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Über Johann Gottfried Schnabels „Salome“ (1748)

2. Die ‚weiblichen‘ Robinsonaden

3.3 Weibliche Gelehrsamkeit im Zeichen der Aufklärung

Die Heldinnen der ‚weiblichen‘ Robinsonaden erscheinen oftmals als starke, selbstbewußte Frauen. In „Salome“ wird zudem in besonderem Maße die große Bildung der Titelheldin betont. Bereits das schon erwähnte Titelkupfer weist in diese Richtung: Es zeigt eine Frau inmitten geographischer und mathematischer Gerätschaft. Globus, Landkarte und Bücher umgeben sie.

(Im Bildmittelgrund ist ein Segelschiff zu erkennen, das in stürmischer See an einer Klippe zerschellt. Im Hintergrund läßt sich die Küste ausmachen mit Bäumen, Büschen und schroffen Felsen.) Salome erscheint im Roman als äußerst gelehrte Person. Ihr Name kann durchaus als Anspielung auf den weisen Salomon gelesen werden, zumal der Roman selbst an zwei Stellen Bezüge zum weisen König herstellt.7 Im übrigen trägt eine Figur aus der

„Insel Felsenburg“ den gleichen Namen.8 Salome „suchte ihr Vergnügen in den Studiis, Poesie und Music“, ihre erste Disputation faßte sie mit 14 Jahren in lateinischer Sprache ab. Sie „hatte eine gantz unvergleichliche Memorie,

7

Salome, S. 137 und 151.

8

Dona Salome, des Kapitän Leonhard Wolffgang erste Frau auf der Insel Bon air. (Wunder-liche Fata, Bd. 1).

auch in so jungen Jahren bereits ein sehr scharfes Judicium.“ In drei Tagen und Nächten vermochte sie, „ein Lateinisches, ein Frantzösisches, ein Teut-sches und ein SchwediTeut-sches Carmen gratulatorium“ zu verfertigen. Auch in Mathematik und „Rechen-Kunst“ war sie allen „in Abo Studirenden“ vor-aus.9 In anderen weiblichen Robinsonaden spielt die Bildung der Frau eben-falls eine wichtige, wenngleich nicht immer ganz so prononcierte Rolle wie in der „Salome“. So erzählt die „Ostfrießländische Robinsonin“ über sich:

„In dem siebenden Jahr des Alters [...] konte [ich] schon in Teutsch-Hollän-disch- und Französischer Sprache reden, lateinisch, nebst denen andern gantz fertig lesen und artig schreiben.“10

Im Zuge frühaufklärerischer Postulate findet der Topos weiblicher Gelehr-samkeit Eingang in die Literatur und Publizistik des 18. Jahrhunderts. Beson-ders eine Gattung, die Moralischen Wochenschriften, sind in dem Zusam-menhang hervorzuheben. Die Verbesserung der weiblichen Bildung liegt ihnen sehr am Herzen. Die Frau als Leserin wird entdeckt und ernst genom-men.11

Gemeinsam ist dieser Literatur der Frühaufklärung ihre philosophische Basis: Sie geht auf der Grundlage rationalistischer und naturrechtlicher Maximen von der Gleichheit aller Menschen aus. Mann und Frau sind poten-tiell mit gleichen geistigen, intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet. Nicht naturbedingte, geschlechtsspezifische Unterschiede, sondern äußere Faktoren (Erziehung, Ausbildung) sind für die zu beklagenden Defizite verantwortlich (Locke: Some thoughts concerning education). In Deutschland gehört in die-sem Zusammenhang zu den wichtigsten Verfechtern einer fortschrittlichen Aufklärungsphilosophie neben Leibniz und Wolff vor allem Christian Thomasius; bereits dessen Vater plädierte für die Verbesserung weiblicher Bildung.12 Die Querelle des Femmes des 17. Jahrhunderts findet somit in

9

Salome, S. 99 f.

10

Die unglücklick-glückliche Ostfrießländische Robinsonin Oder merckwürdige Reisen eines adeligen Frauenzimmers Imela von F** genannt. [Anonym] Franckfurt und Leipzig 1755, S. 25.

11

S. beispielsweise die 1721-23 erschienenen „Discourse der Mahlern“ von Bodmer und Breitinger oder die „Vernünftigen Tadlerinnen“, 1725-26, von J.Chr. Gottsched.

