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Philosophische Haltungen zum Stellenwert der Freiheit

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 17-21)

Folgende Diskussion soll einen kurzen Einblick geben in bedeutsame Aspekte der Meinungsbildung zum komplexen Freiheitsbegriff.

2.4.1 politische Handlungsfreiheit

Mill beschreibt in seinem bekannten Werk „Über die Freiheit“, den Wert der Indivi-dualität des Menschen als sein höchstes Gut. Er kritisiert gesellschaftliche Maßnah-men zur Vereinheitlichung Maßnah-menschlichen Handelns, da jene das persönliche Glück, als auch die Entwicklung der Menschheit behindern würden. Die offensichtliche Fehlbarkeit des Menschen ist laut ihm keine Rechtfertigung für Zurechtweisungen durch den Staat, denn deckungsgleiche Lebensführungen und Haltungen der Men-schen sind nicht wünMen-schenswert, beziehungsweise nur dann akzeptabel, wenn

16 diese bereits durch angesammeltes Wissen ihre Meinung überprüft und für gut be-funden haben. Er begründet seine Priorisierung des unantastbaren Werts der Per-sönlichkeit des Menschen darin, dass nach seiner Annahme niemand widerspre-chen würde, dass die eigene Haltung in Entscheidungsfindungen einen erhebliwiderspre-chen Beitrag leisten soll (vgl. Mill, 1860, S.78ff).

Rousseau hingegen sieht den Willen der Mehrheit eines Systems als unanfechtbare Richtline für Handlungen, welche die Freiheit von Einzelpersonen einschränken darf und erläutert, dass der Gehorsam gegenüber jenem Willen mit Zwang durch die Mehrheit zur Unterordnung durchgesetzt werden darf. Letztendlich geht er in seiner Argumentation so weit, dass ein Mensch, welcher sich nicht dem Allgemeinwillen beugen möchte, unfrei sei und somit zur Freiheit gezwungen werden soll (vgl.

Rousseau, 1758, S. 51).

Alexis de Tocqueville setzte sich Ende des 20 Jahrhunderts mit der Entwicklung des Freiheitsverständnis durch neue Gegebenheiten der Wohlfahrtsstaatlichkeit und dem Voranschreiten der Industrialisierung auseinander. Er regte an, den Anpas-sungsdruck, welcher durch Bürokratisierung und gesellschaftlich etablierende Insti-tutionen entstehe, nicht außer Acht zu lassen, da dieser die innere Haltung der Men-schen negativ verändern würde (vgl. Bluhm, 2018, S. 70). Die Gewährung von Frei-heit solle weiterhin nicht einzig an ihren Vorteilen zu messen sein, sondern um des Freiheitsgedankens selbst willen ermöglicht werden, um Vielfalt in der Gesellschaft und Souveränität des/r Einzelnen auch weiterhin zu wahren (vgl. Bluhm, 2018, S.75).

2.4.2 psychologische Willensfreiheit

Arthur Schopenhauer kommt in seinen Überlegungen über die Willensfreiheit zu der Überzeugung, dass ein wahrhaft freier Wille Utopie sei.

Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge heißt es: „Frei bin ich, wenn ich thun kann, was ich will“: und durch das „was ich will“ ist da schon die Freiheit entschieden. Jetzt aber, da wir nach der Freiheit des Wollens selbst fragen, würde demgemäß diese Frage sich so stellen: „Kannst du auch wollen, was du willst!“ (Schopenhauer, 1839, S.42)

17 Er erläutert seine Erkenntnis anhand eines Beispiels, in welchem einem Mann nach getaner Arbeit viele Optionen freistünden. Er könne sich entscheiden, in ein Lokal zu gehen, einen ausgedehnten Spaziergang zu machen oder die Stadt zu verlassen und nicht mehr zurückzukommen. Doch statt all jene Optionen auszuführen, be-schließt der Mann, sich auf den Heimweg zu seiner Frau zu machen. Schopenhauer vergleicht jenen Mann mit dem Wasser, welches unter verschiedenen Umständen die Möglichkeiten hat zu verdunsten, einen Hang hinunterzulaufen oder zu Eis zu werden. Er veranschaulicht, dass das Wasser nicht frei sei zu wählen, da äußere Einflüsse bestimmen würden, welche Form das Wasser annimmt. Mit dem Mann und dessen Entscheidungen verhalte es sich ähnlich (vgl. Schopenhauer, 1839, S.77). Jener Vergleich ist für Birgit Recki, Philosophieprofessorin an der Universität Hamburg, dahingehend unbrauchbar, da der Mensch im Gegensatz zum Wasser die Möglichkeit hat, eigene Motive zu bedenken. Wasser hingegen ist der Form, welche es annimmt, ausgesetzt durch die Umstände der Naturgegebenheiten, in welchen es sich befindet und hat keine Beziehung zu seinen Beweggründen (vgl.

