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Durchführung der Erhebung

Im Dokument Sinn in der Unfreiwilligkeit (Seite 66-71)

6.3.1 Auswahl der Stichprobe

Eine Stichprobe ist die ausgewählte Einheit von zu untersuchenden Subjekten aus deren Grundgesamtheit (vgl. Poscheschnik & Lederer, 2020, S.95). Die Grundge-samtheit vorliegender Arbeit besteht aus psychosozialen Berater*innen im Zwangs-kontext österreichischer Institutionen, Vereine oder Maßnahmen. Die Expert*innen der Stichprobenauswahl wurden hinsichtlich einer möglichst vielschichtigen sozio-demographischen Merkmalverteilung ausgewählt. Sie unterscheiden sich betref-fend ihres Alters, Geschlechts, dem Ausbildungsstatus und sind in diversen Berei-chen von Zwangskontexten vertreten, auf welche auch bereits im theoretisBerei-chen Teil näher eingegangen wurde. Nachdem schriftliche Interviewanfragen vielfach nicht beantwortet wurden, wurde der Fokus auf Expert*innen im Raum Graz gelegt, da hier bereits arbeitsbedingt ein Netzwerk vorhanden war, welches durch Weiteremp-fehlungen von Kolleg*innen positive Rückmeldungen erleichterte. Einzig zwei Inter-views wurde im Raum Niederösterreich per Videotelefonie geführt, da in der Erzie-hungsberatung im Raum Graz nur eine Zusage erfolgte. Insgesamt wurden zehn Expert*innen interviewt, sechs davon waren weiblich und vier männlichen Ge-schlechts. Zwei Personen arbeiten in der Suchtberatung, drei in Beratungseinrich-tungen, mit zugewiesenen Personen vom AMS, drei Personen sind in der Erzie-hungsberatung tätig und zwei in der Arbeit mit straffällig gewordenen Personen.

65 6.3.2 Das leitfadengestützte Expert*inneninterview

Ein Interview definiert sich als Gespräch, welches durch zielgerichtete Fragen eine bestimmte Aufmerksamkeitsrichtung einnimmt und dadurch in der Forschung wis-senschaftliche Daten erhebt (vgl. Poscheschnik & Lederer, 2020, S.127).

Das Expert*inneninterview, auf welches im Anschluss noch näher eingegangen wird, wird in der Forschung vorwiegend als Leitfadeninterview geführt (vgl. Przy-borski & Wohlrab-Sahr, 2014, S.121).

Expert*innen definieren sich dadurch, dass sie in einem bestimmten Bereich über ein hohes Maß an Wissen verfügen, welches jenes der Allgemeinheit überragt. Ein Expert*innenstatus wird sowohl aufgrund gesellschaftlicher Übereinstimmungen von außen zugetragen, als auch von den jeweiligen Spezialist*innen selbst akzep-tiert. Expert*innen dienen jedoch in Interviews nicht nur dem reinen Informationsge-winn. Es wird ihnen auch eine gewisse Deutungsmacht zugesprochen, Gegeben-heiten zu bewerten und einzuschätzen (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014, S.119f). Beim Expert*inneninterview wird vorwiegend Wissen abgefragt in Bezug auf die Expertise des Gegenübers. Die Person selbst und deren Haltungen zu bran-chenunabhängigen Themen stehen nicht im Interesse der Befragung (vgl. Posche-schnik & Lederer, 2020, S.132).

In der qualitativen Forschung sollte ein Interview sowohl die Möglichkeit bieten, un-entdeckte Aspekte einer Fragestellung aufzuzeigen, als auch durch eine gewisse Struktur gänzliches Ausschweifen verhindern. Um den Anforderungen jenes Balan-ceakts gerecht zu werden, wurde das halbstandartisierte Leitfadeninterview entwi-ckelt. Dieses gibt in groben Zügen Inhalte und Ablauf der Fragestellungen vor, ge-währleistet jedoch durch offen gestellte Fragen individuelle Möglichkeiten der Be-antwortung. Verständnisschwierigkeiten können sowohl von Seiten der*die Inter-viewpartner*in, als auch der*die Interviewer*in durch Nachfragen geklärt werden (vgl. Strübing, 2013, S.92f).

Aufgaben der interviewenden Person:

• eine möglichst alltagstaugliche Gesprächsatmosphäre wählen

• Sicherstellung der Funktionen von technischen Geräten

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• freie Fragenformulierung

• jeglichen Antwortinhalten Interesse entgegenbringen und eigene Wertehal-tungen außen vor lassen

• Gesprächsfluss aufrecht halten und Leitfaden flexibel einsetzen

• Antwortmöglichkeiten nur in Notsituationen als Beispiele vorzugeben

• Sprache im Sinne der Verständlichkeit an Interviewpartner*in anpassen

• Expert*innen aussprechen lassen, Redepausen nicht unmittelbar füllen (vgl. Strübing, 2013, S.93; Poscheschnik, Lederer, Perzy & Hug, 2020, S.136f).

In Folge werden die Expert*innen und das Interviewsetting vorgestellt:

Expert*innen der Suchtprävention:

Das erste Interview wurde per Skype am 10.05. mit einem Mitarbeiter (EI1_SP) der Suchtprävention geführt. Im Laufe des Gesprächs wurde bekannt, dass jener Ex-perte auch in der Männerberatung tätig ist, wo ebenso häufig Zwangskontexte gel-ten. Es erfolgte während des Interviews die Vereinbarung, die Antworten auf beide Kontexte zu beziehen. Das zweite Interview der Suchtberatung erfolgte mit einer Suchtberaterin am 01.06. in ihren Arbeitsräumlichkeiten.

