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Architekturdiskussion: Hochbau oder Flachbau?

Im Dokument NS-Siedlungen in Wien (Seite 30-36)

I. Wohnbaupolitik der Zwischenkriegszeit in Wien

1.4. Architekturdiskussion: Hochbau oder Flachbau?

Auch Wien hatte in den 1920er Jahren seine Hochhausdebatte. Von Amerika ausge-hend, war es in Frankreich und Deutschland zu ersten Hochbauten gekommen Das

„Hansa-Haus“ in Köln mit 65 m präsentierte sich als damals höchstes Gebäude in Euro-pa.36 Auch das Wiener Stadtbauamt ventilierte Projekte auf dem Areal der Rossauer Kaserne oder auf dem Karlsplatz, allerdings nur als öffentliche Bauten mit Signal-wirkung.37 Die Wiener Tageszeitungen griffen die Diskussion auf. Die Gegnerschaft war heftig, vor allem als das Hochhaus auch für den Wohnbau in Anspruch genom-men wurde. Konstruktivistische oder funktionalistische Tendenzen des Neuen Bau-ens standen ohnehin nie zur Diskussion, dennoch musste Hubert Geßner die Höhe seines Reumannhofes kräftig reduzieren. Etliche weitere Entwürfe einer interessierten Architektenschaft blieben unverwirklicht.38 Wiens erstes Hochhaus in der Herren-gasse mit 16 Stockwerken, 1931/32 erbaut vom Baubüro Theiß&Jaksch und großteils von einem Bankenkonsortium finanziert, reklamierten schließlich die

Christlichso-34 Novy/Förster, einfach bauen (1991), S. 8.

35 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 115, 7869/38.

36 Vgl. Weihsmann, Rotes Wien (1985), S. 165ff.

37 Posch, Gartenstadt (1981), S. 68.

38 Weihsmann, Rotes, Wien (1985), S. 166.

Wohnbaupolitik im Roten Wien 1919 – 1933 zialen als bürgerliches Prestigeobjekt für sich, als

der austrofaschistische Ständestaat die republika-nische Bundesregierung abgelöst hatte.39 Wenn in der Gemeinde auch der Prestigegewinn durch Hochhäuser nicht ungern gesehen worden wäre − die hohen Baukosten, die durch Aufzüge erhöh-ten Mieerhöh-ten und das kapitalistische Gewinnprinzip durch maximale Bodennutzung standen dagegen.

Also wurde eine generelle Hochhausbeschrän-kung verordnet. Das Hochhaus als „Stadtkrone“

und Kirchturmersatz blieb der späteren Architek-turperiode der Nationalsozialisten vorbehalten. In Wien entschied man: Monumentalität ja, Höhe nein! In diesem Sinne beantwortete der Gemein-derat die Wohnbaufrage.

Die aggressiv geführte Architekturdiskussion zum Thema Einfamilienhausbau oder Geschoß-wohnungsbau entzündete sich in Wien umso heftiger, als die „Superblocks“ des kommunalen Wohnbauprogramms ab 1923 in ihrer Augenfäl-ligkeit und Präsenz ständig Anlass zu Attacken gaben – eine Vergleichssituation, die in dieser Deutlichkeit nur Wien zu bieten hatte. 1926

kul-minierte die Auseinandersetzung, nicht zuletzt im Vorfeld und im Resümee zum Inter-nationalen Kongress für Städtebau, der im September 1926 stattfand und mit Referenten wie Raymond Unwin, Martin Wagner, Hans Bernoulli, Siegfried Sitte u. a. prominent besetzt war. Es ging um Bodenspekulation und um Verteilung von Ein- und Mehr-familienhäusern.40 Bald war die Kritik am Wiener Gemeindebau Hauptthema. Prof.

Karl Brunner (TH Wien) meinte freilich, dass die Kritik bloß persönlichen Vorlieben und mangelnder Sachkenntnis entspreche und bedauerte, dass etwa die Finanzierung gar nicht zur Sprache gekommen sei.41 Genau mit ökonomischen Gründen nämlich rechtfertigte Stadtbaudirektor Dr.  Franz Musil (Abb.  1) die Gemeindeentscheidung und versäumte nicht, die damals schon beachtliche internationale Anerkennung zu betonen. Zum Thema Gartenstadt argumentierte er bildlich-konkret: Man möge sich alle über ganz Wien verstreuten Wohnbauten als geschlossenen Stadtteil vorstellen.

