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Vom Technologietransfer zur Ressourcenintegration

Im Gegensatz zum Iran boten die europäischen Besatzungsgebiete aufgrund der weitgehend ausgeschöpften Erdölreserven einen deutlichen Nachteil, vereinfach-ten für den Kreml jedoch aufgrund der Machtverhältnisse die Akqui sition der dortigen Rohstoffquellen. Die im internationalen Maßstab und im Vergleich zum Kaukasus als geringfügig zu betrachtenden Vorkommen in Europa, wel-che sich primär in Rumänien, Ungarn und im Osten Österreichs95 befanden, hatten als Treibstoffbasis des ›Dritten Reiches‹ ihren Wert unter Beweis gestellt.

Besonders die Leistungen deutscher Ingenieure, die getrieben vom Autarkie-streben Hitlers innerhalb weniger Jahre mit erheblichem Technologie- und Kapitalaufwand die Förderleistung in Ungarn und Österreich vervielfacht hat-ten, imponierten den sowjetischen Besatzern.96

94 Hasanli: Kampf um Erdöl, S. 322–326.

95 Die Liste der europäischen Erdölförderländer wurde Anfang der 1940er Jahre von der Sowjet-union (ca. 31 Millinen Tonnen) angeführt, mit weitem Abstand folgten Rumänien (ca. 6 Millio-nen Ton6 Millio-nen), Österreich (ca. 1 Million Ton6 Millio-nen) und Ungarn (ca. 0,8 Millio6 Millio-nen Ton6 Millio-nen). Dazu Eichholtz: Krieg um Öl, S. 16 und S. 39; Zieber: Sowjetische Erdölwirtschaft, S. 243–255.

96 GARF, f. R5446, op. 47, d. 353, l. 51; ebd., op. 49a, d. 780, ll. 30–29; auch RGASPI, f. 17, op. 121, d. 395, ll. 1–3, abgedruckt in Békés, Csaba/Borhi, Laszlo G./Ruggenthaler, Peter/

Traşcă, Ottmar (Hg.): Soviet Occupation of Romania, Hungary and Austria. 1944/45–

1948/49, Budapest 2015, S. 274 f. Zu Ungarn, Österreich und Rumänien als Treibstoffbasis des Deutschen Reiches siehe Eichholtz/Kockel: Deutsche Ölpolitik, S. 280–350 und S. 371–375;

Karlsch, Rainer/Stokes, Raymond G. (Hg.): Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutsch-land 1859–1974, München 2003, S. 171–244; Hayward: Hitler’s Quest for Oil, S. 98–100. Mit Fokus auf Österreich detailliert auch Seidel, Hans: Österreichs Wirtschaft und Wirtschafts-politik nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 2005, S. 421–429. Zu Rumänien auch Singer:

Energy and International War, S. 142 f.

Die schnelle Produktionssteigerung war zudem zwangsläufig mit einer mas-siven Aufstockung des eingesetzten Equipments einhergegangen. Die Anlagen in Ungarn und Österreich waren deshalb größtenteils wesentlich neuer und moder-ner, als dies in älteren Förderregionen wie dem Kaukasus oder in Rumänien der Fall war. Im Gegensatz zu ihren sowjetischen Kollegen waren die Betreiber zusätzlich in allen drei Ländern in den 1930er Jahren nur geringfügig von politi-schen Prioritäten, zentral gesteuerten Investitionen und Ressourcenallokationen abhängig gewesen. Der Zugriff auf benötigte Ausrüstung und Technologie war lediglich durch die Finanzierungsmöglichkeiten der jeweiligen Unternehmen eingeschränkt worden – die häufig direkte Tochtergesellschaften der großen westlichen Erdölkonzerne waren. Spätestens Mitte der 1930er Jahre waren die verfügbaren Mittel durch deutsche Investoren noch einmal erheblich gewachsen.

