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Auswertungen und Analysekategorien

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 53-56)

Alle neun vorgestellten Formen von Heimsuchung handeln von einem „eigenen Anderen“,

„Anderen im Eigenen“ oder „Ausgeschlossenen“, das sich subversiv innerhalb von derjenigen Ordnung auswirkt, die es nicht als eigenen Anteil annimmt. Diese Ordnung ist in den Formen mit psychologischem Ansatz als Bewusstsein eines Individuums zu verstehen, in den Formen mit poststrukturalistischem Ansatz als zeitliche oder räumliche Gegenwärtigkeit, und in den Formen mit kontextorientiertem Ansatz als fiktive Heimat in Südafrika.

Die psychologischen sowie kontextorientierten Formen lassen sich untereinander deutlich abgrenzen und sind klar in ihrer Anwendung. Sie wurden, wie alle die Formen stützenden Gedankenfiguren und Konzepte in den Vorüberlegungen, daraufhin ausgewählt, den Analysen dienlich sein zu können und die drei Strukturmerkmale einer Heimsuchung aus verschiedenen Richtungen zu erhellen. Einzig das Konzept der Spektralität ist durch seinen radikalen dekonstruktivistischen Ansatz schwierig in der Anwendung. Es betrifft, wie Kapitel 2.2.2 zeigt, nicht nur einen Bruch im Sinne einer vergangenen Erschütterung und ihrer Folgen, sondern vielmehr jene Brüche, die in den Denk-Konstruktionen einer Gegenwärtigkeit bereits mit angelegt sind. Ein Ausufern dekonstruktivistischer Deutungen, die schier endlos sein können, sollte entsprechend verhindert werden (Luckhurst 2013, 83).

In diesem Sinne weisen die vorgestellten Konzepte der Spektralität und der Trauma-Theorien eine inhaltliche Nähe auf, die eine Differenzierung erfordert. Dazu Weinstock:

And, if one begins to consider contemporary poststructuralist theory more generally, for instance, the recent preoccupation with „trauma“ in which the presence of a symptom demonstrates the subject's failure to internalize a past event, in which something from the past emerges to disrupt the present

− the ubiquity of „spectral discourse“ becomes readily apparent. [T]he idea of the ghost, of that which disrupts both oppositional thinking and the linearity of historical chronology, has substantial affinities with poststructural thoughts in general. The ghost is what interrupts the presentness of the present, and its haunting indicates that, beneath the surface of received history, there lurks another narrative, an untold story that calls into question the veracity of the authorized version of events.

(Weinstock 2013, 63)

Die Spektralität als Anteil dekonstruktivistischer Theorien scheint andere Konzepte förmlich zu „verschlucken“ (Davis 2013, 55). Einigen Forschenden wird daher

vorgeworfen, das Verständnis von Spektralität soweit zu dehnen, dass letztendlich alles spukhaft zu sein scheine (Del Pilar Blanco / Peeren 2013, 33-34).

Colin Davis trägt zu dieser Debatte bei, indem er auf den Umstand verweist, dass Forschungen über literarischen Spuk in der letzten Dekade Spektralität und psychologische Konzepte miteinander vermengen. Bei allen inhaltlichen Überschneidungen unterscheiden sich Spektralität und Trauma ihm zufolge jedoch in einem zentralen Punkt, und zwar in ihrem jeweils inhärenten Kern oder Geheimnis: Denn der Ursprung einer psychologisch interpretierten posttraumatischen Situation, die Störungen im Alltäglichen mit sich bringe, ist feststellbar zu machen und daraufhin zu „exorzieren“ − in dem Sinne, dass das betreffende Subjekt das traumatische Nicht-Fassbare in das eigene Erleben integrieren kann (Davis 2013, 54).

Der psychologische Theorieansatz bezieht sich demnach explizit auf Individuen und auf eine mögliche und angestrebte Lösbarkeit der Problematik. In der Spektralität geht es hingegen um eine Vervollkommnung der Gegenwart bezüglich derjenigen Aspekte, die in ihr nicht eindeutig anwesend sein dürften und daher auf mehrdeutige Weise in Erscheinung treten. In diesem Sinne muss man mit den gestreuten Facetten einer vergangenen Erschütterung leben, um aus ihnen zu lernen (Del Pilar Blanco / Peeren 2013, 33-34, Davis 2013, 58). Spektralität bezieht sich somit kaum auf Individuen, sondern stellt eine vielmehr abstrakte Betrachtungsweise von Raum und Zeit dar. Ähnlich abstrakt verhalten sich die poststrukturalistischen Konzepte der Gast-Besetzung in 2.2.1 zu Wohnraum und der performativen Auslassung zu Kontinuität.

