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Über Johann Gottfried Schnabels „Salome“ (1748)

2. Die ‚weiblichen‘ Robinsonaden

3.4 Liebe und Zauberei

„sein Vergnügen bloß an Pferden, Hunden, Jagen, Fisch- und Vogelfangen etc.; vor den Büchern und anderen gelehrten Sachen aber“ hatte er „einen rechten Abscheu“.19 Überhaupt erscheinen die in den ‚weiblichen‘ Robinso-naden auftretenden Männer, z. B. zeitweilige Reisegefährten der Heldin, nicht selten als Tölpel, die ihr intellektuell nicht das Wasser reichen können (Schafhirt, Seemänner, Kapitän20). In „Salome“ werden, allerdings nicht fraglos und selbstverständlich, die besagten Normen („Geschlechtscharak-tere“) überschritten. So wird die gelehrte Salome als Ausnahme, als „rechtes Wunder der Natur“21 gefeiert; und ihre Großeltern bedauern nichts so sehr,

„als daß Salome nicht männlichen Geschlechts auf die Welt gekommen wäre“.22 Will sie in der Öffentlichkeit auftreten (z. B. an der Leipziger Uni-versität, wo sie eine „Disputation“, einen Gastvortrag, zu halten beabsich-tigt), so nur in „Männerkleidung“, als ein „junger Cavalier“.23 Ihre weibliche Identität muß sie verleugnen. Die propagierte Gelehrsamkeit der Frau wird auf die Privatsphäre eingeschränkt. Ambivalente Züge des Frauenbildes wer-den bereits an dieser Stelle deutlich.

Bemerkenswert bleibt jedoch, daß die Robinsonaden länger als andere litera-rische Gattungen am Topos weiblicher Gelehrsamkeit festhalten. Die hier angesprochenen Beispiele sind – wie erwähnt – um die Jahrhundertmitte erschienen, zu einer Zeit also, als bereits in der tonangebenden zeitgenössi-schen Literatur das Ideal des aufgeklärten Frauenzimmers dem der ‚tugend-empfindsamen‘ Weiblichkeit gewichen ist, so z. B. in Gellerts „Zärtlichen Schwestern“ (1747), Richardsons „Clarissa“ (1748) u.a.

baren Geschencken bombardiret wurde; jedoch alles, nachdem sie es durch-lesen und besichtiget, wieder zurück sendete, in dem Couvert aber nur so viel zur Antwort meldete:

Cupido muß Minerven weichen:

Sonst wolt ich lieber heut erbleichen.“24

Weder „Wollust noch Armuth“ treibe sie zum „Heyrathen“ an, denn – so Salome weiter – ich „hab mich bloß in die Bücher [...] verliebt.“25

Okkultismus, Magie und Zauberei im Zusammenhang der Liebeshandlung geben dieser Robinsonade ihr besonderes Profil. Eine 60jährige Professoren-Witwe, mit der sich Salome anfreundet, führt sie in die Nigromantie, die

„schwartze Kunst“, ein. Sie läßt sie an „magischen Experimenten“ teilneh-men. Das Kristall-Experiment ist für Salome von besonderer Bedeutung. Sie schaute durch ein Glas und „sahe einen sehr propre gekleideten Cavalier, der über dieses einen Ritter-Orden über die Schulter herab hangen hatte, mit einer Schreibe-Feder und Blat Pappier im Zimmer auf- und abspatziren gehen. Es war derselbe ungemein ansehnlich [...].“ Er „schrieb einige Zeilen aufs Pappier, und verschwand endlich. Siehe! (sprach die Professorin) das ist dein zukünfftiger Ehe-Gemahl, allein du wirst, ehe du mit ihm zu Bette gehest, noch manche Troublen erfahren müssen [...].“26

Salome muß dann in der Tat eine Reihe von Abenteuern bestehen: Entfüh-rung, Schiffsreise, Schiffbruch, kurzer Inselaufenthalt vor Holland, be-schwerliche Heimkehr – doch all dies kann ihr nichts anhaben, weiß sie doch von vornherein, daß alles gut endet. Sie wehrt alle ‚falschen‘ Bewerber, ohne zu zögern, ab. Irrwege aus Liebesgründen bleiben ihr erspart, kennt sie doch den Richtigen. Als dieser dann endlich auf der Bildfläche erscheint, reicht sie ihm – wie im Märchen – kurz darauf die Hand fürs Leben. Ihr ‚Prinz‘ ist der Premier-Minister Graf von Hx., der auf Geheiß des Königs nach Abo reist, um einen Streit zwischen dem Gouverneur und dem Baron Magnus zu schlichten. Dabei ging es vor allem um die Ehre und 'Unschuld' (Keuschheit) Salomes. Angesichts der Beschuldigungen will Salome ins Kloster gehen.

