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Die Überlebensphase 1942 –1945

Im Dokument NS-Siedlungen in Wien (Seite 143-153)

III. Wohnbaupolitik im Reichsgau Wien 1938 – 1945

4. Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft . .111

4.4. Die Überlebensphase 1942 –1945

Wie die vorhergegangenen, so erfüllten auch die Jahre 1942 – 1945 keinerlei Erwartun-gen für das Heer der Wohnungssuchenden, für die im Elend dahinlebenden Familien, die gemäß dem Willen des Führers mit zahlreichen Kindern gesegnet, dafür aber ohne den im Krieg eingesetzten Ernährer dastanden, die Rückwanderer, die den Parolen der

„Sieger“ gefolgt waren, die Umgesiedelten, die ihrem Deutschtum zuliebe ihre Wohn-sitze aufgegeben hatten. Sie alle drängten auf den Wohnungsmarkt. Dazu kamen ab 1944 unzählige Ausgebombte, Vertriebene und Flüchtlinge. Unser Mitleid mit den Beamten, die den Belagerungen und Aggressionen der Wohnungswerber ausgesetzt waren, hält sich dabei in Grenzen – am Leid der Betroffenen gemessen. Das Einzige, was den vom „Mietscheinkampf“ gestressten Behörden einfiel, war, das Amt bis zu 14 Tagen einfach zu schließen – zur „Aufarbeitung“ der dringendsten Fälle. Als die Zer-störungen durch Bombardements ab April 1944 jede „Wohnraumlenkung“ unmöglich

218 Die Kartons 298 und 299 im ÖStA, AdR, Referat Z-RO illustrieren die Probleme im sog.

Werkssiedlungsbau.

219 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 123, IV/349/40, 2.3.1941.

220 Holzschuh, Dustmann (2006), S. 38.

machten, blieb den Verantwortlichen nur mehr der dringende Aufruf − im Besonderen an die Mütter der kinderreichen Familien –, schnellstmöglich die Stadt zu verlassen, alles andere sei verantwortungslos.221 Die „furchtbare Kalamität“ des Beigeordneten Walter Rentmeister, in die ihn der Bruch seines feierlichen Versprechens von Wohnun-gen an Kriegsversehrte und Kriegerwitwen gestürzt hatte, weil keine der WohnunWohnun-gen fertiggestellt worden war, veranlasste den Stadtbaudirektor Viktor Schreiter nur zum lakonischen Kommentar: „Durch kriegsbedingte Massnahmen und Anordnungen, die den sofortigen Einsatz von Facharbeitern … zur Durchführung wehrwirtschaft-lich höher und höchstgereihter Arbeitsaufträge zur Folge hatten, … waren die Firmen genötigt, ihre Arbeiter … abzuziehen.“222

1942 nahmen die Probleme weiter zu: Die im Bau befindlichen 1.703 Wohnungen konnten nur weitergebaut werden, wenn sie die Bezeichnung Schwerpunktsbauvorha-ben erhielten, was in der Praxis kaum gelang. Dazu kam, dass der Wehrkreis-Gebiets-beauftragte Lenikus ständig Arbeiter abzog, sobald sie auftauchten, sodass die Firmen sich weigerten, Aufträge zu übernehmen, weil sie sofort ihrer Arbeiter verlustig gingen.

Der Vorschlag, das „Schwerpunktkontingent“ gleich ganz der Wehrmacht zu überlas-sen, stieß auf wenig Gegenliebe. Eine Berlinreise blieb ergebnislos und ein Antrag auf Neueinstufung wurde erst gar nicht gestellt, „weil aussichtslos“.223

Der Führererlass vom 25. Januar 1942 wurde den Verantwortlichen nur „vertrau-lich“ mitgeteilt: Vorbereitungen und Planungen für künftige Friedensaufgaben sind grundsätzlich zurückzustellen. Also auch die „virtuelle Bautätigkeit“ war damit erle-digt. Für die Praxis hieß das: Sämtliche Aufträge für Architekten waren zu stornieren, alle Bauten stillzulegen, die „ohne Einfluß auf den siegreichen Abschluß des Krieges“