Die eingeführten theoretischen Ansätze liefern Distinktionsmerkmale für die Formen literarischer Heimsuchung. Einem wichtigen Schritt der Differenzierung und Konkretisierung dient die dritte theoretische Richtung in dieser Arbeit. Ihre gleichwertige Stellung mit den ersten beiden Richtungen begründet sich ursprünglich in meiner Wertschätzung von Roger Luckhursts Kritik an einer möglichen Verallgemeinerung der Spektralität: Er plädiert dafür, den Fokus auf die generative loci literarischen Spuks zu legen. Heimsuchungen und die Wahrnehmung dessen generieren sich ihm zufolge aus spezifischen kulturhistorischen Zusammenhängen, also der Geschichte und den Traditionen eines Ortes, sowie den Erzähltraditionen, in welchen die Fiktionen über diesen Ort stehen (Luckhurst 2013, 78-80, 83-84). Dieser Lösungsvorschlag erfordert im Falle

dieser Arbeit eine Einbindung der jüngeren südafrikanischen Literatur und ihren Konfigurationen von Raum und Heimat, wie beispielsweise der Tradition des Farmromans im Zusammenhang der Post-Apartheid. Indem die generative loci − betreffenden Formen auf einer Ebene mit psychologischen und den abstrakteren poststrukturalistischen Ansätzen stehen, entsteht Ausgewogenheit und zugleich eine Konkretisierung.

In den jeder Textanalysen folgenden Zwischenfazit-Kapiteln ordnen sich die Ergebnisse in drei Analysekategorien. Diese definieren sich wie folgt:

1. Ordnung

Diese erste Analysekategorie betrifft das im Text gegebene Heim: die Beschaffenheit und Gestaltung des erzählten Raumes. Ich stelle die jeweilige Ordnung eines erzählten Zuhauses vor, aber auch das Zusammenleben der dort heimischen Figuren, ihren Blick auf die Welt, und wie sie sich darin eingerichtet haben − insofern dies für die Heimsuchungen relevant ist. Dazu dienen, neben den in den Vorüberlegungen formulierten Formen, einzelne Arbeiten, die sich speziell mit dem Zusammenleben in einem literarischen Zuhause beschäftigen, wie Gaston Bachelards Poetik des Raumes (2011) und Roland Barthes' Wie zusammen leben (2007).

2. Störungen

In der zweiten Analysekategorie rücken die drei Strukturmerkmale der Heimsuchungen und somit auch die in den Vorüberlegungen zusammengestellten Formen weiter in den Vordergrund. Unter der Analysekategorie „Störungen“ wird herausgearbeitet, wie eine bis dahin bezüglich ihrer Konfiguration untersuchte Ordnung aus den Fugen gebracht wird. In ihr können Geister oder Eindringlinge destabilisierend wirken, aber dies muss nicht in jedem Falle gegeben sein. Die Heimsuchungen können sich auch in Störungen der Zeitstruktur und Kontinuität äußern: Auslassungen, Wiederholungen wie in einer

„Zeitschleife“ oder ein „Festhaken“ an Vergangenem markieren zeitliche Störungen, die in der gegenwärtigen Ordnung subversiv wirken. Auch unheimliche Effekte, wie eine Beobachtung oder Überwachung des privaten Wohnraumes von außen, oder eine wechselnde Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von etwas oder jemandem, sind Faktoren einer Störung. Ebenso können irritierende Doppelungen und Zersplitterungen, Auslassungen, Aushöhlungen, Invasionen oder Verkehrungen auftauchen, so dass die Grenzen einzelner Räume oder Individuen mehrdeutig werden. Dabei muss nicht unbedingt der ästhetische

Effekt des Unheimlichen gegeben sein, auch wenn er eine solche Störung meist begleitet.

Die Resonanzen fallen unter den Figuren und in den Texten unterschiedlich aus.

Im Dokument Formen von Heimsuchung (Seite 53-56)