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Besitz und Besessenheit

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 85-90)

3 Textanalysen 1: Unheimliche Farmhäuser

3.2. Rachel Zadok: Gem Squash Tokoloshe (2005)

3.2.3 Besitz und Besessenheit

Der zweite Teil des Romans kreist um die Frage, was in dieser Lücke von Faiths Wahrnehmungen geschehen ist. Der Kern ihrer Erschütterung − die eigene Mitschuld an Nomsas Tod − wird zu einem ausgeschlossenen Anteil in Faiths innerer Ordnung. Es spricht für ein Trauma, dass dieser Auslassung eine subversive Dynamik zukommt, während sich Faith nicht an die Erschütterung selbst erinnern kann.

Die Protagonistin wird als junge Erwachsene von den Folgen ihrer Vergangenheit heimgesucht. Sie wuchs seit dieser Nacht bei einer alten Freundin ihrer Mutter auf, die mit einer Tochter in Faiths Alter in Johannesburg lebt. Obwohl sie liebe Menschen um sich hat, lässt sie sich orientierungslos durchs Leben treiben. Ihre Vergangenheit hat Faiths innere Ordnung derart verstört, dass sie keine neue Heimat finden kann: „Fifteen years on I'm still displaced, unsettled, homeless.“ (Zadok 2005, 203)

Faith erfährt vom Tod ihrer Mutter, die den Mord an Nomsa vor fünfzehn Jahren gestanden hat und in die Psychiatrie anstelle eines Gefängnisses kam. Auch Faith hält Bella aufgrund ihrer eigenen Gedächtnislücke für Nomsas Mörderin, sie hatte sie nur ein Mal in der Psychiatrie besucht. Sie will mit ihrer Vergangenheit abschliessen und gibt vor, dass ihr Bellas Tod nichts anhaben könne. Doch wie Faith mitgeteilt wird, erbt sie die Farm. Von da an begegnen ihr immer wieder unheimliche Andeutungen auf die früheren Ereignisse, zum Einen in Albträumen: „I haven't had the nightmares in years. Perhaps Mothers's causing them from the grave, unwilling to be forgotten and left to rot.“ (Zadok 2005, 187) Zum Anderen wird sie von einer blinden alten Frau verfolgt, die sich als Medium ausgibt: „You cannot make a home for yourself while your spirit is buried elsewhere. If you don't return home to free your spirit, you will get sick. You already are.“ (Zadok 2005, 231) Die

Warnungen der Frau beunruhigen Faith zutiefst. „The woman leans forward, her hand still tightly gripping mine, and hisses the words: 'Go home.' There is a look in her blind eyes that reminds me of Mother, a madness I've forgotten, or chosen not to remember.“ (Zadok 2005, 191)

Das Motiv der verstörenden Blicke setzt sich folglich fort, ebenso wie Faiths damit verbundenen Ängste vor ausgetauschten Menschen und dem eigenen Ausgewechselt-Werden (Vgl. Zadok 2005, 183). Sie kann ihre Pflegemutter und -schwester nicht mehr als selbige Personen erkennen: „As I look at her I realize there's something odd: she looks like Mia, but there is nothing familiar about her, it's like I've never seen her before.“ (Zadok 2005, 227) Das Vertraute wird erscheint als leere Hülle. Aus der Sicht ihrer Pflegefamilie wiederum ist Faith seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr sie selbst (Vgl. Zadok 2005, 233-234). Sie hat wieder Ohnmachtsanfälle, wie früher in ihrer Kindheit. Während dieser Auslassungen hat sie das Empfinden, wieder auf der Farm zu sein und von den Kreaturen angesprochen zu werden.

I slide down, the floor is soft and comfortable, I'm no longer afraid, the urge to sleep is overpowering. I close my eyes. Heat beats into me. I begin to realize I'm no longer in the flat, my fingers slip easily into the ground beneath me. [...] My skin begins to prickle, I can feel it turning pink, see the pink behind my eyelids, bleeding into red as the temperature increases. You go burn in flame, mosetsana. It's the Sandman's voice. It gets hotter and I can smell my skin burning, but still, I want to stay in the heat. „It's hot out there, take a hat.“ Mother's voice. I open my eyes, I'm on the farm, standing in the back yard. I smile at her, try to take a step towards her, but my feet are stuck. I look down and realize the ground is tar, in seconds I'm up on my knees. I look at Mother, she can save me. She opens her mouth and emits a loud sound, like a sizzle, water dropping into boiling oil. Mother begins to melt, her flesh drips off her, pooling at her feet like wax. Soon she is nothing more than wasted effigy, her hair gone, burned off in the searing heat. „Why did you send me away? My little girl, why?“ The accusation comes out of a hole in her face where her mouth should be. Then her face dissolves until all that's left is the hole-mouth. It sucks at me wetly. I begin to scream.35 (Zadok 2005, 227-228)