Für Stalin, der bereits im Dezember 1941 seine Intention verdeutlicht hatte, dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten »ihre fortschrittlichsten Maschi-nen zugunsten der okkupierten und geschädigten Länder […] zu entziehen«,97 waren die Erdölindustrien Europas entsprechend von besonderem Interesse. Mit dem Vorrücken der Roten Armee nahmen ab 1944 Beutekommandos ihre Arbeit auf, um für den sowjetischen Wiederaufbau benötige Ressourcen und Ausrüs-tungsgüter in deutschem Besitz ausfindig zu machen.98 Für Österreich und Rumä-nien, wahrscheinlich auch für Ungarn, lagen bald detaillierte Berichte über die jeweiligen Erdölindustrien vor, welche das Potential der jeweiligen Förder- und Raffineriesektoren ins Visier nahmen.99 Bereits wenige Wochen nach der Beset-zung Rumäniens entsandte die Kremlführung im Oktober 1944 Delegationen des Narkomneft’ sowie der entsprechenden Gosplan-Abteilung nach Ploieşti, um vor Ort den Zustand des größtenteils in der Nähe der Stadt befindlichen Wirtschafts-zweiges zu überprüfen. Zu den wichtigsten Aufgaben zählten die Suche nach fortschrittlichem Equipment sowie die Erfassung jeglicher dort nicht zwingend benötigter Ausrüstung, um diese in die Sowjetunion zu verfrachten.100

97 AVP RF, f. 48, op. 48, p. 431, d. 10, ll. 34–50, abgedruckt in Kynin, Georgij P. (Hg.): SSSR i germanskij vopros 1941–1949. Dokumenty iz Archiva vnešnej politiki Rossijskoj Federacii. 3 Bde., Moskva 1996–2003, hier Bd. 1, S. 124–135, Zitat S. 128.

98 Laufer, Jochen: Politik und Bilanz der sowjetischen Demontagen in der SBZ/DDR 1945–

1950, in: Rainer Karlsch/Jochen Laufer (Hg.): Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944–

1949. Hintergründe, Ziele und Wirkungen (Zeitgeschichtliche Forschungen 17), Berlin 2002, S. 31–77, hier S. 33–44.

99 Der detaillierte Bericht zu Österreich deutet darauf hin, dass solche Analysen auch zu anderen Förderregionen erstellt wurden: RGASPI, f. 17, op. 121, d. 395, ll. 1–3, abgedruckt in: Békés et al. (Hg.): Soviet Occupation, S. 274 f. Dazu auch Egorova: Stalin’s Oil Policy, S. 98.

100 RGAE, f. 4372, op. 45, d. 472, ll. 42–48; Lavruško: O rekonstrukcii neftjanoj industrii, S. 47–50.

Die Ergebnisse der Mission waren äußerst vielversprechend: Insgesamt

»erwies sich der Zustand der rumänischen Erdölindustrie wesentlich besser, als wir erwartet hatten«, wie General Andrej Chrulëv die Eindrücke einer Kom-mission zur Inspektion der Anlagen schilderte. Ursprünglich mit der Suche nach Möglichkeiten zur Nutzung der Bohrtürme und Raffinerien für die Treib-stoffversorgung der Frontverbände beauftragt, fanden die Inspekteure neben Ersatzteilen und diversem ungenutzten Equipment auch eingelagerte Rohre und Gestänge in einem Umfang, der die sowjetische Jahresproduktion der Kriegs-jahre deutlich überstieg.101 Die gut gefüllten Lagerhallen Ploieştis waren ein willkommenes Geschenk und entsprachen exakt den Vorstellungen der sowje-tischen Führung von einer angemessenen Kriegsentschädigung.

Am 23. Oktober beschloss das GKO den »schnellstmöglichen Abtransport«

der unverhofften Beute, um diese im Kaukasus und den anderen Erdölregionen nutzbar zu machen. Relevantes Material im Umfang von 30.000 Tonnen galt es allein im November mit der Priorität militärischer Transporte über die Grenze der UdSSR zu verfrachten. Berija und der NKVD hatten dafür Sorge zu tragen, dass die benötigte Arbeitskraft für Demontagen und Verladungen zur Verfü-gung stand – in Form von Kriegsgefangenen.102 Die Eile, mit der vorgegangen wurde, stellte selbst die Vorgaben in den Schatten – bereits Mitte des Monats war das Soll beinahe erfüllt. Bis Ende November wurden mehr als 50.000 Ton-nen Stahlrohre in Ploieşti verladen und abtransportiert. Lediglich die Verschif-fung über das Schwarze Meer in den Kaukasus stockte aufgrund unzureichen-der Tonnagekapazitäten und verzögerte die Operation.103