„Fünfundzwanzigtausend Wohnungen42 schaffen, heißt mehr als 100.000 Menschen unterbringen, sonach eine Stadt schaffen, die ungefähr die Größe von Linz erreicht.

39 Plischke, Assanierungsfonds (1994), S. 221f.

40 Novy/Förster, einfach bauen (1991), S. 39f. Die Diskussion wurde von Franz Schusters Zeitschrift

„Der Aufbau“ kommentatorisch aufschlussreich begleitet (1. Jahrgang, 1926).

41 Brunner, Städtekongress (1926), S. 192.

42 Situation nach der Erfüllung des 1. Wohnbauprogramms.

Abb. 1: Dr. Franz Musil seit 1917 im Stadtbauamt tä-tig 1925–1934 Stadtbaudirektor, 1938–1941 Ober-baudirektor.

… Eine Stadt für 25.000 Einfamilienhäuser bedürfte … einer Grundfläche von 7,500.000 Quadratmetern, oder, was für die Vorstellung leichter ist, eines Gebiets-streifens, der bei 1 Kilometer Breite 7 ½ Kilometer Länge hätte und das ganze Gebiet in Floridsdorf zwischen Groß-Jedlersdorf und Aspern einnehmen würde.“ 43 Musil malte dann die gesamte Problematik von Verkehr bis Infrastruktur und seine Auswirkungen auf das gesamte Stadtgebiet aus. Die Gegner des Volkswohnungsbaus versuchten die ökonomischen Argumente zu widerlegen: 1926 sei bereits ein Viertel des Stadtgebiets in Gemeindebesitz gewesen, Grund und Boden für Gartenstädte gebe es demnach genug. Für weitere Maßnahmen sei ein Enteignungsgesetz notwendig, das auch die Lösung der Verkehrsfrage erleichtern würde.44 Zur Behauptung, dass Stock-werkswohnungen billiger kämen als Reihenhäuser, versuchte Kampffmeyer den gegen-teiligen Beweis zu erbringen, indem er eine umfassende volkswirtschaftliche Berück-sichtigung forderte45 und auf Peter Behrens Reihenhauskonzept (Abb. 2) zurückgriff, das das Argument des höheren Bodenbedarfs für Gartenstädte in Frage stellte.46 Die Kritik der Gartenstadt-Verfechter wurde insofern von der Gemeinde ernst genommen, als in der Folge die Verbauungsdichte bei Wohnbauanlagen auf 30 % herabgesetzt und manche Anlagen als „Gartenstädte“ bezeichnet wurden (George-Washington-Hof, Seitz-Hof). Ebenso erhöhte man die vielkritisierte Wohnungsgröße deutlich (von 48 auf 57 m2) und förderte verstärkt auch wieder den Siedlungsbau (Am Tivoli, Werk-bundsiedlung).

Trotzdem war der Wunsch nach dem eigenen Häuschen, womöglich alleinstehend und vom Garten umgeben, allgegenwärtig, und schon Kampffmeyer hatte die man-gelnde Realitätswahrnehmung der ersten Siedler diesbezüglich bedauernd konstatiert.47 Jedenfalls wurde von Zeitgenossen der Geschoßwohnungsbau eher wenig geschätzt und galt als eine von Sachzwängen diktierte Lösung.48 Tatsächlich ist die Fragestellung nicht richtig. Es kann kein Entweder-Oder geben. Dass für Baulücken im verbauten Stadtgebiet nur Geschoßwohnungshäuser in Frage kamen, darüber waren sich auch die Fachleute des Kongresses im Klaren. Ebenso mussten sie wissen, dass der interna-tionale Trend zum mehrgeschoßigen Bau, ja sogar zum Hochbau ging. Und abgesehen davon verdankten beide Wohntypen einander sehr viel: Grundrisslösungen und Ein-richtungsentwürfe bedeutender Architekten befruchteten einander wechselweise, bau-technische Lösungen konnten übernommen werden, und individuelle Lebensformen fanden Eingang in urban-sozioökonomische Strukturen. Ebenso profitierten Sied-lungs- bzw. Planungskonzepte voneinander, und nicht zuletzt arbeiteten bedeutende engagierte Fachleute in beiden Metiers.