In den Heimsuchungen, die Faith erlebt, verschränken sich Raum und Zeit, innen und außen. Die frühere Heimat findet sich im Geist der Protagonistin wieder und konzentriert sich am Ende dieser Vision auf den hole-mouth ihrer Mutter − einem Loch, das wie ein

Abgrund wirkt. Ein solches Moment findet sich zuvor auf den ersten Seiten des Romans im Zusatz über Dead Rex: „He draw near to her lips, he long to kiss her pain. He pucker and probe and suck her mouth, draw out her screams. [...] He swallow hard.“ (Zadok 2005, 2) Auf diese Weise überträgt sich ein Aspekt des Dämons auf Faiths Ansicht ihrer Mutter, es ist nicht mehr klar voneinander zu unterscheiden, von wem Faith eigentlich träumt.

Dead Rex spricht zu Faith und „besetzt“ sie im wörtlichen Sinne:

Look, look, mosetsana, look what you done.

The voice rasps into my consciousness, malevolent and full of spite. My heart skips a beat, then begins to pound out an uneven rapid rhythm. I'm not asleep, I can't be dreaming. The voice, it's too real, it's too clear. I try to force my eyes open, but they're shut tight, superglued. My chest begins to constrict with a suffocating weight, someone is sitting on me. I can feel their bulk pushing down on my lungs, a squirming balancing act, followed by a puff of hot breath against my mouth, sour and decayed. I struggle to breathe, try to turn away from the stench of rot that fills my lungs, but I can't move my head. The something is sucking the air from me, draining me, sucking away my existence. I try to twist out of it's grasp, but I feel like a stunned fish one the end of a hooked line, wriggling helplessly.

One, two, threefourfive, Mary caught a fish alive.

The voice taunts me. It's inside of me now, reading my thoughts. I struggle to fight it, I feel it digging into my mind.36 (Zadok 2005, 201-202)

Der Dämon füllt ihr Bewusstsein, liest ihre Gedanken und höhlt sie aus. Gleichzeitig

„entfaltet“ sich die Farm förmlich in der Protagonistin: „When I think of going back I feel tight inside, like there's something expanding in my body that I can't physically contain.“ (Zadok 2005, 225) Die Vergangenheit repräsentiert sich somit in Form einer Umstülpung. Das meint nicht nur Gedanken und Vorstellungen im Geiste der Protagonistin, sondern das konkrete Vorhandensein von etwas in ihr, das größer ist als sie selbst.

There is something inside that is beating to get out, some violence that is buried, an anger that, if I remain here and ignore it, will end up harming [...]. There is something inside of me and it's out of control. A thing that has been suffocated for too long and now claws its way up, gasping for air. It's the voice that whispers spite in my dreams, a darkness that attached itself to me long ago, before I was aware of dark things that grasp. I feel it beating against my ribcage, like a giant irregular pulse. If I don't do something soon, it will be all of me, and I will be like Mother, a nothing locked inside my body, waiting for death. (Zadok 2005, 243)

36 Anm.: Hervorhebungen vom Original übernommen.

Faiths so empfundene Besessenheit gleicht zum Einen der bedrohlichen Rückkehr eines verdrängten seelischen Anteils. Zum Anderen lässt sich das in ihr Inkorporierte als Dämon auslegen. Das erklärt sich anhand von einer Information, die Faith von ihrer Pflegemutter bekommt: Als frühere Freundin von Bella kannte sie Faiths Eltern schon vor langer Zeit.

Faiths Vater Marius war zunächst als Soldat im Krieg und erwarb danach die Farm. Jedoch brachte er ihr zufolge Dämonen aus dem border war mit. Das Leitmotiv der trügerischen Blicke und des Austauschens bleibt in dem Bericht erhalten:

He was quite strange. There was an odd look in his eyes, obsessive. Lots of men had that look, the ones who'd been to the border. He looked at Bella with those eyes, and it freaked her out. [...] After they married, it was like they swapped eyes. Like all the demons he's brought back with him from Angola attached themselves to her. Started whispering. I didn't see it then, her going funny. Maybe I didn't want to see. (Zadok 2005, 233)

In dieser für Faith neuen Information klingt der historische Kontext an, der sich sonst kaum im Text finden lässt: Der Kriegsdienst der Männer im Dienste des Apartheidsstaates fand vor allem an der Grenze zwischen Namibia und Angola statt, daher die Bezeichnung border war. Die kriegerischen Handlungen dauerten über zwanzig Jahre lang an und richteten sich von Südafrikas Seite aus in erster Linie gegen kommunistische Gruppen und deren Unterstützung lokaler Unabhängigkeitsbewegungen (Westad 2005, 229-231).

