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Die virtuelle Phase 1940 – 1941

Im Dokument NS-Siedlungen in Wien (Seite 133-143)

III. Wohnbaupolitik im Reichsgau Wien 1938 – 1945

4. Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft . .111

4.3. Die virtuelle Phase 1940 – 1941

Anfang Dezember 1939 wandte sich die Leipziger Redaktion der Zeitschrift „Baumarkt“

mit drei Fragen an den Wiener Bürgermeister, um – „den Richtlinien des Reichspropa-gandaministeriums entsprechend“ – in einer der nächsten Ausgaben den „ungebroche-nen Arbeitswillen im deutschen Bauschaffen“ zu dokumentieren:

1) Welche städtischen Bauten sind für 1940 geplant?

2) Welche städtischen Bauten kommen 1940 bestimmt zur Ausführung?

3) Was ist von der privaten Bautätigkeit zu erwarten?

Die Antwort fiel kurz aus und umschrieb genau die Situation auf dem Wohnbausektor:

„Leider ist es gegenwärtig unmöglich, darüber Auskunft zu geben. Es müssen über-haupt alle Bauabsichten der Stadt den jeweiligen Wehrwirtschaftsrücksichten unter-geordnet werden, so dass eine Voraussage schon aus diesen Gründen auch zunächst unmöglich erscheint.“179

Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass die Kriegserfolge des ersten Halbjahres 1940 − die Kapitulationen Belgiens, Norwegens, Frankreichs, die ja Adolf Hitlers Feld-herrenkarriere auf ihrem Höhepunkt zeigten – zu einer der Euphorie entsprechen-den konkreten Bautätigkeit geführt hätten. Das Gegenteil war der Fall. Verschärfte Rationierung von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern, Verdunkelungsanordnungen, immer neue Bausperren in vielen Wiener Bezirken wegen etwaiger Wehrmachtsan-sprüche, reduzierte Materialkontingente, Neubauverbote und Sparerlässe am laufen-den Band bestimmten das Kriegsjahr 1940 und auch die folgenlaufen-den Jahre. Vielleicht sollte die Berufung des Prestigearchitekten Hanns Dustmann und die Neubesetzung der Reichsstatthalterstelle mit Baldur von Schirach, des erfolgreichen Reichsjugend-führers, so etwas wie jugendlichen Schwung und Wiedererstarken des erlahmten Auf-bauwillens initiieren. Sehr zielführend waren diese Aktionen nicht.

Immer wieder unternahm das Stadtbauamt Vorstöße in Richtung Realisierung von baureifen Projekten. Etliche Vorhaben wären „verhältnismäßig leicht zu begin-nen“ – die Besprechung im Planungsamt der Stadtverwaltung stellte dazu eine Liste für 2.059 Wohnungen zusammen, darunter ein GESIBA-Projekt in Jedlesee mit 800 Wohnungen.180 Aber Materialmängel verzögerten die längst fällige Fertigstellung sogar der Wienerfeld-Häuser. Der Beigeordnete Leopold Tavs entschloss sich nun zur direk-ten Vorsprache in Berlin und stellte dafür ein Mindest- und Sofortprogramm für 4.000 Volkswohnungen zusammen181, das auch der Siedlungsplaner Georg Laub für vertret-bar hielt und mit einer Materialanforderungsliste und sämtlichen Plänen versah. Laub

179 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 110, 0/39.

180 WStLA, A1, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 253/40, 13.3.1940.

181 ÖStLA, AdR, „Bürckel“/Materie, Kt. 152, Mappe 2315/6, 15.3.1940.

verstärkte noch die Argumente, indem er – wohl speziell auf Hermann Göring zuge-schnitten − auf den Wohnungsbedarf der Arbeiter in den wehrwirtschaftlich wichtigen Industrien wie Messerschmidt, Porsche usw. verwies.182 Mit Nachdruck ersuchte man nun um Freigabe und Deklaration als „kriegswirtschaftlich wichtig“. Offenbar ohne jeden Erfolg, denn auch die Bemühungen des Reichsstatthalters bei Dr.  Fritz Todt persönlich, wenigstens für 3.000 Wohnungen eine Zusage zu bekommen, brachten nur den „Erfolg“, dass 651 begonnene Wohnungen fertiggestellt werden durften. Als der Stadtkämmerer Aufklärung über diverse Haushaltsposten vom Stadtbaudirektor verlangte, konnte dieser nur antworten: „Unter den heute völlig ungeklärten Verhält-nissen ist niemand imstande, Ausgaben mit Sicherheit vorauszusagen, da die Verfü-gungen über die Menschen und die Baustoffe von Stellen getroffen werden, auf die das Stadtbauamt ohne Einfluss ist.“183

