Experten sehr ausführlich beantwortet. Er legt sich nicht darauf fest, welche Einstellung er persönlich hat, jedoch spricht er we-sentliche Punkte an. Zum einen weist er auf die Möglichkeit sozial erwünschter Ant-worten hin, indem er sagt:

„Also, da fragen sie natürlich den Richtigen, weil ich werde natürlich sagen, dass die Beratung ganz wichtig ist und die Auseinandersetzung (lacht) ganz ein wichtiger Teil.“

(EI1_SB, Abs.55).

Weiter beschreibt er die Schwierigkeit, in der Wissenschaft, Beratungserfolge messbar zu machen und meint, dass die Beratung auch ohne Interventionen so etwas wie eine erinnernde Funktion hat und dadurch ebenso wirken könnte, auch

102 wenn er gleichzeitig anspricht, dass eben jene Haltung wohl dem persönlichen Sinnempfinden entgegenstehen würde (EI1_SB, Abs.55; EI1_SB, Abs.57).

Eine Beraterin meint, dass es nicht zwingend Interventionen ihrerseits brauchen würde, um bei Klient*innen einen positiven Effekt auszulösen, sondern dass be-reits die Anwesenheit der Berater*innen dafür sorgen kann, dass Menschen sich stabilisieren, indem sie beispielsweise dazu angehalten sind, Körperpflege zu be-treiben durch Termine im Projekt (EI2_AM, Abs.45). Weiter berichtet sie über ver-pflichtende regelmäßige Bewerbungsunterstützung, welche Teilnehmer*innen ab-leisten müssen. Ihr Eindruck ist, dass diese oftmals nur für die Unterschrift des*der Trainer*in gemacht wird, um die Bestätigung an das AMS zu schicken, jedoch keine ernsthaften Absichten dahinterstehen. Aus dem Grund empfindet sie diese Bewerbungsunterstützung vielfach gehaltlos (EI2_AM, Abs.65; EI2_AM, Abs.69).

Drei Expert*innen, welche mit strittigen Eltern in der Erziehungsberatung arbeiten, sind der Meinung, dass Initiativen ihrerseits notwendig sind für positive

Ab-schlüsse und denken nicht, dass rein der Zwangskontext ausreichen würde für Er-folge, oder Teilerfolge (EI3_EB, Abs.61-65; EI4_EB, Abs.57; EI9_EB, Abs.71).

Eine weitere Beraterin sieht dies ähnlich und meint, dass zwar kein Zwang be-steht, ununterbrochen Interventionen anzubieten, jedoch würden ihrer Meinung nach auf jeden Fall wesentliche Aspekte zur Zielerreichung fehlen (EI6_BH, Abs.39-41). Sie betont dabei:

„ Und (.) was ich eben vorhin schon gesagt habe, Täterarbeit ist Opferschutz. Und das ist ganz etwas wichtiges und es geht nicht anders, ja? Weil wenn ich einem Straftäter nicht erkläre, (.) was für Folgen Konsequenzen seine Tat gehabt hat, oder welche Al-ternativen er hat, dann wird er es im schlechtesten Fall wiederholen, gell?“ (EI6_BH, Abs.69).

Denselben Standpunkt vertreten zwei Berater des AMS-Projektes, welche ebenso davon überzeugt sind, dass sich Teilnehmer*innen ohne ihre inhaltliche Arbeit we-niger positiv weiterentwickeln würden (EI5_AM, Abs.75; EI8_AM, Abs.57). Einer der beiden erläutert zusätzlich, dass er es als seine wesentliche Aufgabe sieht, bedeutsame Informationen an seine Klient*innen weiterzugeben, welche diese ohne die Beratung nicht erhalten würden. Als Beispiel nennt er folgende Situation:

