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Beratungsfelder im Zwangskontext

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 28-32)

Unter der Begrifflichkeit „soziale Kontrolle“ werden all jene Sanktionen und Bemü-hungen von Staat, Institutionen und privaten (Familien)verbänden verstanden, wel-che zielgerichtet Verhaltensweisen, die im Gros der Gesellschaft als unerwünscht gelten, entgegenwirken (vgl. Reinke & Schierz, 2006, S.300f). Eine Form der sozi-alen Kontrolle wäre Zwang, welcher die Freiheit des Individuums zu eigenen Ent-scheidungen und Handlungen begrenzt (vgl. Urban-Stahl, 2009, S.80). Zwangs-maßnahmen, welche vom österreichischen Staat in Auftrag gegeben werden, sind durch Gesetze und richterliche Beschlüsse gedeckt. Die Bereiche, in welchen mit-unter Zwangskontexte zur Lösungsfindung geschaffen werden, sind die Kinder- und Jugendhilfe mit Bezug auf das gesamte Familiensystem, psychiatrische Fälle, Schuldnerberatung, die gerichtliche Erwachsenenvertretung, die Geriatrie oder die Bewährungshilfe (vgl. Conen, 2020, S.155f; Kovar, 2007, S.15).

Menschen können jedoch auch in privaten Konstellationen Zwang ausgesetzt wer-den. Ein Beispiel wäre das Insistieren des engen sozialen Umfeldes, soziale Hilfe-leistungen in Anspruch zu nehmen (vgl. Lindenberg & Lutz, 2014, S.403).

Die soziale Arbeit und die Sozialpädagogik sind laut Nestmann Bereiche, welche eng mit der psychosozialen Beratung verbunden sind. Die psychosoziale Beratung ist sowohl in der Sozialpädagogik als auch in der sozialen Arbeit jenes Format, wel-ches die zentrale Rolle bei Interventionen einnimmt (vgl. Nestmann, 2019, S.25).

Somit wird deutlich, mit welcher Begründung Beiträge und Literatur aus der sozialen Arbeit, welche im Zwangskontext beraten, in vorliegende Masterarbeit eingebettet werden.

Beratende in unmissverständlich determinierten Kontexten besitzen die Macht, Kli-ent*innen durch bspw. Strafgebühren sanktionieren, oder diese durch offizielle So-zial- und Finanzleistungen zu belohnen. Eine differenzierte und weniger offensicht-liche Form des Zwangskontextes wäre die so genannte Informationsmacht. Sie ist gegeben, wenn der Zugang zu staatlichen Leistungen voraussetzt, in Besitz von Informationen zu gelangen. Dieses Wissen kann beispielsweise bei Migrant*innen fehlen, welche die österreichische Rechtslage nicht kennen (vgl. Pätzold & Ulm, 2015, S. 178f).

27 Jene Masterarbeit befasst sich vorwiegend mit Zwangskontexten, welche durch richterliche Beschlüsse oder Auflagen zur Existenzsicherung, wie beispielsweise Zuweisungen des AMS, gegeben sind. Näher eingegangen wird in Folge auf jene Bereiche, zu welchen Expert*inneninterviews geführt werden.

4.1.1 Bewährungshilfe

Bewährungshilfe kann für Insass*innen oder Haftentlassene durch die Justiz an-hand einer richterlichen Weisung zugeteilt werden (vgl. die österreichische Justiz, o.D.). Auch auf freiwilliger Basis ist eine Beantragung möglich, jedoch wird diese Form der Unterstützung in der Justiz im deutschsprachigen Raum von weniger als zehn Prozent der Straftäter*innen selbst initiiert (vgl. Kähler & Zobrist, 2017, S.19).

Das Format der Bewährungshilfe umfasst sowohl sozialarbeiterisch-aktive Unter-stützung bei der Wohnplatzsuche und beim Bewerbungsprozess für ein geregeltes Einkommen, als auch beraterische Tätigkeiten zu eben genannten Belangen und der Erarbeitung von Strategien zur Rückfallsprävention der straffälligen Biographie.

In allen Bundesländern Österreichs ist der Verein Neustart Träger zur Umsetzung von Bewährungshilfe (vgl. die österreichische Justiz, o.D.).

4.1.2 Erziehungshilfe

Wenn Erziehungsbeauftragte ihrer Obsorgepflicht nicht im rechtlichen Rahmen an-gemessen nachkommen, wird von Seiten der Justiz Beratung als Mittel zur Kompe-tenzerweiterung angeordnet (vgl. Schubert et al, 2018, S.209).

Die österreichische Justiz hat für jenen Bedarf nach § 107 Abs. 3 Z 1 AußStrG de-finiert, dass Erziehungsberatungen, Mediationen, oder Gewaltpräventionspro-gramme dann verpflichtend besucht werden müssen, wenn familiäre Krisen und Konflikte in einem Maß ausgetragen werden, dass die Belastung für betroffene Kin-der als unzumutbar eingestuft wird. Auch wenn Eltern als erziehungsunfähig auffal-len, oder aus anderen Gründen notwendige Maßnahmen zur gesunden Entwicklung von Kindern nicht umgesetzt werden, wird Erziehungsberatung initiiert (vgl. Bundes-kanzleramt, Sektion Familie und Jugend, 2018, S.3; § 107 Abs. 3 Z 1 AußStrG).