43 Musil, Gartenstadt (1926), S. 3 (Hervorhebung im Original).

44 Posch, Gartenstadt (1981), S. 88.

45 Kampffmeyer, Siedlung (1926), S. 67ff.

46 Posch, Gartenstadt (1981), S. 66.

47 Kampffmeyer, Siedlung (1926), S. 19.

48 Novy, Rosenhügel (1981), S. 55.

Wohnbaupolitik im Roten Wien 1919 – 1933 Die Wohnbaufrage war denn auch

eine politische Frage und spaltete letztlich auch die Sozialdemokratie in einen mar-xistischen-radikalen und in einen pragma-tisch-reformerischen Flügel. Eigenheim, Siedlung, Garten waren bisher Domäne konservativer Ideologien, selbstverständ-lich auch einzige Alternative für die Christlichsozialen. Die Gartenstadt-Idee mit ihrem genossenschaftlichen, speku-lationsfeindlichen Eigentumsbegriff und dem Streben nach Autarkie durch Eigen-versorgung machte nun das Siedlerhaus auch für viele Anhänger mit sozialde-mokratischer Überzeugung kompatibel.

Gerade diese Aspekte schätzten konserva-tive Vertreter eher wenig und reduzierten

den Gartenstadt-Entwurf hauptsächlich auf die Idee vom „eigenen Haus auf eigener Scholle“ als Konsolidierungsmaßnahme für das unruhige Proletariat. In der Kritik an den „Gründerzeitkasernen“ mit dem daraus resultierenden Wohnungselend waren sich alle politischen Lager einig, in der Frage der Wohnraumbeschaffung aber konnten die Gegensätze nicht größer sein.

Die politischen Gegner hatten ihre eigene Interpretation für die Wohnbaupolitik der „Roten“: Die Gemeinde habe sich für den Großbau entschieden, weil sie um die politische Gefolgschaft fürchte:

„… weil in dem Moment, in dem vielleicht ein großer Teil der Mieter wirklich in den Besitz eines kleinen Eigentums käme, die betreffenden Menschen wohl glücklich und zufrieden wären, aber natürlich aufhörten, Sozialdemokraten zu sein“49

In die gleiche Kerbe schlugen die nationalsozialistischen Abgeordneten 1932 im Gemeinderat:

„Sie wissen ganz genau, daß der Arbeiter den sehnlichsten Wunsch im Herzen trägt, ein Eigenheim, ein Stück Grund und Boden zu besitzen, und das wollen sie verhin-dern. Und warum? Weil sie ganz genau wissen, daß dieser deutsche Mensch, wenn er sein Eigentum besitzt, abends nicht mehr zu haben ist für eine Demonstration oder die Sprengung einer nationalsozialistischen Versammlung.“50

Die sozialdemokratischen Befürchtungen waren jedoch unberechtigt, wie die Praxis bewies: Das Leben in der Siedlung führte ebenso wenig zur Entpolitisierung der

Arbei-49 Novy/Förster, einfach bauen (1991), S. 36.

50 Novy/Förster, einfach bauen (1991), S. 37.

Abb. 2: Vorteile an Bodenbedarf des Reihenhauses gegenüber dem Einzelhaus.

ter wie jenes im Gemeindebau. Hier wie dort waren die Bewohner in sozialdemokrati-schen Vereinen vom „Konsum“ bis zu den „Naturfreunden“, von Gesangsvereinen bis hin zum Republikanischen Schutzbund, organisiert. Sogar die marxistisch argumen-tierenden Gemeindebauexperten Hautmann&Hautmann führen an, dass die Sied-lung Laaerberg bei Wahlen stets sozialdemokratische Spitzenwerte zu verzeichnen hatte.

Nach den beiden Autoren entsprang die Entscheidung der Gemeinde, den Superblock dem Siedlungsbau vorzuziehen, dem „damals immerhin noch instinktiv richtigen [mar-xistischen] Bewußtsein, nach dem eine andere realistische Lösung des Wohnungspro-blems als die Konzentration auf den Bau von großen mehrgeschoßigen Wohnanlagen auch gar nicht in Frage kam.“51 Dass die Bewusstseinsbildung der Bewohner letztlich nicht im Sinne der Erfinder lief – nach Meinung der ideologischen Hardliner nicht lau-fen konnte –, ist jedenfalls von den Nationalsozialisten erfolgreich einkalkuliert worden.

