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Der Wandel Südafrikas und seine Resonanzen in „weißer“ Literatur Dieser Abschnitt behandelt Heimsuchungen im Sinne des zweiten Strukturmerkmals, der

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 44-49)

2.3 Kontextorientierte Formen: generative loci

2.3.2 Der Wandel Südafrikas und seine Resonanzen in „weißer“ Literatur Dieser Abschnitt behandelt Heimsuchungen im Sinne des zweiten Strukturmerkmals, der

wiederholten Hinweise auf einen ursächlichen Bruch. Ich behaupte, dass der Wandel in Südafrika rund um das Ende der Apartheid als struktureller Bruch verstanden werden kann.

Einerseits veränderte sich dadurch nicht nur die politische Ordnung, sondern auch alltägliche Ordnungen Einzelner. Andererseits konnte dieser Wandel für die bis dahin privilegierten weißen Südafrikaner bedrohlich wirken, folgt man Erhard Reckwitz. Er setzt sich in „Utopian Delights and Dystopian Horrors“ mit den zeitgenössischen Fiktionen weißer südafrikanischer Autoren auseinander und spricht im Zuge dessen über ein Genre des Farmromans oder „plaasroman“:

In ihm wird dasjenige auf literarische Weise symbolisch enkodiert, was in jeder kolonialen Gesellschaft ein Freudsches „Urverdrängtes“ darstellt: das vage − weil verdrängte − Bewußtsein, dass das Land, das man lediglich gemäß dem geltenden „Recht“ des Kolonisators sein eigen nennt, ursprünglich einer indigenen Bevölkerung gehörte, die enteignet und vertrieben oder vernichtet wurde. Um dies zu kompensieren, wird der Grundbesitz ideologisch verfestigt und utopisch überhöht in einem Diskurs, in dem diskursive énoncés, wie die Rechtmäßigkeit von Besitz und Grundwert, die Verbundenheit mit der Natur, die Farm als Heimat und die besitzlegitimierende Arbeit auf ihr sowie die Kontinuität von Erbrecht und Generationenfolge dominieren.23 (Reckwitz 2002, 191)

Reckwitz sieht also in den Konfigurationen und Wahrnehmungen weißer Südafrikaner von ihrer Heimat eine ideelle Beschwörung im Dienste einer Rechtfertigungsstrategie:

Die utopische Erweiterung ins Imaginäre, die den plaasroman als literarischen Bestandteil dieses Diskurses auszeichnet, verdankt sich dem Bestreben, vor der unhintergehbaren und − gerade in Südafrika immer wieder physisch manifesten − Konflikthaftigkeit der Expropriation und ihren politischen sowie gesellschaftlichen Folgen in ein immer wieder beschworenes Ideal zu entfliehen. Demnach steht die Farm, vor allem in der

kontrafaktischen Heraufbeschwörung dessen, was längst vergangen ist, für ein never-never-land.24 (Reckwitz 2002, 191)

Solche Imaginationen lassen Unheimliches zurück − durch das wenigstens unbewusste Wissen, dass die heraufbeschworene Heimat in dieser Form höchst fragil ist, reale Umstände dagegen temporär ausgeblendet, ausgeschlossen oder verdrängt werden und somit immer auf der Schwelle ihrer Wiederkehr stehen.

Sara Upstone beschäftigt sich in Spatial Politics in the Postcolonial Novel ebenfalls mit Brüchen und ihren Folgen in der Literatur. Sie stellt einige Punkte heraus, die das Motiv des Hauses im kolonialen und postkolonialen Kontext als Traditionsstrang skizzieren. Er besteht ihr zufolge aus drei Stufen: Zunächst geht sie von dem kolonialen Haus in Romanen und Berichten der Kolonialliteratur aus. Sie stellt fest, das seine literarische Gestaltung bestimmten metonymischen und metaphorischen Strategien folge. Das koloniale Haus stelle ein verkleinertes Modell der Kolonie dar und funktioniere im Häuslichen, also im Kleinen, ebenso wie die koloniale Heimat im Großen. Letzterer lägen die Annahmen zugrunde, dass eine bürgerliche, zumeist christliche Mittelklasse und die darin gesicherte Häuslichkeit ideal und daher eine aggressive Expansion wert seien (Upstone 2009, 115-116).