waren.224

Für das wenige, das dennoch gebaut wurde, installierte der GBI am 28. März 1942 mit dem Sparingenieur einen weiteren Kontrolleur, der auch die inzwischen übli-chen „behelfsmäßigen“ Bauten begutachten musste: Ziel war „die Vereinfachung der Gesamtplanung sowie die Festlegung baustoffsparender Bauweisen … nach Regeln der Ingenieurkunst, aber in einfachster Ausführung, oft auch ohne Rücksicht auf architek-tonische Wirkungen, … aber trotzdem in guter Haltbarkeit.“ Als Beispiel wird ange-führt, dass nicht alles unter Dach gebracht werden müsse, und wenn, dann unter Well-blech und in Unterstellräumen oder Scheunen, die ebenfalls nicht an allen vier Seiten geschlossen sein müssten usw.225 Der Wiener Sparingenieur für allgemeine Bauten, DI Otto Kubacsek, ging noch mehr ins Detail: Elektroanschlüsse seien zu vermindern, Badewannen und Umlauferhitzer nicht zu montieren (handschriftlicher Akten-Zusatz:

„Sie sind sowieso nicht greifbar“), nichts dürfe gestrichen, nur grundiert werden usw.

Es sei ihm klar, dass „diese Art der Ausführung der Wohnhausbauten den bisherigen Gepflogenheiten nicht entspricht und es schon anläßlich der letzten Übergaben von

221 WStLA, B1, Stenographische Berichte, Sch. 3, 27. öffentliche Ratsherrensitzung, 16.3.1945.

222 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 146, G 1076/43.

223 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 141, G 434/1942, 10.3.1942.

224 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 141, G 0/42, 24.3.1942.

225 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 140, G 799/42, 28.3.1942.

Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft Wohnhausbauten … zu Schwierigkeiten kam, … da erfahrungsgemäß an die Gemein-dewohnungen seitens der Mieter die allergrößten Anforderungen gestellt werden.“226 Zum Wohnungsbau liefert der Gemeindebericht ausschließlich Zahlen über Fortfüh-rungen und Fertigstellungen, nach wie vor mit Schwerpunkt Wienerfeld. Neubauten wurden keine begonnen:

Fertigstellungen: 1942 300 Wohnungen

1943 350 Wohnungen

1944 353 Wohnungen227

Die Kriegsbauaufgaben des Stadtbauamtes n Bauhöfe als Selbsthilfe

Der neue Organisationsplan der Gemeindeverwaltung vom 15.  November 1941 hatte schließlich nicht nur eine Reduzierung der Abteilungen der HA Bauwesen gebracht, sondern auch die Stilllegung der Abteilung Hochbau, was auch das Aus für städti-sche Wohn- und Siedlungsvorhaben bedeutete. Wenn auch keinerlei Bauten hochge-zogen wurden, das Stadtbauamt war dennoch sowohl organisatorisch als auch prak-tisch mit heftiger Bautätigkeit beschäftigt, denn neue Aufgaben hatten Platz gegriffen und mussten laufend gesteigert werden: Baracken- und Behelfs- sowie Luftschutz- und Bunkerbauten. Eine Einrichtung, die der Selbsthilfe entsprang und auch nach dem Krieg beibehalten wurde, war die Einrichtung städtischer Bauhöfe im April 1942. Das gemeindeeigene Personal mit eigenem Fuhrwerk übernahm und sammelte Altbau-stoffe wie etwa Splitterholz nach Bombardements oder entbehrliche Verschläge aus Dachböden und Kellern und erledigte selbst die dringlichsten Arbeiten. Mit höchs-ter Aufmerksamkeit wurden die Mahöchs-teriallager bewacht und Arbeitseinsätze möglichst kurzfristig ausgegeben, damit die „Arbeiterfänger“ ausgetrickst werden konnten. Die Bauhöfe bestanden die Bewährungsprobe als „technische Rettungsgesellschaft“228 vor allem für die schweren Schäden durch Bombenangriffe, die ab 12. April 1944 in unge-heurer Heftigkeit über Wien hereinbrachen.

n Barackenbau

Zur Unterbringung von Arbeitskräften hatten die verschiedenen Bauunternehmungen immer schon befristet Baracken aufgestellt. Wenn die Baracken für Rüstungsbetriebe eingesetzt wurden, unterstanden sie dem Generalbevollmächtigten für die Bauwirt-schaft Todt und bedurften sowohl für die Errichtung als auch die Wiederverwendung oder – sofern es sich um zerlegbare Plattensysteme handelte – bei der Verlegung sei-ner ausdrücklichen Zustimmung.229 Eine Reihe von Baracken in Wien stammte sogar

226 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 140, G 780/40, 30.4.1942.

