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Das innere Ende der Spirale

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 110-115)

3 Textanalysen 1: Unheimliche Farmhäuser

4. Textanalysen 2: Aushöhlung und Verfall

4.1 Marlene Van Niekerk: Triomf (2004)

4.1.4 Das innere Ende der Spirale

Wie in Kapitel 2.3.2 beschrieben, vollziehen sich bezüglich des Wandels in Südafrika repräsentative Formen in der Literatur der Weißen, für die das Ende der Apartheid einen

Untergang darstellen kann. Eine dieser Formen ist der verklärende Rückbezug auf die Vergangenheit in einem golden age theme (Vgl. S. 46-47). In Triomf findet das ins Negative und in die Zukunft verkehrt statt, wie bei Lamberts Phantasien einer Flucht und eines „angemessenen Lebens“ für Weiße an einem anderen Ort (Vgl. S. 105). Zuvorderst wird solch ein verkehrtes Schlupfloch jedoch durch Pops Perspektive vermittelt. Er hat Visionen, die einem White-out gleichen, also einem durch verschiedenartige Reflexionen entstehenden Lichtverhältnis, das alles weiß erscheinen lässt, sämtliche Kontraste herabsetzt und auf diese Weise zu völligem Orientierungsverlust führt:

[S]ometimes Pop wakes up looking like he's seen a ghost. That's when he has a white nightmare. It's the same dream, he says. Over and over again. In the dream, he's surrounded by white. White in front and white all around him. It's so bad he can't see anything but white. It makes him feel suffocated. When he's inside the white he can still hear, but he can't see anything and he can't get out again. And when he tries to break out, all he sees is more white. White what? she asks, but he doesn't know. Wool?

Clouds? Sand? Soap-suds? Teeth? Walls? Milk? He must know what it is, if it's so white. But he doesn't know. It's just white, he says. White nothing.

Pop says the dream makes him feel scared and lonely. (Van Niekerk 1994, 215)

Es liegt nahe, dass diese Erscheinung eine melancholische Besetzung Pops darstellen kann, wenn man dies in seiner Verbindung zu der Gedankenfigur des Schlupflochs sieht. Der weiße Raum erinnert in verzerrter Form an etwas, das Pop verloren hat: seine unschuldige Kindheit in einer Gesellschaft, die alles andere als „Weißes“ ausblenden wollte. Deren Ende fiel mit dem Ende von Pops Kindheit zusammen, als die Benades ihre Farm verloren und nach Johannesburg zogen, wo ihre Verwahrlosung begann (Vgl. Van Niekerk 1994, 134-139). Freud zufolge erzeugt das verinnerlichte Bild eines verlorenen Liebesobjektes eine destabilisierende Dynamik im Subjekt, was auf Pops Situation zutrifft (Vgl. Kapitel 2.1.1). Seine Perspektive auf die Welt während seiner Kindheit sowie die bis dahin als unschuldig wahrgenommene Familie kann man als verloren verstehen. Das Verinnerlichte, die verlorene Perspektive und der eigene unschuldige Blick, wird zu einer geisterhaften Präsenz, die sich vom Subjekt selbst wieder nach außen projizieren lässt(Vgl. Del Villano 2007, 79).

Nach seinen Aussagen dienen Pop seine visitations als Blick in die Zukunft, in eine Zwischenwelt des Todes: Er will sich darauf vorbereiten, denn er ahnt, dass er bald sterben

wird(Vgl. Van Niekerk 1994, 487-489). So drückt sich eine Heimsuchung aus, die auf ein konkretes Ende vorausdeutet.

Die Liminalität dessen äußert sich bei Pops visitations wie folgt: „He feels light, as if he's tumbling about inside a shell as dry as the wind, a great big droning wind full of white smoke. He can't tell what's above and what's below. His head spins.“ (Van Niekerk 1994, 258) Anschließend erwacht Pop, sein Orientierungsverlust wiederholt sich im äußeren Raum, da es im Haus brennt und man nichts als weißen Rauch sehen kann. Somit konkretisiert sich das dritte Strukturmerkmal der problematischen Innen-Außen Konfiguration in dem Motiv der weißen Träume.