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„[…] Ich habe letzte Woche einen Teilnehmer darüber aufgeklärt, dass das Kranken-haus offen hat. Der hat das nicht gewusst, der hat geglaubt, das ist zu seit einem Jahr und das muss ich den Leuten dann schon sagen, weil der hat Kinder, und wenn das Kind sich den Fuß bricht, dann soll der bitte ins Krankenhaus fahren, das hat ja wirk-lich offen, ja. Weiß der dann jetzt. Und das zum Beispiel ist ein Beispiel, aber Informa-tionen zu Impfungen, na, die Leute glauben, sie kriegen das eh nicht, weil sie sind ja Ausländer, nicht wahr? […]“ (EI5_AM, Abs.137)

Auch die Beraterin des psychosozialen Dienstes in der Haftanstalt ist sich darüber im Klaren, wie bedeutsam speziell ihre Interventionen für Klient*in-nen sind und bringt auf die Frage nach potenzieller Zielerreichung ohne Inter-ventionen ihrerseits unmissverständlich zum Ausdruck:

„Nein. Zu hundert Prozent, nein. Weil, da wird einfach, wie das, wie kann ein Insasse was regeln, wenn er vor allem in Untersuchungshaft ist, sind wir das einzige Sprach-rohr nach draußen, wer erklärt ihm das sonst? […] Ganz, ganz klar, die Ziele würden nicht erreicht werden […]“ (EI10_IB, Abs.47).

Ein Großteil des Fachpersonals, insgesamt sieben, sieht den persönlichen Anteil an positiver Entwicklung sehr klar in den eigenen Interventionen und kann sich nicht vorstellen, dass Ziele ohne das Zutun einer Beratung ähnlich gewinnbrin-gend verlaufen würden.

Zwei Berater*innen, können sich Alternativen zu Interventionen vorstellen, wobei einer von beiden betont, dass beispielsweise die Hypothese besteht, dass die Rückfallquote von Sexualstraftaten durch eine hohe Anzahl an Maßnahmen ver-mindert wird (EI1_SB, Abs.59). Die andere Expertin berichtet außerdem, dass auch ohne Interventionen ihrerseits und rein durch die Terminvereinbarungen und der Aufenthalt in einem sozialen Gefüge sich positive Entwicklungen ergeben kön-nen bei Klient*inkön-nen (EI2_AM, Abs.45).

7.5.3.1 Methoden zur Wirksamkeitserhöhung

Obwohl vorliegende Masterarbeit nicht vorwiegend fachliche Beiträge liefern will zu Methoden der Wirksamkeitserhöhung, so ist dennoch die Beschreibung der Ex-pert*innen zu ihren Erfahrungen von Wirkungsmechanismen wesentlich, um diese mit der Fachliteratur abzugleichen. In Folge sollen diese Methoden dargelegt

wer-104 den, da ein unmittelbarer Bezug besteht zum Bedeutsamkeitsempfinden psychoso-zialer Berater*innen in Zwangskontexten und der Sinnfaktor bei Beachtung und In-anspruchnahme dieser Arbeitsweisen erhöht werden kann.

Die Methoden, welche Berater*innen zur Wirksamkeitserhöhung beschreiben, un-terliegen einer hohen Bandbreite. Von der Weitergabe von Erfolgsgeschichten vor-hergehender Klient*innen (EI5_AM, Abs.59), über die Bedeutsamkeit einer hohen Taktung von Beratungseinheiten zu Beginn einer Suchtberatung (E7_SB, Abs.31), bis hin zur Beschreibung der Wirksamkeit eines salutogenetischen Ansatzes, wel-cher den Fokus auf bereits bestehende und funktionierende Muster lenkt, (EI9_EB, Abs.59) finden sich einige vereinzelte Angaben.

Auch der geschützte Rahmen im Einzelsetting, welcher ermöglicht, unangenehme Wahrheiten, wie beispielsweise vorhandene Süchte anzusprechen, wird genannt (EI5_AM, Abs.59). Weitere Wirkmethoden sind das Aufzeigen von Perspektiven (EI1_SB, Abs.41), die Rückgabe von Eigenverantwortung (EI4_EB, Abs.81) und das Aufzeigen von Möglichkeiten der Selbstbestimmung (EI7_SB, Abs.38) inner-halb des determinierten Kontextes.

