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Stadtrandsiedlungen

Im Dokument NS-Siedlungen in Wien (Seite 44-50)

I. Wohnbaupolitik der Zwischenkriegszeit in Wien

2. Wohnbau im austrofaschistischen Ständestaat 1934 – 1938

2.1. Stadtrandsiedlungen

Die politische Radikalisierung und der in ganz Österreich zunehmend auf die Straße verlagerte Machtkampf, heftig geschürt von nationalsozialistischen Agitatoren, machte die Gemeindepolitik auf dem sozialpolitischen Sektor nicht einfacher. Die finanzielle Aushungerung des Roten Wien hatte die Wohnbaupolitik zum Stocken gebracht, die steigende Arbeitslosigkeit bei nach wie vor gravierendem Wohnungsmangel veranlasste die Gemeindevertreter auf ein älteres, jetzt aber von der konservativen Bundesregie-rung verstärkt ins Spiel gebrachtes Konzept zurückgreifen, das der „Innenkolonisation“

durch Nebenerwerbs- bzw. Stadtrandsiedlungen.

Im Konzept der Randsiedlung trafen sich verschiedene Ideen schon aus dem 19. Jahrhundert. „Agrarromantik“ und „Großstadtfeindschaft“ als Grundorientierung war allen konservativen Siedlungskonzepten seit Wilhelm Heinrich Riehl gemein-sam. In Ermangelung imperialistischer Kolonisierungsmöglichkeit setzten sich diese Siedlungsbefürworter vermehrt für die Reagrarisierung der Arbeiterschaft ein, womit sie ihren Proletarisierungsängsten beizukommen gedachten. Die „atavistischen Uto-pien“, die quasi eine Rückgängigmachung der Industrialisierung erträumten und eine Wiederbesiedelung von Bauernland durch Rückführung von Arbeitslosen aufs Land als Lösung vertraten, waren jedoch immer schon an verweigerter Umverteilung und Bodenreform gescheitert90

Vornehmlich war es das Argument der politischen Befriedung des Proletari-ats durch Besitz, das im konservativen Schrifttum immer wieder ins Treffen geführt wurde.

„Erst wenn er ein Eigentum besitzt, wird der Arbeiter wieder werden, was er immer vorher war und sein Ideal sein mußte: der Typ eines tüchtigen Menschen. […] An Stelle eines unzufriedenen Gesellschaftsfeindes wird aus ihm wieder ein des Wertes seiner Arbeit bewußter Staatsbürger.“91

Natürlich schrieben sich die Verfechter der Randsiedlungen das Prädikat „Gartenstadt“

auf ihre Fahnen. Die wichtigen Aspekte des genossenschaftlichen Eigentums, der kol-lektiven Verantwortung und der qualitativ verbesserten Lebenskonzepte ließen sie aber lieber außer Acht.

Ein solches „Sofortprogramm zur Arbeitsbeschaffung“ bei gleichzeitiger „mög-lichster Förderung des Siedlungswesens, vor allem von Randsiedlungen für Arbeitslose“

war ab 1931 Gegenstand von Diskussionen im Ministerrat.92 Zwar gab es anfangs in konservativen Kreisen die Auffassung, dass Arbeitslosenfürsorge billiger käme als das

90 Stiefel, Innenkolonisation (1983), S. 102ff.

91 Krammel, Michael, Die Siedlung in Österreich – Eine zeitgemäße Betrachtung zum Problem der Arbeitsbeschaffung, Wien 1934, S. 26, zit. nach Stiefel, Innenkolonisation, S. 118.

92 Hoffmann, Siedlungsideologie (1983), S. 27, Anm. 103.

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produktive Arbeitsbeschaffungsprogramm samt Aufschließungskosten, doch setzte sich dann die Ansicht durch, dass eine politische Radikalisierung der unzufriedenen Arbeiterschaft ein allzu großes Risiko darstelle und die „allgemeine Popularität des Siedlungsgedankens“ das „vermutlich aussichtsreichste Mittel gegen die sozialen Aus-wirkungen der Krise“ sei.93

In diese Kerbe schlug auch die Stellungnahme des Architekten Clemens Holzmeister:

„Der Siedlungsgedanke [macht] das Großstadtzigeunertum seßhaft, er wandelt den an aller Ordnung verzweifelnden Feind der Gemeinschaft zum Träger eines Staats- und Gemeinschaftsgedankens. Er macht aus einem Unterstützungsempfänger, der bisher der Allgemeinheit zur Last gefallen ist, den Mann, der aufbaut, sich in die Wirtschaft einfügt und als Staatsbürger seine Steuern zahlt. und so erhält der Staat sein Geld mit Zinsen zurück.“94

Die letzten Zweifler mussten schließlich klein beigeben: „Die traurigen Ereignisse des Jahres 1934, vor allem des Februar, bezeugen uns die Tatsache der weit vorgeschritte-nen Verproletarisierung des österreichischen Volkes.“95 Dass der nationalsozialistische Putschversuch im Juli 1934 eine weitaus realere Gefahr für ihr System darstellte als das Heer von Arbeitslosen, begriffen die Spitzenpolitiker nicht.

