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Ein Geist im Text

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 151-158)

5 Textanalysen 3: Irrfahrten

5.1 Damon Galgut: The Impostor (2008)

5.1.4 Ein Geist im Text

Die Hauptthese dieser Analyse ist, dass das Zaudern des Protagonisten in dessen neuer Heimat einem Heraufbeschwören eigener Geister gleicht. Dies soll noch einmal bezüglich von Adams Schreiben und dem Ausgang der Erzählung konkretisiert werden:

Adam will in seinen Gedichten die Landschaft seiner Kindheit ausdrücken, einen verinnerlichten, als Bild konservierten Raum. Dieses Bild formte sich durch seine Eindrücke als Kind auf einer Farm während der Apartheid. Nach Coetzees Ausführungen in White Writing wird in der Literatur südafrikanischer Siedler oft eine verklärt-idyllische Kindheit auf einer Farm fabuliert: „The farm, rather than nature, however regionally defined, is conceived as the sacral place where the soul can expand in freedom.“ (Coetzee 1989, 175) Außerhalb dessen entziehe sich die südafrikanische Landschaft der Sprache seiner Besetzer, das Land bleibe in ihren Augen fremd, andersartig oder „wild“, wie Coetzee feststellt: „In one sense, the wilderness is a world where the law of nature reigns, a world over which the first act of culture, Adam's act of naming, has not been performed.“ (Coetzee 1989, 49) Dies trifft auf den Protagonisten in The Impostor zu, wenn er angesichts der Landschaft, in der er sich nun befindet, keine Worte finden kann. Einzig die vermisste Umgebung aus seiner Kindheit kann ihn ansprechen (Vgl. S. 135-136). Statt die neue Umgebung als solche auf sich wirken zu lassen, zerlegt sich Adam förmlich selbst in einer inneren Aufspaltung. Er fühlt und verhält sich je nach Ort − also allein, gegenüber Canning, Baby oder Blom − unterschiedlich. Gondwana dient ihm als Schlupfloch aus seiner unbequemen Gegenwart, er fühlt sich dort gestärkt und selbstbewusst. Eine Steigerung erfährt dies durch seiner Identifikation mit Cannings totem Vater. Damit äußert sich besonders in dem entlegenen Haus auf Gondwana ein unmoralischer Anteil in Adam, den er sonst ablehnt. In seinem Haus im Ort dagegen ist er voller Zweifel und ängstigt sich häufig: „But even after he's locked the door he feels uneasy and restless and he keeps walking around, checking and rechecking that all the windows are closed. he has the unsettling sensation of expecting a visitor, somebody unwelcome [...].“ (Galgut 2008, 170) Sowohl die drei Häuser als auch Adam, Blom und Canning spiegeln verschiedene anteilige Facetten untereinander wider und sind von Adams ohnehin gespaltenem Geist kaum zu trennen:

His life, it sometimes seems, has become arranged in a series of compartments. None of his various incarnations feels like the real, the true Adam; yet each of them is true in its own way. He is surprised at how easily all this comes to him. He has a gift for duplicity. (Galgut 2008, 155-156)

Die Gedankenwelt des Protagonisten erscheint wie ein Raum voller Spiegelungen und Wiederhall, so wie die gesamte Erzählung an ein Vexierspiel denken lässt. In diesem

Zusammenhang lässt sich der Titel der Erzählung so auslegen, dass Adam, aber auch Canning, Baby und Blom, nicht wirklich diejenigen sind, für die sie sich ausgeben. Alle verbergen ihre Skrupellosigkeit hinter einer anständigen, eleganten oder künstlerischen Fassade. Adam betrachtet sogar seine Besuche in Gondwana im Nachhinein so, als seien sie eine Illusion gewesen:

The whole saga has been a case of mistaken identity. [...] It is painfully obvious to him now that the last half a year has had the illusion of momentum and purpose because of his dealings with the Cannings. Without the pair of them, his life would be like an old skin with no bones or meat to give it dimension. (Galgut 2008, 199-200)

Es gibt eine weitere Form von Spaltung, die sich bemerkbar macht, wenn Adam alleine ist:

er hält Zwiegespräche mit einer Stimme, die außer ihm niemand hören kann. Zunächst, während seiner anfänglicher Zeit in dem neuen Haus, deutet er dies als eine selbst imaginierte Dissoziation, also eine humorvolle eigene Vorstellung. Am Ende der folgenden Passage wirkt es jedoch, als ob die Stimme das Geschehen auf einer Meta-Ebene kommentiert.