Here what happens inside homes plays its part: orderly, clean and well-kept dwellings serve to maintain the colony's order on the sale of the individual family. The domestic ideal of the nineteenth century was an illusion but [...]

it was nevertheless − indeed perhaps even more so because of this − a powerful force, and one inherently tied to colonies. At least in English colonies and neo-colonial America, the home followed victorian terms, but the household, in all its grandeur, was a microcosm of the wealth of empire and its maintenance − echoing the city also − by surveillance. (Upstone 2009, 117)

Es scheint keine neue Erkenntnis zu sein, dass imperialistische Ideale in koloniale Texte eingewebt sind. Die von Upstone untersuchten Aspekte erhellen jedoch jene Ordnungen des Zusammenlebens, die wir sie in den Textanalysen vorfinden: Ihr zufolge gibt es eine typische koloniale Rollenverteilung − der Mann bewache die Grenzen des Imperiums (in Miniatur) und sorge damit auch für dessen Strukturierung. Die Frau sei mit dem

24 Anm.: Hervorhebungen vom Original übernommen.

Aufrechterhalten der Ordnung im Inneren beschäftigt. Sie funktioniere wie ein Echo, wiederholt die Regeln kundgebend, die im Äußeren wie im Inneren gelten sollen (Upstone 2009, 118). Das deckt sich mit der folgenden Feststellung von J.M. Coetzee in White Writing über das Genre des Farmromans, in welchem die Heimat meist weiblich konnotiert sei: „Not surprisingly, in the farm novel we find women[...] imprisoned in the farmhouse, confined to the breast-function of giving food to men, cut off from the outdoors.“ (Coetzee 1989, 9)

In den Literaturanalysen findet sich der Aspekt sowohl in Salamander Cotton, als auch in Triomf und The Folly wieder: In beiden Fällen gestaltet sich die Heimat insbesondere für die weiblichen Figuren als höchst problematisch. Dieser Umstand entspricht Upstones Annahmen, dass sich mit dem Ende solcher politischen Systeme auch die literarischen Repräsentationsformen von Heimat und Wohnraum veränderten.

Die zweite Stufe im Traditionsstrang stellt Upstone wie folgt dar: Spätestens in der sogenannten postkolonialen Literatur fänden sich dysfunktionale Häuser voller Brüche und Schwierigkeiten, die auf die von vornherein bestehenden Risse im ideologischen Fundament hinweisen (Upstone 2009, 119, 124). Zuletzt führt der von Upstone postulierte Traditionsstrang zu dem magisch-realistischen Haus, wie man es ebenfalls aus den sogenannten postkolonialen Texten kennt. Es repräsentiere nicht mehr eine koloniale Ordnung oder die „Antithese“ dessen, wie in den dysfunktionalen Häusern, sondern einen fiktiven Raum, der verschiedene und zum Teil auch widersprüchliche Bedeutungen in sich trägt. In dessen Wohnräumen öffnen sich die Grenzen, es entstehen „Schlupflöcher“

innerhalb einer „fluide“ werdenden Ordnung (Upstone 2009, 119, 139).

Auch hinsichtlich von Heimsuchungen in der Literatur südafrikanischer Weißer ist es sinnvoll, auf einen solchen Repräsentationswandel zu achten. Denn durch den Bruch, den der Wandel Südafrikas darstellt, kann eine erhebliche Spannung in der Konfiguration von Räumen des „Eigenen“ und des „Anderen“ entstehen, der sich in wiederholten Hinweisen bemerkbar macht. Das bestätigen Jack Shears Untersuchungen über einen Zeitgeist of cultural tension in Südafrika und dem daher häufig in literarischen Texten anklingenden gothic mode (Shear 2006, 39-40). Zudem lässt sich in den Wohnräumen der Primärtexte oft eine problematische Grenzziehung zwischen innen und außen, Gegenwart und Vergangenheit vorfinden − thematisch einhergehend mit dem von Upstone postulierten Repräsentationswandel literarischer Häuser.

Auch Reckwitz beschäftigt sich mit diesen Phänomenen und nennt sie eine „Verzahnung von Realem und Imaginärem“ (Reckwitz 2002, 183). Wie zu Beginn dieses Kapitels wiedergegeben, weist er bezüglich eines „Ur-Verdrängten“ der weißen Siedler darauf hin, dass sich weiße Südafrikaner mitunter einen Weg aus ihrer selbst etablierten Ordnung suchen, welche mit Schuld beladen ist und zudem in der bestehenden Form zu Ende geht (Vgl. S. 43-44). Sie fabulieren also im Genre des Farmromans eine Vergangenheit, die es so nicht gegeben hat und in der vieles ausgeblendet wird.