12

S. z.B. Christian Thomasius: Einleitung zu der Vernunftslehre, worinnen durch eine leichte und allen vernünftigen Menschen, waserley Standes und Geschlechts sie seien, verständli-che Manier der Weg gezeigt wird, ohne die Syllogistike das Wahre, Wahrsverständli-cheinliverständli-che und Falsche voneinander zu entscheiden und neue Wahrheiten zu erfinden. Halle 1691. – Sein Vater Jacob Thomasius, Polyhistor und Lehrer von Leibniz, setzt sich 1671 in dem Traktat

„De foeminarum eruditione“ für Frauengelehrsamkeit ein. (These 1: „Die Natur

wider-Deutschland ihre Fortsetzung. Debatten über die Geschlechterbeziehung, weibliche Bestimmung etc. bewegen die Gemüter. Belletristik und Publizi-stik tragen entsprechend zur Popularisierung der Aufklärungsphilosophie bei.

Eine sich entfaltende literarische Öffentlichkeit kann somit am Aufklärungs-diskurs der Zeit teilhaben (Normen- und Wertewandel der Gesellschaft, Utopien, Reformansätze, neue Geschlechterbeziehungen, alternative Weib-lichkeitsmuster etc.). Beispielsweise die zahlreichen Gründungen bürgerli-cher Lesegesellschaften sind Ausdruck dieser sich entwickelnden literarischen Öffentlichkeit.

Gleichzeitig gibt es erste Versuche, das zunächst nur philosophisch und lite-rarisch entworfene Bild des dem Manne ebenbürtigen, aufgeklärten Frauen-zimmers realhistorisch zu begründen. Die zu Beginn des 18. Jahrhunderts einsetzende Spurensuche weiblicher Kultur ist Ausdruck dieser Bemühun-gen. Diese Funktion erfüllen beispielsweise Lexika, so das 1715 erschienene Lexikon „Teutschlands Galante Poetinnen“ von Georg Christian Lehms, der darin 111 deutsche und – im Anhang – 166 ausländische Schriftstellerinnen aufführt, ihre literarischen Verdienste würdigt und die Namen dieser Auto-rinnen damit der Vergessenheit entreißt. Er verweist in der „Vorrede“, die berühmte Frauen aller Disziplinen aufführt, auf eine Tradition weiblicher Gelehrsamkeit.13

Wenn Salome mit akademischen Würden („Doctor-Hut“) ausgestattet und als gekrönte Poetin („poetische Lorbeer-Crone“) in dem Roman erscheint,14 sind Anklänge an aktuelle Ereignisse deutlich spürbar. Zeitgenössische weib-liche Bildungskarrieren sorgten für Schlagzeilen. Laura Catharina Maria Bassi erregte Aufsehen durch ihre Promotion am 12.5.1732 in Bologna. Und in Leipzig wurde Christiana Mariana von Ziegler als erstes weibliches Mit-glied 1730 in die „Deutsche Gesellschaft“ aufgenommen. Sie hielt dort eine Rede zum Thema „Ob es dem Frauenzimmer erlaubt sey, sich nach den

spricht nicht der Ausbildung der Frauen zur Gelehrsamkeit.“ – „§ 6. [...] Gelehrte Bildung gehört zu jener Art von Geisteshaltungen, die auch intellektuell genannt werden. [...] Diese teilen sich in Urteilskraft (iudicium) und Gedächtniskraft (memoria).“ Abdr. in: Elisabeth Gössmann (Hrsg.): Das Wohlgelahrte Frauenzimmer. (Archiv für philosophie- und theolo-giegeschichtliche Frauenforschung 1) München 1984, S. 100 ff.

13 Georg Christian Lehms: Teutschlands Galante Poetinnen Mit Ihren sinnreichen und netten Proben; Nebst einem Anhang Ausländischer Dames / So sich gleichfalls durch Schöne Poesien Bey der curieusen Welt bekannt gemacht, und einer Vorrede. Daß das Weibliche Geschlecht so geschickt zum Studiern / als das Männliche. Franckfurt am Mayn 1715.