Ein wesentlicher Grund für die hastige Umsetzung waren die ungeklärten Eigentumsverhältnisse im rumänischen Erdölsektor. Schon früh hatten die Westalliierten Anspruch auf rund zwei Drittel der gefundenen Ausrüstung als vormals amerikanisches oder britisches Eigentum angemeldet, was zunächst Anordnungen zur Folge hatte, das entsprechende Material in Rumänien zu belassen. Doch intern regten sich Widerstände. Aus Ploieşti protestierten am 14. November zwei ranghohe Mitarbeiter des Sovnarkom und Narkomneft’ in einem gemeinsamen Brief an Berija gegen die Zugeständnisse. Angesichts der

101 Ein Auszug aus den Erinnerungen Chrulëvs ist abgedruckt in Zolotarev, et al.: Neft’ i bezopasnost’, S. 262–266, Zitat S. 263. Ein Teil der in Ploieşti gefundenen Rohre war, wie sich schnell herausstellte, von der deutschen Führung ursprünglich für eine schnelle Wieder-aufnahme der Erdölförderung im Kaukasus nach einer erfolgreichen Eroberung bestimmt ge-wesen, vgl. Eichholtz/Kockel: Deutsche Ölpolitik, S. 485–502.

102 RGASPI, f. 644, op. 1, d. 32, ll. 87–90; GARF, f. R5446, op. 47a, d. 992, l. 49.

103 RGASPI, f. 644, op. 1, d. 335, ll. 3–5; GARF, f. R5446, op. 46a, d. 1148, ll. 148–147 sowie l. 137.

hohen Qualität der gefundenen Rohre und des massiven Mangels an ebensol-chen in der Sowjetunion empfahlen sie eindringlich, die Entscheidung zu über-denken. Ihr Plädoyer hatte einiges Gewicht. Schon die Markierungen im ent-sprechenden Dokument legen den Schluss nahe, dass Lösungen gesucht wurden, den Anteil der Alliierten zu verringern.104

Berija scheint schließlich zu der Überzeugung gekommen zu sein, die Ver-ärgerung der Regierungen in London und Washington in Kauf nehmen zu können. Bereits zwei Tage nach Erhalt des Briefes überzeugte er Voznesenskij und andere Mitglieder des GKO, Stalin zusätzliche Demontagen und Abtrans-porte zu empfehlen.105 Wie der stellvertretende Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, Andrej Vyšinskij, dem US-Konsul in Rumänien kurz darauf verdeutlichte, betrachtete die sowjetische Führung nun auch Equipment aus den Lagerhallen der amerikanischen Konzerne als Kriegsbeute, da dieses erst nach Kriegsbeginn nach Ploieşti gelangt sei. Im Kaukasus würde das beschlag-nahmte Material zudem dringender für den Wiederaufbau gebraucht werden als in Rumänien, sodass eine Verlagerung »unseren gemeinsamen Anstrengun-gen dienlich« sein könne. Seine Empfehlung, die ganze Sache aufgrund ihrer Geringfügigkeit zu vergessen und als Lend-Lease-Lieferung zu verbuchen, offen-bart jedoch auf sowjetischer Seite bestehende Zweifel an der Durchsetzbarkeit dieser Argumentation.106 In den Folgejahren beförderte die Angelegenheit das Zerwürfnis zwischen den Alliierten. Die unterschiedlichen Definitionen deut-schen Eigentums – denn nur solches wurde offiziell als Kriegsbeute anerkannt – standen in starkem Kontrast zueinander und boten einigen Konfliktstoff.107

In Anbetracht des verheerenden Zustands der sowjetischen Industrie ver-sprach die aus Perspektive der kaukasischen Neftjaniki mehr als üppige tech-nische Ausstattung der rumätech-nischen Förderunternehmen jedoch eine einfache Lösung für eines der gravierendsten Probleme: die unzulängliche Treibstoff-versorgung. Zwei Mitarbeiter der Erdölabteilung des Sovnarkom verdeutlich-ten die Sichtweise der sowjetischen Bürokratie in einem Brief, welchen sie im April 1945, wenige Tage nach Ende der Kampfhandlungen in Ungarn, mit der

Bitte um weitere Anweisungen an Berija adressierten:

104 Die jeweiligen Mengen der im Dokument genannten, als westliches Eigentum bewerteten Rohre sind markiert und handschriftlich nach unten korrigiert: GARF, f. R5446, op. 46a, d. 1148, ll. 90–89.

