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Beraterische Ausgangssituation

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 76-80)

Um einen Überblick zu erhalten über die beraterischen Ausgangssituationen, wer-den in Folge die zuweisenwer-den Stellen, sowie Haltungen von Klient*innen und dar-gestellte Kontexte der Unfreiwilligkeit im Beratungsprozess beschrieben. Erfragt wurde im Interview konkret die zuweisende Stelle, sowie die Einstellungen von Kli-ent*innen zur Beratungssituation. Kontexte der Zuweisung, sowie Ausprägungen des Zwangs wurden vielfach im Laufe der Interviews von Expert*innen beschrieben, weshalb jene Kategorie induktiv zugefügt wurde.

7.1.1 Zuweisende Stellen

Berater*innen der Arbeitsmaßnahme berichten, dass ihre zuweisende Stelle aus-schließlich das AMS ist (EI2_AM, Abs.17; EI5_AM, Abs.9; EI8_AM, Abs.17).

In der Suchtberatung divergieren die zuweisenden Stellen. Zum einen erlegt das Gericht Beratungen anhand von Weisungen auf, aber auch das Gesundheitsamt, die ÖGK, die Kinder- und Jugendhilfe, sowie Schulen übermitteln laut Expert*innen an die Beratungsstelle (EI1_SB, Abs.19; EI7_SB, Abs.11).

Beide Expert*innen der Suchthilfe berichten auch darüber, dass bezüglich des Zwangskontextes zu bedenken ist, dass nicht nur gerichtliche oder institutionelle Zuweisungen unter die Unfreiwilligkeit fallen.

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„[…] und man müsste wahrscheinlich nochmal so im Bezug auf die subjektive Wahr-nehmung der Klienten und Klientinnen schauen, auch wenn (.) der Arbeitgeber jeman-den schickt, oder der Partner oder die Partnerin erleben sich die (lacht) die Klienten ja selbst manchmal nicht als so freiwillig“ (EI1_SB_Abs.19).

Ebenso wird erwähnt, dass Ehepartner*innen drohen, ihre*n Partner*in zu verlas-sen, sollte diese*r das Angebot der Beratung nicht wahrnehmen (EI7_SB, Abs.29).

In der Erziehungsberatung und der Bewährungshilfe weist das Gericht die Klient*in-nen zu (EI3_EB, Abs.11; EI6_BH, Abs.15).

7.1.2 Kontext der Zuweisung

Die Ausprägungen der Zwangskontexte variieren in den verschiedenen Bereichen stark. Die Suchtberatung beispielsweise ist bei unfreiwilligen Klient*innen, welche die Beratungen nicht wahrnehmen, aufgefordert, dies an das Gericht weiterzuleiten, wo Richter*innen im Anschluss Klient*innen vorladen und teilweise weitere Aufla-gen erleAufla-gen. Eine interviewte Person der Suchtberatung berichtet, dass bei einem Versäumnis der Beratung aufgrund einer Arbeitsaufnahme, sich Richter*innen indi-viduell oftmals gegen eine Sanktion entscheiden würden, da eine Arbeitsstelle als strukturierende Stabilisierung einen höheren Wert habe (EI1_SB, Abs.43). Manche Klient*innen, welche die Suchtberatung abbrechen, so berichtet eine andere Bera-terin, wissen um die Alternative einer Haftstrafe, wofür sie sich teilweise auch ent-scheiden (EI7_SB, Abs.35).

In der Erziehungsberatung hingegen ist es Paaren nur dann möglich, sich scheiden zu lassen, wenn sie eine Erziehungsberatung in Anspruch genommen haben und dies vor Gericht vorweisen können (EI9_EB, Abs.21).

Die Expertin der Bewährungshilfe berichtet darüber, dass Klient*innen sowohl Wei-sungen aufgrund von bedingt ausgesprochenen Haftstrafen oder einer bedingten Entlassung aus der Haftanstalt in der Bewährungshilfe erfüllen müssen, wobei ih-rem Klientel zusätzlich aufgrund psychischer Erkrankungen weitere Weisungen auf-erlegt werden (EI6_BH, Abs.15).

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„Ja, also meine Klienten, weil ich ja hauptsächlich psychisch kranke Klienten habe, die haben meistens eine riesen Bandbreite an Weisungen, also als Beispiel, die müssen zur Bewährungshilfe kommen, sie müssen psychiatrische Kontrollen machen, Medika-mente nach Maßgabe des behandelnden Psychiaters einnehmen, Psychotherapie, ganz oft sind da noch so wie Antigewalttraining, dann sind ganz oft Alkoholkarenz, wo sie Leberwerte abgeben müssen, genau, das sind so die Standardweisungen um die Bewährungshilfe eben.“ (EI6_BH, Abs.17)

Die Beratung von Gefängnisinsass*innen erfolgt in dem Zwangskontext der Inhaf-tierung zwar offiziell auf freiwilliger Basis, jedoch berichtete die Expertin dazu, dass das System selbst eine Inanspruchnahme erzwingt, da notwendige Hilfestellungen, auch zur Vollzugslockerung, nur über den so genannten Sozialen Dienst in den Be-ratungen laufen würden (EI10_IB, Abs.19).

