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Sicheres Erdöl am Kaspischen Meer

In den 1940er Jahren boten sich der sowjetischen Führung nur wenige Möglich-keiten, die Kontrolle über nachgewiesene und zugleich erreichbare Erdölvor-kommen außerhalb der eigenen Grenzen zu erlangen. Amerikanische Unter-nehmen dominierten den Markt und kontrollierten mit der Rückendeckung Washingtons rund drei Viertel der weltweit bekannten Reserven.51 Die größte Hoffnung auf erhebliche Vorkommen bot der Iran. Gewaltige Ölfelder im Süden des Landes deckten bereits den Bedarf Großbritanniens, doch auch im Norden entlang des Kaspischen Meeres – und in unmittelbarer Nähe zu Baku – wurden weitere Vorkommen vermutet.52 Bereits 1923 hatte die sowjetische Regierung in dieser Region eine erste Konzession mit der zu dieser Zeit noch persischen Regierung ausgehandelt. Fehlendes Kapital und geringes Interesse vonseiten der Bolschewiki an zusätzlichem Erdöl beförderten allerdings eine nur wenig ambi-tionierte Herangehensweise, sodass die Erlaubnis zu entsprechenden Arbeiten Ende der 1920er Jahre wieder entzogen wurde.53

Tatsächlich lag es in dieser Zeit weit mehr im Interesse der sowjetischen Machthaber, eine Festsetzung westlicher Erdölunternehmen in der Nähe des Kaukasus zu verhindern. Die Erfahrungen im Bürgerkrieg mit der Einmischung ausländischer Truppen im Kaukasus und das grundsätzliche Misstrauen gegen-über den großen amerikanischen und britischen Ölkonzernen dominierten die sowjetische Persienpolitik, gerade eine Ausweitung des britischen Einflusses auf die nördlichen Regionen galt es zu verhindern. Im Austausch gegen den

Ver-51 Beinahe 80 Prozent der globalen Erdölproduktion waren zu dieser Zeit jenseits des Atlantiks verortet. In Europa existierten in einigen Regionen kleine moderne Erdölindustrien, eine Pro-duktionssteigerung oder große neue Funde waren jedoch wenig wahrscheinlich – kaum eine andere Region war derart gründlich auf wertvolle Bodenschätze untersucht worden. Dazu Painter: Oil and the American Century, S. 9–14.

52 Singer, Clifford: Energy and International War. From Babylon to Baghdad and Beyond, Singapore et al. 2008, S. 143; Rezun, Miron: The Soviet Union and Iran. Soviet Policy in Iran from the Beginnings of the Pahlavi Dynasty until the Soviet Invasion in 1941, Boulder CO 1988, S. 63.

53 GARF, f. R5446, op. 48a, d. 634, l. 92.

zicht auf zahlreiche Privilegien des Zarenreiches ließen sich die Machthaber im Kreml 1921 sogar das Recht zugestehen, im Falle der Entwicklung einer von Persien ausgehenden akuten Bedrohungslage für die Sowjetunion mit Trup-pen intervenieren zu dürfen.54 In der Folgezeit wurde Persien – wie bereits vor der Machtübernahme der Bolschewiki – zum Austragungsort einer britisch- sowjetischen Rivalität um Einflusssphären.

Auf beiden Seiten sollte auf diese Weise auch die Absicherung der jeweiligen primären Erdölquelle gewährleistet werden, für die Sowjetunion im Kaukasus respektive für Großbritannien in Südpersien. Die zunehmenden Spannungen in Europa am Ende der 1930er Jahre gingen jedoch mit einem wachsenden Engagement des Deutschen Reiches im (inzwischen umbenannten) Iran ein-her, welches vom Schah zur Rückgewinnung der Souveränität als Modernisie-rungspartner und Gegengewicht gewonnen werden konnte.55 Das fragile Macht-gleichgewicht drohte aus dem Ruder zu laufen. Besonders die zunehmenden und häufig verdeckt stattfindenden Aktivitäten deutscher Unternehmen im Grenzgebiet zum Kaukasus und am Kaspischen Meer wurden auf sowjetischer Seite mit großer Skepsis betrachtet. Nicht selten bezeugten offizielle Protest-noten aus Moskau den Unmut Stalins und seiner Mitstreiter, um den Schah durch diplomatischen Druck zur Revidierung entsprechender Genehmigun-gen zu beweGenehmigun-gen.56 Der Nichtangriffspakt mit dem Deutschen Reich beruhigte entsprechende Sorgen vorerst.