Erlass zum deutschen Wohnbau nach dem Kriege

Irgendwann mussten die Behörden in Berlin auf die „völlig ungeklärten Verhältnisse“

im stockenden Wohnungsbau des Großdeutschen Reiches reagieren und die zuneh-mend lauter werdenden Kritiker beruhigen. Immer häufiger waren ja Projekte entwi-ckelt und verkündet worden, deren Realisierung aber auf die Zeit nach dem Krieg, nach dem Endsieg usw. zurückgestellt werden musste. Dieser Zustand wurde nun quasi

„legalisiert“. Die Lösung, auf die man in Berlin verfiel, kann als symptomatisch für den Umgang des Systems mit Wahrheit und Wirklichkeit gelten: Man verkündete ein „vir-tuelles“ Planungsprogramm mit dem Erlass des Führers zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaues nach dem Kriege vom 15. November 1940, das schon vorliegende Planun-gen daraufhin zu untersuchen habe, inwieweit sie gleich nach dem Endsieg umzu-setzen seien. Mit solchen Alibiaktivitäten wurde man nicht wortbrüchig und konnte weiterhin propagandistisch Projekte auswerten, die vom „ungebrochenen Aufbau-willen“ des deutschen Volkes zeugten. Dass die Produktion von „Schubladenproduk-ten“ wenig befriedigend war, zeigen die Reaktionen der diversen Bearbeiter. Dauernd müsse man Projektarbeiten für verschiedene Arbeiten machen, ohne dass feststehe, ob sie überhaupt durchgeführt werden könnten, das seien Leerläufe für unnötige Arbei-ten.184 Missfallenskundgebungen beschwichtigte man höherenorts: „Die Schubladen-pläne sollten ja nicht bedeuten, daß sie der vorgesetzten Behörde gegenüber … geheim-zuhalten wären …, sondern daß die Öffentlichkeit keine Kenntnis von diesen Plänen erhalten sollte, um das Disponieren der Gemeindeverwaltung nicht zu behindern.“185 Schon Anfang September 1940 hatte der Wiener Leiter der Gruppe Hochbaubau, DI Kubacsek, Siedlungsreferent der Parteilinie und offenbar schon vorinformiert über den kommenden Erlass, einen Überblick über den Stand des Wohnbau-Sofortprogramms

182 ÖStLA, AdR, „Bürckel“/Materie, Kt. 152, Mappe 2315/7, 16.3.1940.

183 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 123/IV, o. Z., 3.5.1940.

184 WStLA, A1, MD-BD, HA IV, Sch. 127, IV/1037/1941.

185 Prof. Spiegel, persönlicher Vertreter Leys auf dem Gemeindetag 2.2.1942, WStlA, A1, MD-BD, Sch. 140, G 625/42, Protokoll.

Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft in Wien als „Vorbereitung eines Bauprogramms nach dem Kriege“ gegeben:186 Danach seien zwar 21 Projekte mit insgesamt 2.443 Wohnungen baureif vorhanden und könn-ten in verhältnismäßig kurzer Zeit (Genehmigungen, Vergabe der Arbeikönn-ten, Erwir-kung von Reichsdarlehen) verwirklicht werden. Für elf weitere Projekte aber gäbe es Schwierigkeiten verschiedenster Art, und für Nutzbauten lägen noch gar keine bau-reifen Pläne vor. Für viele Projekte seien noch Grundankäufe durchzuführen. Auch kein einziges der Bauvorhaben der gemeinnützigen Baugesellschaften mit insgesamt 3.600 Wohnungen sei baureif, das betreffe vor allem den südlichen Siedlungsgürtel Inzersdorf – Wienerfeld. Kubacseks Schlussfolgerung: Um den Weisungen der Obers-ten Reichsstelle zu entsprechen, müsse mit allem Nachdruck für die unmittelbare Zeit nach dem Kriege ein entsprechendes Sofortprogramm vorbereitet werden. Dazu sei ein entsprechender Grunderwerb durch Kauf oder Enteignung unbedingt zu forcie-ren. Die NSDAP bzw. das Gauheimstättenamt der DAF begann sofort mit „Aktivi-täten“, die in der Aussendung von „Erhebungslisten“ in Betrieben für den Bedarf von Gefolgschaftswohnungen bestanden. Die Firma Siemens&Halske hielt es nicht für zweckmäßig, Erhebungen und Planungen in Angriff zu nehmen, solange nicht grund-legende Fakten für die Zukunft feststünden, und gab keine Meldung ab.187 405 Wie-ner Betriebe hingegen erstatteten Meldung. Danach wünschten 14.324 Wohnungssu-chende eine Unterkunft in Kleinsiedlungen, 12.456 zögen Volkswohnungen vor.188 Die Reaktion des Stadtbauamtes

