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Nach dem Menschen? Simmels Grenzerkundungen

Im Dokument Deutungen und Debatten von der Moderne (Seite 196-200)

5.3 Das »Souveränwerden des Bewegungsmotivs«: Georg Simmels Rodin- Rodin-Interpretationen

5.3.5 Nach dem Menschen? Simmels Grenzerkundungen

Nicht nur im Kontext seiner philosophischen Lektüren, sondern bereits im Zuge sei-ner soziologischen Auseinandersetzung mit der modernen Geldwirtschaft, wie sie in dem epochalen Werk Die Philosophie des Geldes aus dem Jahr 1900 entfaltet wurde, entwickelte Simmel vergleichbare Denkfiguren.485 Freilich würde es den Rahmen die-ser Untersuchung sprengen, wollte man die genauen Strukturbezüge zwischen den geldtheoretischen und den lebensphilosophischen Schriften detailliert darlegen. Aus diesem Grund beschränken sich die folgenden Ausführungen lediglich auf die Frage, wie dieser Zusammenhang in neueren metapherngeschichtlichen Analysen entfaltet wurde. Der Philosoph Hans Blumenberg hat in einer bis heute wenig bekannten Stu-die zu Simmel Stu-die Konvergenzen der Metaphoriken von Geld und Leben analysiert.

Darin verfolgte er den strukturellen Zusammenhang zwischen diesen anscheinend so disparaten Themenbereichen. Für Blumenberg kommen sie darin überein, dass von Simmel beide sowohl als Untersuchungsgegenstände verstanden als auch im Sinne von Metaphern zur Beschreibung von Prozessen der Modernisierung eingesetzt wurden:

Geld und Leben stehen modellhaft für »Charakteristiken von Stadien eines Prozesses, dessen Dynamiken hier wie dort immanent sind: Erstarrung und Liquidität, Gestalt und Auflösung, Festhalten und Verschwinden, Institution und Freiheit, Nivellierung und Individualität.«486 Mit einem vergleichbaren Ansatz bezeichnete Aleida Assmann den grundlegenden Gegensatz von »flüssig« und »fest« als »Simmelsche Leitmetapher von den unterschiedlichen Aggregatzuständen« einer Gesellschaft, wie sie zum Bei-spiel die Kultur der Moderne ausgeprägt hat. Es seien »Grenzwerte jenes Spannungs-feldes, in dem sich Kultur grundsätzlich konstituiert und kulturelles Leben immer schon bewegt.«487 Diese Feststellung scheint aus einer immanenten Simmel-Lektüre gerechtfertigt und hätte wohl auch die Zustimmung des Philosophen erhalten. Aller-dings könnte die Behauptung, Simmels Denken sei von einem »fundamentalen Dua-lismus« geprägt, die Vermutung stützen, dass die Metaphern nur eine dienende Rolle als nachträgliche Beschreibungsmodelle haben. Jedoch scheint es sich gerade im Falle der Simmelschen »Bewegtheit« um eine Metapher zu handeln, die sich nicht auf einen dahinterstehenden Klartext bezieht, sondern die im Sinne einer absoluten Metapher dazu tendiert, die Grenzziehungen zwischen eigentlichem und uneigentlichem Spre-chen aufzuweiSpre-chen.

485 Vgl. zum Zusammenhang von Kulturphilosophie und Ästhetik bei Simmel: Hannes Böhringer, Die

»Philosophie des Geldes« als ästhetische Theorie. Stichworte zur Aktualität Georg Simmels für die moderne bildende Kunst, in: Heinz-Jürgen Dahme/Otthein Rammstedt (Hg.), Georg Simmel und die Moderne. Neue Interpretationen und Materialien, Frankfurt a.M. 1984, 178–183.

486 Blumenberg, Geld oder Leben (wie Anm. 329), 123.

487 Aleida Assmann, Fest und flüssig: Anmerkungen zu einer Denkfigur, in: Dies./Dietrich Harth (Hg.), Kultur als Lebenswelt und Monument, Frankfurt a.M. 1991, 181–210.

