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Sinnfaktoren im Beruf

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 51-56)

5.2 Sinn in der Arbeit

5.2.2 Sinnfaktoren im Beruf

Das Job Characteristics Model erklärt, welche Grundvoraussetzungen erfüllt wer-den müssen, um für Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen bestmögliche Er-gebnisse zu erzielen und beinhaltet zum Teil Aspekte der aktuellen Sinnforschung.

Schnell, Höge und Pollet legen den Fokus ausschließlich auf den Sinnbegriff und untersuchten im Jahr 2013 anhand einer multiplen Regressionsstudie mit 197 Teil-nehmer*innen aus unterschiedlichen Berufsständen maßgebliche Konditionen, wel-che laut aktueller Literatur für Sinnerleben allgemein erforderlich sind. In der Studie wurden jene Prädiktoren auf das Sinnerleben im Arbeitsfeld übernommen und auf deren Gültigkeit überprüft. Auch wenn Menschen sich unterscheiden in der Bewer-tung von Sinnhaftigkeit unterschiedlicher Tätigkeiten, so finden sich Grundkonditio-nen, für jegliches Sinnerleben von Beschäftigungen. Dazu zählen laut Ergebnissen der Untersuchung das persönliche Empfinden von Bedeutsamkeit, Kohärenz, Zu-gehörigkeit und Orientierung im beruflichen Kontext (vgl. Schnell, Höge & Pollet, 2013, S.550). Die Studienteilnehmer*innen arbeiteten in österreichischen Firmen und Institutionen und wurden mit Fokus auf eine breite Diversität von Berufsständen

50 und Altersgruppen ausgewählt. Zusammengefasst konnten 46 Prozent der Varian-zen zur Konstante „Sinnerfüllte Arbeit“ anhand der erfragten Prädiktoren erklärt wer-den, wobei die Bedeutsamkeit der Arbeit mit 21 Prozent den höchsten Wert für sinn-erfüllte Arbeit maß (vgl. Schnell, Höge & Pollet, 2013, S.555ff).

Zur Sinnforschung im Zwangskontext psychosozialer Beratung wurden bis dato noch keine Publikationen veröffentlicht. Eine Untersuchung Harderings zu Sinnfak-toren in der Berufswelt, in den Jahren 2014/2015 kommt dem Metier der psychoso-zialen Beratung wohl am nächsten. Sie erforschte anhand 40 narrativ geführter In-terviews mit Führungskräften im Sozial- und Gesundheitsbereich Komponenten, welche zu Sinnempfinden im Berufsleben führen. Es zeigte sich durch die Untersu-chung, dass besonders auf drei Faktoren ein starker Fokus im Sinnerleben gelegt wird. Diese bestehen aus der eigenen positiven Bewertung der Wirksamkeit, einem übergeordneten und sichtbaren Nutzen für die Gesamtgesellschaft und der entge-gengebrachten Anerkennung der Arbeit (vgl. Hardering, 2017, S.44ff).

Ähnliche Aspekte finden sich in Frankls Lebenswerk wieder. Aus seinen Erkennt-nissen arbeitete Pattakos sieben Prinzipien aus, welche dem Leben und der Arbeit Sinn geben:

1. Wir können unsere Einstellung gegenüber allem frei wählen, was uns widerfährt.

2. Wir können unseren Willen zum Sinn erfüllen, wenn wir uns bewusst und authentisch für sinnvolle Werte und Ziele engagieren.

3. Wir können in jedem Augenblick unseres Lebens Sinn entdecken.

4. Wir können lernen, nicht gegen uns selbst zu arbeiten und unseren eigenen Intentionen nicht zuwider zu handeln.

5. Wir können uns von uns selbst distanzieren, um Einsichten und neue Perspektiven zu ent-wickeln, und über uns lachen.

6. Wir können unsere Aufmerksamkeit so lenken, dass wir auch sehr schwierige Situationen bewältigen.

7. Wir können über uns hinauswachsen und die Welt verändern, und sei es nur ein ganz kleines bisschen (Pattakos, 2004, S.29).

Die vier Grundkonditionen zur Sinnfindung von Schnell, Höge und Pollet werden in Folge näher ausgeführt und bilden die Basis der empirischen Erforschung vorlie-gender Masterarbeit von Sinnfindung im Zwangskontext. Harderings Studienergeb-nisse, sowie Pattakos ausgearbeitete Essenzen zu Frankls Literatur, welche durch

51 therapeutische Ansätze Erklärungen liefern, wie Menschen proaktiv Beiträge liefern können zur Herstellung jener Sinnkonditionen, werden in die Ausführungen einge-bettet und ihnen zugeordnet.