105 RGASPI, f. 644, op. 3, d. 4, ll. 55–57.

106 FRUS 1944, Bd. 4, S. 246 f.

107 Umfassend dazu Napuch: Sowjetunion, S. 168–180, S. 242–248, S. 258–274 und S. 299–304.

Da gegenwärtig in den heimischen [sowjetischen] Fabriken keine neue Bohr-ausrüstung hergestellt wird, der Import […] aus den USA jedoch abgelehnt wurde, würden wir es als notwendig erachten, Arbeitertrupps in diese Regio-nen [gemeint sind die ungarischen und österreichischen Ölfelder] zu ent-senden, mit dem Auftrag, den Bestand an Bohrausrüstung vor Ort offen-zulegen und […] die Möglichkeit ihres Abtransportes zu konstatieren.108 In diesem Kontext wurden die Proteste der westlichen Alliierten als nebensäch-lich – oder für die weitere Zusammenarbeit nicht entscheidend – betrachtet.

Die Bedeutung vor allem der Gestänge und Rohre für die sowjetische Erdöl-industrie war zugleich enorm: Allein die für den November 1944 veranschlagten Sendungen aus Rumänien sollten gemäß einer vom Narkomneft’ und Gosplan ausgearbeiteten Verordnung, welche ohne Änderungen von Stalin unterzeich-net wurde, eine jährliche Mehrförderung von rund 2 Millionen Tonnen Erdöl gestatten – immerhin ein knappes Zehntel der geringen Nachkriegsproduk-tion.109 An die vom Umfang her vergleichbaren Lieferungen des Folgemonats wurden ähnlich hohe Erwartungen geknüpft.110

Mit derart glanzvollen Perspektiven sollte die in Rumänien erprobte Vor-gehensweise, wie im zitierten Brief vorgeschlagen, im Sommer 1945 auch in Ungarn und Österreich zur Anwendung kommen. Die seit dem Herbst des Vor-jahres veränderte weltpolitische Lage und besonders die mit den Konferenzen von Teheran und Jalta grob skizzierte Nachkriegsordnung, welche den Groß-teil Osteuropas zur sowjetischen Einflusssphäre deklarierte,111 spiegelte sich allerdings in den Demontageprioritäten im Erdölsektor wider: Zwar wurde die Suche nach lohnenswerter Kriegsbeute in beiden Ländern – wie im gesamten von der Roten Armee befreiten Gebiet – forciert, der Umfang der Ausfuhren

108 GARF, f. R5446, op. 47, d. 353, l. 51. Wer genau die Importe aus den USA ablehnte, geht aus dem Dokument nicht hervor. Möglich ist sowohl die Ablehnung einer konkreten Bestellung vonseiten des entsprechenden Unternehmens oder eine nicht erteilte Ausfuhrlizenz, aber auch die Unterbindung entsprechender Importe aus Moskau, da andere, technologisch anspruchs-vollere Ausrüstungsgüter als dringender empfunden wurden. Zu den Importen aus den USA umfassend auch Kapitel 4.3.

109 RGASPI, f. 644, op. 1, d. 335, ll. 3–5. Der von Gosplan und Narkomneft’ erstellte Entwurf fin-det sich in ebd., op. 2, d. 416, ll. 4–9.

110 RGASPI, f. 644, op. 2, d. 429, l. 62. Auch im Dezember wurde wesentlich mehr Erdöl aus rüstung aus Rumänien demontiert und abtransportiert, als der Plan dies vorgesehen hatte, vgl. GARF, f. R5446, op. 47a, d. 992, ll. 20–19.