Dennoch wurden die grundsätzlichen Sicherheitsbedenken bezüglich des kaukasischen Erdöls nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Europa wiederholt auf die Probe gestellt. Briten wie Franzosen hatten im ersten Kriegs-jahr umfassende Planungen zur Bombardierung der Erdölfelder Bakus begon-nen, welche als einfaches Ziel betrachtet wurden. Ein solcher Luftangriff sollte langfristig nicht nur die Sowjetunion militärisch bewegungsunfähig machen, sondern zugleich auch die Bereitschaft zur Versorgung der deutschen Wehr-macht mit Treibstoff deutlich reduzieren.57 Die Pläne scheiterten letztlich an der neutralen Haltung des Irans und der Türkei, die beide – auch aus Furcht vor

54 Yodfat/Abir: Direction of the Persian Gulf, S. 29; Egorova: Iranskij Krizis, S. 26.

55 Umfassend dazu Rezun: Soviet Union and Iran; Kuniholm, Bruce R.: The Origins of the Cold War in the Near East. Great Power Conflict and Diplomacy in Iran, Turkey, and Greece, 2. Aufl., Princeton NJ 1994, S. 135–139.

56 Egorova: Iranskij Krizis, S: 26; Rezun: Soviet Union and Iran, S. 322–331.

57 Das Dokument ist abgedruckt in: Burdett, Anita L. P. (Hg.): Oil Resources in Eastern Eu-rope and the Caucasus. British Documents 1885–1978 (Cambridge Archive Editions). 9 Bde., Cambridge 2012, hier Bd. 4, S. 212–214. Zahllose weitere deklassifizierte Dokumente aus bri-tischen Archiven zu diesen Planungen finden sich auf S. 161–303.

der sowjetischen Reaktion – die zwingend notwendigen Überflugrechte nicht gewährten. Gleichwohl intensivierte die Möglichkeit eines solchen Luftschla-ges, befördert durch die Publikation von erbeuteten französischen Geheim-dokumenten durch die deutsche Regierung, im Sommer 1940 die Bedenken der sowjetischen Führung bezüglich der Sicherheit des kaukasischen Erdöls.58

Wie der deutsche Botschafter in der Slowakei seinem sowjetischen Kollegen im Juli entlocken konnte, veranlassten die entsprechenden Informationen die Kremlführung, auch »im Sinne des deutsch-russischen Handelsvertrages« erneut über die Schaffung einer Pufferzone zum Schutz der Erdölgebiete nachzudenken.59 Während die deutsche Führung wiederholt Druck auf die Sowjetunion ausübte, den britischen Einfluss im Iran einzudämmen und auch militärisch aktiv zu wer-den, bereiteten sich die Kaukasusverbände der Roten Armee ab Mai 1941 darauf vor, im Zweifelsfall die nördlichen Regionen des Irans zu besetzen. Die regio-nalen politischen Eliten und primär Bagirov suchten dem aserbaidschanischen Historiker Jamil Hasanli zufolge das Sicherheitsbedürfnis des Kremls zugleich bewusst zur Fokussierung eigener Interessen zu nutzen, um das sowjetische Aser-baidschan langfristig mit seinem iranischen Gegenstück vereinigen zu können.60 Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion änderte zwar die Bündniskons-tellation und verbesserte das Verhältnis zu Großbritannien deutlich, die Aus-gangslage im Iran wandelte sich jedoch nur eingeschränkt. Statt dem britischen Einfluss im Süden des Landes war es nun die deutsche Präsenz in den nördlichen Regionen, welche die sowjetische Führung umso mehr beunruhigte. Die Sorge um die möglichen Absichten hinter den Aktivitäten deutscher Unternehmer in der strategisch und vor allem in Bezug auf die Treibstoffversorgung der euro-päischen Opponenten Hitlers wichtigen Region teilten auch die Westalliierten.