„Hierwieder protestire ich solennißime (sprach der Graf Hx. hierauf) und biete ihnen unvergleichliche Salome, in Gegenwart dero hohen Eltern, mein

24

Ebd., S. 114 f.

25

Ebd., S. 148.

26

Ebd., S. 113.

Hertz an. Im Jahren [Alter] werden wir beyde ohngefehr wohl auf 6 oder 8 nicht differiren, und wenn dieselben sonsten an meiner Person und wenigen Vermögen nichts auszusetzen haben, kann aus uns beyden ein Paar der aller-vergnügtesten Eheleute entstehen [...] Der Graf führete die Salome nur 3mal im Zimmer auf und ab, sprach mit derselben, und endlich sagte sie Ja!“27 Kurz und bündig (auf zwei Seiten in dem 300 Seiten umfassenden Roman) wird das happy end beschrieben (Hochzeit; Feier; Geschenke etc.). Sie hei-ratet ihn, weil es ihr so vorherbestimmt war (die göttliche Vorsehung in säkularisierter Form); von erotischer Anziehung, zärtlicher Liebe oder romantischer Leidenschaft ist keine Rede. Ihr Gemahl war „dickblümschig im Gesichte und rothen Backen, mittlerer Taille, und proportionirlichen dicken Bauchs [...]“28 Eher fühlte sie sich zu dem Baron Magnus hingezo-gen: Sie hätte eigentlich „ihrem Gout nach“ den „schönen qualificirten Baron [Magnus] sich gern zum Ehe-Gemahl gewünschet, da ihr aber die alte Pro-fessorin die Ohren täglich mit dem Verhängnisse und Schicksale anfüllete, beruhigte sie sich endlich, zumal da der Graf von Hx. doch auch ein liebens-würdiger und wohl conduisirter Herr war.“29

Eine „vernünftige Liebe“ (Thomasius) gibt die Basis der Verbindung ab. Die Liebe als Freundschaft, die künftiges Glück verheißt und ein Leben lang hält, das entspricht dem aufklärerischen Liebesbegriff. Der Partner wird nicht selbst gewählt; die Romanheldin akzeptiert, was das ‚Schicksal‘, die wunder-bare Vorsehung ihr zugedacht hat. Im Bereich der Liebe bleibt die Heldin passiv und willenlos. Die Diskrepanz zwischen ihrer Autonomie in geistig-intellektueller Hinsicht und ihrer Fremdbestimmtheit im emotionalen, ero-tisch-sexuellen Bereich ist auffällig; dort Stärke, Unabhängigkeit, Freiheit, hier Abhängigkeit und Schwäche. Hinsichtlich ihrer Emotionen und Affekte erscheint sie als Figur, als Typ (und nicht als Charakter): flächenhaft und eindimensional (Lüthi) – den Märchenfiguren darin nicht unähnlich. In der Liebe bleibt die Frau Objekt. Eigene, individuelle Gefühle kann sie nicht ent-wickeln. Marionettenhaft und emotional unterentwickelt erscheint in punkto Liebe auch Alexandrine in der „Ostfrießländischen Robinsonin“.

Die Heldinnen sind als ‚ganze‘ Person, als ‚ganzer‘ Mensch (intellektuell u n d psychisch) noch nicht Subjekt, das sich wandeln und entwickeln kann.

27

Ebd., S. 299.

28

Ebd., S. 113.

29

Ebd., S. 300.

Letztlich bleiben sie das, was sie waren. Die Reise in die Welt hinterläßt bei ihnen keine Spuren; die ‚weibliche‘ Robinsonade ist kein Bildungsroman.