Von besonderem Wert sind jene Aussagen zu Wirkmethoden, welche in den Ge-sprächen auffallend häufig angegeben wurden. Dabei kam klar heraus, dass im Be-sonderen eine intensive Beziehungsarbeit und eine transparente Gesprächsführung eingesetzt werden, um Erfolge zu erzielen.

7.5.3.1.1 Beziehungsarbeit

Von der Wirksamkeit einer wertfreien Haltung und dem damit einhergehenden Be-ziehungsaufbau berichtet eine Erziehungsberaterin. Sie meint, dass jene sichtbar gewordene Wertschätzung dazu beitrage, dass Widerstände von Erziehungsbe-rechtigten abgelegt werden (EI4_EB, Abs.37). Auch in der Bewährungshilfe wird die Wertschätzung gegenüber der Person als wesentlicher Baustein für Beziehungs-aufbau genannt. Vor allem die Abgrenzung der Straftat zur Person wird hier betont und die Bedeutung der Rückmeldung an die Klient*innen dazu:

„ […] ich schätze dich als Mensch sehr wert, ja, ich achte dich, aber nicht deine Straf-tat, ja? Aber du bist mehr als nur ein Straftäter […]“ (EI6_BH, Abs.35).

105 Ebenso erwähnt die Beraterin den Humor als Werkzeug für

Beziehungsauf-bau. Sie gibt ihm einen besonders hohen Stellenwert, da dieser oftmals er-mögliche, dass Klient*innen schlussendlich trotz Weisung positiv gestimmt in die Beratung kommen würden (EI6_AM, Abs.33).

Kontinuität in der Beziehungsarbeit ist für zwei weitere Berater besonders effizient.

Sie beschreiben, dass nachgehende Klient*innenarbeit bei wenig greifbaren Teil-nehmer*innen dazu führe, dass diese auf das Angebot zurückgreifen, wenn sie schließlich bereit sind, sich auf Beratung einzulassen (EI5_AM, Abs.23; EI10_IB, Abs.45). Weiter kann partizipative Beziehungsarbeit in einem völlig differenzierten Bereich, wie beispielsweise Informationsweitergabe in medizinischen Belangen er-reichen, dass schlussendlich arbeitsmarktrelevante Interventionen von Menschen angenommen werden, da sie Vertrauen zum*zur Berater*in gefasst haben (EI5_AM, Abs.55). Ebenso erwähnt ein Experte, dass ausreichend Zeit, welche in die Beziehungsarbeit gesteckt wird, hilfreich sein kann, um letztlich methodisch ar-beiten zu können, da der Aufbau einer Vertrauensbasis sich bei manchen Klient*in-nen zeitintensiv gestaltet (EI8_AM, Abs.63; EI8_AM, Abs.73). Wenn sehr strikte Vorgaben für das Beratungssetting vom Gericht kommen, dann sieht es ein Erzie-hungsberater als förderlich, so gut als möglich auf die Eltern und deren Bedürfnisse einzugehen (beispielsweise bei Terminvereinbarungen), damit diese ein Maximum an Wohlbefinden im Zwangskontext erleben (EI9_EB, Abs.75).

7.5.3.1.2 Transparente Gesprächsführung

Da die Bedeutsamkeit der transparenten Gesprächsführung in der Literatur beson-ders hervorgehoben wird (vgl. Kähler & Zobrist, 2017, S.55), war die Frage nach der Handhabung der Klärung der Grundbedingungen von Klient*innen für vorlie-gende Arbeit wesentlich, um die aktuelle Meinung des Fachpersonals zur Notwen-digkeit von Transparenz abzugleichen. Dazu wurde konkret nachgefragt, ob dar-über gesprochen wird, dass gegebenes Setting unter klaren Auflagen erfolgt und welche Seite dies gegebenenfalls anspricht.