Die von Sympathie für das Deutsche Reich geprägte Haltung des Schahs, der sich weigerte, die iranische Neutralität aufzugeben und sich offen gegen Hitler

58 Im fünften und sechsten »Weißbuch der Deutschen Regierung« wurden 1940 und 1941 erbeu-tete französische Dokumente publiziert, darunter die Pläne zur Bombardierung des Kaukasus, vgl. Weitere Dokumente zur Kriegsausweitungspolitik der Westmächte. Die Generalstabs-besprechungen Englands und Frankreichs mit Belgien und den Niederlanden. Fünftes Weiß-buch der Deutschen Regierung, Berlin 1940; Die Geheimakten des französischen General-stabes. Sechstes Weißbuch der Deutschen Regierung, Berlin 1941. Die Dokumente wurden der Moskauer Führung übergeben und in Auszügen üer die sowjetischen Medien verbreitet, etwa in Izvestija 153, 05.07.1940, S. 1–3; Pravda 185, 05.07.1940, S. 1–4. Weiterführend auch Gorodetsky: Große Täuschung, S. 40–42 sowie S. 91 f.

59 ADAP, Serie D, Bd. XX, S. 234 f.

60 Hasanli: Dawn of Cold War, S. 1–3. Ferner auch Fawcett: Iran and Cold War, S. 84 f.; Na-puch: Sowjetunion, S. 45 f.; Scheid Raine: Iranian Crisis, S. 96.

zu stellen, diente im August 1941 als willkommener Anlass für eine gemeinsame britisch-sowjetische Invasion.61 Wenngleich Stalin unmittelbar nach der weit-gehend widerstandslosen Besetzung – erfolglos – erneut eine Konzession zur Erdölsuche im Nordiran gefordert hatte,62 dominierte das Sicherheitsbedürf-nis das sowjetische Vorgehen. Zwischenzeitliche Versuche, auch ohne ErlaubSicherheitsbedürf-nis der iranischen Regierung nach Erdöl zu suchen, wurden bereits nach wenigen Wochen erfolglos eingestellt.63 Die Schaffung einer Pufferzone um die kaukasi-sche Erdölindustrie hatte neben der Sicherung der durch den Iran verlaufenden Transitrouten für Lend-Lease-Lieferungen höchste Priorität.

Wie groß das Misstrauen Stalins und seiner Mitstreiter in Bezug auf die Treib-stoffversorgung war, zeigt etwa die Aufnahme sämtlicher kaukasischer Erdöl-felder in die Liste der für Ausländer nicht zugänglichen Staatsgebiete wenige Wochen vor dem deutschen Angriff.64 Auch einer Delegation des US-Militärs wurde während eines Aufenthaltes an der Kaukasusfront Ende 1942 von ver-schiedenen Offizieren der Roten Armee deutlich gemacht, dass die Vergan-genheit in der Sowjetunion »Misstrauen gegenüber ausländischen Mächten im Zusammenhang mit ihren Ölressourcen« geschaffen habe. Aus diesem Grund würden selbst von verbündeten Staaten keine militärischen Einheiten auch nur in der Nähe des Kaukasus geduldet werden.65

Angebote der Westalliierten, bei der Verteidigung der Region oder gar der Zerstörung der Erdölindustrie im Falle eines deutschen Vorrückens zu assistie-ren, wurden entsprechend freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Große Besorg-nis erregte vor allem der Vorschlag, die sowjetischen Truppen bei Baku durch britische und amerikanische zu ersetzen, um die Frontkapazitäten der Roten Armee zu vergrößern. Die sowjetische Führung befürchtete darin – so erinnerte sich Molotov später – einen Versuch der westlichen Partner, sich anstelle der dringend benötigten militärischen Unterstützung auch über den Krieg hinaus in der Region festzusetzen.66 In diesem Sinne beschränkte sich das Vorgehen