111 Dazu Naimark: Sovietization, S. 175–181.

blieb jedoch in Ungarn verhältnismäßig gering.112 Im Gegensatz zu den rumä-nischen und österreichischen Pendants finden sich weder in den Archiven des GKO noch in den durchgesehenen Verzeichnissen des Sovnarkom oder des Politbüros konkrete Anweisungen zur Überführung von Anlagen und Ausrüs-tung mit Bezug zum ungarischen Erdölsektor.

Das bedeutet keineswegs, dass kein Bohrequipment abtransportiert wurde.

Eine nicht näher erläuterte Beschwerde der amerikanischen Standard Oil, wel-che offiziell auch während des Krieges Eigentümerin des größten Erdölunter-nehmens in Ungarn geblieben war, deutet auf den Transfer von entsprechender Ausrüstung in die Sowjetunion hin.113 Ein Maßnahmenkatalog zur Stabilisie-rung der Treibstoffproduktion in Baku aus dem Oktober 1945 verwies zudem auf den geplanten Einsatz von Turbinen und Generatoren, welche aus Ungarn bezogen werden sollten.114 Allerdings waren die ungarischen Bohrtürme – im Gegensatz zu ihren rumänischen Äquivalenten – mehrere Wochen vor der deutschen Kapitulation weitgehend funktionstüchtig übernommen worden und boten eine ideale Versorgungsbasis für das weitere Vorrücken der sowje-tischen Truppen. Aus diesem Grund konzentrierten sich die Besatzer früh auf den Erhalt der Förderleistung, sodass die verfügbare Rohölmenge den Rahmen-bedingungen zum Trotz 1945 nur rund ein Fünftel unter dem Vorjahresniveau lag und im Folgejahr sogar anstieg.115 Es ist also zu vermuten, dass nur geringe Teile des in Ungarn vorgefundenen Equipments in die Sowjetunion überführt werden konnten, ohne die Produktionskapazitäten zu gefährden.

112 Ein entsprechendes Dokument findet sich in Isakov, Vladimir I. (Hg.): Tyl Vooružennych Sil v dokumentach. Velikaja Otečestvennaja vojna (1941–1945 gg.), Moskva 2000, S. 582–608, hier S. 607 f. Dazu auch RGASPI, f. 82, op. 2, d. 104, ll. 1–2, abgedruckt in: Békés et al. (Hg.): Soviet Occupation, S. 330 f.; Musial, Bogdan: Sowjetische Demontagen und Beschlag nahmungen in Polen und in den ehemaligen deutschen Ostgebieten, in: Iber/Ruggenthaler (Hg.): Stalins Wirtschaftspolitik, S. 45–71, hier S. 59. Details zu als Kriegsbeute verbuchten Demontagen in Ungarn sind bis heute nicht bekannt, dazu auch die Anmerkungen in Békés et al. (Hg.): So-viet Occupation, S. 158 f.

113 FRUS 1945, Bd. 4, S. 921 f.

114 GARF, f. R5446, op. 47a, d. 984, ll. 154–153.

115 Bereits im Jahr 1944 war die Förderung gesunken. Bis zum 2. April 1945 wurden schließlich hef-tige Kämpfe auf den Ölfeldern im Westen Ungarns ausgetragen, welche die deutschen Bataillone unter großen Verlusten verteidigten. In den ersten drei Monaten konnte entsprechend nur unter äußerst schwierigen Bedingungen Erdöl gefördert werden. Dazu auch Eichholtz: Ende mit Schrecken, S. 92–94. Zur anschließenden Übernahme der Öl felder: Paterson: Soviet- American Confrontation, S. 103 f.; Borhi, László: The Merchants of the Kremlin. The Economic Roots of Soviet Expansion in Hungary, Washington, D. C. 2000, S. 44–47; Ders.: Hungary in the Cold War, 1945–1956. Between the United States and the Soviet Union, Budapest 2004, ins-bes. S. 174–176.