He began speaking to it. Not in a serious way − he didn't seriously believe in it. He just chatted, his manner off-hand, to amuse himself. There was nobody else to talk to, after all. „Hey, are you there?“ [...]

Then he imagined how it might answer. Yes, I'm here. Always here. Reading you loud and clear.

He thought of its voice as soft and dry, almost inaudible. A burr of static, made of all the lost sounds drifting around out there.

„Don't you get bored, watching me the whole time?“

No, no. On the contrary. I was bored before you came. You've given me fresh life.

„Come on. I'm not that interesting.“

Oh, don't be so sure of that.

And he laughed − at himself, because it was himself he was listening to.

There was no spirit, no presence, no thing there in the house. Of course he knew that.

„I'm the only one here,“ he announced. Very loudly, so that the words rang back at him. He listened after the echo. Nobody answered.

Except me.42 (Galgut 2008, 46-47)

Die Stimme begleitet den Protagonisten durch die Handlung hindurch und rät ihm beispielsweise, Canning umzubringen (Vgl. Galgut 2008, 189). Sie verstummt erst bei

42 Anm.: Hervorhebungen vom Original übernommen.

seinem Wiederanfang in Kapstadt. Man kann den Beginn auf Adams Empfindung des eingenommen Werdens beim ersten Betreten des Hauses beziehen, jedoch hört er die Stimme später auch an anderen Orten. Sie erzeugt eine Referenz im Text zu sich selbst:

Besonders die Äußerung Except me stellt Grenzen des Eigenen und des Anderen in der Erzählung infrage. Es scheint, als sei eine Erzählinstanz, die in der zuletzt zitierten Textstelle auf sich selbst aufmerksam macht, mit den für Adam unbewussten Anteilen seiner eigenen Vergangenheit verbunden:

The effort of trying to remember is setting things loose in him. He has the sensation of pushing against a psychic wall, an invisible, elastic barrier, on the other side of which the past is stored up. Unbidden, a picture come to him of the uniform they'd had to wear at school: grey pants, white shirt, a blue and red blazer. And he has a quick flash of a desk-top with a set of initials, DG, that somebody had carved into it with a pen-knife. Who was DG and why were his initials haunting him now? (Galgut 2008, 78)

Mit dem Hinweis, „DG“ − die Initialien von Damon Galgut − spukten im Geiste des Protagonisten herum, liest sich The Impostor wie eine Versuchsanordnung über die Inspiration und das Schreiben an sich, als Spiel mit der Frage, von wessen Geist und Geistern in dem Text eigentlich die Rede ist.

Adam verbrennt sämtliche nach langem Zaudern vollgeschriebenen Papiere vor seinem Haus und wiederholt darin die Zerstörung seiner Gegenwelt von Gondwana, die das Schreiben erst möglich machte (Vgl. Galgut 2008, 200). Seine Pläne, wie der imaginierte Mord an Canning und ein Leben mit Baby, enden allesamt in einer seltsam neutralen Relativierung. Er versteht sich meist selbst als Zeuge der Geschehnisse, nicht als Akteur.

Das äußert sich deutlich, als er die Zerstörung Gondwanas durch Umbauten zur Golfanlage beobachtet:

For just that moment he is an empty eye: a perfect witness. It comes to him that time is the great, distorting lens. Up close, human life is a catalogue of pain and power, but when enough time has gone past, everything ceases to matter. Nothing that people do to each other will carry any moral charge eventually. History is just like the ground down there: something neutral and observable, a pattern, a shape. (Galgut 2008, 194-195)

Damit nimmt Adam endgültig Abstand von seinen Zweifeln über Schuld oder Mitschuld, welche ihn die gesamte Handlung durchweg verfolgt haben. Es hat sich durchaus gezeigt, dass die Geschichte Südafrikas und die kleinen individuellen Geschichten darin

Konsequenzen mit sich bringen. Doch Adams Strategien der Abspaltung und Distanzierung, die das Vexierspiel erzeugten, münden am Ende in einer umfassenden Relativierung: Er streift sein Dasein im Karoo förmlich ab und fängt in Kapstadt wieder von vorn an, mit einem geordneten Leben als Angestellter. Die Stimme, welche ihn in dem Haus im Karoo begleitet hatte, verlässt ihn: „He thought of the other presence as a split-off part of his own mind, something real and imaginary at the same time, a sort of by-product of the depression he was going through.“ (Galgut 2008, 238) Erst jetzt stellt er fest, dass er sich nur vorgemacht hatte, arm gewesen zu sein. Als nur vorübergehend arbeitsloser Weißer kann er problemlos in den Komfort der Mittelschicht zurückkehren (Vgl. Galgut 2008, 238). Sein experimenteller Ausstieg ist ihm nun peinlich: „The false friendship with Canning, and the affair with Baby, too: when he looked back on his own behaviour, he didn't recognize himself. No, the entire thing was an aberration. Thankfully, however, it was all very much in the past.“43 Ebenso very much in the past ist für ihn der von ihm selbst verschuldete Mord an Blom, der von Adams Bruder als Beispiel für die kriminellen Zustände im post-Apartheid Südafrika herangezogen wird (Vgl. Galgut 2008, 239).