Blumenberg jedenfalls beobachtete, dass in Simmels Schriften in chronologischer Hinsicht die Metapher des »Lebens« im Vergleich zu seinen Reflexionen zum Geld erst deutlich später einen eigenen Raum einnahm, obwohl sie doch auf den ersten Blick weitaus deutungsoffener erscheint. Darin sah er die Auffassung widerlegt, dass Meta-phern bloß das »Nachträgliche und daher genetisch Akzessorische« seien und somit le-diglich »entbehrlicher Zierrat und Zutat«: »Überzeugender ist daher der Nachweis, daß man, wenn man sich ans Allgemeine wagt, die Metapher schon besitzen muß. Sie ist das Primäre, sie erschließt den Zugang zu den höheren Abstraktionsgraden, in denen sie sich als Orientierung zunehmend verbirgt und schließlich verschwunden ist.«488 Auf den ersten Blick mag der hier evozierte Zusammenhang von Geld und Leben über-raschen, steht doch die Geldmünze zunächst einmal symbolisch für ein Objekt ein, dessen Materialwert zumindest in der Moderne weitgehend nebensächlich ist und das sich in zeichentheoretischer Hinsicht durch seine Konvertibilität auszeichnet.489 Blu-menberg weist darauf hin, dass sich bereits die nominalistische Philosophie aus genau diesem Grund für das Phänomen interessiert hat. Schließlich handelt es sich beim Geld um ein Trägermedium, dessen Bedeutung letztlich nicht fixierbar ist, da diese erst im Prozess der wechselseitigen Aushandlung von subjektiven Begehrenswünschen einer-seits sowie dem Produktionsaufwand der jeweiligen Ware anderereiner-seits entsteht.490 Auf-schlussreich ist für Blumenberg, wie Simmel aus der zeichentheoretischen Verfasstheit des Geldes Konsequenzen für die Formierung moderner Subjektivierung zu erblicken glaubt. Aus einer historischen Perspektive betrachtet trägt das Geld dazu bei, dass ein-zelnen Objekten im Laufe der Zeit kein inhärenter Wert mehr zugesprochen werden kann, insofern es kontinuierlich subjektive Qualitäten in objektive Quantitätsbezüge überführt. Daher bildet es für Simmel ein Medium, das die historische Ausdifferen-zierung einer Sphäre der persönlichen Freiheit des Individuums unterstützt.491 Dies zumindest war die optimistische Hoffnung, die er in den historischen Prozess der Mo-dernisierung setzte. Demgegenüber aber bleibt die Metapher des »Lebens« denjenigen Bereichen des Menschseins vorbehalten, die sich einer Vereinnahmung durch den Wa-renverkehr entziehen, wie vor allem der menschliche Leib selbst.492 Vor dem Hinter-grund dieses Gegensatzes fällt auf, dass Simmel auf den letzten Seiten seiner Philosophie des Geldes eine historische Betrachtungsweise einschlägt, bei der das Geld immer stär-ker auf seine eigendynamische Bewegungstendenz hin betrachtet und dabei zusehends

488 Blumenberg, Geld oder Leben (wie Anm. 329), 123.

489 Vgl. Ders., Geld oder Leben (wie Anm. 329), 124f.; vgl. ebenso: Georg Simmel, Philosophie des Geldes (GSG, 6), hg. von David P. Frisby und Heinz-Jürgen Dahme, Frankfurt a.M. 1989, 199ff., URL: http://

socio.ch/sim/geld/ (Zugriff vom 01.01.2017).

490 Vgl. Blumenberg, Geld oder Leben (wie Anm. 329), 125.

491 Vgl. Ders., Geld oder Leben (wie Anm. 329), 129f.; vgl. hierzu auch die Überlegung von Dieter Thomä:

»Die Kombination aus der Entgrenzung von Möglichkeiten und der Immunisierung gegen Enttäu-schungen verleitet dazu, am Gelde als dem ›bloßen Können‹ festzuhalten, also – dieses Wortspiel muß sein  – der Zukunft die Ankunft zu verweigern. Simmel beschreibt diesen Mechanismus durchaus sympathetisch, als einen Freiheitsgewinn der Moderne; er bezieht insofern auch eine Gegenposition zu der Ruhe, die bei Zola einkehrt, und hält sich an die Bewegung.« Vgl. Dieter Thomä, Ankunft und Abenteuer. Philosophische Zeiterfahrungen im Ausgang von Émile Zola und Georg Simmel, in: Aage Hansen-Löve/Annegret Heitmann/Inka Mülder-Bach (Hg.), Ankünfte. An der Epochenschwelle um 1900, München 2009, 21–39, hier 31.