Im Osten Österreichs hingegen nahmen die Demontagetrupps nur wenig Rücksicht auf den Erhalt der bestehenden Industrie. Die westlich von Wien gelegenen Ölfelder waren ein wichtiges Ziel des sowjetischen Vorstoßes. Noch während in der Hauptstadt der Häuserkampf tobte, zogen größere Verbände der Roten Armee bereits weiter, um die nahen Fördergebiete zu übernehmen.116 Nach erfolgter Besetzung wurde sofort mit der Demontage unbeschädigter Anlagen begonnen. Fabrikationsbetriebe für Pumpen, Gestänge und anderes Equipment zählten schon wenige Tage nach dem Einmarsch zu den ersten Zie-len der Beutekommandos.117 Der deutschen Kapitulation folgte umgehend die Anweisung zum Abtransport weiterer Gerätschaften und Materialien. Bajbakov selbst erhielt von Stalin den Auftrag, die notwendigen Schritte zu ergreifen, um verschiedene Ausrüstung – von vorgefundenen Lagerbeständen über Pumpsta-tionen bis hin zu einer vollständigen Raffinerie – fachgerecht demontieren zu lassen. Anschließend sollte alles bis spätestens Mitte Juni in die Sowjetunion verfrachtet werden.118

Grundsätzlich befassten sich die Beutetrupps allerdings nur am Rande mit der verarbeitenden Industrie. Infolge des Förderniederganges im eigenen Land verfügte die Sowjetunion über ungenutzte Raffineriekapazitäten, sodass ein weiterer Ausbau dieses Bereichs vorerst offensichtlich als überflüssig erachtet wurde. Primäres Ziel der Konfiskationen war das Equipment zur Explora tion und Erschließung von Erdölvorkommen sowie zum Betrieb und zur Instand-haltung der Bohrlöcher. Wie Vertreter der sowjetischen Besatzungsorgane den zuständigen Stellen in Österreich Anfang Juni 1945 mitteilten, waren ins-gesamt 83 Prozent der Bohranlagen, 74 Prozent der Pumpen, 70 bis 80 Prozent der Gestänge und Rohre sowie zahllose weitere Werkzeuge, Armaturen und Gebrauchsgüter in die Sowjetunion zu überführen, »soweit sie deutsches Eigen-tum waren und auf den Ölfeldern und in den Magazinen lagern«.119 Für die Erdölindustrie des Alpenstaates war der Umfang der Demontagen verheerend.

116 GARF, f. R5446, op. 47, d. 353, l. 51.

117 Eine Liste der Demontagen findet sich in Karner, Stefan: Zu den sowjetischen De montagen in Österreich 1945/46. Ein erster Aufriss auf russischer Quellenbasis, in: Michael Pammer et al. (Hg.): Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2007, S. 301–312, hier S. 308–312.

118 RGASPI f. 644, op. 1, d. 414, ll. 123–124; ebd., d. 417, l. 127.

119 Das entsprechende Gesprächsprotokoll vom 7. Juni 1945 ist abgedruckt in Iber: Sowjetische Mineralölverwaltung, S. 248 f. Dazu umfassend auch ebd., S. 53 f.; Iber: Erdöl statt Reparatio-nen, S. 578. Antony Sutton zufolge war es allgemein üblich, dass die Beutekommandos primär solche Güter beschlagnahmten, die in der Sowjetunion Mangelware waren: Sutton: Western Technology, Bd. 3, S. 17 f.

Obwohl wenige Wochen nach der Übernahme die Bemühungen zur Wiederher-stellung der Produktion in Gang gesetzt wurden, konnte bis September infolge des Materialmangels nur rund ein Drittel der Monatsproduktion des Vorjahres erreicht werden.120 Mit nur einem Bruchteil der benötigten Ausrüstung sollte es Jahre dauern, bis die Produktion in Österreich wieder auf das Niveau von 1944 gesteigert werden konnte.

Die ›Pax Sovietica‹ als Erdölgarant

Parallel zu den laufenden Demontagen bemühten sich die Besatzungsorgane in Österreich ebenso wie in Ungarn und Rumänien um den Erhalt größtmöglicher Erträge bei geringstmöglichem Kapital- und Materialeinsatz. Die osteuropäischen Felder sollten nicht nur die Truppen in Europa mit Kraftstoff versorgen und so die Lieferungen aus dem Kaukasus reduzieren, sondern zugleich auch den Erdöl-mangel in der Sowjetunion lindern. Vor allem das Unvermögen des Narkomneft’, die von Gosplan erstellten Produktionspläne zu erfüllen, hatte eine Diskrepanz zwischen den ohnehin niedrigen geplanten und tatsächlich verfügbaren Erdöl-mengen geschaffen. Auf diese Weise behinderte der Mangel auch den inzwischen angelaufenen Wiederaufbau. In der Folge war die Sowjetunion auf Importe ange-wiesen, um besonders die Industrie mit Erdölprodukten zu versorgen.121