Expert*innen in Maßnahmen des AMS:

Das erste Interview (EI2_AM) mit einer Expertin der Arbeitsmaßnahme erfolgte am 10.05. in einer Privatwohnung mit einer Mitarbeiterin eines Beratungsformates, wel-che Klient*innen vom AMS berät. Ein weiteres Interview (EI5_AM) erfolgte in der-selben Beratungseinrichtung am 27.05. im Büro des Experten, und das dritte Inter-view (EI5_AM) wurde ein paar Tage später ebenso in den Büroräumlichkeiten des Experten geführt.

67 Expert*innen der Bewährungshilfe/Insass*innenberatung:

Das erste Interview jenes Bereichs fand am 28.05. (EI6_BH) mit einer Expertin der Bewährungshilfe in dem Büro ihres Trägervereins statt. Das letzte aller geführten Interviews (EI10_IB) fand am 30.06. in der Büroräumlichkeiten einer Sozialarbeite-rin statt, welche Gefängnisinsassen während der Haftzeit betreut und beratet.

Expert*innen der Erziehungshilfe:

Das erste Interview zur Erziehungsberatung (EI3_EB) im Zwangskontext fand am 13.05. statt. Am 17.05. erfolgte das zweite Interview mit einer Erziehungsberaterin (EI4_EB) und am 07.06. das dritte Interview (EI9_EB) mit einem Erziehungsberater.

Die beiden Berater*innen sind in Niederösterreich und der Erziehungsberater in Graz tätig. Alle Interviews fanden per Skype statt.

Codes der geführten Interviews

Suchtberatung Arbeitsmaßnahme Bewährungshilfe/

Insass*innenbera-tung

Erziehungsberatung

EI1_SB EI2_AM EI6_BH EI3_EB

EI7_SB EI5_AM EI10_IB EI4_EB

EI8_AM EI9_EB

Tabelle 2: Interviewcodes

Quelle: eigene Darstellung

6.3.3 Der Interviewleitfaden

In vorliegender Arbeit wurde der Interviewleitfaden als Mittel zur Datenerhebung ge-wählt. Der fertiggestellte Leitfaden ist das Ergebnis der vorhergehenden theoreti-schen Ausarbeitung der Forschungsthematik und bezieht Erkenntnisse und offene Fragen der aktuellen Forschung mit ein (vgl. Kaiser, 2014, S.52). Um sich der For-schungsfrage anzunähern, welche als solche nicht wörtlich gestellt wird, wird der Fragegegenstand operationalisiert. Das bedeutet, dass dieser aufgeschlüsselt wird

68 in Fragestellungen, welche Expert*innen unmissverständliche Formulierungen bie-ten. Da die Dimensionen einer komplexen Thematik bereits in der wiedergegebenen Literatur im theoretischen Teil der Arbeit aufgearbeitet wurde, dienen hier jene Ab-leitungen zur Operationalisierung und wirken unterstützend zur Ausarbeitung meh-rerer Fragestellungen und der Beleuchtung unterschiedlicher Faktoren (vgl. Kaiser, 2014, 55f). Bei der Erstellung des Leitfadens ist darauf zu achten, dass dieser le-diglich als Unterstützung dient, um den Aufmerksamkeitsschwerpunkt nicht außer Acht zu lassen, jedoch kein fixes Schema vorgibt, nach welchem alle einzelnen In-terviews abzulaufen haben. Der Interviewleitfaden soll flexibel eingesetzt werden können und auch unerwarteten Inhalten eines Gesprächs eine Plattform bieten, ohne jedoch die Forschungsfrage dabei in Vergessenheit geraten zu lassen (vgl.

Bogner, Littig & Menz, 2014, S.28).

Die Durchführung eines Pretests des Interviewleitfadens ist hilfreich, um mögliche Untauglichkeiten von Fragestellungen vor dem ersten Expert*inneninterview zu er-mitteln und zu beheben (vgl. Poscheschnik, Lederer, Perzy & Hug, 2020, S.138).

Der Interviewleitfaden durchzog zwei Probedurchläufe mit Personen aus dem na-hen sozialen Umfeld, welche ebenso in Zwangskontexten der Beratung und Betreu-ung tätig sind, um die Länge des Interviews abschätzen zu können, sowie mögli-chen Unverständlichkeiten vorzubeugen. Eine Abänderung des Fragebogens wurde durch die Erprobung nicht notwendig.

Da bei deutungswissensorientierten Interviews der Schwerpunkt vorwiegend auf Haltungen und Orientierungen von Expert*innen liegt, wird hierbei empfohlen, den Interviewleitfaden nicht vorab an die Interviewpartner*innen zu schicken, um unver-mittelte Antworten zu generieren (vgl. Bogner, Littig & Menz, 2014, S.30). Die Ex-pert*innen wurden im Vorfeld flüchtig über die Thematik des Forschungsinhaltes aufgeklärt, wobei die Forschungsfrage an sich ausgespart wurde. Da der Zwangs-kontext gerade von Expert*innen vielfach kritisch betrachtet wird, wurde zur Sicher-stellung der Verhinderung von gesellschaftlich erwünschten Antworten auf eine vor-herige Einsicht in den Interviewleitfaden verzichtet, um möglichst intuitive Äußerun-gen zu erhalten. Die Information über die auditive Aufnahme der Interviews, sowie die anonymisierte Transkription wurde vorab gegeben und eine Zustimmung dazu in einer schriftlichen Datenschutzerklärung abgeholt.

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