5.2.2.1 Bedeutsamkeit

Die Theorie, dass hohe Leistungsbereitschaft in direktem Zusammenhang steht mit der empfundenen Bedeutsamkeit von Arbeit, wurde an der Universität Innsbruck von Höge und Schnell im Jahr 2012 an 201 Personen anhand eines Querschnitt-Fragebogens untersucht. Die Ergebnisse, welche eine signifikante Korrelation von Sinnempfinden in der Tätigkeit und dem Einsatz von Engagement aufzeigen, unter-stützen das viel zitierte Job Characteristics Model teilweise. Abgefragt wurden Prä-dikatoren der Sinnstiftung, wie die Variabilität, die Aufgabengeschlossenheit, das Feedback, die Autonomie, sowie die Bedeutsamkeit der Arbeit. Auffällig am Ergeb-nis war, dass die Befragten die subjektiv eingeschätzte Wirksamkeit ihrer Arbeit für andere am bedeutendsten für das eigene Sinnerleben einstuften. Alle weiteren Va-riablen ergaben nahezu keine Kausalitäten zur Forschungsfrage. Schnell erklärt sich jenes Ergebnis anhand der hohen Anzahl an Sozialarbeiter*innen in der Stich-probe, welche durch internalisierte Werte häufig vermehrt danach streben, Men-schen effektiv zu unterstützen (vgl. Höge & Schnell, 2012, S.97). Den Ergebnissen jener Untersuchung steht die Studie des Psychologen Adam Grant gegenüber, der zum Bewusstsein um Erfolge der eigenen Tätigkeit, welches unter die Feedbackka-tegorie fällt, sehr wohl einen hohen Stellenwert feststellt. Feedback ist sowohl hier als auch beim Job Characteristics Model nicht gemeint als Rückmeldung von Vor-gesetzten an Mitarbeiter*innen, sondern als die Möglichkeit des Erfahrens von Leis-tungsergebnissen- oder fortschritten (vgl. Krisor & Rowold, 2015, S.127). Aus-gangspunkt der Studie war der Misserfolg von Mitarbeiter*innen eines Callcenters, Spenden zu generieren. Jenes Callcenter, welches Teil einer Universität war, hatte die Aufgabenstellung, von ehemaligen Absolvent*innen Spenden als Grundlage für Stipendien von aktuellen Student*innen zu erhalten. Da jedoch in 90 Prozent der Fälle keine Spendenzusage erfolgte, wurde Adam Grant mit der Motivationsförde-rung der Mitarbeiter*innen beauftragt. In einem ersten Schritt brachte er Dankes-schreiben von Studierenden ein, welche ein Stipendium erhielten und las diese in

52 einem Meeting vor. Jene Intervention verdreifachte die Spendeneinnahmen na-hezu. In einem weiteren Schritt lud er Stipendiat*innen in das Callcenter ein, um persönlich über die Bedeutung der finanziellen Unterstützungsleistungen in ihrem Leben zu berichten. In den folgenden Aufzeichnungen konnte festgestellt werden, dass sich sowohl die Anzahl der getätigten Anrufe beachtlich erhöhte, als auch die Einnahmen um das Fünffache gesteigert wurden (vgl. Grant, 2016, S 254ff). Jene Erfolgsmomente, in welchen Arbeitnehmer*innen auch Dankbarkeit erfahren, wir-ken so belastenden Arbeitssituationen entgegen und sind somit als Ressource in der Sinnfindung und im Sinnerhalt von Arbeit fundamental (vgl. Hardering, 2020, S.16).

5.2.2.2 Kohärenz

Kohärenz beschreibt die Erfahrung von Ganzheitlichkeit und Stimmigkeit. Dies be-trifft verschiedenen Bereiche unseres Lebens, wie Familie, Arbeit, Freundschaften und diverse Gruppierungen, denen wir angehören. Wenn persönliche Werte nicht übereinstimmen mit jener Werten, welche in für uns bedeutsamen Bereichen gelebt werden, sind wir als Menschen beauftragt, diese Kohärenz herzustellen. Dies kann geschehen durch kritisches Hinterfragen, durch bewusste Entscheidungen der Ab-lehnung von Personengruppen oder durch den Versuch, aktiv Denkweisen und vor-gefertigte Handlungsabläufe des Gegenübers neu zu strukturieren (vgl. Schnell, 2013, S.42). Der Soziologe Aaron Antonovsky gibt in seinem bekannten Konzept zur Salutogenese dem Kohärenzsinn eine grundlegende Bedeutung zur Erhaltung von Gesundheit. Jener Kohärenzsinn setzt sich laut ihm zusammen aus der Ver-stehbarkeit von zu bewältigenden Zuständen, deren Handhabbarkeit, sowie der Sinnhaftigkeit. Er erklärt in einem Aufsatz über seinen Weg in der Stressforschung, dass er vielfach der Sinnhaftigkeit nicht genügend Platz eingeräumt hätte in seinen Ausführungen und weist darauf hin, dass erlebte Sinnhaftigkeit sich erschließt aus einem Grundverständnis heraus, dass erstrebenswert ist, Herausforderungen zu bewältigen und es sich lohnt, eigene und bewusst gemachte Ressourcen dafür zu verwenden (vgl. Antonovsky, 1991, S.127). Frankls Grundhaltung, dass der Mensch frei ist zu wählen, wie er Situationen bewertet, fällt in die Kohärenzkatego-rie, da es ihm möglich ist, nicht nur Einstellungen anderer umzulenken, sondern