Durch dieses Pflichtsetting zur Erziehungshilfe wird der Beratungskontext im Hin-blick auf eine Zusammenarbeit oftmals erschwert (vgl. Schubert et al, 2018, S.209).

28 Da die subjektiven Anforderungen der Klient*innen an Fairness in Verfahrensbelan-gen oftmals nicht erfüllt sind, ist eine belastungsintensive Arbeitssituation gegeben, die ausgeglichen werden soll durch resiliente Erziehungsberater*innen, welche jene Belastungen auch stets reflektieren (vgl. Bundeskanzleramt, Sektion Familie und Jugend, 2018, S.11).

4.1.3 Suchtbehandlung und Suchtprävention

Bei Konsum von illegalen Suchtmitteln kann laut § 11 Abs.1 des Suchtmittelgeset-zes unter anderem eine Beratung angewiesen werden. Bestätigungen über abge-handelte Beratungseinheiten werden mitunter von der Bezirksverwaltungsbehörde von betroffenen Personen zur Überprüfung eingefordert (vgl. §11 Abs. 1 SMG; § 11 Abs. 2 SMG; §12 Abs. 3 SMG). Seit 2016 wurde in Österreich eine zusätzliche Mög-lichkeit zum Umgang mit dem Verdacht auf Suchtmittelgebrauch bei Schüler*innen für das zuständige Lehrpersonal eingeführt. Laut § 13 sind Lehrer*innen verpflichtet, jene Vermutungen an den*die Leiter*in der Schule weiterzugeben. Diese*r ordnet eine schulärztliche Untersuchung des*der Schüler*in an. Bei Verhärtung des Ver-dachts auf Konsum illegaler Suchtmittel durch die Untersuchung erfolgen ein Ge-spräch, sowie das Hinzuziehen von Erziehungspersonen der Betroffenen. Sollten entweder die schulärztliche Untersuchung oder weitere Maßnahmen, wie die Inan-spruchnahme einer gesundheitsbezogenen Intervention durch die Schule, eine Therapie oder Beratung von Betroffenen und/oder Erziehungsberechtigten verwei-gert werden, ist der*die Direktor*in verpflichtet, eine Meldung an die Bezirksverwal-tungsbehörde als Gesundheitsbehörde zu übermitteln. Im Sinne einer Haltung, wel-che Schüler*innen unterstützen statt sanktionieren soll, unterliegt das Lehrpersonal und die Direktion einer Verschwiegenheitspflicht und ist nicht befugt, bei der Polizei eine Anzeige zu tätigen (vgl. BMBWF, 2018, S.8; §13 Abs. 1 SMG).

4.1.4 Bildung und Arbeitsmarkt

Das Arbeitsmarktservice (AMS) in Österreich weist arbeitslosen Personen oftmals Beratungen zu, welche dahingehend determiniert sind, diese in Anspruch zu

neh-29 men, da Leistungen wie Bezugsgelder oder erwünschte Ausbildungen bei mangeln-der Teilnahme gekürzt omangeln-der gestrichen werden können (vgl. Fellinger-Fritz, 2015, S.1). Im österreichischen Gesetzbuch behandelt der § 32 des Arbeitsmarktservice-gesetzes die Verpflichtung des AMS, bei Bedarf eine individuelle Unterstützungs-maßnahme, wie beispielsweise Beratung (auch bei Vertragsträgern des AMS) an-zubieten zur Beschäftigungs- und Existenzsicherung (vgl. §32 Abs. 1 AMSG, §32, Abs. 2 AMSG). Wenn das Angebot jedoch nicht angenommen wird, oder Bera-tungseinheiten durch Verschulden des/der Klient*in nicht stattfinden, so kann dies nach § 10 Abs. 3 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes mit einer Einstellung des Arbeitslosengeldes sanktioniert werden (vgl. §10 Abs. 3 AlVG).

Zusätzlich zur Vorschreibung der Beratung an sich werden räumlich-zeitliche Rah-menbedingungen bestimmt, welche wenig Spielraum für Alternativsettings zulas-sen. Auch die Organisation, sowie der*die zuständige Berater*in kann üblicherweise nicht auf Wunsch der Klient*innen gewechselt werden. Diese Vorgaben gelten je-doch auch für Beratende und deren Arbeitgeber*innen (vgl. Glöckler, 2010, S.264).

Käpplinger und Klein verwenden den Begriff der regulativen Beratung, welche aus-geübt wird anhand klarer Vorgaben, die zum Bezug einer Leistung, wie beispiels-weise Weiterbildungsgeld, führen. In jenen Fällen stehen dahinter politische Inte-ressen, das Bildungsziel auf optimalem Weg zu erreichen. Jene so genannten

„Scheckberatungen“ sind vielfach Voraussetzungen für den Erhalt von Weiterbil-dungszuschüssen (vgl. Käpplinger & Klein, 2013, S.341).

Auffallend ist, dass die meisten Träger*innen, welche sowohl von der Justiz, vom Bundesministerium, oder vom AMS beauftragt werden, als Kooperationspartner*in-nen zur Durchführung von Zuweisungen zu fungieren, in Broschüren und auf deren Websites wenige bis keine Informationen preisgeben über jene Verfahren. Im Ge-genzug wird jedoch das Prinzip der Freiwilligkeit häufig als Qualitätskriterium auf den jeweiligen Homepages hervorgehoben.

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