227 Verwaltungsbericht 1940 – 1945, S. 294f.

228 Verwaltungsbericht 1940 – 45, S. 270.

229 12. Anordnung vom 17.4.1940, in WStLA, A1, MD-BD, Sch. 126, IV/752/1941.

noch aus dem Ersten Weltkrieg, so die so genannten Schleyerbaracken im 10. Bezirk oder die Wohnbaracken in Simmering/Hasenleiten, an deren Ersatz durch feste Wohn-bauten schon seit Jahren gearbeitet wurde und deren Fertigstellung einer der Fixposten im Erfolgsprogramm der Stadt war.

Die in den Jahren 1942 bis 1944 fertiggestellten bzw. weitergebauten Wohnhaus-anlagen und Reihenhäuser, etwa am Wienerfeld, konnten nur mit Hilfe ausländi-scher Arbeiter errichtet werden. Für ihre Unterbringung brauchte man Baracken, die laufend sowohl von den Firmen selbst als auch von der Gemeinde errichtet werden mussten. So etwa waren im Barackenlager Gudrunstraße im 10. Bezirk 500 Kriegs-gefangene untergebracht. Seit 1934 existierte für den RAD (Reichsarbeitsdienst) eine genormte Baracke aus Holzfertigteilen.230 Nun aber begann der Barackenbau in gro-ßem Stil, sodass dafür im Organisationsplan vom 15. November 1941 sogar die neue Abteilung G45 errichtet werden musste, die für Bau, Erhaltung und Verwaltung der Baracken und Arbeiterlager zuständig war. Der Anteil von ausländischen Arbeits-kräften stieg Ende 1944 auf 75 % des Arbeiterstandes.231 1945 hatte die Gemeinde 26 Arbeitslager in jeglicher Hinsicht zu betreuen. Die Arbeitskräfte wurden für alle Arten von Arbeiten eingesetzt.

Grundsätzlich galt es, auch auf diesem Gebiet „besondere Wachsamkeit zur Wahrung der Interessen der Stadt“ an den Tag zu legen, vor allem gegenüber Wehr-machtsanforderungen, die nach allem und jedem Zugriff verlangten. Oft genug wur-den auf Gemeindegrund eigenmächtig Baracken für Arbeiter und Kriegsgefangene errichtet, für die ein Rüstungsbetrieb selbstverständlich die nachträgliche Geneh-migung erwartete, und die Anforderung etwa des Reichsarbeitsdienstes von 10 ha Gemeindegrund für Arbeiterbaracken an der Favoritenstraße konnte man auch nicht ablehnen. Beschlagnahmungen von Flächen sowohl von der Gemeinde als auch von Privaten für die so genannten „1.000-Mann-Lager“ der kriegswichtigen Betriebe in verschiedenen Teilen des Reichsgaues waren an der Tagesordnung. Die Beschränkung

„auf Kriegsdauer“, die man den diversen Genehmigungen beifügte, sollte einem end-gültigen Verlust vorbeugen.232

Die immer noch wachsende Wohnungsnot führte schließlich zur Freimachung von Wohnungen durch Übersiedlung von Parteieinrichtungen und Abteilungen auch des Rathauses in Bürobaracken etwa auf dem Friedrich Schmidt-Platz hinter dem Rathaus oder auf dem Frankhplatz vor der Nationalbank, für letztere – mit immerhin 360 Zim-mern − zeichnete Karl Ehn die Pläne.233 Kurz war sogar an den Import von Holzhäu-sern aus Norwegen gedacht worden, doch fand man sie „höchst primitiv“, die Nor-weger könnten offenbar nichts anderes liefern.234 Finnische Produkte hingegen fanden Verwendung für Werksarbeiter in Schwechat und Guntramsdorf. Es waren vor allem Kindergärten und Tagesheimstätten der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, die als

230 Nerdinger, Bauen im NS (1993), S. 215.

231 Verwaltungsbericht 1940 – 1945, S. 269.

232 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 58, R/IV/8 – 292/41, 7.7.1941.

233 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 139, G 182/42.

234 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 58, R/IV/8 – 176/41.

Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft Baracken auf öffentlichen Erholungsstätten, also in Parks oder in Baulücken, aus dem Boden wuchsen, jeweils etwa 20 × 8 m mit einem zwei- bis dreimal größeren Freiraum.235

Selbstverständlich waren auch die Baracken normiert, durften, um ja nicht zur Dauereinrichtung zu werden, keine Kanalisierung aufweisen und hatten zur Ver-sorgung jeweils eigene Gemeinschaftsräume, deren Qualität je nach „Bewohnern“

verschiedene Komfortgrade und je nach Verwendungszweck genauest geregelte Baustoffqualität aufwies. Es verstand sich von selbst, dass Kriegsgefangene und KZ-Insassen nur minimalst versorgt wurden, „überspitzte Forderungen bei der Unterbrin-gung ausländischer Arbeitskräfte“ seien nicht zulässig, denn „zu einer Zeit, in der der Frontsoldat den Unbilden des russischen Winters ausgesetzt ist, kann es nicht verant-wortet werden, in der Heimat friedensmäßige Unterkünfte zu erstellen.“236 Im Übrigen behielten sich Wehrmacht und SS die Aufsicht über diese Barackenlager ausdrücklich und mit Entschiedenheit vor237 – offenbar hatte die Stadt wegen verschiedener Unzu-kömmlichkeiten Beschwerde erhoben. Die Stadt jedenfalls beeilte sich zu betonen, dass man die sanitären und die Verpflegungsvorschriften stets eingehalten habe. Im Übri-gen entwickelte man in Wien eiÜbri-gene Behelfsbauweisen und eiÜbri-gene Barackentypen mit ausgefachter Holzriegelwand für Bombengeschädigte, was sogar von Speer genehmigt wurde.238 Ein detailliertes Verzeichnis vom 26. Oktober 1945 nennt 285 Adressen von Baracken für Wohnzwecke im Gebietsbereich der Grenzen von 1938, die Zahl der von der Roten Armee besetzten Baracken könne man nicht angeben.239 Zum russischen Sektor hatte man offenbar keinen Zutritt.

n Luftschutzmaßnahmen

Wenn auch lange Zeit der Glaube herrschte, Wien werde nicht bombardiert werden, so musste die Stadtverwaltung doch Vorsorge treffen; sie behielt Recht. Die stadteigene Prüfanstalt für Baustoffe hatte 1941 wegen der zahlreichen kriegs- und wehrpolitischen Arbeiten ihre höchste Auslastung seit ihrer Gründung 1878.240 Auch die Untersuchun-gen für Baustoffe – etwa die Herstellung frostsicheren Betons zum Luftschutz- bzw.

Bunkerbau, die Herstellung von Fertigteilen oder die Prüfung von Ersatzbaustoffen für Massivbauten − fielen in ihr Ressort. Denn das, was nun an „nationalsozialistischem Bauschaffen“ vor sich ging, gestaltete tatsächlich die Stadt neu. Riesige Aufgrabungen vor dem Belvedere, dem Rathaus, dem Franz-Josefs-Bahnhof bereiteten die unterirdi-schen Bunker vor, Stollen wurden angelegt, die Keller vieler Wohnhäuser miteinander verbunden. 32 Bunker waren genehmigt worden als Rettungsräume für die Bevölke-rung. Die Ratsherrenversammlung stand nicht an, sich über die Schutz Suchenden zu mokieren, die sich als „Bunkerwanzen“ gleich gar nicht erst zum Verlassen der Schutz-räume anschickten, sondern sich für alle Fälle dort quasi ständig etablierten, statt sich

235 Die NSV beantragte z. B. 40 solcher Baracken. WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Planungsamt, Sch. 60, G 15/ – 413/43, 29.3.1943.

236 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 139, G 140/42.

237 WStLA, A1, MD-BD, HA Bauwesen, Sch. 126.

238 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 143, G 1968/42.