Das letzte White-out fällt mit Pops Tod zusammen. Am Tag der ersten freien Wahlen werden die Benades von einer Malerfirma besucht, die ihr Haus mit frischem Weiß anstreicht (Vgl. Van Niekerk 1994, 497). Pop beobachtet das Verpacken und Abdecken der Arbeiter. „Everything into the bag to make sure that nothing will be lost. Not him either.

Now they're throwing sheets over everything. All is white. White for the crossing over.“ (Van Niekerk 1994, 501) Er fantasiert den Rauch aus Triomfs Schornsteinen als

„Salutschüsse“, als „Samen in weißer Schale“, schließlich als „Schreie und Gebete anderer verwehter Seelen“. (Van Niekerk 1994, 501) Es folgen die letzten Zeilen aus seiner Perspektive:

And then again, from far off, the ground approaching at long last, rocking to and fro, the horizons tilting from side to side. To one side, a small, white house, its doors and windows tightly shut, where he can finally come to rest against the clean, sun-warmed walls, nothing but the whisperings inside as if his ear were pressed to a shell, throughout the bright and endless winter.

(Van Niekerk 1994, 501)

In diesem Fall ist der weiße Raum ein Haus, das überkreuz projiziert wird: Die alte Heimat suchte Pop in seinem Inneren heim und wird wieder nach außen gespiegelt. Hier befindet sich Pop nicht mehr in der Enge eines weißen Raumes, sondern lehnt an einer Außenwand, das weiße Heim und seine Stimmen bleiben ihm verschlossen. Während dieses Traums wird Pop, schlafend und von den Arbeitern unbemerkt, mitsamt seinem Sessel zum Schutz vor der Farbe mit weißen Tüchern abgedeckt. Lambert öffnet indessen den für ihn verbotenen Schrank, versteht das Familiengeheimnis und verfällt in eine Raserei. Dabei erschlägt er versehentlich Pop unter der Abdeckung.

Kurz darauf, so deutet es sich an, erbt Lambert Pops weißen Traum.

He feels like something that's already dead, here among all these sheets. [...]

He feels like he's fucking out from the inside. Things have been said, pieces of stories, falling inwards inside his head. [...] He turns around. His ears are zinging from the sudden silence. The sun shines sharply through the window. All the curtains are down. All he sees is white, white, white. (Van Niekerk 1994, 511)

Die Motive des Angst einflößenden Inneren und des White-out, welche Lambert und Pop im Text begleitet haben, vereinigen sich auf diese Weise.

Die Suche der Benades nach einer eigenen Heimat im Sinne ihrer früheren Ordnung gleicht einem weißen dead end. Als in den letzten Zeilen des Romans das Licht des Sternbilds Orion, das die Familie mit Pops Geist assoziiert, hinter ihrem Haus verschwindet, gibt Lambert seinen Fluchtplan im Sinne eines Great Trek endgültig auf:

„North no more“ (Vgl. Van Niekerk 1994, 524).

4.1.5 Zwischenfazit

1. Ordnung

Die Figuren in Van Niekerks Roman befinden sich mitsamt ihrem Heim im Zustand des Verfalls. Es werden neben der Familie kaum weitere Figuren eingeführt und die Handlung spielt sich überwiegend in ihrem Haus ab. Ihr Zusammenleben wird nicht äußerlich bedroht, sondern gefährdet sich durch seine extremen Formen der Abgrenzung nach außen hin selbst. Die Benades und ihr Zuhause stehen darin metonymisch für die Afrikaaner im Apartheidsstaat, sie versinnbildlichen eine Miniatur dieses Teils der Gesellschaft.