Die österreichischen Überlegungen für eine „Hilfe zur Selbsthilfe“ unter der ersten Dollfuß-Regierung 1932 zu einem „systematischen Aufbau des Siedlungswerkes“ orien-tierten sich an der von der Regierung Brüning ab Ende 1931 mit großen finanziellen Mitteln durchgeführten „städtischen Randsiedlungsaktion“ der Weimarer Republik, die als reine Erwerbslosensiedlung mit Parzellen von 600 – 800 m2 und Weiterzahlung der Arbeitslosenunterstützung geführt wurde und in kurzer Zeit 27.000 Siedlerstel-len und 80.000 Kleingärten erbrachte.96 Wieder einmal blickte man neidvoll über die Grenzen.

Zum Unterschied von bisher propagierten Siedlungsmodellen sollten allerdings in den so genannten Randsiedlungsaktionen durch bewussten Qualitätsverzicht bei gleich-zeitig strengster Reglementierung und höchster geforderter Eigenleistung zwei Fliegen auf einen Schlag getroffen werden: Wohnungsmangel und Arbeitslosigkeit, und das bei geringstmöglichen Kosten für die Gemeindekasse.

Schon vor der Dollfuß-Machtübernahme hatte unter dem Druck der sozialdemo-kratischen Arbeiterschaft und der Massenarbeitslosigkeit im Gefolge der Weltwirt-schaftskrise (Wien 1932: 162.500 Arbeitslose) auch der Wiener Gemeinderat am 15. Juli 1932 die erste von vier Randsiedlungsaktionen beschlossen.97

93 Hoffmann, Siedlungsideologie (1983), S. 35.

94 Holzmeister, Clemens, Innenkolonisation – eine Kulturaufgabe, in: Die Bau- und Werkkunst 8 (1932), Nr. 9, S. 241ff., zit. nach Förster, Bauen für eine bessere Welt? (1983), S. 70.

95 Peßl, Siedlung schafft Volkswohl, in: Volkswohl (1934), zit. nach Stiefel, Innenkolonisation (1983), S. 119.

96 Hoffmann, Siedlungsideologie (1983), S. 24ff.

97 Altfahrt, Leopoldau (1983), S. 78ff.; hier finden sich genaue Angaben zu Bedingungen und prak-tischer Durchführung der Randsiedlungsaktion.

Die sozialdemokratische Zustimmung zur Randsiedlung versuchte den konserva-tiven Reagrarisierungsphantasien von vornherein eine Absage zu erteilen: Den Sied-lern sollte die Möglichkeit der Rückkehr in den normalen Arbeitsprozess – und damit für die Wiener Sozialdemokraten wohl auch die politische Anhängerschaft – erhalten bleiben. Der obligatorische Zusammenschluss zu einer Erwerbs- und Wirtschaftsge-nossenschaft mit Produktion und Verwertung ließ zwar an Siedlergemeinschaftsleben denken, doch der vorgeschriebene Nebenerwerb durch landwirtschaftliche Nutzung der sehr großen Parzellen (2500 m2, in späteren Aktionen laufend reduziert bis 1200 m2) eröffnete tatsächlich der Industrie die Möglichkeit, je nach Bedarf Kurzarbeit bei gleichzeitigem Lohndumping anzubieten.