Der Liebesdiskurs der ‚weiblichen‘ Robinsonaden dieser Phase (mittlere Aufklärung) bleibt eher blaß, stereotyp, statisch und formelhaft. Erst gegen Ende des Jahrhunderts rücken die weiblichen Robinsonaden mit ihrer zuneh-menden Vorliebe für die Entfaltung konkreter, gefühlvoll-amouröser Ge-schichten mit eigener Dynamik in immer größere Nähe zum sentimentalen Unterhaltungsroman bzw. Frauenroman.

Interessant ist das Einbeziehen wunderbarer, magischer Elemente in die Handlung des Romans. Salome vermag z. B. mittels eines Glases unsichtbar zu werden. Literarische Vorbilder existieren bereits: In etlichen Romanen des Barock gehören magische Vorgänge, Okkultismus, das Unsichtbarkeits-motiv u. ä. zum festen Inventar.30 So etwa in Grimmelshausens Roman „Das wunderbare Vogel-Nest“ (1672/73). Es ist nicht auszuschließen, daß die Picaro-/Picara- und Abenteuerromane des 17. Jahrhunderts darin die ‚weibli-chen‘ Robinsonaden beeinflußt haben; zumal weitere Parallelen auffällig sind: etwa das Motiv der Verkleidung (Frauen reisen in männlicher Klei-dung; Wechseln des Kostüms / des Namens, das den Rollentausch der Heldin symbolisiert; Androgynität der Heldin, s. etwa „Courasche“ von Grimmels-hausen etc.).

Daß das Wunderbare in der Epoche der Aufklärung nicht völlig verbannt war, zeigen die poetologischen und literaturtheoretischen Kontroversen, z.B.

zwischen Gottsched und den Schweizern. Bodmer und Breitinger räumten dem Wunderbaren, der Phantasie aus wirkungsästhetischen Gründen einen breiten Raum ein. Denkbar wäre Schnabels Affinität zu dieser Position, die in der zeitgenössischen Diskussion immer mehr Anhänger fand.31 Freimau-rertum und Pietismus mögen auf Schnabel in dieser Hinsicht auch inspirie-rend gewirkt haben. (Graf Stolberg stand dem Pietismus nahe; wähinspirie-rend sei-ner Harzer Zeit wird Schnabel nicht ohne entsprechende Anregung geblieben sein.) Im Roman wird bezeichnenderweise zwischen der Gutes bewirkenden Magie der Professoren-Witwe und „gottloser und unchristlicher“ Magie

„infamer Hexen“ (die Unheil anrichten) unterschieden.32 Ob in der Tendenz

30

Vgl. Frances A. Yates: The occult philosophy in the Elizabethan age. (Repr.) London u.a.

1985.

31

Vgl. Wilhelm Voßkamp (Hg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien über neuzeitli-che Utopie. Bd. 1-3. Frankfurt/M. 1985.

32

Salome, S. 123.

zum Okkulten und Wunderbaren auch eine bewußte Rationalismus-Kritik Schnabels zu sehen ist, möchte ich als Frage offen lassen.

4. ‚Männliche‘ und ‚weibliche‘ Robinsonaden – ein Vergleich

Die Gemeinsamkeiten bestehen – wie wir sahen – u. a. in der Verwendung gattungstypischer Motive. Im einzelnen lassen sich aber gerade in der Frage der Motivgestaltung deutliche Unterschiede zwischen beiden Typen feststel-len.33

- Der Aufbruch in die Fremde

Die Heldinnen verlassen unfreiwillig ihre Heimat. Abenteuer- und Ent-deckerlust der ‚männlichen‘ Robinsonaden sind hier nicht zu spüren. Die Heldin ist auch nicht – wie oftmals Robinson – zivilisations- und europa-müde. Salome wird entführt; Alexandrines Aufbruch gleicht eher einer Flucht. Sie bringt ein uneheliches Kind zur Welt und will der Ächtung sei-tens ihrer Umwelt (besonders der Mutter) entgehen. Die gesellschaftlichen Normen hat sie so stark verinnerlicht, daß Schuldgefühle zu Depressionen führen (Selbstmordgedanken, Selbsttötungsversuche). Doch anders als bei-spielweise in der Literatur des Sturm und Drang gelingt es hier der Heldin, sich selbst und das Kind zu retten; sie verläßt – wie gesagt – die Heimat;

Pflegeeltern nehmen sich des Kindes an.