61 Blake: US-Soviet Confrontation, S. 13 f.

62 Rezun: Soviet Union and Iran, S. 373–375; Fawcett: Iran and Cold War, S. 93 f.

63 Igolkin: Neftjanaja politika (1940–1950), S. 266.

64 RGASPI, f. 17, op. 162, p. 35, d. 4, ll. 30–31, ediert in: Chaustov, Vladimir N. (Hg.): Lubjanka.

Stalin i NKVD – NKGB – GUKR »Smerš«. 1939 – mart 1946 (Rossija. XX vek. Dokumenty), Moskva 2006, S. 264 f.

65 So meldete es der Delegationsleiter, General Patrick Hurley, per Brief an Roosevelt: FRUS 1942, Bd. 3, S. 681.

66 Čuev, Feliks I./Molotov, Vjačeslav M.: Sto sorok besed s Molotovym, Moskva 1991, S. 65.

Eine detaillierte Analyse dieser Phase auf Basis westlicher Archive liefert Napuch: Sowjet-union, S. 89–97 sowie S. 107–115.

des Kremls auch auf der iranischen Seite der Grenze bis Ende 1943 auf das Fern-halten alliierter wie feindlicher Truppenkontingente. Die Präsenz der Roten Armee im Nordiran wurde von den regionalen politischen Eliten und auch der Bevölkerung deshalb positiver gesehen als die der britischen Truppen im Südteil des Landes. Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und ihrem südlichen Nachbarn besserten sich deutlich. Lediglich verschiedene lokal von Bagirov ini-tiierte und äußerst erfolgreiche Bemühungen, durch einen Kultur- und Medien-transfer das Ansehen der Sowjetunion in der Bevölkerung des iranischen Aser-baidschans zu steigern, erregten in Teheran aufgrund der partiellen Duldung des Kremls zusehends Besorgnis bezüglich der dahinterstehenden Absichten.67

Der Iran rückt ins Blickfeld

Mit dem zunehmenden Treibstoffmangel und den Problemen im Kaukasus rückte 1943 das iranische Erdöl erneut ins Blickfeld. Zwei führende Erdöl geologen von Azneft’ wurden im Juni des Jahres auf Initiative Bagirovs und des sowje-tischen Botschafters im Iran unter dem Deckmantel der Besatzungstruppen in den Nordiran überstellt, um endgültig einen Beweis für das erhoffte Erdöl zu erbringen. Weniger deren Ergebnisse, welche zwar potentiell große Vor-kommen, aber zugleich erhebliche benötigte Investitionen konstatierten,68 son-dern vielmehr das Vorgehen der Westalliierten erregte die Aufmerksamkeit der Kreml führung. Mitte 1944 begannen die britische und die US-Regierung unter Ausschluss des sowjetischen Partners Verhandlungen über eine mög liche Nachkriegs verteilung der Erdölressourcen des Nahen Ostens. Gleichzeitig fanden verschiedene geheime Sondierungen bezüglich Konzessionen zwischen amerika-nischen Förderunternehmen und der iraamerika-nischen Regierung statt, welche auch eine mögliche Aktivität im Norden thematisierten. Beides blieb dem sowjetischen Geheimdienst nicht verborgen und am 16. August 1944 warnte Berija in einem Brief an Stalin, die »sowjetischen Interessen im Bereich der internationalen Erd-ölangelegenheiten zu verteidigen« und ebenfalls aktiv zu werden.69 Allein die

67 Rubin, Barry M.: The Great Powers in the Middle East, 1941–1947. The Road to the Cold War, London et al. 1980, S. 83–91; Fawcett: Iran and Cold War, S. 85–92. Zu den Bemühun-gen Bagirovs umfassend Hasanli: Dawn of Cold War, S. 4–25.

