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Virtuosität und (Ent-)Täuschung

Ein Blick in die zeitgenössischen Pressekommentare zeigt, dass die leicht unterle-bensgroße Figur auf ein ebenso interessiertes wie irritiertes Echo gestoßen ist. Ein

45 Vgl. David J. Getsy, Encountering the Male Nude at the Origins of Modern Sculpture. Rodin, Leigh-ton, Hildebrandt, and the Negotiation of Physicality and Temporality, in: Antoinette Rösler-Frieden-thal (Hg.), The Enduring Instant: Time and the Spectator in the Visual Arts, Berlin 2003, 296–313, hier 46 Vgl. Jarrassé, Rodin. (wie Anm. 9), 34.298.

47 Vgl. Siegmar Holsten/Nina Trauth (Hg)., elegant // expressiv. Von Houdon bis Rodin. Französische Plastik des 19. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog: Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle 28.04.–26.08.2007), Heidelberg 2007, 81.

Hauptgrund für die Verwunderung, die Rodins Werk unmittelbar hervorgerufen hat, dürfte freilich im auffälligen Fehlen von Attributen oder ikonografischen Hinweisen zu suchen sein, durch die eine kontextuelle Einordnung der Figur und also ein herme-neutischer Zugang zu ihr erst möglich geworden wären. Man weiß heute, dass Rodin im Zuge der Herstellung dieser Plastik eine Lanze entfernt hat, die den männlichen Akt eindeutig als einen Krieger ausgewiesen hätte. Dieser Akt der Reduktion seiner ur-sprünglichen Konzeption hat für die Wirkung der Figur erhebliche Konsequenzen ge-habt: Denn mit dieser Lanze als Stütze des Körpers wäre der immer wieder geschilderte Eindruck einer prekären Balance der Figur wohl gar nicht erst entstanden.48 Rodin hat seiner Aktfigur also eine neuartige Bewegtheit verliehen, indem er die Unponderiert-heit des Körpers ostentativ hervorgekehrte: Während das klassische Körperschema des Kontrapostes für den Betrachter einer Plastik Halt und Orientierung bietet, erlebt die-ser im nicht stillzustellenden Blick auf diese Plastik eine Form des optischen ›Gleitens‹, das selbst vor dem unbewegten Material der Bronze nicht haltzumachen scheint.49 Die

›fluidale‹ Seherfahrung stellt sich freilich erst beim tatsächlichen Akt der Betrachtung im Museum ein, sobald man also als Besucher die Möglichkeit hat, die labil positio-nierte Figur zu umschreiten und somit ihre enorme Neigung außerhalb der Vertikalen nachzuvollziehen. Vor diesem Hintergrund gilt es auch, einen oft bemühten Vergleich etwas zu relativieren: Die einsinkende Körperhaltung von Michelangelos Sterbendem Sklaven (1513–1516, Marmor, Louvre, Paris), der für Rodin offensichtlich eine Inspira-tionsquelle gewesen sein muss, rührt gerade nicht aus einer scheinbar ›grund-losen‹

Labilität der Figur, sondern sie ist die Konsequenz aus der Positionierung der Figur auf dem angedeuteten, unebenen Felsuntergrund. Hierdurch erklären sich das Einknicken des linken Beines und somit auch das Fehlen eines festen Standes.

Für die erzählerische Dramaturgie zahlreicher Rodin-Biografien jedenfalls ist vor allem ein bald schon in der Presse erhobener Vorwurf gegen den Künstler ausschlag-gebend. Am Anfang des berühmten Kunstskandals, der Rodins Karriere mit einem Paukenschlag beginnen ließ, standen wenige Zeilen eines anonymen Kunstkritikers, der am 29. Januar 1877 im L’Étoile belge ein höchst anspielungsreiches Urteil über das ausgestellte Werk sprach:

M. Rodin, un de nos sculpteurs de talent, qui ne s’était fait remarquer jusqu’ici au Salon que par ses bustes, a exposé au Cercle artistique une statue destinée à figurer à la prochaine Exposition de Paris. Elle n’y passera certes pas inaperçu, car si elle attire l’attention par son étrangeté, elle la retient par une qualité aussi précieuse que rare: la vie. Quelle part la surmoulure a dans ce plâtre, nous n’avons pas à l’examiner ici.50