Das Stadtbauamt aber interessierte sich eher wenig für das „Bauprogramm nach dem Kriege“. Offenbar unbelehrbar, hoffte man nach wie vor auf eine konkrete Durch-führung von Wohnbauten, und der Referent für Wien-Nord DI Johann Gundacker unternahm es, Vorschläge für neue Baustellen zur Erfüllung des Sofort-Wohnbaupro-gramms zu machen: Er erstellte 34 detaillierte Vorschläge (mit 29 Beilagen!), die seiner Meinung nach auch umgehend realisiert werden könnten.189 Als wäre nicht alles schon kompliziert genug, verlangte Vizebürgermeister Kozich von Gundacker aber gleich auch die „Sicherstellung der Flächen für Sport und Spiel der Jugend“, denn „dieser Gesichtspunkt ist gleichrangig mit der Wohnungsbedarfdeckung.“190 Wie zu erwarten, blieb Gundackers Vorstoß erfolglos.

Eine Frage, mit der man sich in Berlin wenig abgab, weil sie ja konkrete Probleme betraf, war die Bereitstellung von Grund und Boden. Wenn man schon für die Zeit nach dem Kriege planen solle – so das Stadtbauamt –, so müsse hier vorausschauend agiert werden.

„Der Vorrat an verfügbarem und geeignetem städtischem Grund innerhalb der frü-heren 21 Bezirke nähert sich sämtlich der Erschöpfung und es wird immer

schwieri-186 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 126, IV/1205/1940, 5.9.1940.

187 ÖStA, AdR, RStH, Z-RO, Kt. 298, Mappe XI/b.

188 ÖStA, AdR, RStH, Kt. 298, Mappe XI/b.

189 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 82740, 21.9.1940.

190 handschriftlicher Zusatz von Musil.

ger, den vordringlichen Bedürfnissen des Wohnungsbaues mit Bauvorhaben nachzu-kommen, die nach wirtschaftlichen, wohnungspolitischen und verkehrspolitischen Erwägungen im Rahmen eines zweckmäßigen Ausbaues der Stadt verbleiben.“191 Diese Sorge deponierten die Stadtväter immer häufiger angesichts der laufend üppi-geren Gebietsansprüche von Wehrmacht, Reichsbahn, Reichspost. Vor allem letztere beanspruchte in sämtlichen Wiener Bezirken Grundstücke und Gebäude in bester Lage für ihre Volkswohnungsbauten. 192