Kurz vor dem Ende der Erzählung trifft Adam in der Stadt noch einmal zufällig auf Canning. Dieser glaubt zunächst, dass er einen Geist sehe, da Adam ermordet worden sei − er weiss schließlich nichts von Blom (Vgl. Galgut 2008, 242). Sein anfängliches erschrockenes Weglaufen vor Adam spiegelt so die erste Begegnung zwischen Adam und Blom wider. Adam folgt Canning und gesteht ihm, dass er sich nie an ihren Pakt in der Kindheit erinnert hat. Letzten Endes zweifelt er sogar an seiner Zeit im Karoo:

It had happened; he was there. That much he knew. But the words, the gestures, the specifics of the encounter − all that had disappeared. The only thing left was that residual tingle, like a movement glimpsed in deep, dark water, a trace of something whole and complete. He had become another person entirely. And maybe − the thought occurred to Adam, at this inappropriate moment − it was what his whole life would come down to in the end: everything that felt burningly present and important would just be a tremor one day, like something that had happened to somebody else. (Galgut 2008, 248)

Dieses Ende entlarvt die inneren Abspaltungen des Protagonisten als Strategie der Selbsttäuschung. Denn anders als er es sehen möchte, gibt es durchaus Konsequenzen der

43 Galgut 2008, 238

Vergangenheit. Er vermag sie zwar lange im Verborgenen zu halten, aber sie suchen seinen eigenen Geist heim.

5.1.5 Zwischenfazit

1. Ordnung

Ein gothic mode besteht in The Impostor durch Aspekte der Einschließung (von „alter Zeit“) und des Wahnsinns − es wird sogar eine Inbesitznahme des Protagonisten durch sein Haus angedeutet. Die erzählte Heimat wirkt zunächst eng und bedrohlich, um sich daraufhin durch Spiegelungen und Zerrbilder zu erweitern: Während Adam die beiden Nachbarhäuser im Ort als triste Überbleibsel der Vergangenheit empfindet, wirkt die Farm auf der Hochebene wie eine neo-koloniale Illusion. Adam begegnet an diesen Orten jeweils einem verdrängten Anteil seiner selbst, der mit Schuld zu tun hat. Seine Verdrängungen haben ihren Ursprung in seiner selbst formulierten „inneren Störungszone“ als Weißer im neuen Südafrika, von Rollen, die er darin einnehmen könnte. Unheimlichkeit entsteht auch durch Doppelungen und Spiegelungen, die mehrdeutigen Störungen in Wohnräumen gehen von Adams Wahrnehmung seines Hauses aus auf die der anderen Orte über. Neben seiner inneren Besessenheit durch die Stimme finden mehrere Varianten von gastlicher Besetzung statt: Adams Betrug an Canning, seine Identifikation, Bloms Heimsuchungen in Adams Haus und Adams versuchter Rollentausch mit Ezekiel und Grace. Orientierungslosigkeit und Zersplitterung des Selbst, wie in 2.3.1. im Bezug auf Gothic-postmodernism formuliert, beschreiben die Verfassung des Protagonisten als Bürger des „neuen Südafrikas“ sehr gut. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich das erste Strukturmerkmal der mehrdeutigen Störungen in der Ordnung dieser erzählten Heimat in allen drei möglichen Formen ausprägt.

2. Störungen

Das zweite Strukturmerkmal der „wiederholten Hinweise auf einen ursächlichen Bruch“

spezifiziert das Muster der Heimsuchungen in The Impostor. Es hat einen klaren Bezug zu Südafrikas früherer „Ordnung“, dem Wandel des Landes und Adams inneren Resonanzen darauf: Adam verlor seine unbelastete Kindheit im Internat und seine Privilegien nach dem Ende der Apartheid. Er sehnt sich nach einem für ihn ursprünglichen, paradiesähnlichen Zustand, den er rückwärtig verklärend in seiner Kindheit auf der Farm sieht. Der Bruch, den das Ende seiner Kindheit und die äußerlich erforderte Rolle eines über-maskulinen

weißen Südafrikaners darstellen, wirkt sich daher fort: Adam verbindet seine unschuldige Innerlichkeit während der Kindheit unbewusst mit der alten Zeit. Er bleibt auf diese Weise darin verhakt, wie sich an seiner Wahrnehmungsweise von Natur und dem Schreiben darüber äußert.