Unheimlichkeit generiert sich zuvorderst auf der räumlichen Ebene, indem das Viertel, in dem sich das erzählte Heim befindet, als unterhöhlt und im mehrfachen Sinne instabil beschrieben wird. Das Haus droht aus Mols Sicht förmlich in die hohle Erde zu fallen.

Überdies tauchen im erzählten Raum verdrängte Aspekte in verzerrter Form wieder auf, verkörpert durch Reste von Sophiatown und die „Geisterhunde“ des alten Stadtviertels, die nach ihrer verlorenen Heimat suchen. Dieser unheimliche Faktor wirkt jedoch weniger bedrohlich als die Geschehnisse, welche die Protagonisten selbst verursachen. In die Ordnung ihrer Heimat sind Ruinen, Inzest, Einschließung und Verfolgung als Merkmale des gothic mode vielfach vorhanden (Vgl. Shear 2006, 71).

2. Störungen

Das erste Strukturmerkmal der „mehrdeutigen Störungen in (Wohn-) Räumen“ manifestiert sich in Triomf auf psychologische Weise, wenn man Pops wiederkehrenden weißen Traum als Ausdruck einer melancholische Besetzung versteht. Die meisten bedrohlichen Faktoren stehen jedoch konkret in den Zusammenhängen der Ideologie der Siedler holländischer Herkunft, des Systems der Apartheid und der kommenden ersten freien Wahlen (Vgl.

Kapitel 2.3.2). Daher ist die spezifische Geschichte des erzählten Ortes grundlegend, die generative loci machen die Formen von Heimsuchung in Triomf aus: Der Topos des unheimlichen Hauses ist dabei nicht auf Eindringlinge zu beziehen, sondern auf Verfall. Er droht den Nachkommen der Siedler holländischer Herkunft, die den Hintergrund des christlichen Glaubens sowie den Great Trek als gemeinsamen Ursprungsmythos haben. Die Rückbezüge darauf sind im Roman nicht glorifizierend oder verklärt, es bietet sich kein

„Schlupfloch“ in eine idyllische Vergangenheit, sondern ein sinnbildliches Ersticken am Weißen. Auch die „wiederholten Hinweise auf einen ursächlichen Bruch“ sind zuvorderst in der kontextorientierten Form verankert, in generative loci und den Resonanzen weißer Südafrikaner auf den Wandel ihres Landes. Das dritte Strukturmerkmal ist in Triomf äußerst ausgeprägt, wobei performative Auslassungen sowie Löcher und Behältnisse eine Rolle spielen. Der Zustand der Familie ist insgesamt liminal, nicht zuletzt spielt sich die Handlung auf der zeitlichen Schwelle zwischen Apartheid und Post-Apartheid ab. Das literarische Heim in Triomf befindet sich über lange Strecken der Handlung hinweg in einer Zwischenzeit, wie sie Vogls Zauderrhythmus beschreibt (Vgl. Kapitel 2.2.3): Die Protagonisten bewegen sich in schier endlosen Wiederholungen zwischen Resignation und zielloser Aggression hin und her, bis zur Auflösung der bisherigen ideologischen Ordnung ihrer Heimat. Daher kann man sich das Muster der Heimsuchungen in spiralförmiger Gestalt vorstellen: Die in der Analyse erörterten Motivketten führen zusammen zu einem dead end.

3. Auflösung

Die Heimsuchungen in diesem Roman bedingen sich vorrangig in den generative loci Südafrikas, was insbesondere die Stadt Johannesburg angeht. Es werden keine Geister heraufbeschwört oder ausgetrieben, der Verfall vollzieht sich ohnehin: Die Benades versinnbildlichen einen Untergang der weißen Südafrikaner an sich selbst durch eine Inwärts-Ausrichtung auf mehreren Ebenen. Den Figuren bietet sich kein Ausweg, sie sind

das Ergebnis der Ideologie der Apartheid und verkörpern dadurch jene unsettled settlers, von welchen in der Einleitung dieser Arbeit die Rede ist.

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 110-115)