Reichsarchitekt Hanns Dustmann als Siedlungsplaner

Im August 1940 kam es plötzlich zu gravierenden personellen Umbesetzungen an der Parteispitze: Gauleiter Josef Bürckel und wenig später sein bevorzugter Architekt Georg Laub verließen Wien – an ihre Stelle traten Baldur von Schirach und „Reichsarchi-tekt“ Hanns Dustmann. Mit Dustmann begann eine neue Ära: Einmal liebte er es, die gesamte Mannschaft in seinem Büro zu versammeln und sich die diversen Pläne referie-ren zu lassen. Zum andern bestand er darauf, Änderungen vorzunehmen, wie marginal – angesichts der drängenden Wirklichkeit − die Probleme auch immer sein mögen. So etwa gibt es einen umfangreichen Akt über die Zahl der Kamine bei den Wiener Wohn-häusern, die Dustmann aus ästhetischen Gründen beseitigt haben will, während sie von den Beamten aus Klima-, Witterungs- und Sicherheitsgründen vehement verteidigt wurden.193 Die „Gedächtnis-Notizen“ von Musil oder Gundacker geben uns Einblick in den Verlauf dieser Sitzungen.194 Wenn schon nicht gebaut werden durfte, so verlangte doch der Reichsarchitekt umgehend die „Ausweisung von Siedlungsgelände im Groß-raum Wien“. Auftragsgemäß übermittelte die Hauptabteilung Bauwesen mit Kommen-tar des Baudirektors Johann Itzinger eine mehr als großzügige Liste mit der Feststellung, dass sich Dustmann selbst das Laaerberggebiet (Südstadt) und Teile nördlich der Alten Donau (Nordstadt) als Neugestaltungsgebiete vorbehalte. Insgesamt könnten rund 3.300 ha und samt Baulückenverbauung 152.000 Wohnungen zur Verfügung gestellt werden, deren Zahl sich ohne weiteres noch erhöhen ließe (vgl. Tabelle S. 135).195 Von nun an waren absolut alle Bauvorhaben dem Reichsarchitekten vorzulegen.

Die Besprechung im Büro Hanns Dustmanns am 21. Oktober 1940 mit Bürger-meister Philipp Wilhelm Jung, dem Beigeordneten für das Wohnungs- und Sied-lungswesen Leopold Tavs, Vertretern der Abt. Bauwesen Franz Musil, Johann Gunda-cker, Johann Itzinger, Friedrich Kastner sowie den Finanz- und Kontingentreferenten befasste sich mit der Situation auf dem Wohnbausektor, konkret zum Wohnbau-Sofort-programm196: Es wurden fertige Entwürfe besprochen, Planungen und freie Baustellen – insgesamt ein Potential für mehr als 9.200 Wohnungen. Gundacker trat vehement

191 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 82740, 21.9.1940.

192 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 57, R/IV/8 – 1983/41.

193 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 848/40.

194 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 123: IV/349/40, IV/1414/40, und MA 218 Planungsamt, Sch. 54, 253/40.

195 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 127, IV/1363/41, 17.10.1941.

196 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 123, IV/1414/40, 21.10.1940.

Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft Abt. IV/8-Stadtplanung.

Verzeichnis

Der Siedlungsgelände im Großraum Wien.

1 Mödling – Süd 53 ha 2 Mödling – Nord 203 3 Biedermannsdorf 254

4 Achau 28

5 Himberg 68

6 Gramatneusiedl 13

7 Ebergassing 9

8 Brunn a./Geb. 67

9 Vösendorf 2

10 Hennersdorf 7

11 Leopoldsdorf 18

12 Lanzendorf 21

13 Perchtolsdorf-Rodau-Liesing 93

14 Mauer 22

15 Atzgersdorf-Erlaa-Siebenhirten 114

16 Inzersdorf 238

17 Rothneusiedl 113 18 Ober- und Unter-Laa 306

19 Kledering 83

20 Hennersdorf-Altkettenhof 233 21 Lainz-Speising 31 22 Simmering-Leberberg 78

23 Mannswörth 40

24 Klosterneuburg 14 25 Langenzersdorf 26 26 Stammersdorf 101 27 Großjedlersdorf (Wankeläcker) 85

28 Leopoldau 12

29 Stadlau 237

30 Aspern 359

31 Eßling 173

32 Großenzersdorf 109

33 Breitenlee 58

3.268 ha

An den Stadtrandsiedlungen 55 3.323 ha

Nicht gerechnet Laaerberg,10. Bezirk und Kagran sowie Deutsch-Wagram (ausserhalb Wien).