„Es ist der eigentliche Zweck der Stadtrandsiedlung, den Übergang zu weitgehender industrieller Kurzarbeit für die betroffenen Arbeiter erträglich zu machen und ihnen einen angemessenen Ersatz für den Ausfall an Arbeit und Verdienst in ihrem Haupt-beruf zu bieten“98

Die halboffizielle Broschüre „Der Siedler“, herausgegeben vom Verband österreichi-scher Baustoffhändler mit Unterstützung des Handelsministeriums, erklärt jedenfalls im Vorwort, dass „die Stadtrandsiedlung einmütig als wirksames Abhilfemittel gegen die gewerbliche Arbeitslosigkeit und die städtische Überbevölkerung sowie als unent-behrliches Instrument für die Stabilisierung vieler zehntausender Existenzen angese-hen wird.“99 Kritische Stimmen verwiesen auf die Folgen: Nicht nur würden weitere Lohnkürzungen – Selbstversorgung macht’s ja möglich − die Wirtschaftskrise und die Verelendung verstärken, sondern die Stadtrandsiedler auch zu Konkurrenten der ohne-hin geschwächten österreichischen Landwirtschaft machen. Neue Freude an der Arbeit bringe nicht die Rückkehr zu primitiven Wirtschaftsformen, sondern nur die Abkehr vom Taylorismus und das Fortschreiten zu neuen Produktionsmethoden.100

Das Einschwenken der Gemeinde auf das Randsiedlungsprogramm galt vielen Konservativen auch als Niederlage der sozialdemokratischen Partei, hatte doch deren Wohnbaupolitik „die ausdrückliche Aufgabe, die Masse der Arbeiter und Angestellten von Grund und Boden zu trennen und sie dauernd davon fern zu halten.“101 Jetzt hat-ten die Konservativen Recht behalhat-ten. Der Ansturm auf die Siedlerstellen war enorm.

Für die 80 Stellen von Leopoldau I meldeten sich 1600 Anwärter, im Mai 1933 wurden noch 345 weitere Siedlerstellen (Leopoldau II) errichtet.

Nach den Ereignissen des Februar 1934 wurde die sozialdemokratische Gemein-deverwaltung Wiens aufgelöst, die Gemeinderäte entlassen und Bürgermeister Seitz durch den kommissarischen Bundeskommissär Richard Schmitz ersetzt. Von da an

98 Richter, Hans, Die Bedeutung und Notwendigkeit der Stadtrandsiedlung, in: Die Bau- und Werk-kunst 8 (1932), Nr. 9, 255, zit. nach Förster, Bauen für eine bessere Welt (1983), S. 69.

99 Der Siedler (1934), S. 3.

100 Ginsburger, Roger, Warum und wozu Selbstversorgersiedlungen?, in: Die Form 1932, Nr. 6 (Neu-auflage Gütersloh 1969), S. 197ff., zit. nach Förster, Bauen für eine bessere Welt (1983), S. 71.

101 Pessl, Siedlung schafft Brot und Frieden, in: Volkswohl (1934), zit. nach Stiefel, Innenkolonisation (1983), S. 110.

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gab es auch für Wien Bundesmittel, mit denen weitere Stadtrandsiedlungen finan-ziert wurden: Die Regierung Dollfuß betrieb das Programm österreichweit – nun auch mit Mitteln des zentralstaatlichen Bundes-, Wohn- und Siedlungsfonds102. In der Zeit des Austrofaschismus erfolgte in Wien 1935 die Erweiterung des Siedlungsgebietes über die Nordbahn hinaus durch die so genannte Nordrandsiedlung (letztlich 423 statt der genehmigten 523 Stellen). Weitere Randsiedlungen waren Breitenlee (1935), Aspern (1935), Hirschstetten (1936). Insgesamt wurden zwischen 1932 und 1937 ca. 1.150 Siedler-stellen in Wien errichtet. Die Randsiedlungsaktionen I und II erbrachten mit 5.000 Stellen in ganz Österreich maximal ein Viertel der vorgegebenen Zielsetzung der Ver-sorgung von 100.000 Arbeitslosen.103 Der Ausfall des staatlichen bzw. kommunalen Krisenmanagements löste eine neue Welle des ungeplanten Siedelns und Bauens vor allem im östlichen Gebiet jenseits der Donau, im „Dorado der Behelfssiedlung“, aus.104

Das, was jetzt als Siedlungsprogramm galt, hatte mit den engagierten Programmen der Gemeindesiedlungen und ihrer immer noch rudimentär vorhandenen antikapitalis-tischen Grundausrichtung wenig zu tun, es war ein von oben diktiertes Notprogramm, ein rein administrativ entwickeltes Projekt. Von Eigeninitiative oder Mitbestimmung war nicht die Rede. „Richtlinien für Randsiedlungen“105 regelten, zum Teil wörtlich an das deutsche Vorbild angelehnt106, bis ins Detail hinein Größe, Bebauung, Bewirt-schaftung, Siedlerauswahl, Eigenleistung, Finanzierung der Siedlerstellen. Die Klien-tel waren „ausgesteuerte“ Arbeiter107, einfache Handwerker, Erwerbslose der untersten Schicht, die sich − ursprünglich Sozialdemokraten – von ihren Vertretern im Stich gelassen fühlten und nun ihre diffusen Sehnsüchte nach ökonomischer Sicherheit und dauerhafter Grundversorgung als Kleinhäusler – anderes waren sie nach dem Konzept nicht – in trügerischer Sicherheit wiegten.