Sein scheinbar wiedergefundenes Paradies Gondwana wurde durch die Sprengung sämtlicher naher Behausungen durchlöchert, um Exklusivität zu erzeugen. Ebenso exklusiv war sein behütetes Leben als Kind während der Apartheid. Im „neuen Südafrika“, folgt man der inneren Logik in The Impostor, kann jedoch nur Skrupellosigkeit zu Erfolg führen. Die schwarzen Südafrikaner erhalten im Text bis auf Baby und den Sohn des von Adam als „Statisten“ betrachteten Paares keine Stimme, das Paar wird von ihm als Last und „stiller Vorwurf“ empfunden. Darin verdeutlicht sich sein eigenes Ausblenden von anderen Perspektiven als der Eigenen. Gerade aus diesem Grunde begegnet ihm in jeder Beziehung zu den anderen Figuren eine Form von Schuld, mit der er hadert, um sie schließlich zu relativieren. Eine problematische Spannung zwischen der vergangenen Zeit und der Gegenwart in der Post-Apartheid besteht indessen in jeder Figur und in jedem erzählten Wohnraum. Während der Protagonist das Paradies seiner Kindheit wieder heraufbeschwören möchte, blendet er die problematischen Aspekte der Vergangenheit aus.

Daher stellt sich Blom, der eine nicht gänzlich vergehen wollende Apartheid versinnbildlicht, als Heimsuchung dar, während Canning und die Identifikation mit dessen Vater zeitweise ein Schlupfloch für Adam bieten.

Die Konfiguration von innen und außen wirkt in The Impostor besonders aufgrund der häufigen performativen Auslassungen mehrdeutig: Der Protagonist wirkt fehlgeleitet und ferngesteuert, die Ergebnisse seiner Handlungen − wie der Mord an Blom − berühren ihn kaum. In seinem Zaudern neigt er dazu, die Geschehnisse in abstrakten Mustern zu sehen, anstatt sich dazu in Beziehung zu setzen. Daher verändert sich für ihn nicht viel, die Zeit in dem Haus im Karoo beschreibt er am Ende wie ein belangloses Experiment: „Nothing is exempt from deadening repetition.“ (Galgut 2008, 115) Adam wirkt in seiner Neutralität wie ein Hohlkörper, der verschiedentlich gefüllt und besetzt werden kann: „The whole saga has been a case of mistaken identity“. (Galgut 2008, 199) Die raumzeitliche Ordnung der Erzählung entspricht einem Dazwischen-Sein und einem „Zauderrhythmus“, Adams Heim einer Zwischenstation, in welcher er sich in Projektionen und Dissoziationen verliert.

3. Auflösung

Das in The Impostor bestehende Muster der Heimsuchungen setzt sich aus vielen unterschiedlichen Formen zusammen, aber der ursprüngliche Bruch und die nur vermeintliche Auflösung des Geisterhaften begründen sich deutlich im Kontext südafrikanischer generative loci: Die Phänomene besitzen immer einen Bezug zu den zeitgeschichtlichen Umständen des Landes, denn nur aufgrund von Adams Sehnsucht nach der verlorenen Farm und seiner spezifischen Haltung, beziehungsweise seiner ambivalenten Deutungsweise der ihn umgebenden Räume und Menschen, entstehen sein Zaudern sowie die Formen von Besetzung und Besessenheit. Adam schwankt zwischen seiner so wahrgenommenen Zeugenschaft der Geschehnisse und einer eigenen Schuld, die er nicht annehmen will. Dadurch handelt der Text implizit von Rollen, die eine recht durchschnittliche weiße Person wie Adam nach dem umfassenden Wandel des Landes einnehmen könnte. Das letzten Endes vermittelte Ergebnis ist, dass ein gänzliches Vergehen der Vergangenheit eine Illusion ist. Die Heimsuchungen lösen sich nur vordergründig auf, tatsächlich gehen konkrete Resonanzen von Südafrikas früheren gesellschaftlichen Bedingungen durch den erzählten Raum und durch das Bewusstsein des Protagonisten. Seine nur oberflächliche Sinnsuche, so suggeriert der Text, lässt ihn eine Irrfahrt erleben, in der ungebetene und verdrängte Anteile der Vergangenheit weiterhin jederzeit in die Gegenwart eintreten können.

5.2 Damon Galgut: The Beautiful Screaming of Pigs

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 151-158)