14

Salome, S. 130.

senschaften zu bestreben“. 1732 und 1734 erhielt sie für eingereichte Arbei-ten den Preis der Poesie. Am 17. Oktober 1733 schließlich wurde sie als erste Frau von einer Universität (Wittenberg) zur Dichterin gekrönt. Gott-sched schrieb ein Lobgedicht auf sie anläßlich der Dichterkrönung:

„Was prahlt, ihr Welschen, doch so viel Mit euren stolzen Dichterinnen?

Kan der von Ziegler Seytenspiel

Nicht auch in Deutschland Lob gewinnen?

Man siehts! Sie hat sich mehr errungen Als keine noch vor Ihr erlangt;

Indem ihr Haupt mit Zweigen prangt, Die keiner Deutschen noch gelungen;

So manche sich auch vor der Zeit Dem deutschen Helicon geweyht.

[...]

Was euer Kranz bey Männern that,15 Thut dieser bey dem Frauenzimmer;

wie mancher eure Spur betrat,

So fehlts auch der von Ziegler nimmer. [...]“16

Vor diesem Hintergrund des Aufklärungsdiskurses im 18. Jahrhundert über-rascht es nicht, wenn sich auch die ‚weiblichen‘ Robinsonaden für eine – wenn auch nur (wie noch zu zeigen ist) relative – Emanzipation der Frau einsetzen. Interessant dabei ist, daß dem Entwurf alternativer Frauenbilder Muster neuer Männerbilder und Geschlechterbeziehungen entsprechen. Bei Salomes Bruder beispielsweise handelt es sich – in polemischer Umkehrung der traditionellen Rollenzuschreibungen – um einen an Bildung wenig inter-essierten jungen Mann (Kap. 3: Der Sohn des Gouverneurs „will nicht allzu-wohl einschlagen, die Tochter Salome bringt es desto höher.“17). Er ließ „die lieben Bücher immer nach gerade liegen, und machte sich, je höher er heran wuchs, ausser dem Reuten noch andere Divertissements. [...]“18 Er suchte

15

Z. B. Celtes und Opitz.

16

Über Chr. M. von Ziegler ausführlicher s. Magdalene Heuser: Das Musenchor mit neuer Ehre zieren. Schriftstellerinnen zur Zeit der Frühaufklärung. In: Gisela Brinker-Gabler (Hg.):

Deutsche Literatur von Frauen. Bd. I: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.

München 1988, S. 295.

17

Salome, S. 62.

18

Ebd., S. 99.

„sein Vergnügen bloß an Pferden, Hunden, Jagen, Fisch- und Vogelfangen etc.; vor den Büchern und anderen gelehrten Sachen aber“ hatte er „einen rechten Abscheu“.19 Überhaupt erscheinen die in den ‚weiblichen‘ Robinso-naden auftretenden Männer, z. B. zeitweilige Reisegefährten der Heldin, nicht selten als Tölpel, die ihr intellektuell nicht das Wasser reichen können (Schafhirt, Seemänner, Kapitän20). In „Salome“ werden, allerdings nicht fraglos und selbstverständlich, die besagten Normen („Geschlechtscharak-tere“) überschritten. So wird die gelehrte Salome als Ausnahme, als „rechtes Wunder der Natur“21 gefeiert; und ihre Großeltern bedauern nichts so sehr,

„als daß Salome nicht männlichen Geschlechts auf die Welt gekommen wäre“.22 Will sie in der Öffentlichkeit auftreten (z. B. an der Leipziger Uni-versität, wo sie eine „Disputation“, einen Gastvortrag, zu halten beabsich-tigt), so nur in „Männerkleidung“, als ein „junger Cavalier“.23 Ihre weibliche Identität muß sie verleugnen. Die propagierte Gelehrsamkeit der Frau wird auf die Privatsphäre eingeschränkt. Ambivalente Züge des Frauenbildes wer-den bereits an dieser Stelle deutlich.

Bemerkenswert bleibt jedoch, daß die Robinsonaden länger als andere litera-rische Gattungen am Topos weiblicher Gelehrsamkeit festhalten. Die hier angesprochenen Beispiele sind – wie erwähnt – um die Jahrhundertmitte erschienen, zu einer Zeit also, als bereits in der tonangebenden zeitgenössi-schen Literatur das Ideal des aufgeklärten Frauenzimmers dem der ‚tugend-empfindsamen‘ Weiblichkeit gewichen ist, so z. B. in Gellerts „Zärtlichen Schwestern“ (1747), Richardsons „Clarissa“ (1748) u.a.