Die Planung und treuhänderische Durchführung der Aktionen oblag nach wie vor der GESIBA, die man in Wiener Siedlungs-Gesellschaft (Wisige) umbenannt hatte108, den Siedlergrund stellte die Gemeinde als Baurechtsgrund zur Verfügung. Zwar lagen preisgekrönte interessante Bebauungspläne und „Dorfanlagen“ für Nebenerwerbssied-lungen vor, von der Kreissiedlung mit freistehenden Doppelhäusern bis zum „Crescent“

mit Reihenhäusern109; warum man dennoch für die Anlagen jenseits der Donau die monotone Streifenaufteilung von 25 m × 100 m mit Doppelhäusern an den Grund-grenzen wählte, wird mit Einsparungsgründen und Rationalisierung der Bearbeitung durch Flurzusammenlegung wenig überzeugend begründet. Eher scheint es, dass die

102 Österreich hilft seinen Arbeitslosen (1935) – offizielle Broschüre der Bundesregierung.

103 Förster, Bauen für eine bessere Welt (1983), S. 74.

104 Harlander, Notwohnen (1997), S. 68.

105 Kundgemacht am 22.10.1932, zit. nach Hoffmann, Siedlungsideologie (1983), S. 33, Anm. 138.

106 Harlander, Notwohnen (1997), S. 65, Anm. 15.

107 Als „ausgesteuert“ galten jene Arbeiter, die alle staatlichen Hilfeleistungen ausgeschöpft und keine weiteren Ansprüche mehr hatten.

108 Sofort nach dem „Anschluss“ nahm die Genossenschaft wieder ihren ursprünglichen Namen an, offenbar in der Hoffnung, wieder an alte bessere Zeiten anschließen zu können (WStLA, A1, MD-BD, Sch. 110, 0/38).

109 Aus dem preisgekrönten Wettbewerbsbeitrag von D. Doppelreiter werden 12 Dorfentwürfe in der Broschüre „Der Siedler“ vorgestellt (Der Siedler(1934), S. 23 – 37).

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Ausbildung eines Siedlungskerns, eines Zentrums oder auch nur eines Platzes von vornherein ausgeschlossen sein sollte. Hier orientierte man sich offensichtlich sklavisch an deutschen Vorgaben. Einige Areale wurden zwar für spätere Verbauung durch Inf-rastruktur ausgespart, im Katasterplan findet sich jedoch nur im Areal A ein Gebäude, wahrscheinlich das „stilvolle Gemeinschaftshaus von Max Fellerer“ (1935), das Helmut Weihsmann erwähnt.110 Mit Hilfe eines Darlehens der Gemeinde hatten es die Siedler

selbst zu errichten.111

Ein Wettbewerb für das typisierte Kleinsiedlerhaus, und zwar ein „Doppelhäuschen mit Kleintierstall“, sollte die maximale Kostenminimierung eruieren. Dafür griffen die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs und der österreichische Werkbund in ihrem Wettbewerb auf die Idee des Kernhauses der 1920er-Jahre zurück.112 Rigide Vorgaben führten zu mehr oder weniger überzeugenden Ergebnissen. Die in zwei Stu-fen ausbaubaren, nicht unterkellerten Häuser mit Wirtschaftsraum und Kleintierstall sollten durch ihre Kuppelung eine Größe suggerieren, die es nicht gab: Die vorgese-hene Wohnfläche der ersten Ausbaustufe waren 26 m2. Billigstes Material, einfachste Konstruktion, geeignet für den Selbstbau ungelernter Arbeitskräfte, waren Grundbe-dingungen. Auf Gas-, Wasser- und Stromanschluss wurde von vornherein verzichtet.

Torfstreuklosetts, Schlagbrunnen und Senkgruben hatten jeglichen sanitären Bedarf zu decken. Die Kostenminimierung gelang, ein Randsiedlerhäuschen kostete nur ein Drittel der früheren GESIBA-Kleinhäuser.113 Obst- und Gemüsegarten waren fix vor-gesehen und hatten nach in Kursen vermittelter Anleitung von Anton Eipeldauer, dem Gärtner der Nation, betreut zu werden. Man erwartete nicht nur Deckung des Eigen-bedarfs, sondern auch Mehrertrag für den Verkauf als Zusatzerwerb. Eine straffe Orga-nisation garantierte die im Ausmaß von 2.000 Stunden geforderte Mitarbeit der Sied-ler und des Freiwilligen Arbeitsdienstes, zu dem sich Erwerbslose mit Anwartschaft auf ein späteres Siedlerhaus gegen Freifahrt, Taggeld und Mittagessen verpflichtet hatten.