Reckwitz zufolge sind entsprechenden Texte binär angelegt: Zunächst durch eine mit bedrückenden Problemen belastenden Gegenwart in der Post-Apartheid. Den Gegenpol dazu bildet eine erzählte Rückschau in die Kindheit der Protagonisten, welche meist auf einer Farm spielt und mit dem traditionellen Genre des Farmromans korrespondiert. So teilen die Rückschauen „das gesamte diskursive Inventar des plaasroman mit seinen Begrifflichkeiten wie Heimat, Besitzrecht, Abstammung, Bodenverbundenheit [...].“ (Reckwitz 2002, 200) Mit diesen Aspekten werden in dem Genre Rechtfertigungsversuche dafür vorgenommen, dass die Protagonisten zu diesem Land gehören und dort während der Apartheid gewissermaßen das richtige Leben führen (Reckwitz 2002, 200). Bei den fabulierten „Schlupflöchern“ aus der Gegenwart in eine romantisierte Vergangenheit geht es Reckwitz zufolge um ein Aushandeln der eigenen kindlichen Unschuld, die sich in der gegenwärtigen Perspektive zur Mit-Schuld oder Mitwisserschaft gewandelt habe und somit verloren sei: Über die Rückschau werde versucht, eine gegenwärtige Sicht auf die eigene Rolle im Apartheidsstaat mit den persönlichen Erinnerungen in Einklang zu bringen (Reckwitz 2002, 196). Jedoch werde diese individuelle Utopie einer idyllischen Kindheit auf einer Farm letztendlich fast immer durch die gesellschaftliche Dystopie auf der Makro-Ebene zunichte gemacht (Reckwitz 2002, 204-205).

Jochen Petzold teilt diese Annahmen in Re-imagining White Identity by Exploring the Past.

History in South Africa's Novels of the 1990s. Er stellt fest, dass in den sieben von ihm analysierten Romanen jeweils die Gegensätzlichkeit von Vergangenheit und Gegenwart betont seien, aber in keinem der Fälle eine Vereinbarkeit (Petzold 2002, 182-183, 209-210). Zudem beschreibt Petzold ein golden age theme, welches häufig in der Rückschau in die idyllische Kindheit der Protagonisten evoziert werde. So drehten sich die Beschreibungen um die Farm als kleinen Kosmos, in welchem alles seine Ordnung zu

haben scheine; weiße Farmer und schwarze Angestellte lebten in völliger Harmonie miteinander und im Einklang mit dem Land, die Farm sei eine beinahe zeitlose, idealisierte Heimat. Solch stilisierte Erinnerungen führten jedoch zu Differenzen im Selbstbild der Protagonisten, die in der erzählten Gegenwart nach dem Ende der Apartheid und im Zuge einer nationalen Aufarbeitung ihre Konzeption von Heimat in Frage stellen müssten (Petzold 2002, 182-183, 209-210).

Der Bruch, den der extreme Kontrast zwischen der empfundenen Gegenwart und der (oft verklärten) Vergangenheit für weiße Südafrikaner darstellen kann, sorgt in mehreren der Primärtexte für Ambivalenz. Es kann jedoch sein, dass es für die Heimsuchungen der Figuren mehrere ursächliche Brüche auf unterschiedlichen Ebenen gibt, welche sich gegenseitig bedingen und verstärken. Sie müssen also nicht in jedem Fall von dem Wandel ihres Landes ausgehen. Dieser wird jedoch in allen Texten mehr oder weniger direkt thematisiert − diese Unterschiedliche machen eine Untersuchung besonders interessant:

Das erörterte Motiv des idyllischen Lebens auf einer Farm klingt zum Teil auch in den Primärtexten als imaginative Rechtfertigung für den Landbesitz weißer Südafrikaner an, etwa in Triomf und The Impostor. In Gem Squash Tokoloshe bricht die − allerdings wenig idyllische − Kindheit der Protagonistin durch die Zeugenschaft eines Unrechts durch Weisse ab. Solch ein Erlebnis verursacht, wie Petzold es darlegt, dass die entsprechende Figur die Zeugenschaft − welche oft als Mitschuld empfunden wird − im Laufe der Handlung in Einklang mit der äußeren Geschichte Südafrikas bringen muss (Petzold 2002, 209-210). Das ist in Gem Squash Tokoloshe der Fall.

Die Erfahrungen schwarzer Südafrikaner kommen daneben in den Primärtexten dieser Arbeit jedoch kaum zur Sprache. Coetzee beschäftigt sich mit eben dieser Auslassung in White Writing:

The silences in the South African farm novel, particularly the silence about the place of the black man in the pastoral idyll [...] speak more loudly than they did fifty years ago. Our ears today are finely attuned to modes of silence. [...] substantial silence structured by tracings of sound. Our craft is all in reading the other: gaps, inverses, undersides; the veiled; the dark, the buried, the feminine; alterities. [...] Only one part of the truth, such a reading asserts, resides in what writings say of the hitherto unsaid; for the rest, its truth lies in what it dare not say for the sake of its safety, or in what it does not know about itself: in its silences. It is a mode of reading which,

subverting the dominant, is in peril, like all triumphant subversion, of becoming the dominant in turn.25(Coetzee 1989, 81)

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 44-49)