Ende März 1945 veranlasste das GKO allein aus Rumänien die Ausfuhr von 610.000 Tonnen petrochemischer Produkte für das zweite Quartal des Jahres in die UdSSR – mit einem Fokus auf Benzin und auf Zwischenprodukte zur Endverarbei-tung in den kaukasischen Raffinerien.122 Unter Hinzunahme der für die Versor-gung der Roten Armee bestimmten Treibstoffe verbrannten sowjetische Motoren in den drei Folgemonaten etwa 90 Prozent der rumänischen Erdöl produktion.123 Allein die Ausfuhren aus Ploieşti entsprachen zu dieser Zeit rund einem Fünftel

120 GARF, f. R5446, op. 47a, d. 969, l. 62.

121 Dies klingt in mehreren Dokumenten durch, etwa in: GARF, f. R5446, op. 47a, d. 3836, ll. 18–1;

ebd., d. 973, ll. 107–105.

122 RGASPI, f. 644, op. 1, d. 383, ll. 83–84. Das zweite Quartal 1945 stellte keineswegs den Beginn der Ausfuhr rumänischer Erdölprodukte dar, allerdings waren zuvor nahezu ausschließlich die Fronteinheiten von dort versorgt worden: Zahlreiche Akten dazu finden sich in GARF, f. R5446, op. 47a, d. 5195, zur Verteilung besonders ll. 1–2.

123 Unter Berücksichtigung der knapp über 4 Millionen Tonnen Jahresproduktion 1945 und einer durchschnittlichen monatlichen Nutzung von 100.000 Tonnen rumänischen Benzins durch die Rote Armee wurden ca. 90 Prozent des Erdöls von der Sowjetunion verbraucht;

unter Berück sichtigung der verarbeitungsbedingten Verluste wahrscheinlich sogar mehr. Zum Treibstoffbezug der Roten Armee aus Ploieşti im April: RGASPI, f. 644, op. 1, d. 388, l. 179;

im Mai: ebd., d. 413, l. 144; im Juni: ebd., d. 427, l. 61.

der Förderung in der Sowjetunion, Exporte aus Ungarn und Österreich linder-ten den Mangel zusätzlich und gestattelinder-ten es den Planern in Moskau, auch den in Industrie und Landwirtschaft verordneten Verzicht schrittweise zu reduzieren.

Gleichzeitig war zu diesem Zeitpunkt jedoch keineswegs absehbar, ob und wo sich der ›Eiserne Vorhang‹ aufspannen würde – und welche Form der von den Westalliierten gewährte Einfluss der Sowjetunion in Osteuropa anneh-men könnte.124 In diesem Kontext wurde es für Stalin und seine Mitstreiter zunehmend wichtiger, die osteuropäischen Erdölvorkommen auch langfristig im Interesse des Kremls nutzen zu können. Unmittelbar nach der deutschen Kapitulation wurden deshalb in Österreich und Rumänien Verhandlungen zur Gründung gemeinsamer Unternehmen zum weiteren Betrieb des Industrie-zweiges begonnen. In erster Linie galt es, die sowjetischen Aktivitäten in den

Gleichzeitig war zu diesem Zeitpunkt jedoch keineswegs absehbar, ob und wo sich der ›Eiserne Vorhang‹ aufspannen würde – und welche Form der von den Westalliierten gewährte Einfluss der Sowjetunion in Osteuropa anneh-men könnte.124 In diesem Kontext wurde es für Stalin und seine Mitstreiter zunehmend wichtiger, die osteuropäischen Erdölvorkommen auch langfristig im Interesse des Kremls nutzen zu können. Unmittelbar nach der deutschen Kapitulation wurden deshalb in Österreich und Rumänien Verhandlungen zur Gründung gemeinsamer Unternehmen zum weiteren Betrieb des Industrie-zweiges begonnen. In erster Linie galt es, die sowjetischen Aktivitäten in den