106 Die Selbstverständlichkeit von gelebter Transparenz in Bezug auf den Zwangskon-text betonen nahezu alle Fachpersonen in den Interviews (EI6_BH; Abs.33; EI7_SB, Abs. 37-38; EI9_EB, Abs.59). Sie geben dafür vielschichtiger Begründungen an.

Eine Beraterin meint, dass es für sie selbstverständlich sei, die Informationsweiter-gabe an das AMS, zu welcher sie verpflichtet ist, mit den Klient*innen abzuklären, um ihnen überhaupt erst die Möglichkeit zu bieten, eigenverantwortlich zu handeln (EI2_AM, Abs.37). Klient*innen eine Plattform zu bieten, dem persönlichen Ärger Luft zu machen und diesen zu bearbeiten ist für zwei Erziehungsberaterinnen in ihrer Tätigkeit bedeutsam (EI3_EB, Abs.69; EI4_EB, Abs.43), sowie Klarheit geben von möglichen Konsequenzen bei fortwährenden Trennungskonflikten (EI4_EB, Abs.53). Offen zu kommunizieren, dass in der Bewährungshilfe eine Schweige-pflicht gilt, ist für die Herstellung von Compliance ausschlaggebend. Den Klient*in-nen soll bewusst sein, dass die Berater*inKlient*in-nen an ihrer Seite stehen und ihre Funk-tion klar getrennt ist von Judikative oder Exekutive (EI6_BH, Abs.35).

Inwieweit die Transparenz auch auf die Beziehungsebene einwirkt, beschreibt ein Berater, welcher angibt, dass besonders Weisungsklient*innen die Auflagen auf-grund ihres Mangels, sich in soziale Gefüge einzufügen, erhalten haben. Durch die Schwierigkeit, anderen zu Vertrauen, wäre Intransparenz seiner Meinung nach un-gerecht und kontraproduktiv (EI1_SB, Abs.37).

Die Transparenz hinsichtlich des sehr losen Kontextes eines AMS-Projektes und der Betonung der Freiwilligkeit zur Inanspruchnahme der Maßnahme ist sehr be-deutsam für einen Berater (EI5_AM, Abs.55), wenngleich ebenso der Hinweis auf Nachfragen des AMS bezüglich des Fortschrittes von Personen diese anspornt:

„ […] trotzdem versuchen wir sie zu motivieren und wir können ja keinen Zwang ausü-ben, aber es kommt immer wieder ein, ein indirekter Zwang vom AMS und es genügt oft, wenn ich sage, sie, das AMS hat mich gestern angerufen und gefragt, was, was bei ihnen so weitergeht, das genügt, mehr brauche ich gar nicht mehr sagen, sagt der:

Gut, machen wir das. Das ist ein Zwang. Und, und, und kann es schon so formulieren, dass der aktiv wird, ohne, nicht wahr?[…]“ (EI5_AM, Abs.101)

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8 Diskussion und Interpretation der Ergebnisse

Die ausgearbeiteten Inhalte der Expert*inneninterviews sollen nun zusammenge-fasst werden im Hinblick auf die Fragestellung vorliegender Masterarbeit, welche wie folgt lautet:

Welche Faktoren der aktuellen Sinnforschung kommen beim berufsbezogenen Sinnempfinden psychosozialer Berater*innen in Zwangskontexten zu tragen?

Ebenso werden Schwachstellen der Arbeit reflektiert, um einen unverfälschten Blick auf die Ergebnisse zu erhalten und um eine richtungsweisende Basis zu schaffen für etwaige weitere Untersuchungen zum Sinnempfinden psychosozialer Berater*in-nen in Zwangskontexten.

Die Fragestellung soll beantwortet werden unter Berücksichtigung der vier Sinnfak-toren Schnells, welche im theoretischen Teil ausführlich, auch im Bezug auf Arbeits-kontexte (Kap. 5.2.2) behandelt werden: Kohärenz, Orientierung, Bedeutsamkeit und Zugehörigkeit. Auch Gesichtspunkte, welche dem Sinnerleben laut dem erho-benen Datenmaterial entgegenstehen, werden folgend dargestellt und erörtert.