und pragmatisch für sein schon im Vormonat entwickeltes baureifes Programm für 4.500 Wohnungen inklusive realistischem Zeitplan ein, mit denen man bereits im April 1941 beginnen würde können. Er fand beim Reichsarchitekten genauso wenig Gehör wie die einzelnen Referenten, die heftig Klage führten wegen der undurchschauba-ren Behördenwege, der monatelangen Wartezeiten auf Berliner Entscheidungen, der Unmöglichkeit der Firmen, ihre Aktivitäten zu planen, wenn weder Material, noch Transportmittel, noch Arbeitskräfte kalkuliert werden könnten. Zudem habe die Luft-waffe die gesamte Ziegelproduktion beschlagnahmt usw. Auf die Beschwerden ging der Reichsarchitekt zwar nicht ein, doch bestand er darauf, dass für größere Planungen Wettbewerbe auszuschreiben seien – auch das ein Weg, die Realisierungsnotwendig-keit hinauszuschieben. Also wurde umgehend ein Wettbewerb für das Wohnbauso-fortprogramm 1940 ausgeschrieben197, was wohl auch als Affront für die Beamten gedacht war, denn immerhin hatten sie jede Menge baureifer Projekte vorrätig. Da die Frist für eine öffentliche Ausschreibung viel zu kurz war, entschloss man sich, für 12 Bauvorhaben im 10. und 22. Bezirk nur je drei bis fünf Architekten zu nominieren – dennoch würde der Baubeginn sich bis in die zweite Hälfte des Juli 1941 erstrecken müssen, vermuteten die Stadtbeamten. Am 16. November 1940 zog das Planungsamt eine Zwischenbilanz zum Wohnbau-Sofortprogramm, betreffend die an Architekten vergebenen Wohnhausprojekte. Amtsvermerk: Kein einziger der Architekten sei der Plan-Vorlage zum Termin nachgekommen, nur vier Architekten hätten „Sprechskiz-zen“ vorgelegt. Daraufhin sollten die Projektsarbeiten der Privatarchitekten gestoppt werden, was der Leiter des städtischen Planungsamtes Itzinger unbedingt verhindern wollte: „Das Abstoppen der Projektsarbeiten der Zivilarchitekten löst bei den Betrof-fenen unbedingt Kritik aus und lässt sich auch kaum verhindern, dass derartige Maß-nahmen in weite Kreise der Bevölkerung dringen.“198

Man darf nicht vergessen, dass man neben den Wohnbauprojekten noch diverse Nutzbauten mit Arbeitskräften und Material zu versorgen hatte, – zunehmend musste man auf Kriegsgefangene und Fremdarbeiter zurückgreifen, und die lieferten – zur Empörung der Bauherren im Stadtbauamt – eben nur 50 % der von der DAF aufgestell-ten Normalleistung.199 Unter diesem Aspekt hielt Musil die im Sofort-Wohnbaupro-gramm für das Jahr 1941 angesetzten 6.000 Wohnungen für nicht annähernd erreich-bar, diese Bauleistung sei zwar zwischen 1923 und 1933 möglich gewesen, doch da habe es genug Bauarbeiter gegeben. Realistisch seien nicht mehr als 1.500 Wohnungen anzu-setzen. Aber mit dieser Ansicht erntete Musil nur Empörung, wenn auch konzediert wurde, dass Luftschutzbau und Sofortprogramm einander widersprächen. Vor allem Bürgermeister Jung verwies auf die politische Notwendigkeit, „unter allen Umständen jetzt Leistungen auf dem Gebiete des Wohnungsbaues in größtmöglichem Umfange zu setzen, … das Geld spielt auch nicht mehr die Rolle wie ehedem …“200 Es schien nicht weiter von Bedeutung gewesen zu sein, dass das Wohnbauprogramm des

Reichs-197 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 90540.

198 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 979/40, 18.11.1940.

199 Verwaltungsbericht 1940 – 45, S. 394.

200 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 123. IV/14/1414/40, 21.10.1940.

Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft architekten mit dem derzeit ausgewiesenen Betrag nicht das Auslangen finden würde können.201 Daher wurde allen Vorbehalten zum Trotz für das Jahr 1941 zusammenfas-send ein beabsichtigtes Bauvolumen von 15.430 Wohnungen festgestellt, was den prag-matischen Stadtbaubeamten Gundacker offenbar resignierend nur zu dem Kommentar veranlasste: „Damit scheint der städtische Grundbesitz, soweit er für eine Verbauung mit Wohnhausbauten in Frage kommt, nahezu erschöpft und muss daher für das Pro-gramm 1942 ein grossszügiger Grundankauf eingeleitet werden.“202 Der Beigeordnete Leopold Tavs bestand in diesem Zusammenhang vorausschauend gleich einmal auf einen „leistungsfähigen Architekten“. Wenn da einer nichts Ordentliches zustande-bringe, sei er ihm zu melden, sonst bliebe die Schuld an etwaigen Verzögerungen an der Abteilung hängen …203 Überhaupt seien alle Pläne, bevor sie dem Reichsarchitek-ten vorgelegt würden, ihm zur Einsichtnahme zu überreichen.204 Als Art Alibiaktivi-tät muss wohl bewertet werden, dass sich vorsorglich Gundacker und Kastner bereit erklärten, einen Leitfaden für die behördliche Vorgangsweise bei Einreichungen aus-zuarbeiten, da der Instanzenweg offenbar für Bauträger und Bauwerber nicht mehr durchschaubar war. Aber wer sollte den Behelf wofür nützen können?