Mit der Rede von der »étrangeté« dieser Figur scheint schon zu diesem frühen Zeit-punkt die Frage der problematischen ›Interpretierbarkeit‹ von Rodins Plastik im Raum zu stehen. Doch kommen wir zunächst zum vielleicht prominentesten Aspekt, näm-lich der Frage nach der vermeintnäm-lich zweifelhaften Herstellungsweise: Die bestürzend

48 Vgl. für eine detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse: Butler, Rodin (wie Anm. 6), 99ff. Sowie: Al-bert Elsen, Rodin, New York 1963, 22ff.

49 Vgl. Getsy, Encountering the Male Nude (wie Anm. 45), 298f.

50 Anonymus, Rodin, in: L’Étoile belge, 29.01.1877.

lebendige Wirkung der Plastik, so insinuiert es zumindest der Kritiker, könnte womög-lich das Resultat eines technischen Verfahrens sein, das in der Bildhauerei oftmals als eine arbeitsersparende Abkürzung des komplizierten Herstellungsvorgangs Verwen-dung gefunden hat, nämlich des sogenannten Abgusses vom lebenden Modell. Auch die Kritiker in Paris, wo das Werk im Anschluss ausgestellt wurde, zeigten sich ge-genüber der Machart dieses Werks durchaus skeptisch. Der weitere Verlauf dieses sich allmählich zu einem kleinen Skandal ausweitenden Vorfalls ist heute kunsthistorische Legende: Der Bildhauer sah sich bald schon gezwungen, zahlreiche Künstlerfreunde und Experten hinzuzuziehen, die sich von der tadellosen Herstellungsweise der Plastik überzeugen sollten. Zudem stellte er diesen zur eigenen Urteilsbildung eine Fotografie des Modells zur Verfügung. Es handelte sich dabei um einen belgischen Söldner mit dem Namen Auguste Neyt (Abb. 4).51

Für Rodins Biografen jedenfalls bot diese Dreierkonstellation aus einem verdächtig-ten Künstler, einer – wenn auch nur indirekverdächtig-ten – Anklage und einer skeptischen Öffent-lichkeit reichlich Potenzial zur stilisierenden Legendenbildung. Durch die Schilderung des hart errungenen Sieges über den verbreiteten Vorwurf der Lügenhaftigkeit konnte Rodin umso glänzender im Licht überragender handwerklicher Virtuosität erscheinen, als ein geradezu pygmalionischer Bildhauer, der die Öffentlichkeit mit der hyperrealis-tischen Wirklichkeitsnähe seiner Kunst in Erstaunen zu setzen vermag. Der Anspruch auf Wirklichkeitstreue in der Darstellung des menschlichen Körpers avancierte in der Folge zu einem bestimmenden Strukturelement der biografischen Narration, sodass wir uns in diesem Fall nicht zu Unrecht an die Erkenntnisse der bekannten Studie Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch aus dem Jahr 1934 erinnert fühlen können. Darin haben der Kunsthistoriker und Psychoanalytiker Ernst Kris (1900–1957) und der Historiker Otto Kurz (1908–1975) das Genre der Künstlerbiografik erstmals systematisch auf seine topischen Strukturen hin untersucht. Anders als es sich in der Rodin-Biografik darstellt, war ihr Erkenntnisinteresse auf das überindividuelle Auftre-ten von narrativen Mustern im Aufbau von Künstler-ViAuftre-ten gerichtet, die es erlauben sollten, Sedimentschichten kulturell verfestigter Klischeebildungen auszumachen (wel-che freilich oftmals in der Realität keinerlei Entsprechung hatten). Als wichtigste Ei-genschaft des Genres der sogenannten »Künstleranekdote« stellen die Autoren jedoch ein Charakteristikum heraus, das auch auf die zahlreichen Lebensbeschreibungen von Rodin zutrifft, nämlich die auffällige Wiederholung »typische[r] Motive«, die immer wieder »gleichlautend oder mit geringen Veränderungen«52 dargeboten werden. Sol-che Künstleranekdoten zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie »meist in einer Pointe [gipfeln], an die ein Lustgewinn geknüpft ist«, wobei sich der »Inhalt aber […]

in der Regel auf einen hervorragenden Träger oder Helden – in seiner Vertretung etwa auch auf einen bestimmten sozialen Typus – [richtet], der unserem Verständnis näher gebracht, mit dem uns die Identifizierung erleichtert wird.«53 So kann man auch in den zahlreichen Nacherzählungen des Kunstskandals um die Ausstellung des Ehernen