Eine Schwierigkeit, die durch die Befragung von Expert*innen in unterschiedlichen Zwangskontextbereichen entstand, war die unterschiedlichen Ausgangslagen von losen und sehr strikten Zwangskontexten klar abzugrenzen, um ein strukturiertes Ergebnis abzeichnen zu können. Es ergab sich zwar zum einen ein sehr breit gefä-chertes Bild und lässt Überschneidungen von Themen in den vielfältigen Kontexten erkennen, zeigt jedoch ebenso auf, dass eventuell durch unterschiedliche Aus-gangssituationen bedingt, auch im Wesentlichen die Haltungen variieren zu man-chen abgefragten Sinnfaktoren.

Die Aussage Schnells, dass ihre vier ausgearbeiteten Sinnfaktoren in enger Verbin-dung zueinanderstehen, lässt erkennen, dass eine klare Abgrenzung der Faktoren zu den jeweilig abgefragten Aspekten ebenso eine Herausforderung darstellt.

Wenn eine Expertin beispielsweise kritisiert, dass die Gesetzeslage für ihre Kli-ent*innen dazu beitrage, dass diese wieder delinquent werden, so kann dies gleich-zeitig einem mangelnden Kohärenzgefühl zugeordnet werden, da das System als

108 unpassend befunden wird, als auch das Bedeutsamkeitsempfinden betreffen, wel-ches nachhaltige Veränderung trotz Eigenleistung der Beraterin erschwert und so-mit deren Engagement langfristig unbedeutend empfunden wird. In jenem Beispiel wurde eine unzufriedenstellende Gesetzeslage unter die Kohärenzkategorie einge-ordnet, da auch Schnell das Kohärenzgefühl so definiert, dass dieses dann stimmig ist, wenn unterschiedliche Ebenen zur Zielerreichung beitragen (vgl. Schnell, 2016, S. 156f). In diesem Fall wären es die Ebene des Staates und des beratenden Ver-eins.

Eine weitere Herausforderung war es, Berater*innen in Zwangskontexten von Ar-beitsmaßnahmen ausfindig zu machen, da die meisten Beratungsstellen angaben, auf rein freiwilliger Basis zu arbeiten. Bei einem Telefonat mit einem Mitarbeiter der Servicehotline des AMS Graz konnte in Erfahrung gebracht werden, welche Anlauf-stellen in der Steiermark im Zwangskontext arbeiten. Der Mitarbeiter erklärte vorerst ebenso, dass jegliche zugewiesene Beratungseinheiten freiwillig erfolgen würden.

Auf weitere Nachfrage zu Details der Umstände gab er an, dass Leistungen jedoch gekürzt würden, sollten jene Zuweisungen nicht in Anspruch genommen werden und artikulierte schlussendlich, dass dieser Kontext wohl doch keinem freiwilligen Angebot zugeordnet werden könne. Jenes Gespräch könnte entweder die Theorie der wissenschaftlichen Beiträge von Conen, Schwabe, Evers und Vust untermau-ern, dass Zwangskontexte in der psychosozialen Beratung ein sensibles Thema darstellen, oder zeigt eventuell einzig auf, dass weiterhin verschiedene Definitionen von Zwangskontexten in der Beratungspraxis vorhanden sind (vgl. Conen, 2020, S.

71, zit. n. Conen, 1993; Schwabe, Evers & Vust, 2008, S.16).