Die Fronten in der Frage Hochbau- oder Flachbau gingen auch quer durch die Architektenriege, mehr noch: Auch einzelne Architekten wechselten mehrfach ihre Ansichten52, was nicht ihre Inkonsequenz beweist, sondern den Anspruch der

Aus-schließlichkeit in Frage stellt. Dies erkennend, stellten sich die meisten Architekten den Herausforderungen sozialen Wohnbaus in beiden Sparten. Architekturkritik an Monumentalität und pathetischer Geste übte Josef Frank in seinem viel zitierten

„Aufbau“-Artikel „Der Volkswohnungspalast“. Er apostrophierte die Gemeindebauten als Inkarnation des „gesinnungslos gewordenen Kleinbürgertums.“53 Der Trend zum unehrlichen Repräsentationsbau müsse vom Bestreben der modernen Baukunst abge-löst werden: „Jedes Haus und auch jedes Ding muß in seiner einfachsten, knapps-ten und klarsknapps-ten Form hergestellt werden!“ Das eigentliche Wohnideal sei das Sied-lungshaus. „Selbst die beste und gesündeste Wohnform im Miethaus ist ein Surrogat.

[…] Ein kleines Haus, höchstens zwei Fenster übereinander, das … ist der Palast der Zukunft.“ Solches Bauen, solches Wohnen hätte auch einen moralisch positiven Einfluss auf den seit jeher „dekorativ veranlagten Wiener“! Hier trifft sich Frank mit Karl Brunner, der allerdings gegenteilig argumentiert, wenn er den Vorwurf der „bür-gerlichen Scheinarchitektur“ der Gemeindebauten damit pariert, dass der Wiener Boden „nicht nur nach Rhythmus, Gliederung, Bewegung, sondern geradezu nach etwas Schmuck, nach einer Formensprache des Gemüts“ verlange, wie sie etwa Erker und Loggien ausdrückten.54 Dennoch ist sich auch Brunner bewusst, dass in Wien eine „neue schöpferisch-intellektuelle Baukunst“ heranreife, deren Repräsentanten (er nennt Frank, Hoffmann, Holzmeister, Behrens, Hofmann, Strnad) „ganz dem Geist der jüngsten, ‚Internationalen Architektur‘ eingeboren sind.“ Sie hätten ihre Aufgabe des Massenwohnungsbaus in einem „auf eine noch kollektivere Form nicht mehr zu bringenden Stil“ gelöst.

51 Hautmann/Hautmann, Gemeindebauten (1980), S. 147.

52 Josef Frank an Oswald Haerdtl, 12. Januar 1949: „… da ich in der letzten Zeit (oder besser gesagt in den letzten zehn Jahren) meine Ansicht über Architektur sehr oft geändert habe …“. (Zit.

nach Achleitner, F., Wiederaufbau in Wien, Innere Stadt, in: Waechter-Böhm, L. (Hg.), Wien 1945 davor/danach, Wien 1985, S. 107).

53 Frank, Volkswohnungspalast (1926), S. 108.

54 Brunner, Städtekongress (1926), S. 193.

Wohnbaupolitik im Roten Wien 1919 – 1933

Franz Schuster war sich mit Josef Frank in der Bevorzugung des „ehrlichen“ Klein-hauses einig. Proletarische Architektur sei politischer Kampf und müsse „rücksichtslos das Alte zertrümmern“, „Heimatstil, Gemütlichkeit, Lieblichkeit“, der gesamte „Klein-kram der bürgerlichen Welt“ müssten einer „Kultur der Sachlichkeit, der Reinlich-keit und der Klarheit“ weichen. Bei radikalster Verbilligung der Baukosten könnten wesentlich mehr „Kleinsthäuser“ im Kampf gegen das soziale Elend gebaut werden, für deren Einrichtung eine neue Wohnkultur – zu der Schuster zahllose Entwürfe geliefert hat – Platz greifen müsse.55

Dass es sich beim Problem des Siedlungsbaus grundsätzlich auch um eine Frage der Stadtplanung handelt, bestritten auch seine Vertreter nicht. Franz Schuster etwa konnte der stadtamtlichen Rechtfertigung nichts abgewinnen. Er verlangte einen Generalentwicklungsplan, der den Stadtausbau in bestimmter Richtung fördern oder hemmen sollte. Mit dem Stadtbauamt ging er nicht gerade zimperlich um:

„Es ist geradezu grotesk von Stadtentwicklung … so wenig zu wissen, daß man sich Wien eventuell so wachsend denkt, daß die fünfstöckigen Häuser bis an den Kah-lenberg und Wienerwald reichen … neben dem Hochhaus die Kuh auf der Weide.“56