Um endlich Bewegung in die Sache zu bringen, entschloss man sich, den Beige-ordneten Leopold Tavs und Oberbaurat Johann Gundacker wiederum nach Berlin zu schicken, um im Auftrag Baldur von Schirachs persönlich beim Generalbauinspek-tor Albert Speer die Zustimmung zu einem Wohnbauprogramm der Stadt Wien für 1941 und 1942 zu erreichen. Die Besprechung mit Dr. Paul Briese aus dem Stab Speers fand am 28. November 1940 statt und war eigentlich ein Fiasko205: Bevor Briese noch Tavs’ Referat kommentierte, musste sich die Wiener Delegation einen langen Vortrag über die im gesamten Reich vorliegenden Bauvorhaben anhören, dessen Quintessenz darin bestand, dass nur zwei Drittel des vorgesehenen Bauvolumens von 9,2 Mrd. RM überhaupt realisiert werden könnten, denn allein die Wehrmacht beanspruche 95 % der vorhandenen Bauarbeiterkapazität. Weiters stehe nur ein Bruchteil des benötigten Baumaterials, vor allem des Eisens zur Verfügung. Schließlich fertigte man die Wie-ner kurz ab: Sie sollten halt schauen, dass sie mit dem bisherigen Kontingent irgend-wie auskämen, denn es gehe soirgend-wieso alles langsamer als geplant. Für Wien komme das Wohnbauprogramm in vollem Umfang nicht in Frage, Briese könne nur Material für 3.500 Wohnungen von den beantragten 12.000 zusagen, und außerdem nur die Dring-lichkeitsstufe 3 gewähren, was de facto eine Ablehnung bedeutete. Dass dieses Ergebnis wenig Begeisterung erweckte, darf angenommen werden, und auch die Aussicht, dass sich Dr. Briese bei einem Wien-Besuch im Dezember persönlich von der Situation ein Bild machen wolle, dürfte wenig tröstlich gewesen sein.

Das unbefriedigende Ergebnis der Berliner Besprechung beeindruckte den Reichs-architekten hingegen kaum, denn Dustmann übernahm es trotzdem, als Stadtplaner

201 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 90540, 24.10.1940.

202 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 59, Mappe Itzinger, R/iV/1-896/40, 22.10.1940.

203 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 9828/40, 31.10.1940.

204 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 54, R/IV/Pla 929/40, 30.10.1940.

205 Gedächtnisnotiz von Gundacker (?), WStLA, A1, MD-BD, Sch. 124, IV/1650.

das Wiener Gesamt-Wohnbauprogramm „praktisch“ zu konzipieren. Die vorliegenden Pläne korrigierte er laufend, wollte die Bebauungsgrenzen weiter gefasst, die Bauten auf dem Laaerberg auf vier bis fünf Geschoße erhöht, den Stadtabschluss höher heraus-ragend und das Flachdach etwa des Opel-Baus beseitigt haben usw.206 Da der Reichsar-chitekt über das ausgewiesene Siedlungsgebiet auch angrenzende Gebiete vor allem im 10. Bezirk städtebaulich mit einbeziehen wolle, würden sich Gesamtpläne nur „ohne Rücksicht auf derzeitige Besitzverhältnisse“ erstellen lassen, kommentierte Planungs-direktor Itzinger. Das ergäbe dann sicher einige tausend Wohnungen mehr, unter der Voraussetzung, dass die Verbauung nicht sehr gelockert sei. Selbstverständlich würden die Kosten dadurch erheblich steigen, und auch die Wettbewerbskosten müssten als verlorener Aufwand bezeichnet werden.207 Offenbar deponierte hier der Reichsarchi-tekt seine Wünsche für jene Projekte, die dann in seinen Modellen einer Nord- und einer Südstadt – von denen zwar keinerlei Planunterlagen, aber dafür einige Fotos exis-tieren – „Gestalt“ geworden sind.