239 WStLA, A1, MD-BD, MA 218, Sch. 61, IV/4 -358/45.

240 Verwaltungsbericht 1940 – 45, S. 275.

an Aufräumungsarbeiten zu beteiligen.241 Noch massiver waren die Aufgrabungen für Löschwasserteiche.242 (Abb. 14) Wien wurde geradezu zur „Seenlandschaft“ umgestal-tet. Riesige Wasserflächen dehnten sich auf allen freien Plätzen aus, vom Rathaus bis zum Stephansdom, vom Justizpalast bis zum Heldenplatz. Wo immer es möglich war, auch in den Randsiedlungen, mussten Splittergräben angelegt werden, sie pflügten sich durch Parks und Gärten ebenso wie durch Plätze und entlang von Straßen.243 Dazu hatte sich die Stadtverwaltung mit unzähligen Grundstückstransaktionen und Pacht-verträgen herumzuschlagen. Ganz Wien war eine riesige Baustelle. Der Volksmund brachte die Sachlage in Kurzform: „Der Lueger hat aus Gstätten Parks gemacht und der Blaschke (Bürgermeister) aus Parks Gstätten.“244 (Abb. 15)

Und die erwarteten Luftangriffe kamen: Das erste Bombardement der Stadt erfolgte am 12.  April 1944. An 53 Tagen erfolgten Luftangriffe, die schwersten am 20. September 1944, am 7. Februar und am 12. März 1945. Die Zerstörungen akku-mulierten sich gerade in den inneren Bezirken. Das Löschwasserreservoir vor dem Ste-phansdom hatte den Bau nicht retten können, denn die Feuerwehr war von den Nazis völlig desorganisiert worden. Am 6. und 7. April 1944 hatte man sämtliche Löschgeräte nach dem Westen abtransportiert, nur 18 von 3.760 Mann und drei von 420 Löschwa-gen waren hier geblieben. Dieser Mangel verursachte besonders große Schäden auch in

241 WStLA, B1, Stenographische Berichte, 26. öffentliche Sitzung der Ratsherren am 9.2.1945.

242 Nähere Angaben zu zahlreichen Anlagen s. WStLA, Stadtbaudirektion A1, Sch. 148 und 149.

243 Dazu gibt es umfangreiches Fotomaterial in der Fotosammlung des WStLA.

244 WStLA, B1, Stenographische Berichte, Sch. 2, 20. öffentliche Ratsherrensitzung am 6.9.1944, Bl.28a.; Hanns Blaschke war seit 30.12.1943 Bürgermeister.

Abb. 14: Löschteich vor dem Rathaus.

Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft

anderen Fällen.245 Den Luftangriffen fielen in der Stadt 8.700 Menschen zum Opfer, 86.000 Wohnungen wurden zerstört.246

n Behelfsheime

Ab 15. März 1943 gab es statt des regulären Wohnungsbaus nur mehr den kriegsmäßi-gen Behelfswohnungsbau ausnahmslos für Bombengeschädigte. Die örtliche Planung lag bei den Gemeinden, die Durchführung bei diversen Hilfsorganisationen oder auch den Bauwerbern selbst. Selbstverständlich waren Typen und Durchführung genormt, die Unterkünfte durften ausdrücklich nicht auf Dauer geplant sein und sollten nach dem Krieg „in großem Tempo“ verschwinden.247 Auch das Stadtbauamt hatte sich dieser Aufgabe zu stellen und musste sich mit der Baulandbeschaffung herumschla-gen, was gar nicht so einfach war, denn fast jedes brach liegende Grundstück war von der Grabeland-Aktion, eine von der Gemeinde organisierten Gemüse-Pflanzaktion zur Entspannung auf dem Ernährungssektor, mit Beschlag belegt worden, und Ackerflä-chen konnten nicht so einfach dem Reichsnährstand entzogen werden.248 Das Wiener Stadtbauamt lehnte sowohl die Neufertsche zweigeschoßige „Kriegseinheitstype“ als auch die Einheitstype des Deutschen Wohnungshilfswerk ab und baute stattdessen die von Franz Schuster entwickelte „Wiener Type“, die auch eine spätere

Zusammenle-245 Verwaltungsbericht 1940 – 45, S. 2.

246 Verwaltungsbericht 1940 – 45, S. 2.

247 Harlander/Fehl, Sozialer Wohnungsbau (1986), S. 262f.

248 WStLA, B1, Stenographische Berichte, Sch. 2, 21. nicht öffentliche Ratsherrensitzung, 6.10.1944, Bl. 83ff.

Abb. 15: Splitterschutzgräben in Leopoldau, November 1943.

gung und Verwendung ermöglichte.249 Wie viele solche Ersatzwohnungen tatsächlich errichtet wurden, ist nicht zu eruieren. Einige tausend werden es wohl gewesen sein.