„Beamte mit ihren vielen administrativen und verwaltungstechnischen Agenden, können so große schöpferische Fragen kaum lösen. Eine solche Stadtentwicklung darf auf keinen Fall hinter geschlossenen Bürotüren erledigt werden … nur von schöpferischen Menschen ersten Ranges … und nur im Zusammenhang mit der Aufklärung der breiten Öffentlichkeit. […]

Glauben wir an eine Entwicklung Wiens, vielleicht im Zusammenhang mit der Fer-tigstellung des Rhein-Main-Donaukanals, glauben wir an einen Aufschwung Wiens nach einem Anschluß an Deutschland, für das Wien dann der äußerste Posten eines großen Wirtschaftsgebietes gegen den Osten sein wird, an die zentrale Lage Wiens in Europa“ dann muss unter anderem auch überlegt werden: „WIE SOLL SICH WIEN WEITERENTWICKELN, WELCHE RICHTUNG SOLL WIEN ALS STADT IN SEINER KÜNFTIGEN AUSDEHNUNG EINSCHLAGEN UND WELCHE GESICHTSPUNKTE MÜSSEN WIR HEUTE SELBST BEI DER AUFSTEL-LUNG KLEINSTER HÄUSER BERÜCKSICHTIGEN, UM DIESE NICHT IN 20 JAHREN ZU EINEM HEMMNIS KÜNFTIGER ENTWICKLUNG ZU MACHEN?“57

Schuster beharrte auf dringender Beschäftigung der ganzen Bevölkerung und auf öffentlicher Diskussion mit dem Problem der Stadtentwicklung, denn sonst „kann es einmal sehr schlimm werden, wenn von außen aufgezwungen Wien zu einem

großzü-55 Schuster, Der Aufbau (1926), Nr. 4, S. 36f., zit. nach Novy/Förster, einfach bauen (1991), S. 70f.

Beispiele finden sich in: Schuster – Ausstellungskatalog 1976.

56 Schuster, Baugesinnung (1926), S. 17.

57 Schuster, Baugesinnung (1926), S. 18; Hervorhebung im Original.

gigen Entwicklungsprogramm schreiten muß und die bestgemeinten und richtigsten Ideen auf den Widerstand aller stoßen, die damit entweder beruflich oder wirtschaft-lich zu tun haben.“58 Er sah Eingriffe auch in persönliche Rechte und Besitzverhält-nisse voraus, „wenn das Gemeinsame dem Persönlichen übergeordnet werden müsse.“59 Ganz unempfänglich für die österreichisch-deutschen Großmachtphantasien war Schuster also nicht. Dass das ohne Verlust der österreichischen Selbstständigkeit nicht zu haben sein würde, wollte er aber offenbar nicht wahrhaben. Abgesehen von inhaltli-chen Vorwegnahmen späterer Nazi-Pläne ist die Diktion nicht zu überhören, die schon 1926 gleichsam die spätere NS-Phraseologie vorwegnimmt.

Wogegen sich Schuster mit Vehemenz wehrte – und das ist ein weiterer Streitpunkt der Architekturdiskussion –, sind Kunstbegriffe einer Architektur-Kritik, „die auf der Basis von Gemütlichkeit, Lieblichkeit und verlogener Romantik Werturteile schafft.“60 Dem Konzept des Wohnbauprogramms tut er aber sicher unrecht, wenn er behauptet, dass man in Wien unter Städtebau „die Schaffung möglichst altertümlicher Platzbil-der, wie wir sie in der Wachau und unseren Landstädtchen so sehr lieben“61, verstehe, auch wenn gewisse Assonanzen damit, etwa im Gemeindebau Sandleiten oder in Karl Schartelmüllers Anlagen im Freihof oder auf der Lockerwiese, anklingen. Im Kampf zwischen zwei Fronten – einerseits gegen Hochhausbau, andererseits gegen Heimat-schutz-Häuschen – wählte Schuster schließlich den Weg ins Ausland.62 Mit der Ver-dammung einer Behübschungs-Architektur durch diverse Stilelemente versagten sich viele Wiener Architekten natürlich auch dem „Heimatschutzstil“, was ihre Situation in der NS-Zeit nicht gerade erleichterte.

Im Dokument NS-Siedlungen in Wien (Seite 30-36)