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Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit?

2. Zwei- und Mehrsprachigkeit in der Kinder- und Jugendliteratur Zweisprachige Bücher sind der augenfälligste Weg, Zweisprachigkeit in

2.1 Eigennamen und Zweisprachigkeit in der Kinder- und Jugendliteratur

In einer zunächst unauffälligen Form findet sich Zweisprachigkeit in nahezu allen interkulturellen Kinder- und Jugendbüchern: Die Menschen nicht deut-scher Herkunft tragen im Allgemeinen Namen aus ihren Herkunftssprachen, die für deutsche Leser und Leserinnen unterschiedlich auffällig sind.

So heißen die Kinder in Weihnachtszeit oder Heiße Schokolade bei Signora Rosa (Hüsler 1996) Betty, Laura, David, Dijana, Anusa, Nadja, Jessica, Mikro, Mourad und Marino, eine Namensliste, die zwar international ist, aber noch keine Auskunft über die Erstsprachen der Kinder gibt, die so hei-ßen. Die Namen sind zudem leicht auszusprechen, so dass auch beim Vorle-sen keine Schwierigkeiten auftreten werden. Dennoch sind Eigennamen aus Migrantensprachen ein Beispiel für die zunehmende Mehrsprachigkeit auch im bundesdeutschen Alltag, in dem sie in Schulen, auf Firmen- und

Gaststät-tenschildern, auf Namenschildern bei Kaufhausangestellten, auf Namens-schildern in Mietshäusern und in den Medien anzutreffen sind. Ihre Wieder-gabe in deutschen Medien unterliegt teilweise einer Stereotypisierung wie der Fall ‚Mehmet‘ gezeigt hat, aber auch die ersten Unterrichtsmaterialien XQG6FKXOEFKHULQGHQHQ$OLXQG$\úHEHVRQGHUVKlXILJYRUkamen. Zwar kommen in der interkulturellen Kinder- und Jugendliteratur auch Namen wie

$OL0HKPHW)DWLPD$FKPHGXQG$\úHYRUGLHLP'HXWschen als ‚typisch‘

für muslimische und türkische Kinder gelten, aber sie werden begleitet von einer Reihe anderer Namen wie Arzu, Murat, Yildiz, Dilek, Hamide oder Oya. Auffällig ist, dass die meisten Namen für Deutsche relativ gut aus-sprechbar sind. Wenn man beobachtet, mit welcher Leichtigkeit Kinder die Namen der Pokémon- Figuren aussprechen, darf allerdings vermutet werden, dass Kinder auch mit komplizierteren Namen aus den Erstsprachen von Migranten keine Schwierigkeiten hätten. Bereits in dem Bilderbuch Selim und Susanne (Kirchberg 1978/82) hatten die beiden Hauptfiguren Vornamen, die die unterschiedliche ‚s‘-Aussprache verdeutlichen, was allerdings in den meisten Kindergärten und Schulen, wo das Buch gelesen wurde, unberück-sichtigt blieb. In Arzu weist die Autorin dagegen auf die weiche Aussprache des ‚z‘ hin (Hüsler-Vogt 1990, 2). Gelegentlich wird auf die Bedeutung von Eigennamen eingegangen, so auch in I like you – und Du? (O'Sullivan / Rös-ler 1992):

Eine ältere Frau nahm das Formular entgegen. „Frau Kunuhr als“, sagte sie.

„O'Connor“, korrigierte Maureen. „Der Name fängt mit dem ‚O‘ an. Es bedeutet Sohn von“, erklärte sie freundlich.

„Interessiert mich überhaupt nicht, was was bedeutet. Keine Zeit dafür. Hier wird der Name unter C eingeordnet, und das O kommt hinten dran wie bei Goethe Komma von. Also, alle drei Kunuhr?“

„O'Connor bitte“, Maureen lächelte, „und auch nicht alle drei.“ (O’Sullivan / Rösler 1992, 18).

In dieser Szene auf der Ausländerbehörde, als die Irin O'Connor sich und ihren Sohn Paddy anmelden will, wird nicht nur die Namenserklärung zurückgewiesen, sondern auch eine Falschaussprache produziert, mit der viele eingewanderte Personen konfrontiert werden. So wird der Name der Protagonistin aus Hamide spielt Hamide (Schwarz 1986) im Alltag oft nach dem deutschen Muster von ‚Hermine‘ fälschlich auf der zweiten Silbe betont – genau wie auch der türkische Mädchenname ‚Emine‘. Dann kann es auch

zur Anpassung an deutsche Ausspracheregeln kommen, was sowohl Anpas-sung signalisieren kann wie auch Resignation gegenüber ständiger Falsch-aussprache.

Der Satiriker Osman Engin zeigt auf, dass der Wunsch nach Namensände-rung von den Deutschen ausgehen kann, die die Assimilation einfordern oder – wie im Beispiel – als Belohnung geben:

„Ali ist der Beste in der Schule, besser als alle deutschen Kinder. Seine Leh-rerin sagt, „Ali, du bist fleißig, und intelligent, so wie es nur die Deutschen sein können, deshalb ernenne ich Dich hiermit zu einem Deutschen. Ab sofort heißt du nicht mehr Ali, sondern Klaus!“ (Engin 1989, 83f.)