Bedeutsam für eine umfassende Interpretation der Ergebnisse ist das Wissen um stark variierende Ausprägungen der Zwangskontexte. Während in der Bewährungs-hilfe und vielfach auch in der Suchtberatung eine Haftstrafe die Folge mangelnder Compliance ist (EI7_SB, Abs.35), in der Insassinnenberatung jegliche Notwendig-keiten, wie Familienkontakte oder Haftentlassenenvorbereitung über die Beraterin laufen (EI10_IB, Abs.19), so ist in der Erziehungsberatung die Konsequenz bei we-nig kooperativem Verhalten einzig die Verweigerung der Scheidung (EI9_EB, Abs.21). Einen äußerst losen Zwangskontext erleben Klient*innen in einem Projekt

109 des AMS, welches zu einem einzigen Schnuppertermin verpflichtet unter der Kon-sequenz einer sechswöchiger Bezugssperre bei Verweigerung, jedoch in Folge wei-tere Beratung sowohl inhaltlich, als auch terminlich offiziell freiwillig läuft unter der Prämisse, dass regelmäßige Bewerbungsunterstützung wahrgenommen wird.

Halbjährliche Berichte werden im Zuge einer Betreuung an das AMS geschickt, wo Berater*innen des AMS sehr individuelle Entscheidungen treffen über den weiteren Verbleib der Teilnehmer*innen (EI8_AM, Abs.47).

Zu der Ausgangssituation in Bezug auf die Haltung von Klient*innen berichten die Berater*innen von vielfach erlebten Widerständen, welche sich jedoch im Laufe ei-ner Betreuung oftmals auflösen zu eiei-ner kooperativen Zusammenarbeit (EI6_BH, Abs.33; EI8_AM, Abs.37).

In Folge werden nun systematisch die bereits vielfach erwähnten Sinnfaktoren auf-geschlüsselt und erörtert, welche Tendenzen der Sinnerfüllung sichtbar werden.

Mit Hinblick auf den Sinnfaktor der Orientierung wurden vor allem Zielsetzungen von zuweisenden Stellen abgefragt und in Folge erhoben, ob jene Ziele den Ex-pert*innen sinnvoll erscheinen würden. Eine Gegenüberstellung der Zielsetzungen ergab zum einen, dass ausnahmslos alle Expert*innen die vorgegebenen Zielset-zungen als gewinnbringend für die Klient*innen sahen, aber auch dass ein recht großer Gestaltungsspielraum in der Umsetzung und Konkretisierung vorhanden ist, was vor allem auch die Formulierung von Teilzielen betrifft. Hardering konnte in ihrer Studie über Leitungsfunktionen in psychosozialen Berufsgruppen nachweisen, dass eben jenes Vertrauen in die Kompetenz von Personen zu einem sehr hohen Sinn-empfinden beiträgt (vgl. Hardering, 2017, S.42). Ein Experte sieht jedoch ebenso seine Klient*innen als Auftraggeber*innen. In jener Arbeitsbeziehung divergieren Ziele doch oftmals. Eine klare Abgrenzung von persönlichen Vorstellungen für Ziel-setzungen in Bezug auf jene der Klient*innen kann laut ihm dazu beitragen, hier eine Balance zu schaffen (EI1_SB, Abs.31). Auch Kähler und Zobrist betonen die Notwendigkeit einer Anpassung der eigenen Ansprüche an die Möglichkeiten des*der Klient*in, um Erfolge, wie beispielsweise einen entwickelten Veränderungs-wunsch überhaupt wahrnehmen zu können (vgl. Kähler & Zobrist, 2017, S.79). Um eine zusammenfassende Antwort auf das Sinnempfinden in Bezug auf die Orientie-rung zu geben, so kann gesagt sein, dass zum einen eine sehr große Bandbreite

110 an Zielen genannt wurde, welche es zu erreichen gilt und zum anderen eine äußerst homogen-positive Einschätzung jener vorgegebenen Ziele vorhanden ist, was auf ein hohes Sinnempfinden in jenem Punkt schließen lassen kann.