68 Igolkin: Neftjanaja politika (1940–1950), S. 267.

69 AVP RF, f. 6, op. 6, p. 37, d. 37, ll. 16–18, zitiert nach Yegorova: Iran Crisis, S. 3; dazu auch Zubok, Vladiaslav M.: A Failed Empire. The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev, London 2008, S. 40 f. Zu den Britisch-Amerikanischen Verhandlungen im Som-mer 1944 umfassend Napuch: Sowjetunion, S. 181–197.

Gespräche über eine zukünftige Präsenz westlicher Erdöl unternehmen im Grenz-gebiet zur Sowjetunion versetzte die Moskauer Führung in Alarmbereitschaft, doch auch der zunehmende amerikanische Einfluss auf die iranische Regierung und vor allem den Schah wurde mit wachsendem Argwohn betrachtet.70

Berijas Warnung blieb nicht ohne Folgen. Bereits wenige Tage später wurde eilends eine Kommission zusammengestellt, welche die Frage der bereits län-ger erhofften Erdölkonzession im Nordiran endgültig klären sollte. Neben dem stellvertretenden Außenminister, Sergej Kavtaradze, wurden hochrangige Neftjaniki, wie der kurz nach der Rückkehr der Delegation zum Erdölkommissar ernannte Bajbakov oder der Leiter des nach wie vor größten Erdölkombinates Azneft’, Nazar Hejdarov, mit zu den Verhandlungen nach Teheran geschickt.71

Ressentiments und durch steigenden sowjetischen Druck gefördertes Misstrauen innerhalb der iranischen Führung prägten die Gespräche. Doch auch politisches Taktieren einflussreicher Individuen, diplomatische Fauxpas auf beiden Seiten, britische wie amerikanische Einmischungsversuche und nicht zuletzt verletz-ter Stolz72 gipfelten schließlich nach »langen, zermürbenden Gesprächen« Ende 1944 im vorläufigen Scheitern der Konzessions verhandlungen. Solange sowjeti-sche, britische und amerikanische Truppen im Land blieben und die Regierung in ihrer Souveränität faktisch eingeschränkt war, untersagte das iranische Parla-ment Konzessionen jeglicher Form.73 Dies bedeutete jedoch keines wegs, dass die Moskauer Führung bis zum Abzug der Besatzungstruppen zu warten gedachte oder gar aufzugeben bereit war. Während der Konferenz von Jalta im Februar 1945 vertrat Stalin die Ansicht, dass eine Nation, welche die Förderung ihrer Erdölreserven verhindere, damit effektiv »gegen den Frieden arbeiten« würde.74

70 Egorova: Iranskij Krizis, S. 28; Pechatnov, Vladimir O./Edmondson, Earl: The Russian Perspective, in: Levering (Hg.): Debating the Origins, S. 85–153, hier S. 118. Die Hintergrün-de Hintergrün-der Befürchtungen blieben auch westlichen Beobachtern nicht verborgen, ausführlich be-richtete etwa George Kennan, zu dieser Zeit US-Gesandter in Moskau, von seinen Eindrücken diesbezüglich: FRUS 1944, Bd. 5, S. 470 f.

71 GARF, f. R5446, op. 48a, d. 634, l. 92. Zur Vita Hejdarov: Hirschkowitz, Nafthali:

Spravočnik po istorii Kommunističeskoj partii i Sovetskogo Sojuza 1898–1991. Gejdarov, Nazar Gejdar ogly, online verfügbar unter: http://www.knowbysight.info/GGG/02005.asp [30.07.2016].

72 Stalin war nicht bereit, schlechtere Konditionen zu akzeptieren als jene, welche im Süden für westliche Erdölunternehmen galten. GARF, f. R5446, op. 48a, d. 634, ll. 107–90.

73 Bajbakov: Ot Stalina do El’cina, S. 238. Umfassende Analysen der Konzessionsgespräche im Herbst 1944 finden sich bei Hasanli: Dawn of Cold War, S. 44–74; Egorova: Iranskij Krizis, S. 30; Rubin: Great Powers, S. 96–101; Napuch: Sowjetunion, S. 200–224.