Ernster ist der Grund, den Engin (1994) in einer neueren Satire nennt:

„Aus Angst, von Rechtsradikalen als Ausländer erkannt zu werden, hatte ich mir in Deutschland die Haare blond gefärbt und den Schnurrbart abrasiert.

Das machen doch jetzt alle. Das ist die große Mode. Mein Nachbar Hasan Öztürk hat sogar seinen Namen geändert. Er nennt sich jetzt Gottlieb Echt-deutsch.“ (Engin 1994, 43)

Durch die Wahl des Namens ist die satirische Grundstimmung gewahrt. Hier wie in allen literarischen Erzeugnissen ist die Wahl des Namens kein Zufall, sondern Teil der literarischen Aussage wie nicht nur Thomas Manns

‚Buddenbrooks‘ deutlich zeigen (vgl. z.B. Gutschmidt 1989). Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der Namengebung in der interkulturellen Kinder- und Jugendliteratur Bedeutung zuzumessen (vgl. auch Aschenberg 1991;

Schirmer 1992). So verbindet Bosetzky (1984) in seiner Kriminalgeschichte Heißt du wirklich Hasan Schmidt nicht zufällig zwei stereotype Namen aus zwei Sprachen.

Hänseleien auf Grund des Namens spielen in der Kinder- und Jugendliteratur ebenfalls eine Rolle. So berichtet Ümit in Die Deutschprüfung über seine Arbeitskollegen, dass sie sich über seinen Namen lustig machen: „Ümit.

Üüü-ümit, typisch türkischer Name“ (Tekinay 1989, 44).

Ein ganz anderes – soziokulturelles – Thema wird in Spatzenmilch und Teu-felsdreck angeschnitten, als Fatimas Vater kurz vor der Ankunft seines Vaters, des jordanischen Opas, dem Rest der Familie klarmacht, dass Opa auf keinen Fall erfahren darf, dass er und Michaels Mutter unverheiratet zusammen leben, was die Kinder auch mit Namen in Zusammenhang brin-gen:

„Aber war ist mit den Nachnamen?“ wirft Fatima ein. „Margret und Michael heißen doch Steinhauer.“

„Das geht neuerdings, daß ein Ehepaar verschiedene Namen hat“, sagt Mama.

„Ja, und für den Opa ist das kein Problem“, erklärt Karim. „Verschiedene Nachnamen ist er von Jordanien her gewöhnt. Wichtig ist nur, daß sich kei-ner verplappert.“ (Abdel-Qadir 1993, 17).

Eigennamen stehen darüber hinaus auch in einem engen Zusammenhang mit der Identität eines Menschen, was nicht nur Irritationen durch Falschausspra-che erzeugt, sondern auch Schmerz darüber, wenn der eigene Name als fremd empfunden wird. Dies drückt ein Beispiel aus der Migrantenliteratur besonders eindringlich aus:

„Ich gehe hier aufs Gymnasium, habe Freunde und Freundinnen, ein Frem-der würde nie merken, daß ich keine Deutsche bin. Doch da ist mein Name!

‚Moica‘. Er ist nicht deutsch, nein, das kann kein Deutsch sein. Die Eltern meiner Freunde, die Verkäufer im Laden, der Arzt, der meine Karteikarte liest, der neue Lehrer, sie gehen auf Distanz, ich habe mich als das zu erken-nen gegeben, was ich bin. Darf ich das denn nicht?“ (Posavec 1983, 121).

An den Reaktionen auf ihren anders klingenden Namen erkennt die Autorin, dass sie ausgeschlossen oder doch zumindest als ‚fremd‘ wahrgenommen wird, so dass sie sich nicht in ihrer Identität als in Deutschland lebende Jugoslawin akzeptiert fühlen kann. In Die Heimkehr oder Tante Helga und Onkel Hans (Tekinay 1989a) dienen die Namen explizit zum Ausdruck der doppelten Identität eines türkischen Ehepaares, das nach langer Zeit in Mün-chen in die Türkei zurückkehrt, dort aber trotz empfundener Zugehörigkeit auch Fremdheit empfindet, was von den Kindern der Familie durch Namens-gebung zum Ausdruck gebracht wird:

Und der kleine Sohn meiner großen Schwägerin nennt uns „Tante Helga und Onkel Hans“. Und Tante Helga und Onkel Hans haben Anpassungsschwie-rigkeiten und Heimweh nach Deutschland. Aber niemand versteht sie.

(Tekinay 1989a, 146).

Die türkischen Namen werden in der Erzählung nicht genannt. Die Wahl der deutschen Namen ‚Helga‘ und ‚Hans‘, die auch 1989 nicht mehr sehr in Mode waren, haben für deutsche Leser und Leserinnen eine Konnotation, die in den sechziger Jahre verweist.