Am 7. März 1941 gab Dustmann – schließlich war er zuständig für das gesamte Bauwesen − seine Richtlinien für den Wohnungsbau heraus, in denen er nach Meinung des Oberbaudirektors Musil für die in Wien zu erstellenden Wohnbauten „von die-sen unabhängige architektonische Lösungen“ anstrebte, die Musil im einzelnen ziem-lich kritisch kommentierte.208 Berliner Entscheidungen hin oder her − Ende März 1941 wurde, wie üblich, wieder einmal ein Wohnbauprogramm – diesmal Kriegs-Wohnbau-programm209 genannt − erstellt: Die Gemeinde Wien gab hiezu an: 5.864 Wohnungen würde sie selbst, 5.970 Wohnungen andere Bauträger errichten − darunter sind wohl Träger für den Arbeitsstättenwohnbau wie die „Neue Heimat“ der DAF zu verstehen, andere Trägergesellschaften kamen kaum zum Zug. Es ist undurchschaubar, wie die Zahlen der jeweiligen Kriegs-, Sofort- oder Sonderwohnbauprogramme – die Benen-nungen wechseln ständig − zustande kamen. Nur in seltenen Fällen sind Listen beige-geben. Im Mai wurde das im Herbst des Vorjahres bekanntgegebene (Sofort-) Kriegs-wohnbauprogramm valorisiert. Danach musste nach Abzug aller ausgeschiedenen und fraglichen Bauvorhaben ein Ausfall von bis zu 5.400 Wohnungen − 15.430 waren ange-setzt worden! – konstatiert werden. Der Rest verteilte sich auf eine Reihe von Projekten in „zurückgebliebenem Zustand“, die bestenfalls zur Hälfte zu realisieren seien. Viele vorbereitende Arbeiten von Pachtkündigungen, Arrondierungen und Freimachungen von Althäusern stünden ebenfalls noch aus. Für 1941 könnten keine Pläne gemeinnüt-ziger Unternehmen vorgelegt werden, da zu angemeldeten Vorhaben nicht einmal klar

Am 7. März 1941 gab Dustmann – schließlich war er zuständig für das gesamte Bauwesen − seine Richtlinien für den Wohnungsbau heraus, in denen er nach Meinung des Oberbaudirektors Musil für die in Wien zu erstellenden Wohnbauten „von die-sen unabhängige architektonische Lösungen“ anstrebte, die Musil im einzelnen ziem-lich kritisch kommentierte.208 Berliner Entscheidungen hin oder her − Ende März 1941 wurde, wie üblich, wieder einmal ein Wohnbauprogramm – diesmal Kriegs-Wohnbau-programm209 genannt − erstellt: Die Gemeinde Wien gab hiezu an: 5.864 Wohnungen würde sie selbst, 5.970 Wohnungen andere Bauträger errichten − darunter sind wohl Träger für den Arbeitsstättenwohnbau wie die „Neue Heimat“ der DAF zu verstehen, andere Trägergesellschaften kamen kaum zum Zug. Es ist undurchschaubar, wie die Zahlen der jeweiligen Kriegs-, Sofort- oder Sonderwohnbauprogramme – die Benen-nungen wechseln ständig − zustande kamen. Nur in seltenen Fällen sind Listen beige-geben. Im Mai wurde das im Herbst des Vorjahres bekanntgegebene (Sofort-) Kriegs-wohnbauprogramm valorisiert. Danach musste nach Abzug aller ausgeschiedenen und fraglichen Bauvorhaben ein Ausfall von bis zu 5.400 Wohnungen − 15.430 waren ange-setzt worden! – konstatiert werden. Der Rest verteilte sich auf eine Reihe von Projekten in „zurückgebliebenem Zustand“, die bestenfalls zur Hälfte zu realisieren seien. Viele vorbereitende Arbeiten von Pachtkündigungen, Arrondierungen und Freimachungen von Althäusern stünden ebenfalls noch aus. Für 1941 könnten keine Pläne gemeinnüt-ziger Unternehmen vorgelegt werden, da zu angemeldeten Vorhaben nicht einmal klar

Im Dokument NS-Siedlungen in Wien (Seite 133-143)