- Der Inselaufenthalt

Die Insel wird für den Helden der Robinsonade der Ort einer idealen Lebens-form. Schnabels „Insel Felsenburg“ bietet das beste Beispiel einer Gesell-schaftsutopie: der ersehnte Staat im Kleinen: Den Helden zieht nichts mehr fort. Im Gegenteil: Immer mehr Gleichgesinnte kommen auf die Insel („Asyl der Redlichen“, Schnabel) und erfreuen sich der idyllisch-patriachalischen Gesellschaftsform. Für die Heldin stellt der Inselaufenthalt nur eine Zwi-schenstation dar. Salome wird auf eine felsige Insel verschlagen. (Die barocke Allegorie „Fels in der Brandung“ haben beide Robinsonaden Schna-bels gemeinsam.) Die Heldinnen halten es nicht lange auf den Inseln aus; sie sehnen sich zurück in ihre ‚alte Welt‘ (die ‚alte Ordnung‘). Salome bleibt – bis zu ihrer „Rettung“ – nur 20 Tage auf der Insel. Anders als in der

33 S. auch Helga Brandes: Robinson und Robinsonin, a.a.O., S. 14 ff.

lichen Robinsonade wird hier die Insel nicht zum Modell einer neuen Gesell-schafts- oder Staatsform. Sie ist nicht Utopia, sondern liegt vor Hollands Küste.

- Die Rückkehr

Der Aufbruch des Robinson führt meist zum endgültigen Bruch mit der

‚alten‘ Welt (Europa und die alte Ordnung). Die Robinsonin bleibt dagegen nur vorübergehend draußen. Die ‚neue Welt‘, die fremden Länder und Men-schen, die Exotik, das ‚Wilde‘ und Andersartige, all das wirkt bei aller spür-baren Faszination doch letztlich bedrohlich. Alexandrine empfindet im Rückblick die langen Jahre der ‚Irrfahrt‘ (17 Jahre) als Zeit der „Betrübniß“.

Die Reise bleibt – wie schon erwähnt – ein Abenteuer, das keine Spuren hin-terläßt, eine Episode ihres Lebens ohne Folgen für die eigene Entwicklung.

Sie kehrt in die patriarchalische Ordnung zurück: Heirat und Familiengrün-dung besiegeln diesen Schritt, der von ihr nun als Glück empfunden wird.

Weniger abenteuerlich als in anderen ‚weiblichen‘ Robinsonaden verläuft Salomes Reise: Der Weg führt sie von der Insel nach Amsterdam, von Holland durch das Paderbornische, über Göttingen, Nordhausen, Stolberg, wo sie 6 Tage bleibt „und dieses sonderlich wegen der dasigen berühmten Silber- und Kupfer-Bergwerke“, um „auch die auswärtigen Berg-Anstalten, Künste, Gruben, Schächte und dergleichen in Augenschein“ zu nehmen.34 (Diese Passagen, ebenso wie die Berichte des Vaters über seine Lappland-Reise, enthalten bereits Elemente der Bildungsreise.) Über Leipzig und Hamburg kehrt sie nach Abo zurück. Natürlich nur im „Schutz“ männlicher Begleitung (mit ihren beiden „Bedienten“).

Salome wird in die alten Schranken weiblicher Bestimmung gewiesen. In der Rolle der Ehefrau, als Gattin des Premier-Ministers wird sie wirken; eine gesellschaftliche, gar politische Hauptrolle bleibt ihr versagt. Die Robinso-nade entbehrt zwar – wie wir sahen – nicht eines gewissen utopischen Gehalts; das patriarchalische System wird jedoch nicht angetastet. Die eman-zipatorischen, frauenfreundlichen Tendenzen halten sich – der vorherrschen-den Aufklärungsideologie gemäß – in Grenzen. Cupido mußte zwar weichen, doch auch Minerva kam nicht recht zum Ziel.

34 Ebd., S. 257.

Der kinder- und jugendliterarische Ertrag des