492 Vgl. Burwick/Douglas, Crisis (wie Anm. 477), 1.

mit dem Begriff des »Lebens« überschrieben wird. Blumenberg erkennt in der Bewegt-heitstendenz des Geldes, wie Simmel sie konzipiert, einen Zug zur Technisierung der Seinsverhältnisse des Menschen.

In einem Kommentar zu der Studie von Blumenberg hat Anselm Haverkamp ange-merkt, dass das Geld in seiner Struktur den »nackte[n], oder doch merklich entblößte[n], rhetorische[n] Apparat« der Moderne zur Anschauung bringt und damit die »techno-logische […] Durchorganisation in nach-anthropo»techno-logischen Seinsverhältnissen«493 sichtbar macht. Simmels suggestive Analogiebezüge zwischen den Eigenbewegungen des Geldwesens auf der einen und dem emphatisch beschworenen Leben auf der an-deren Seite sind daher keine Form von gesuchter Zusammenschmelzung von unver-einbaren Konzepten. Im Gegenteil lenken sie den Blick auf die Erkenntnis, dass der moderne Kapitalismus dazu tendiert, sich einer Beschreibbarkeit in anthropologischen Kategorien zu entziehen. Man geht daher nicht fehl, diesen aus einer Simmelschen Per-spektive als eine Art Ersatzreligion zu begreifen, wenn auch nicht im Sinne von Max Webers (1864–1920) Deutung des Kapitalismus als Erbe protestantischer Lebensprak-tiken in der durchrationalisierten Moderne.494 Der wesentliche Unterschied zwischen einem so konzipierten, modernen Kapitalismus und dem Christentum besteht folg-lich im Obsoletwerden anthropologischer Denkmuster. Die »eigentümfolg-liche Objekti-vität der Fiktion« des Geldes, so Haverkamp, liege gerade darin, dass dieses »allein auf Grund der inhärenten Logik von Substitutionsverhältnissen funktioniert und deshalb wirklichkeitsfrei technisierbar ist«.495 Während Gott in der christlichen Religion letzt-lich nach dem Modell des Menschen gedacht wurde, liegt mit Simmels Hypothese vom Geld als »bewegendem Beweger« eine Beschreibungskategorie vor, die »auf Anthro-pomorphismen oder sonstwelche anthropomorphe Fiktionen nicht angewiesen« ist, die also »unmenschlich (genauer: ohn-menschlich wie ohn-mächtig)«496 funktioniert.

Innerhalb der Rodin-Debatte ist daher mit Simmels Argumentation, obwohl diese anfänglich emphatisch um die Frage nach dem Menschen in der Moderne kreiste, ein extremes Moment der »De-Humanisierung« des Künstlers erreicht. Dessen künstleri-sche Verfügungsgewalt künstleri-scheint bloß noch darauf beschränkt zu sein, den geschichtli-chen Prozess der Ablösung von anthropologisgeschichtli-chen Vorstellungen sichtbar zu mageschichtli-chen.

Doch hat diese Simmelsche, von Blumenberg und Haverkamp weiter zugespitzte Ge-dankenbewegung noch eine weitere Konsequenz, die letztlich die Kompetenzen des Interpreten selbst betrifft: Denkt man nämlich die Frage nach dem »Bewegungsmotiv«

weiter, so wird in dieser Tendenz zur Desubstantialisierung und Desubjektivierung auch die einst als gesichert geglaubte Position des Interpreten (wie sie beispielsweise

493 Anselm Haverkamp, Geld oder Geist. Die Metapher des Geldes und die Struktur der Offenbarung, in:

Dirk Baecker, (Hg.), Kapitalismus als Religion (Ableger, 5), Berlin 2009, 175–186, hier 183f.