74 FRUS 1945, The Conferences at Malta and Yalta, S. 930.

Paradoxerweise folgte dem Abbruch der Gespräche eine Intensivierung der sowjetischen Bemühungen zur Erdölexploration im Iran. Die innenpolitisch für das Jahr 1945 bereits konstatierte Sorge um die zukünftige Treibstoffversorgung der Roten Armee spiegelte sich zunehmend in der primären Ziel setzung im Iran wider. Wachsendes Misstrauen beförderte gleichsam im Kreml den Drang, aktiv zu werden. Im April 1945 hatten britische Geologen im Norden Teherans mit Erkun-dungsarbeiten begonnen, welche offiziell der Erschließung neuer Wasserquellen dienten, zugleich aber auch die Dokumentation der gefundenen Bodenschätze beinhalteten. Der sowjetische Geheimdienst betrachtete die Aktivitäten deshalb als Tarnoperation zur Erdölsuche, sodass Stalin sich zum Handeln gezwungen sah.75 Am 21. Juni ordnete das GKO die Schaffung einer geologischen Abteilung zur Durchführung umfassender Erkundungsarbeiten im Nordiran an, welche in die Strukturen von Azneft’ eingebunden werden sollte. Obwohl Personal- und Ausrüstungsmangel die Arbeit des Erdölsektors in der Sowjetunion bereits deut-lich erschwerten, sollten 14 mit modernem Equipment ausgerüstete Explorations-teams, getarnt als besondere Abteilung »im Führungsstab der sowjetischen Trup-pen im Iran«, die Arbeit schnellstmöglich aufnehmen.76

Die große Anzahl zeugt von der hohen Priorität der Mission: Wenngleich ein bedeutender Teil der Teams neu zusammengestellt und nur drei aktive und erfahrene Mannschaften vollständig verlegt werden sollten, waren in der Sow-jetunion insgesamt bei Kriegsende deutlich unter 200 dieser Teams unterwegs.77 Bajbakov wurde die Verantwortung für die Auswahl und Ausstattung geeigneter Neftjaniki übertragen, Bagirov und der Kommandeur der Trans kaukasusfront sollten der Expedition »größtmögliche Hilfe« leisten. Bezeichnend ist dies-bezüglich, dass gemäß der Anordnung ein Teil des benötigten Personals und Equipments aus der von der sowjetischen Propaganda präferierten Hoffnungs-region im Osten abgezogen werden sollte – dem Zweiten Baku.78 Die Moskauer Führung war allem Anschein nach fest davon überzeugt, dass neben Baku im Westen des Kaspischen Meeres und der turkmenischen und kasachischen Küste

75 Hasanli, Jamil: Der Kampf um das Erdöl im Nahen und Mittleren Osten, in: Walter M. Iber/

Peter Ruggenthaler (Hg.): Stalins Wirtschaftspolitik an der sowjetischen Peripherie. Ein Über-blick auf der Basis sowjetischer und osteuropäischer Quellen, Innsbruck 2011, S. 297–326, hier S. 303 f. Natalia Yegorova zufolge kontrollierte Stalin spätestens ab 1945 sämtliche Entschei-dungen in der Iranpolitik persönlich, Yegorova: Iran Crisis, S. 9 f.

76 RGASPI, f. 644, op. 1, d. 429, ll. 136–140, Zitat l. 136.

77 Wenngleich für 1945 keine Zahlen vorliegen, waren insgesamt vermutlich zwischen 129 (1940) und 192 (1946) Explorationsteams in der UdSSR unterwegs: Keller: Neftjanaja promyšlennost’, S. 11.

78 RGASPI, f. 644, op. 1, d. 429, ll. 137–140.

im Osten auch das Südufer reichhaltige Vorkommen beherbergte, welche ledig-lich entdeckt werden müssten. In der zweiten Hälfte des Jahres 1945 waren im Nordiran fast 500 sowjetische Fachkräfte mit der Suche nach Erdöl beschäftigt.79 Zugleich wurden Vorkehrungen getroffen, welche nach Abzug der sowje-tischen Truppen ein erneutes Fiasko in der Konzessionsfrage verhindern sollten.