51 Vgl. Elsen, Rodin (wie Anm. 48), 21.

52 Ernst Kris/Otto Kurz, Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch, Frankfurt a.M. 1979, 31.

53 Dies., 32f. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Kris und Kurz nach der »Bedeutung fester biographi-scher Motive« fragten und dass es ihnen dabei um die Ausbildung einer allgemeinen »Vorstellung vom Künstler« und nicht um einen individuellen Künstler wie zum Beispiel Rodin ging.

Abbildung 4: Gaudenzio Marconi, Auguste Neyt, 1877, Albu-minpapier, Paris, Musée Rodin [Bildrechte: Musée Rodin, Pa-ris,FotografieJeandeCalan].

Zeitalter[s] von der Kunstkritik bis zur gegenwärtigen Kunstgeschichte mit gewissem Recht eine solche Künstleranekdote erblicken, die sich innerhalb der Biografik eines einzelnen Künstlers zu einer topischen Struktur verfestigt hat.

Der vergleichende Blick auf die Plastik und die Fotografie lehrt uns auch heute noch, dass es wohl nicht so sehr der nur bedingt erkennbare Größenunterschied der beiden Körper ist, der von der authentischen Herstellung der Plastik zu überzeugen vermochte. Eher dürften die auffälligen Differenzen zwischen dem muskulösen und dabei doch auch etwas gedrungen wirkenden Vorbild sowie dem graziler erscheinen-den Kunstwerk für das positive Votum von Rodins Kollegen ausschlaggebend gewesen sein. Indem aber Rodin die Öffentlichkeit zu einem Vergleich seiner Plastik mit der Fotografie des Modells zwang, erbrachte er seinen Kollegen und zugleich auch seinem Publikum den Beweis, dass er sich für sein Schaffen ausschließlich an das Naturvor-bild gehalten hat. Medienhistorische Aspekte, die sich aus dem Paragone zwischen der traditionellen Bildhauerkunst und dem technischen Verfahren der Fotografie ergeben, spielen in diesem Szenario eine nicht unerhebliche Rolle, galt doch die Fotografie noch zu Rodins Zeiten als ein Verfahren der Wirklichkeitsabbildung, dem ein besonders hohes Maß an objektiver Naturtreue zugesprochen wurde.54 Die von William Henry Fox Talbot (1800–1877) propagierte Auffassung von der Fotografie als einem »pencil of nature«, die die Gegebenheiten der Objektwelt ganz ohne das Zutun des subjektiven Temperaments eines Künstlers aufzuzeichnen imstande sei, tritt dabei in einen höchst spannungsvollen Bezug zu Rodins künstlerischem Selbstverständnis.55 Schließlich war

54 Vgl. Christoph Hoffmann, Zwei Schichten. Netzhaut und Fotografie, 1860/1890, in: Fotogeschichte.

Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 81 (2001), 21–38.

55 Vgl. Ulrich Pohlmann/Johann Georg von Hohenzollern, Eine neue Kunst? Eine andere Natur! Fo-tografie und Malerei im 19.  Jahrhundert (Ausstellungskatalog: München, Hypo-Kunsthalle, 01.05–

18.07.2004), München 2004.

es dem Künstler ein dringliches Anliegen, dem Publikum seine handwerkliche Auf-richtigkeit in der Herstellung des Modells für den Bronzeguss nachzuweisen. Dazu kontrastierte er sein eigenes Verfahren der Herstellung des Artefakts mit der mech-anischen »Gleichgültigkeit« der fotografischen Abbildung gegenüber dem Darstel-lungsobjekt und hoffte darauf, dass die Kritiker die visuellen Unterschiede zu erkennen vermochten.