494 Damit wäre ein wichtiger Unterschied zwischen Simmels und Webers Moderne-Theorien benannt, der allzu oft unterschlagen wird zugunsten einer Parallelsetzung beider Autoren, deren Vorstellung von Modernität im Konzept der Ausdifferenzierung sozialer Sphären wie auch der Bedeutungszu-schreibung von Kontingenz für den individuellen Lebensweg gesehen wird. Vgl. Linda Simonis, Re-flexion der Moderne im Zeichen von Kunst. Max Weber und Georg Simmel zwischen Entzauberung und Ästhetisierung, in: Gerhard von Graevenitz (Hg.), Konzepte der Moderne. DFG-Symposion 1997, Stuttgart 1998, 612–632, hier 613.

495 Haverkamp, Geld oder Geist (wie Anm. 493), 185.

496 Ders., Geld oder Geist (wie Anm. 493), 184.

Rilke noch für sich beanspruchen konnte) in die ungewissen und kontingenten Prozes-sualitäten des Geschichtlichen hineingezogen. Wenn Simmel die »moderne Seele« als eine »transmutabilità« beschreibt, die sich stets in einem »kontinuierliche[n] Gleiten ohne feste Ausschlagpole und Haltepunkte«497 befindet, so dürfte diese Charakteri-sierung nicht nur für Rodins Körperdarstellungen Gültigkeit haben, sondern zugleich auch als eine probate Selbstbeschreibung des Interpreten im Zeitalter der Moderne dienen. Geht man mit Simmel von einem Begriff des »Lebens« aus, das selbst »Ge-schichte hat« und bei dem kein Moment je die Wiederholung des Vorigen ist498, so wird schließlich auch dem Philosophen die Deutungshoheit über Rodins Kunst entzogen. In der alles durchwaltenden Herrschaft des »Bewegungsmotivs« wird jegliche stabile Be-obachterposition als bloße Fiktion der Objektivität enttarnt. Auch die Produktion von Sinn und Bedeutung muss sich also der Eigendynamik des Geschichtlichen übereig-nen, wodurch das Vertrauen in jenen retrospektiven historischen Blick ausgestrichen wird, der vergangene Ereignisse noch entziffernd zu deuten vermochte.499 Als Simmel mit der Thematik des Geldes in der Moderne und mit der Metapher des »Lebens« the-oretische Werkzeuge gefunden hat, die es ihm erlauben sollten, Alternativkonzepte zur christlichen Auffassung Gottes als Schöpfergestalt nach dem Modell des Menschen zu entwerfen, haben sich seine Überlegungen zugleich auch von einer letztlich messiani-schen Geschichtsauffassung losgesagt. Mit der Wiederkunft Christi wäre gemäß einer solchen Vorstellung nicht nur das Ende der Geschichte erreicht, sondern zugleich auch jener Moment, in dem die Welt und die Ereignisse ihren heilsgeschichtlichen Sinn of-fenbaren. Indem Simmel diesen in die Zukunft hinein projizierten Ankerpunkt tilgt, entzieht er auch seinen eigenen interpretativen Anstrengungen die Rückversicherung in einem Wahrheitsdenken. Simmels Ausführungen zu Rodin lassen sich vor diesem Hintergrund als ein emphatisches Bekenntnis zu ihrer eigenen, konstitutiven Vorläu-figkeit lesen, als Wissen um eine Geschichte der Moderne, bei der ungewiss bleiben muss, ob sie je zur Lesbarkeit gelangen wird.

Erst eine spätere Generation von Kunsthistorikern hat, wie das nachfolgende Kapitel zeigen möchte, von dieser um Begriffe und Konzepte wie »Leben«, »Lebendigkeit« und

»Bewegtheit« kreisenden Debatte Abstand genommen und Rodins Skulpturen und Plastiken nunmehr im kalten, ja fast mortifizierenden Licht der Geschichte erblickt.

Sie galten ihnen als Reste einer schon vergangenen Epoche, die nur in der kunsthis-torischen Deutungspraxis zeitweilig noch zum Leben erweckt werden konnte. Die bis zu Simmels Reflexionen immer wieder beschworenen Erfahrungen von ästhetischer Präsenz vor den Skulpturen und Plastiken Rodins wurden spätestens nach dem Zwei-ten Weltkrieg als Phantasmen einer von Vitalismus und Lebensphilosophie inspirierZwei-ten Epoche bewertet.