53 auch befähigt ist, Kohärenz durch eigene Gedankengänge und Neubewertungen herzustellen und er somit innerer Zerrissenheit nicht ausgeliefert ist. Pattakos be-schreibt dazu Extremsituationen von Kriegsgefangenen, Unfallopfern oder Häftlin-gen, welche durch Reframing positiv besetztes Gedankengut zuließen und so Stim-migkeit erlebten. Beispielsweise gab er in einem Seminar Gefängnisinsassen eine Aufgabenstellung, positive Aspekte der Inhaftierung zu benennen. Es fanden sich unter anderem Gedanken zur Dankbarkeit der bezwungenen Obdachlosigkeit, so-wie der Sicherheit der Gesellschaft vor eigenen weiteren potenziellen Straftaten (vgl. Pattakos, 2004, S.80f).

5.2.2.3 Orientierung

Um ein Gefühl der Kohärenz entwickeln zu können, ist als Voraussetzung ein Wer-tekonstrukt notwendig, welches Orientierung gibt. Jenes Konstrukt wird entwickelt aufgrund persönlicher Weltanschauungen, die entscheidend sind, was als gut und richtig im eigenen Leben gelten soll. Diese Orientierung ist nur dann als sinnge-bende Komponente vorhanden, wenn richtungsweisende Werte nicht nur als Theo-rie verstanden, sondern tatsächlich gelebt werden und ein übergeordnetes Ziel ver-folgen. Jenes Ziel ist zu verstehen als verinnerlichter Kompass, welcher dahinge-hend Funktionalität zeigt, dass nicht stets innegehalten werden muss, um Entschei-dungen zu überdenken und in Überlegungen zu verharren, da die Richtung klar ist (vgl. Schnell, 2013, S.43). Erst wenn Personen sich ihres eigenen Werteleitbildes bewusst sind, ist es ihnen möglich, transparent und konstruktiv in einem Team mit-zuwirken, oder dieses zu leiten. Somit baut Orientierung das Kohärenzgefühl auf, da aufrichtiges Engagement nur zustande kommt, wenn ein*e Arbeitnehmer*in Ar-beitsaufträge nicht nur auferlegt bekommt, sondern diese selbständig ebenso für sinnvoll erachtet (vgl. Ostermann, 2010, S.11). Jener innere Kompass, welcher uns durch Leben und Arbeit führen soll, kann jedoch gehemmt werden durch Interes-senskonflikte von unterschiedlichen Anforderungen, welche beiderseits erstrebens-wert sind, eine Vereinbarkeit jedoch ausschließen. Ein Beispiel dazu bringt die Wirt-schaftsphilosophin Anette Suzanne Fintz, die über einen Ingenieur berichtet, der ein interessantes und für ihn sinnstiftendes Jobangebot im Ausland erhält. Er hat jedoch durch seinen Anspruch als fürsorglicher Familienvater innere Konflikte auszutragen,

54 da ihm klar wird, dass bei einer Entscheidung für ein verinnerlichtes Ziel eine ähnlich bedeutsame Wahlmöglichkeit nicht realisiert wird (vgl. Fintz, 2008, S.335).

5.2.2.4 Zugehörigkeit

Sich der eigenen Berufsgruppe, der Organisation, oder auch eines Kleinteams, in welchem man tätig ist, zugehörig zu fühlen ist ebenso ein maßgeblicher Faktor für Sinnerleben in der Arbeit. Ein Zugehörigkeitsgefühl wird dann entwickelt, wenn Per-sonen das Gefühl haben, sie werden benötigt, um zu einem gemeinschaftlichen Ziel zu kommen. Selbstwirksamkeitserfahrungen werden auch durch Bestätigungen von Kolleg*innen realisiert (vgl. Hardering, 2020. S.18f). Schnell versteht unter dem Fak-tor Zugehörigkeit das Gefühl der Teilhabe an einer übergeordneten Einheit, bei-spielsweise durch die Identifikation mit Trägern, für welche gearbeitet wird. Dabei spielt das Gefühl der Bedeutsamkeit des eigenen Beitrags und des Wertes einge-brachter Fähigkeiten, sowie der Übertragung von Verantwortung eine große Rolle (vgl. Schnell, 2016, S.156). In Harderings Untersuchung berichteten Ärzt*innen und Führungskräfte im Sozialbereich, dass auch positives Feedback von Kolleg*innen zu persönlicher Arbeitsleistung wesentlich ist für Sinnerleben am Arbeitsplatz (vgl.

Hardering, 2017, S.50).

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