Wollte man Rodins Vergleichsszenario in semiotischen Begriffen formulieren, so hat der Bildhauer zwei unterschiedliche Objektbeziehungen von Zeichen gegenüber dem Wirklichkeitsreferenten, in diesem Fall dem tatsächlichen Körper von Auguste Neyt, gegeneinander ausgespielt. Aufgrund von Rodins künstlerischen Intentionen drohte jedoch dieser Gegensatz bei genauerer Betrachtung in eins zu fallen: Versteht man die analoge Fotografie als eine indexikalische Form der Abbildung, bei der eine Art visueller Abdruck der ›Wirklichkeit‹ durch das Auftreffen von Licht auf eine licht-empfindliche Oberfläche entsteht56, so wird diese Form von Zeichenrelation von Rodin mit einem Kunstwerk konfrontiert, das unter Verdacht stand, selbst durch ein inde-xikalisches Verfahren (eben durch den Abguss vom lebenden Modell) entstanden zu sein.57 Mithilfe der Fotografie wollte Rodin aber beweisen, dass es sich bei der Herstel-lung seiner Figur um eine im Grunde ikonische Zeichenbeziehung zwischen dem Vor-bild, also dem tatsächlichen Modell, und dem AbVor-bild, also der Plastik selbst, handelt.58 Und doch bleiben die Unterschiede so geringfügig, dass man fast versucht sein könnte, Rodins Verfahren der Wirklichkeitsschilderung als eine quasi-fotografische Variante der Bildhauerkunst aufzufassen. Bedenkt man nämlich, dass Rodins künstlerisches Axiom zumindest in dieser frühen Plastik auf eine übersteigerte Form von Mimesis hinauslief, bei der das Naturvorbild möglichst empirisch in das Medium der Plastik übersetzt werden sollte, so verliert die von dem Künstler anvisierte Gegenüberstellung von indexikalischer und ikonischer Zeichenbezüge sogleich wieder an Trennschärfe.

So weich und fließend Rodins Ehernes Zeitalter auf den Betrachter wirken mag, so sehr scheint Rodin doch auch danach gestrebt zu haben, sich mit seiner künstlerischen Sub-jektivität gegenüber dem Naturvorbild so weit wie möglich zurückzunehmen und sich folglich als Künstler regelrecht hinter dem Werk zu verbergen. Vom subjektiven Duktus des Künstlers, der zeitgleich noch in der Malerei als Ausdruck des individuellen Künst-lertemperaments gefeiert wurde, ist zumindest in diesem Werk fast nichts zu spüren.

Rodins naturalistische Überbietung der bis dahin ästhetisch akzeptierten Reali-tätsnähe der Plastik wurde aber nicht nur in der damaligen Kunstkritik, sondern bis hinein in die kunsthistorische Literatur des 20. Jahrhunderts bisweilen zwiespältig auf-genommen: Gewiss sahen manche Kommentatoren darin den Ausweis einer beson-deren bildhauerischen Begabung; andere dagegen meinten in Rodins allzu ehrgeizi-ger Demonstration bildhauerischen Könnens das Symptom einer noch ungesicherten

56 Vgl. Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, übersetzt von Dietrich Leu-be, Frankfurt a. M. 1986, 86ff.

57 Vgl. Gerhard Plumpe, Tote Blicke. Photographie als Präsenzmedium, in: Jürgen Fohrmann/Andrea Schütte/Wilhelm Voßkamp (Hg.), Medien der Präsenz, Köln 2001, 70–86, hier 64f.

58 Vgl. für die zeichentheoretische Begrifflichkeit: Charles S. Peirce, Phänomen und Logik der Zeichen, hg. und übersetzt von Halmut Pape, Frankfurt a.M. 1983, 64–67.