497 Simmel, Rodin (wie Anm. 27), 341.

498 Simmel, Bergson (wie Anm. 470), 58.

499 Vgl. zur Vorstellung von der Lesbarkeit der Geschichte im stillgestellten Bild: Anselm Haverkamp, Notes on the »Dialectical Image« (How Deconstructive Is It?), in: Diacritics 22, 3/4 (1992), 69–80.

Im Jahr 1954 ließ der deutsche Kunsthistoriker Josef Schmoll gen. Eisenwerth (1915–

2010) die Ergebnisse seiner Forschungen zum Torso-Motiv bei Rodin in eine Schlussfol-gerung einmünden, die heutige Leser eher befremden dürfte. Die Werke des Bildhauers bringen seiner Ansicht nach den »vielleicht […] letzten umfassenden, blutvollen plasti-schen Ausdruck abendländiplasti-schen Menschtums […] aus anthropozentrischer Sicht«500 zur Darstellung. Das unüberhörbare Pathos dieser Zeilen und ihr schwermütiger, fast schon apokalyptischer Tonfall gehören schon merklich einer anderen Zeit an als dieje-nigen Deutungsweisen, die wir in den vorangegangenen Kapiteln verfolgt haben – und dies sollte kein Einzelfall bleiben. Denn auch in einem Aufsatz zu den Einflussbezie-hungen zwischen Edvard Munch (1863–1944) und Auguste Rodin hat sich der Kunst-historiker einer ähnlichen rhetorischen Stilhöhe bedient, um beide Künstler und ihre Strategien der Gestaltung von Raum und Räumlichkeit – sei diese nun gemalt oder plastisch modelliert – zu charakterisieren. An den Werken beider Künstler bemerkte der Kunsthistoriker einen symbolistisch überformten »Dunkelraum«, der »als Seins-grund menschlicher Existenz«501 die Figuren umgebe und bergend trage. Vom sprach-lichen Duktus bis hinein in die Terminologie mag man sich bei Wendungen wie diesen an den typisch nachkriegsdeutschen Jargon einer an Martin Heidegger  (1889–1976) geschulten Denkweise erinnert fühlen, ohne dass eine solche Filiation von dem Kunst-historiker explizit gemacht werden würde. So könnte man an den Aufsatz Der Ursprung des Kunstwerks (1935–1936) denken, in dem Heidegger Vincent van Goghs (1853–1890) Gemälde Ein Paar Schuhe aus dem Jahr 1886 als eine geschichtsbildende »Eröffnung des Seienden« beschrieben und das Kunstwerk so als ein »Geschehen der Wahrheit«

aufgefasst hat.502

Tatsächlich zählen Schmoll gen. Eisenwerths Interpretationen von Rodin neben ei-nem wichtigen Essay des Philosophen Günther Anders (1902–1992) auch heute noch zu den vielzitierten und ausgesprochen wirkmächtigen Deutungsangeboten zu dem Bildhauer, vielleicht auch deshalb, weil sich beide Wissenschaftler an übergreifende Epochendiagnosen herangewagt und so für die Nachkriegszeit neuartige Sichtweisen auf die skulpturalen und plastischen Werke des Franzosen hervorgebracht haben. Diese Umperspektivierung der Rodin-Debatte führte eine freilich wenig optimistische, weil offenbar von tiefgreifenden historischen Enttäuschungen geprägte Klangfarbe in die Rezeption dieses Künstlers ein.

Zwischen Anders berühmten Vortrag über Rodin und dem Beginn der jahrzehnte-langen Auseinandersetzung Schmoll gen. Eisenwerths mit den Werken und der Person Auguste Rodins liegen nur wenige Jahre. Dennoch zeigen sich – ähnlich wie im Fall

500 Schmoll gen. Eisenwerth, Torso (wie Anm. 307), 139. Schmoll gen. Eisenwerth hat seine Habilitati-onsschrift, die ungedruckt blieb (Auguste Rodin. Zur Werkentwicklung und Deutung, Technische Universität Darmstadt, 1950), in verstreuten Teilen publiziert.

501 Josef A. Schmoll gen. Eisenwerth, Munch und Rodin, in: Ders., Rodin-Studien: Persönlichkeit, Werke, Wirkung, Bibliographie, München 1983, 275–296, hier 296.

502 Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks, in: Ders., Holzwege, Frankfurt a.M. 1957, 25.

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