Zum Kohärenzempfinden wurde vor allem die Haltung von Berater*innen zu Zwangskontexten allgemein abgefragt, als auch die Bewertung der vorhandenen arbeitsbezogenen Rahmenbedingungen. Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Ausübung von Zwang auf Personen zu einem funktionierenden Gesellschaftsleben ergab sich ein recht einheitliches Bild. Die Mehrheit der Expert*innen gab an, dass unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen wiederum verschiedene Rahmenbedin-gungen bräuchten und somit Zwangskontexte ihre Berechtigung hätten, um Men-schen mit fehlenden inneren Strukturen Haltung zu geben (EI7_SB, Abs.) Jedoch wurde gleichzeitig auch erwähnt, dass nicht jeder Mensch Zwang benötigen würde, um sich positiv in die Gesellschaft einzubringen (EI6_BH, Abs.63), sondern dass auch intrinsisch motivierte Wertmotive vielfach vorhanden seien und wir durch ein System, welches jahrhundertelang durch die Ausübung von Druck auf die Indivi-duen und kapitalistisches Gedankengut aufrecht erhalten wird, geprägt seien (EI8_AM, Abs.92).

Um die divergierenden Aussagen zur Notwendigkeit von Zwang in Bezug auf das Kohärenzgefühl der Berater*innen in Zwangskontexten zu bewerten, wird eine Ten-denz dahingehend offenbar, dass die meisten Berater*innen glauben, dass ein Teil der Bevölkerung sich ohne strukturelle Gewalt in einem derzeit bestehenden kapi-talistischen System nicht positiv einfügen könnte. In einem größeren Kontext wird jedoch das Vorherrschen einer Meinung, dass die Menschheit vorwiegend unter Sanktionsandrohung funktionieren würde, eher kritisch gesehen. Dies kann darauf schließen lassen, dass in Bezug auf die Tätigkeiten mit ihren Klient*innen ein Teil-verständnis von Sinnhaftigkeit vorhanden ist. Die Fragestellung der subjektiven Be-deutsamkeit für psychosoziale Berater*innen in Zwangskontexten, an einer Um-strukturierung eines Systems beizutragen, wäre hier die Forschungsfrage für eine vollständige weitere Masterthesis. Die übermäßig hohe Anzahl an geschilderten po-sitiven Rahmenbedingungen, obwohl nicht dezidiert danach gefragt wurde, lässt da-rauf schließen, dass in gewissen Bereichen ein wesentliches Kohärenzgefühl im Arbeitsfeld vorhanden ist.

111 Dennoch ist auch die Anzahl an Veränderungsvorschlägen nicht unwesentlich und dürfte dem Kohärenzgefühl im Weg stehen. Wesentlich gefiltert werden konnte, dass der Zeitfaktor vielfach als wesentliche Rahmenbedingung genannt wurde. Be-rater*innen schilderten sowohl, dass die Möglichkeit einer langfristigen Betreuung (EI6_BH, Abs.35) durch die Finanzierung, oder lange angesetzte Bewährungszei-ten einer Beratung sich positiv auswirken würde, als auch dass unzureichend we-nige angewiesene Beratungseinheiten eine nachhaltigen Veränderung verhindern würden (EI9_EB, Abs.81). Die Aussage Roth und Rybas zu Wirkfaktoren in der The-rapie und im Coaching könnte Aufschluss darüber geben, warum genau jener Punkt

111 Dennoch ist auch die Anzahl an Veränderungsvorschlägen nicht unwesentlich und dürfte dem Kohärenzgefühl im Weg stehen. Wesentlich gefiltert werden konnte, dass der Zeitfaktor vielfach als wesentliche Rahmenbedingung genannt wurde. Be-rater*innen schilderten sowohl, dass die Möglichkeit einer langfristigen Betreuung (EI6_BH, Abs.35) durch die Finanzierung, oder lange angesetzte Bewährungszei-ten einer Beratung sich positiv auswirken würde, als auch dass unzureichend we-nige angewiesene Beratungseinheiten eine nachhaltigen Veränderung verhindern würden (EI9_EB, Abs.81). Die Aussage Roth und Rybas zu Wirkfaktoren in der The-rapie und im Coaching könnte Aufschluss darüber geben, warum genau jener Punkt

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 103-135)