Künstleridentität aufzuspüren.59 Rodin habe seinen Zeitgenossen und wohl auch sich selbst, so der Einwand von Leo Steinberg, erst noch beweisen wollen, dass er eine ex-akte Kopie des Naturvorbilds erstellen könne, bevor er sich größere Freiheiten in der Darstellung des menschlichen Körpers erlaubt hat:

The result is frustration, almost aggressively boring. But it took the earnestness of a genius to pursue the reigning cant about objectivity to this end. The Age of Bronze was a paradigm of the esthetics of analogues, and the scandalous charge that the sculptor had merely taken a cast from the live model, though unjust in fact, was esthetically justified.60

Steinbergs ästhetische Vorbehalte gegenüber dem Ehernen Zeitalter kommen nicht von ungefähr. Jedoch soll erst in einem späteren Kapitel nach den Gründen für seine Ablehnung gefragt werden. Mit etwas anderem Akzent brachte Albert Elsen den hauch-feinen Unterschied, der sich zwischen einem empirisch übersteigerten Naturalismus auf der einen und einer von subjektiver Empfindungsgabe durchformten Auffassung der Figur auf der anderen Seite ausspannt, in seinem Aufsatz Rodin’s Modernity (1963) auf eine griffige Formel. Rodins künstlerisches Verfahren ist für den Kunsthistoriker keine bloße »transposition« im Sinne einer gleichsam mechanischen Übertragung des Naturvorbildes in das Kunstwerk. Wäre Rodin als Bildhauer so unbeteiligt vorgegan-gen wie der fotografische Apparat, so wäre lediglich ein »dry, visually fatiguing effigy with no returns to the senses or feelings« entstanden. Doch beim Ehernen Zeitalter sei gerade das Gegenteil der Fall: Das Werk folgt laut Elsen einer Ästhetik der »transfor-mation«, bei der sich zwischen dem menschlichen Körper als Darstellungsobjekt und seiner künstlerischen Aneignung in der Plastik der ästhetische Filter einer subjektiven Überformung eingeschoben hat, bei der also die »thoughts, emotions and sensibili-ties« des Künstlers stilbildend eingewirkt haben.61 Die eigentliche wahrnehmungsäs-thetische Herausforderung, die das Eherne Zeitalter mit seinem hyperbolischen Mi-mesisanspruch uns bis heute zu stellen scheint, wurde durch Elsens Apologetik in ein vielleicht allzu festgefügtes kunsthistorisches Schema überführt: Zugunsten einer ein-deutigen Entscheidung für das Moment des Subjektiven und Schöpferischen in dem Werk wurden die beunruhigende Effekte der Plastik regelrecht eingehegt. Es mag spe-kulativ erscheinen, wenn man mutmaßt, dass sich ein so sensibler Kunstkenner wie Elsen der Spitzfindigkeit seiner eigenen Argumentation bewusst gewesen sein dürfte.

Doch ist es legitim, zu fragen, warum er, wenn es ihm doch um polare Gegensätze der bildhauerischen Wirklichkeitaneignung zu tun war, auf zwei lexikalisch so hochgra-dig ähnliche Termini wie »transposition« und »transformation« zurückgreifen musste, ganz so, als habe er die hauchfeine Unterscheidungsgabe, die Rodin seinem Publikum abverlangte, nun selbst in kunsthistorische Begrifflichkeiten übertragen wollen. Wie dem auch sei: Der wirkungsästhetischen Ambivalenz der Plastik im Spannungsfeld von

59 Vgl. zu Rodins frühem Schaffen im Kontext der Salonskulptur der 1870er-Jahre in Paris: Ruth Butler, Nationalism, a New Seriousness and Rodin: Some Thoughts on French Sculpture in the 1870’s, in:

Horst W. Janson (Hg.), La scultura nel XIX secolo (Comité International d’Histoire de l’Art, Akten des 24. Kongresses für Kunstgeschichte, 6), Bologna 1984, 161–167.

60 Steinberg, Rodin (wie Anm. 24), 361.

61 Vgl. Albert Elsen, Rodins Modernity, in: Artforum 2/6 (1963), 23–26.

gesteigerter Lebendigkeit und lebloser Materialität kann Elsens Terminologie also nur bedingt gerecht werden. Sie vermag es daher auch nicht, die von den zeitgenössischen Kunstkritikern artikulierte Unentscheidbarkeit bezüglich der angewendeten bildhau-erischen  Herstellungsverfahren durch ein kunsthistorisches Gegensatzpaar ad acta zu legen.