Recki, 2009, S.34).

Benjamin Libet führte im Jahr 1985 die bekannten Experimente zur Willensfreiheit durch, welche die Spannungen der Hirnregionen, die für Entscheidungen zuständig sind, maßen, während Personen eine Handbewegung zu einem selbst gewählten Zeitpunkt durchführten (vgl. Libet, 2005, S.167). Ergebnis der Untersuchung war, dass die Versuchspersonen selbst angaben, eine Entscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen zu haben, welcher jedoch meist 350 bis 400 Millisekunden hinter dem Mo-ment lag, der im Hirn angezeigt wurde (vgl. Libet, 2005, S.173). Die Schlussfolge-rung für Libet lautete jedoch nicht, dass der Mensch unfrei sei in seinen Handlun-gen, sondern dass lediglich die Einleitung einer Entscheidung nicht gelenkt sei vom Willen. Durch seine Befragungen der Versuchspersonen konnte er in Erfahrung bringen, dass es einige Male vorkam, dass ein Drang zu einer Handbewegung be-wusst von ihnen unterdrückt wurde. Trotzdem jene Angaben dahingehend nicht re-präsentativ messbar waren, dass ein Bereitschaftspotential nicht in einer Handlung mündete, nahm Libet an, dass das Bewusstsein letztendlich kontrolliere, ob die Handlung tatsächlich vollzogen wird (vgl. Libet, 2005, S.181ff).

18 Singer kritisiert die Begrifflichkeit einer möglichen freien Entscheidung damit, dass unzählige unbewusste Vorgänge mit einbezogen werden in einen Entscheidungs-prozess. Von frühkindlichen Erfahrungen, bis hin zu bereits durchlebten Situationen, welcher wir uns zwar zu erinnern vermögen, diese Erinnerungen jedoch nicht allzeit abgerufen werden (vgl. Singer, 2009, S.252f).

Habermas schließlich nimmt die Experimente Libets zum Anlass, um aufzuschlüs-seln, dass bei tatsächlich bedeutenden Abwägungsprozessen, mehr Komponenten zusammenspielen als die bloße Handbewegung, welche keine Konsequenzen für den/die Ausführende/n hat. Im realen Leben beinhalten Entscheidungsprozesse den Fokus auf ein Ziel mit dem Hinblick auf Ressourcen, Optionen und erwartbare Widerstände (vgl. Habermas, 2004, S.873).

Der deutsche Philosoph Dieter Wandschneider kommt bei seiner Auseinanderset-zung zwischen der Autonomie der Willensfreiheit und der Determination externer und interner Faktoren zu dem Ergebnis, dass diese nicht im Widerspruch stehen.

Sobald der Mensch sich bewusst ist, dass er geprägt wird von Anforderungen sei-nes Umfeldes, hat er die Möglichkeit, diese zu reflektieren und auch eigene Ent-scheidungen neu zu überdenken (vgl. Wandschneider, 2010, S.104). Weiter vertritt er die Ansicht, dass Vernunftprinzipien erst internalisiert werden müssen, damit diese zu einem Leitfaden von Handlungen werden, welche Menschen befähigen, aufrichtig und autonom über den eigenen Lebensweg zu bestimmen (vgl. Wand-schneider, 2010, S.106).

Jener Diskurs zeigt auf, dass frühgeschichtliche Haltungen bestehen, welche dem Menschen einen fundamentalen Mangel an Entscheidungsfreiheit diagnostizieren.

Aktuellere Debatten zur Willensfreiheit schreiben jedoch Personen sehr wohl die Fähigkeit zu, vernunftgeleitet, wenn auch nicht völlig determinationsfrei zu agieren.

Für vorliegende Masterarbeit diente jener Exkurs rein der Abgrenzung von Hand-lungsfreiheit zur Willensfreiheit. Die Diskussion um die Willensfreiheit und somit die Frage, ob Bestrafungen gerechtfertigt sind, sollten Menschen determiniert sein in ihrem Wollen, hat jedoch wenig Bedeutung für beraterische Zwangskontexte, da

19 Beratungssituationen zielgerichtet sind und keinen Sanktionscharakter im Sinne ei-ner Bestrafung als Selbstzweck besitzen.

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 17-21)