Allein durch Verbauung der Terrassen der Siedlung Rosenhügel gewann man 400 sol-cher Notunterkünfte. Eine Zusammenstellung über die Wohnraumgewinnung in den einzelnen Gauen nennt für Wien 1.338 fertige und 685 in Bau befindliche Behelfsheime, damit stand Wien an 42. Stelle von 43 Gauen.250 So unzureichend diese Behausungen auch gewesen sein mögen, die Zerstörungen verlangten neben Reparaturen und Wie-derherstellungsarbeiten nach Bombenschäden auch nach Kriegsende eine Fortführung der Behelfsheimaktion. Die Zusammenstellung der Rathauskorrespondenz meldete für Ende 1945:

„Von 733 projektierten Behelfsheimen konnten die Arbeiten an 139 Wohnungen nahezu beendet werden, während 396 dieser Wohnungen am Jahresende noch in Bau waren. 198 Behelfsheime konnten wegen Mangel an Baustoffen vorläufig nicht weitergeführt werden.“251

Resümee

Insgesamt wurden in den sieben Jahren der Herrschaft des nationalsozialistischen Regimes 3.068 Wohnungen neu gebaut und fertiggestellt. Das im Dezember 1939 von den Planungsspezialisten Georg Laub und Johann Itzinger projektierte nationalsozia-listische Wohnbauprogramm hatte Wohnungen für 60.000 bis 100.000 Menschen versprochen, das Dustmannsche Szenario 1940 sprach von Behausungen für mehr als 300.000 Menschen.

Man kann also sagen, dass von den großsprecherisch angekündigten Bauprogram-men so gut wie nichts verwirklicht worden ist. Von Großprojekten wie den Traban-tenstädten Wien-Nord und Wien-Süd blieben eigentlich nur die marginalen Anlagen Wienerfeld West und Ost übrig; die „neuen“ Siedlungen wie Dankopfer- und Kriegsop-fersiedlung stellten nichts anderes als eine Fortsetzung der bekannten Stadtrandsied-lungskonzepte dar, und die Einfamilien- und Reihenhäuser auf der Lockerwiese und beim Freihof setzten vorgegebene Konzepte um, ohne eine eigenständige „nationalso-zialistische“ Grundkonzeption erkennen zu lassen. Auch eine radikale Neugestaltung Wiens musste unterbleiben, nicht nur, weil der „Führer“ hiezu keine Zustimmung gab,

sondern weil die Zeitumstände keinerlei Umsetzung erlaubten. Damit blieb Wien vor umfassenden Neugestaltungs-Zerstörungen bewahrt, nicht aber vor den schweren Kriegsschäden, die das System mitgeliefert hatte.

Soweit Vorarbeiten des Stadtbauamtes auf dem Wohnbausektor bis zur Baureife gediehen waren, wurden sie nahezu unverändert bald nach dem Krieg in die Tat umge-setzt. Die phantastischen Großraumpläne hingegen verschwanden bis auf wenige Reste sogar aus den Archiven. Die technischen Vorleistungen, die die Beamten für

249 WStLA, A1, MD-BD, Sch. 147, G 1774/44.

250 ÖStA, AdR, RStH, Hauptbüro, Kt. 48a/Mappe 252.

251 Wien im Rückblick – 1.2.1946, http://www.wien.gv.at/ma53/45jahre/1946/0246.htm (25.10.2009).

Der Wohn- und Siedlungsbau während der nationalsozialistischen Herrschaft Verkehrslösungen jeder Art, aber auch für Vermessung und Kartographie, für Boden-untersuchungen und Stadtregulierung und Großraumplanung erbracht hatten, konn-ten für spätere Stadtprojekte genutzt werden. Sie entsprachen den damals neueskonn-ten technischen und wissenschaftlichen Standards, und hier konnten die Beamten in qualifiziertem Austausch bei ständigen Tagungen und Kongressen von der deutschen Kollegenschaft profitieren. Das Potential der Fachleute allerdings musste zuerst den parteipolitischen Kontrollapparat überstanden haben.

Natürlich ist auch die Frage zu stellen, wie weit die Beamtenschaft der Gemeinde Wien, im Besonderen das Stadtbauamt, die nationalsozialistische Herrschaft gefördert, gestützt, an der Macht gehalten hat. Immerhin hatte das System vom ersten Tag an seine Menschenverachtung und seine Kriegsbereitschaft auch in Österreich offen an den Tag gelegt und konnte dennoch sieben Jahre „funktionieren“. Sicher hatte der anti-demokratische Ständestaat das „Führerprinzip“ vorbereitet und gutgeheißen. Dass die meisten Spitzenpositionen mit eingeschworenen Parteiideologen besetzt worden waren, trug das Seine zur Atmosphäre von Repression und Angst bei.