Stark differenziert von jenen Zwangskontexten zeigen sich aufgrund der Interviews die Umstände der Beratung in einer Maßnahme des AMS. Dort findet zwar die erste Beratung unter der Voraussetzung statt, dass für 6 Wochen die Notstandshilfe bei Versäumnis des Termins gestrichen wird (EI5_AM, Abs.45), jedoch erfolgen die restlichen Termine sowohl inhaltlich, als auch in Bezug auf die Häufigkeit auf frei-williger Basis. Rückmeldungen über Fortschritte und Inanspruchnahme des Ange-bots werden zwar halbjährlich vom AMS eingefordert und Teilnehmer*innen werden auch bei unzufriedenstellender Entwicklung teilweise wieder aus dem Projekt ge-nommen, jedoch kann zusammengefasst werden, dass jener Kontext im Gegensatz zu den restlichen Rahmenbedingungen sehr lose gehandelt wird (EI2_AM, Abs.37;

EI5_AM, Abs.49-53).

7.1.3 Haltungen von Klient*innen

Jenes Kapitel befasst sich mit der Haltung von Klient*innen gegenüber den Bera-ter*innen und den beraterischen Grundvoraussetzungen.

Ein Suchtberater berichtet darüber, dass häufig Missverständnisse dafür sorgen, dass Klient*innen Widerstände zeigen in der Zusammenarbeit. Diese hätten Ge-richtsschreiben missinterpretiert und wären zu dem Schluss gekommen, weniger

77 häufig in die Beratung kommen zu müssen, als dies bei der ersten Beratungssitzung angekündigt wird (EI1_SB, Abs.39).

Eine Expertin berichtet über einige Situationen, in welchen ihr Aggressionen entge-gen gebracht wurden und dass Informationen zurückgehalten werden, um Unmut auszudrücken (EI2_AM, Abs.31, Abs.35). Eine andere wiederum erzählt, dass in der Erziehungsberatung Klient*innen vielfach keinen Grund sehen würden, in die Beratung zu kommen, teilweise jedoch wiederum zumindest ein Elternteil sehr wohl Bedarf erkennt (EI3:EB, Abs.37, Abs. 67).

Die Expertin der Beratung von Gefängnisinsassinnen spricht ebenso darüber, dass negative Emotionen auf ihre Person übertragen werden:

„[…] kommt oft ganz, ganz viel (.) Frust von den Leuten, das ich dann schon oft ab-kriege, das betrifft ganz oft allgemein die Situation in der Haft und das mangelnde Verständnis dafür, dass Abläufe in so einem System extrem lange dauern oft […]“

(EI10_IB, Abs.39).

In der Bewährungshilfe ist Unzufriedenheit und Widerwillen ebenso oftmals spürbar auf Seiten der Klient*innen und kann sich auch in Form von Kommu-nikationsverweigerung äußern (EI6_BH, Abs.39). Im Gegensatz dazu schätzt ein Berater des AMS-Projektes die Rahmenbedingungen des hohen Freiwil-ligkeitsgrades als zentralen Faktor ein, dass Klient*innen teilweise sogar Dankbarkeit zeigen würden (EI8_AM, Abs.37).

Ein zusammenfassender Querschnitt durch die Antworten der Expert*innen zu den Haltungen der Klient*innen besagt, dass diese häufig mit starken inneren Wider-ständen in die Beratung kommen, welche sich im Laufe mehrerer Beratungseinhei-ten teilweise wandeln in eine kooperative Haltung.

„[…] aber im Endeffekt findet man immer einen Weg in der Kommunikation […]“

(EI6_BH, Abs.31).

Eine Expertin berichtet sogar, dass ca. 80 Prozent ihrer Klient*innen im Anschluss noch einmal freiwillig zur Evaluierung der Erziehungsberatung kommen würden (EI4_EB, Abs.31).

78 Die Begründungen für negative Einstellungen zur Beratung sieht das Fachpersonal teilweise in schlechten Vorerfahrungen im psychosozialen Beratungskontext, bei der Erziehungsberatung in finanziellem Mehraufwand durch Honorarzahlungen und in der Divergenz der Bedarfseinschätzung zwischen zuweisender Stelle und Kli-ent*innen (EI5_AM, Abs.45; EI4_EB, Abs.37, EI7_SB, Abs.46). Die Beschreibung der Expert*innen zu vielfach erlebten Widerständen von Klient*innen deckt sich mit der Literatur zu Zwangskontexten, welche ebenso äußert, dass eine stabile Bezie-hung zwischen Berater*in und Klient*in durch den Zwangskontext verhindert wer-den kann und mit einer Bandbreite an Reaktionen gerechnet werwer-den muss, welche von offenem Ansprechen des Widerwillens und aggressivem Verhalten bis hin zu unterschwelligen Behinderungsformen des Beratungssettings reichen (vgl. Fellin-ger-Fritz, 2015, S.1; Kähler & Zobrist, 2017, S.98). Dennoch berichtet ein Experte der Erziehungsberatung, dass laut seiner Einschätzung ca. die Hälfte der Parteien die Haltung hätte, die Erziehungsberatung wäre notwendig (EI9_EB, Abs.73). Dies bedeutet, dass Widerstand nicht generell von allen Klient*innen zu erwarten ist.

Auch Kähler und Zobrist schreiben, dass anfängliche Compliance vor allem dann vorhanden ist, wenn Menschen bereits im Vorfeld eine Leidensdruck verspürten und den Zwangskontext somit als Gelegenheit sehen, etwas in ihrem Leben zum Posi-tiven zu verändern (vgl. Kähler & Zobrist, 2017, S.98).

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 76-80)