Der Nebeneffekt für die Siedlerauswahl lag auf der Hand: Nicht für Bau- und Land-wirtschaft geeignete Bewerber konnte man gleich aussondern.114

Das hochgepriesene Modell zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit war realitätsferne Wunschvorstellung. Es gab weder Voll- noch Kurzarbeit. 1935 hatten nur 5,5 % der Sied-ler eine Beschäftigung.115 Die Erfolge blieben weit hinter den Erwartungen zurück, sowohl was Gartenbau als auch Kleintierzucht betraf. Selbstversorgung war erreicht, aber Verkaufserfolge blieben aus. Die schwere, für viele ganz ungewohnte Arbeit, die spartanische Ausstattung der Siedlungshäuser ohne die geringste Wärmeisolierung produzierte größte Probleme im Winter; die unbefestigten Straßen, die große

Entfer-110 Weihsmann, Rotes Wien (1985), S. 444.

111 Der Siedler (1934), S. 75.

112 „Der Siedler“ bringt neben den Siegerentwürfen auch deutsche Beispiele in Plan und Bild und ergänzt durch Fotos, Baupläne und Erläuterungen zur Randsiedlung Leopoldau.

113 Novy/Förster, einfach bauen (1991), S. 33.

114 So etwa waren 42 der 80 Siedler von Leopoldau I gelernte Bauarbeiter (Novy/Förster, einfach bauen (1991), S. 33).

115 Altfahrt, Leopoldau (1983), S. 2. Hier finden sich auch aufschlussreiche Angaben zur Lebenssi-tuation der Siedlung Nordrand, ebenso Interviews mit Siedlern und deren Nachkommen.

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nung zu Verkehrsmitteln, die fehlende Infrastruktur und die bitterste Armut ließen die Siedler auch sozial zu Außenseitern werden.(Abb. 7, 8) „Elendssiedlungen“ waren damit vorprogrammiert, und diese Aussichten trieben viele Bewohner, die am Enga-gement der Gemeinde – egal ob rot oder schwarz geführt – zweifelten, umso sicherer in die Arme der Nationalsozialisten. „Der Schritt vom ‚Volkswohnungspalast‘ und der stolzen Genossenschaftssiedlung zur Primitiv- oder Kurzarbeitersiedlung entsprach nicht nur dem Verfall eines wirtschaftlichen Systems, er manifestierte auch das Ende eines demokratischen Prinzips, des Anspruchs auf Menschenwürde und ein besseres Leben für die gesellschaftlich Benachteiligten.“116

116 Novy/Förster, einfach bauen (1991), S. 104.

Abb. 7: Nordrandsiedlung 1939.

Abb. 8: Randsiedlung Aspern – Straßenzustand, Mai 1940.

Die Machtübernahme durch die Nazis erfolgte in den Stadtrandsiedlungen prob-lemlos. Die an Kontrolle Gewöhnten erhielten schon am 15. März 1938 einen kommis-sarischen Beauftragten der NSDAP als Gruppenleiter. Die enorme Steigerung der Rüs-tungsindustrie gerade im Gebiet nördlich der Donau brachte nun auch vielen Siedlern Arbeit, sofern sie nicht einrücken mussten.117 Doch besonders heftige Bombardements während des Zweiten Weltkrieges führten zu Zerstörungen vieler Anlagen auch in den Siedlungen, ein hoher Preis für die kurze Aufschwungphase.

Die absolut unzureichenden Häuser auf riesigen Grundstücken veranlassten die Gemeinde Wien nach dem Krieg, die Siedler abzusiedeln und ab 1965 auf dem Areal die so genannte Großfeldsiedlung zu errichten. Die Nordrandsiedlung jenseits der Gleise der Nordbahn existiert noch, allerdings sind die Häuser manchmal bis zur Unkennt-lichkeit umgebaut. Unter heutigen Bedingungen sind die komfortabel großen Grund-stücke mit City-Nähe natürlich begehrt. Effizienten City-Verkehrs-Anschluss gibt es allerdings erst seit 2006 durch die Verlängerung der U-Bahn bis Leopoldau.

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