Im März 1945 war aus Geheimdienstkreisen der Vorschlag unterbreitet worden, den breiten Zuspruch, welchen die UdSSR unter der regionalen Bevölkerung genoss, nutzbar zu machen. Auf diese Weise sei im iranischen Parlament »eine Mehrheit zu erlangen und diese […] dazu zu verwenden, die [wirtschaftlichen]

Interessen unseres [sowjetischen] Staates zu verfolgen«80 – welche sich im Iran weitgehend auf den Erdölsektor beschränkten. Kaum drei Monate später ord-nete Stalin entsprechende Maßnahmen an. Unter dem Schutz der Besatzungs-truppen wurden Parteien neu gegründet oder auf Moskauer Linie gebracht, regionale Autonomiebestrebungen wurden im Grenzgebiet gefördert und vor Konsequenzen geschützt. Auf diese Weise wurde der sowjetische Einfluss im Nordiran stetig ausgebaut.81 Dem Kalkül der Kremlführung folgend sollten die daraus hervorgehenden weitgehend autonomen Regionen die Wahrung der Sicherheitsinteressen Moskaus befördern, ohne einen vollständigen Bruch mit der Regierung in Teheran herbeizuführen. Gleichzeitig bot die faktische Kon-trolle über die einflussreichsten nordiranischen Parteien ein geeignetes Druck-mittel, um endlich einen als angemessen betrachteten, »größeren Anteil an der Ausbeutung der Erdölvorräte der Welt zu bekommen«, welcher der Sowjetunion nach Stalins Ansicht zuvor primär aufgrund diametraler britischer und amerika-nischer Interessen im Nahen Osten verweigert worden war.82

79 Hasanli: Dawn of Cold War, S. 65.

80 RGASPI, f. 17, op. 128, d. 817, l. 132, zitiert nach Yegorova: Iran Crisis, S. 5 f.

81 Endsprechende Anweisungen aus aserbaidschanischen Archiven sind abgedruckt in: Hasanli, Jamil: New Evidence on the Iran Crisis 1945–1946. From the Baku Archives, in: CWIHP Bulletin 12–13 (2001), S. 309–314. Zu den Konsequenzen dieser Anweisungen siehe etwa Scheid Raine: Iranian Crisis, S. 98–106.

82 Smith, Walter B.: Meine drei Jahre in Moskau, Hamburg 1950, S. 66. Die iranische Haltung in der Konzessionsfrage wurde in Moskau als »diskriminierend« oder sogar sowjetfeindlich wahrgenommen, vgl. Izvestija 65, 16.3.1946, S. 7; ferner Hasanli: Dawn of Cold War, S. 218;

Rubin: Great Powers, S. 178; Egorova: Iranskij Krizis, S. 33 f. Anzumerken ist, dass verschie-dene Historiker Zweifel an dieser Gewichtung der sowjetischen Ziele im Nordiran hegen und eine territoriale Expansion als primäre Absicht Stalins unterstellen, so etwa Gellately:

Stalin’s Curse, S. 153–155; Zubok: Failed Empire, S. 42 f. In den bekannten und als streng ge-heim klassi fizierten sowjetischen Archivdokumenten ist lediglich von der Schaffung nationaler Autonomie »mit weitreichenden Kompetenzen innerhalb des Iranischen Staates« die Rede. Vgl.

das entsprechende Dekret in Hasanli: New Evidence on Iran Crisis, S. 311–313, Zitat S. 311.

Grenzen des sowjetischen Einflusses

Tatsächlich war es das nicht nur im Iran aggressiver werdende Auftreten der Sowjetunion, welches die vornehmlich diplomatische Interventionsbereitschaft

Tatsächlich war es das nicht nur im Iran aggressiver werdende Auftreten der Sowjetunion, welches die vornehmlich diplomatische Interventionsbereitschaft