In der Praxis allerdings war das „Führerprinzip“ mit der Wiener Beamtenmenta-lität nicht ganz kompatibel. „Führerprinzip heißt, daß wohl nur einer führen kann, es verlangt aber keinesfalls, daß auch nur einer denken soll“252, erklärte eilfertig Bürger-meister Hanns Blaschke den Ratsherren noch im Herbst 1944! Die „Stadträte“ hat-ten nämlich erklärt, sie wollhat-ten nicht länger nur zur Absegnung bereits feststehender Beschlüsse missbraucht oder ohne Begründung kritisiert und korrigiert werden. Den-noch kann der mehr oder weniger merkbare passive Widerstand gegen das Diktat von oben, gegen die Reichsdeutschen, gegen die Bürokratie, gegen den Verlust der Selbst-ständigkeit nicht gleichgesetzt werden mit Widerstand gegen das System. Die Beamten des Stadtbauamtes waren zum Großteil Pragmatiker. Sie verfügten über einen Erfah-rungsschatz, den die vom „Altreich“ vorgesetzten Referenten und Planer nicht vorwei-sen konnten. Sie hatten Sachkompetenz in Kenntnis der Lage, sie hatten zum Teil seit Jahrzehnten am sozialen Wohnbau mitgearbeitet, sie waren Männer der Praxis, die auch durchaus Aussagen zur Qualität des Bauens treffen konnten. Der große Teil der im technischen Bereich tätigen Beamten – nicht die von der Partei abkommandier-ten Vorgesetzabkommandier-ten – war auch relativ resisabkommandier-tent gegen den nationalsozialistischen Phra-senschatz. Sie argumentierten mit Kostengründen und praxisrelevanten Gegebenhei-ten und flüchteGegebenhei-ten in ihre SachkompeGegebenhei-tenz. Das macht auch erklärlich, warum etliche Beamte mehrere Systemwechsel überstanden haben. Allerdings hat auch keiner der Beamten ein Wort des Widerspruchs gewagt – zornige Wortmeldungen bei den

In der Praxis allerdings war das „Führerprinzip“ mit der Wiener Beamtenmenta-lität nicht ganz kompatibel. „Führerprinzip heißt, daß wohl nur einer führen kann, es verlangt aber keinesfalls, daß auch nur einer denken soll“252, erklärte eilfertig Bürger-meister Hanns Blaschke den Ratsherren noch im Herbst 1944! Die „Stadträte“ hat-ten nämlich erklärt, sie wollhat-ten nicht länger nur zur Absegnung bereits feststehender Beschlüsse missbraucht oder ohne Begründung kritisiert und korrigiert werden. Den-noch kann der mehr oder weniger merkbare passive Widerstand gegen das Diktat von oben, gegen die Reichsdeutschen, gegen die Bürokratie, gegen den Verlust der Selbst-ständigkeit nicht gleichgesetzt werden mit Widerstand gegen das System. Die Beamten des Stadtbauamtes waren zum Großteil Pragmatiker. Sie verfügten über einen Erfah-rungsschatz, den die vom „Altreich“ vorgesetzten Referenten und Planer nicht vorwei-sen konnten. Sie hatten Sachkompetenz in Kenntnis der Lage, sie hatten zum Teil seit Jahrzehnten am sozialen Wohnbau mitgearbeitet, sie waren Männer der Praxis, die auch durchaus Aussagen zur Qualität des Bauens treffen konnten. Der große Teil der im technischen Bereich tätigen Beamten – nicht die von der Partei abkommandier-ten Vorgesetzabkommandier-ten – war auch relativ resisabkommandier-tent gegen den nationalsozialistischen Phra-senschatz. Sie argumentierten mit Kostengründen und praxisrelevanten Gegebenhei-ten und flüchteGegebenhei-ten in ihre SachkompeGegebenhei-tenz. Das macht auch erklärlich, warum etliche Beamte mehrere Systemwechsel überstanden haben. Allerdings hat auch keiner der Beamten ein Wort des Widerspruchs gewagt – zornige Wortmeldungen bei den

Im Dokument NS-Siedlungen in Wien (Seite 143-153)