Die Erfahrung des Krieges ist in Gem Squash Tokoloshe förmlich als schuldhafte Grenzerfahrung am Randes der politischen Ordnung der Apartheid zu verstehen. Nach der Logik des Romans brachte der Krieg Faiths Vater Dämonen ein, welche innerhalb der Familie im Stillen weitergegeben wurden. Dieses Moment kommt dem transgenerational phantom als Form der Heimsuchung nahe. (Vgl. Kapitel 2.1.3) Denn der Krieg wurde in Faiths Familie nicht erwähnt und die Tatsache, dass Bella als junge Frau Angst vor Marius hatte und daraufhin mit sich selbst zu sprechen begann, war Faith bis dahin verborgen.

Zugleich erweckt die neue Information den Anschein, die politischen Praktiken des Apartheidsstaats führten zu einer Art von Erbschuld. Die sich als Medium ausgebende Alte bestätigt Faith ein derartiges Erbe: „There are many restless spirits around you, child. [...]

Some are ancestors, but there are others. Some very bad. Your mother collected these spirits around her, they brought sickness to your house.“ (Zadok 2005, 230)

Faiths Erbschaft der Farm ist demzufolge mit den Dämonen verbunden, ihr Zustand regelrechter Besessenheit wird mit der Besetzung eines konkreten Raums verknüpft. Es

geht um die Farm und damit um jene Heimat, die Südafrika weißen Menschen während der Apartheid bot. Hier sammelten sich die durch Marius' Schuld erworbene und übertragene Dämonen, aber auch zusätzlich von der Mutter „eingeladene“ böse Geister, welche resultierend weitere Individuen heimsuchen. Ein Beispiel ist Bellas Gast Oom Piet, der Nomsa vergewaltigt − er hatte zudem früher zusammen mit Marius im border war gekämpft.

Eine schuldhafte Last besteht von vornherein an diesem Ort und in seinem Erwerb durch Faiths Familie. Das verdeutlicht sich in zwei unterschiedlichen Angaben über die Vergangenheit der Farm: Zum Einen gibt es eine friedvolle Version, die an Faiths Stellung in der Familie denken lässt.

Papa told me our farm was once part of a bigger farm. The farmer's favorite daughter refused to marry and chose to stay on the farm and take care of her father. As a reward he split a few acres off and built her a small house so she could live there when he died. [...] „That's how the farm got it's name,“ I told Nomsa sagely: „My Daughter's Home.“ (Zadok 2005, 72)

Etwas ganz anderes vermittelt die zweite Version, die von den unmittelbaren Vorbesitzern der Farm spricht. Darin geht es um Rassismus und Mord als Bedingungen für den Erwerb der Farm:

Our front door was sturdy, made from old railway sleepers, thick and capable of absorbing bullets. Often I'd run my fingers over the two embedded in it's surface, trying to re-enact in my imagination just what had caused them to be here. I'd once overheard Papa telling Oom Piet that the previous farmer had gone mad on the day his wife gave birth to their first child, a child so dark it might well have been a kaffir. The farmer had gone on a rampage, shooting all his labourers before turning the gun on his wife and then, finally himself. The baby was the sole survivor. Papa said it was thanks to the kaffir baby that he got the farm for next to nothing. (Zadok 2005, 44)

Faith erbt die Last der Geschehnisse und die Dämonen ihrer Eltern mit der Farm.

Ermöglicht wird dies durch die kulturhistorischen Bedingungen ihrer Umgebung, den Rassismus und den Krieg, die sich für Faith wie ein Generationen-Fluch auswirken. Das führt zu der langen Reihe von schrecklichen Erlebnissen für das Kind, wie dass Mutter ihre Mutter sie aussetzt, die folgende gewaltsame Auseinandersetzung der Eltern und der für Faith unerklärliche Verlust sämtlicher Bezugspersonen sowie ihres Hundes. Aus

psychologischer Hinsicht lässt sich ihre Kindheit durch die Erlebnisse, die sie zum Teil nicht gänzlich erinnern oder einordnen kann, als höchst traumatisch auslegen. Unter diesen Gesichtspunkten muss man annehmen, Faiths Glauben an die Dämonen sei ein Erklärungsmuster, das sie dem Wahn ihrer Mutter entnimmt. Diese Lesart berechtigt sich durch die Traumata, die Faith tatsächlich erleidet.

Es besteht dennoch eine umfassende Liminalität durch die Vermengung der realistischen und geisterhaften Aspekte im Text. Das geht mit der durch Faith vermittelten Wahrnehmung einher: Auch wenn die Kreaturen für Faith als Kind nur auf Bellas Bildern permanent sichtbar sind, bewegen sie sich immer am Rande von Faiths Sichtfeld, in allen Nischen des Hauses und Verstecken des Gartens, in ihren Angstfantasien und Ohnmachts-Momenten. Auch andere Menschen sind für Faith nicht klar voneinander abzugrenzen, da sie jeweils von Dämonen besessen sein können. In Faiths Heimsuchungen als erwachsene Frau verschränken sich Vergangenheit und Gegenwart zu einer gegenwärtigen Vergangenheit, die sie auflösen möchte.

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 85-90)