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Der Mythos Raumordnung

Im Dokument NS-Siedlungen in Wien (Seite 153-200)

IV. Ideologietransfer über Raumordnung, Stadt- und Siedlungsplanung

1.1. Der Mythos Raumordnung

„Der Raum und die Raumordnung hatten im Dritten Reich mythische Bedeutung.“1 Dieser Aussage Jan Tabors kann nur beigepflichtet werden. 1940 hieß es im ideolo-gischen Grundsatzartikel von BSW: „Der Nationalsozialismus gestaltet Mensch und Raum aus der Wucht und Größe seiner Weltanschauung.“2 Mit Hilfe der Raumpla-nung sollte ein „flächendeckendes Konzept entworfen werden, mit dessen Hilfe sich die soziale Organisation der Gesellschaft im Dritten Reich im Sinne der politisch-ideologisch begründeten Zielsetzungen des Regimes formieren ließ.“3 Es waren Adolf Hitlers persönliche „mythische“ Phantasien, die dogmatisch als Leitbilder zu verkün-den sich nur ein totalitärer Staat erlauben konnte: „Für was wir zu kämpfen haben, ist die Sicherung des Bestehens und der Vermehrung unserer Rasse und unseres Volkes, … auf daß unser Volk zur Erfüllung der ihm vom Schöpfer des Universums zugewiesenen Mission heranzureifen vermag.“4 Da die arische Herrenrasse Krieger- und Bauernvolk zugleich war, ergab sich „vor diesem Hintergrund nicht nur Hitlers außenpolitisches, sondern auch sein ‚siedlungspolitisches‘ Programm, das den militärischen Expansio-nismus zwingend voraussetzte.“5

1 Tabor, Wien, die Perle (2000), S. 358.

2 Steinhauser, Aufgabe der Partei (BSW 1940), S. 367.

3 Münk, Organisation des Raumes (1993), S. 44.

4 Hitler, Mein Kampf, zit. nach Münk, Organisation des Raumes (1993), S. 60.

5 Münk, Organisation des Raumes, S. 63.

Zum Zeitpunkt ihrer Gründung 1935 war die Reichsstelle für Raumplanung noch wirtschaftspraktischen Zielsetzungen, etwa des bald danach verkündeten Zweiten Vierjahresplans, unterworfen. Es ging um Ausweisung von Bebauungsflächen von Rüs-tungsbetrieben und Wehrmachtsbauten ebenso wie um Verkehrsflächen von Reichs-bahn, Reichsautobahn und diversen transnationalen Wasserstraßen. Daneben mussten die Gaue des Großdeutschen Reiches verwaltungstechnisch eingeteilt, kartographisch vermessen, bodentechnisch geprüft, auf Ansiedlungsgebiete untersucht und allen Arten von Flächenwidmungen unterworfen werden. Raum wurde real oder auf dem Papier markiert, eine baldige Bautätigkeit suggeriert – im Fall, auf den sich Jan Tabors Feststellung bezieht, wurden etwa Entwürfe für ein zentrales Denkmal eines Verteiler-kreises einer noch gar nicht existierenden Autobahn vorgestellt.

Waren bisher die realen Aufgaben der Behörde in den einzelnen Gauen klar defi-niert, durch diverse Erlässe und amtliche Rundschreiben ständig konkretisiert und aktualisiert worden, so griff doch mit dem zunächst erfolgreichen Kriegsverlauf eine sehr abstrakte und diffuse Ideologisierung um sich, der der Leiter der Planungsabtei-lung Karl Neupert im Stakkato der nationalsozialistischen straffen Diktion in einer für alle Zukunft geltenden abstrakten „Formel“ Ausdruck verlieh:

„R aumordnung erforscht den Raum und schafft durch die Raumplanung die Voraussetzung für die Erhaltung des Menschen im Raume.

Sied lungsgesta ltung stellt die Verbindung des Menschen mit dem Raume her und gestaltet sein Leben in der Gemeinschaft.

Das Endergebnis beider Tätigkeiten ist die organische Einheit von Volk und Raum.

Diese Einheit ist die erste Voraussetzung für die Erhaltung des Volkes und die Fort-entwicklung seiner Kultur.

Die R aumordnung stellt auf Grund der Raumbestandsaufnahme das Raumord-nungsbild auf.

Die Siedlungsgestaltung stellt das Siedlungsbild auf und gestaltet das bauliche End-bild der Gemeinde (Aufbauplan für Dorf, Marktflecken, Kreisstadt).

Die Durchführung beider Aufgaben (Raumordnung und Siedlungsgestaltung) erfolgt durch die Staatsverwaltung nach den übergeordneten Richtlinien beider.6 Die Aufgabenbereiche der Reichsstelle für Raumordnung nahmen im Verlauf des Krie-ges an Umfang ständig zu. Im Rahmen eines „kriegswichtigen Forschungsprogram-mes“ wurde der Reichsstelle für Raumordnung „als vordringliches Hauptthema“ der

„Osten“ gestellt mit folgenden Untersuchungsaufgaben:

6 Siedlungsgestaltung aus Volk, Raum und Landschaft (1940), 8. Planungsheft, S. 7.

Raumordnung, Stadt- und Siedlungsplanung im Dritten Reich 1. Herstellung eines Planungsatlasses

2. Möglichkeiten der Stärkung und Befestigung des deutschen Volkstums

3. Einheitlicher Wirtschafts- und Lebensorganismus in den oberschlesischen Industriegebieten

4. Ausbau der Weichsel als Schifffahrtsstraße zu den Ostseehäfen 5. Struktur und Gestaltung der zentralen Orte des Ostens 7

Der Mythos von der deutschen Ostkolonisation in grauer Vorzeit lieferte die Legitima-tion für die aggressive Eroberungspolitik. Denn „lange bevor die Stämme des ,Altreich‘

sich zu einem Staat zusammenfanden, riefen bereits fremde Länder nach deutschen Siedlern. Der damalige Überschuß an Volkskraft gestattete es, diesem Ruf zu folgen.

[…] Diese Deutschen beschenkten besonders die östlichen Gebiete Europas mit hohen Werken deutscher Kunst.“ Die Aufgabe der Gegenwart sei also der „Wiederaufbau im Osten“.8 Daher wurden die künftigen „Räume“ in imperialen Reichsvorstellungen pla-nerisch „aufgenommen“, bevölkerungsstrukturell analysiert und in Zukunftsszenarien einbezogen, unabhängig davon, ob sie zur Disposition standen oder nicht. Von nun an konzentrierten sich in zunehmendem Maße auch Kriegsinteresse und begleitende Architektur- und Siedlungsdiskussion auf Raumordnung und Städtebau in eroberten und noch zu erobernden Ostgebieten, getreu Hitlers Zielvorgabe:

„Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolo-nial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft.“9

Da mehrfach der Nachweis geführt wurde, dass ursprünglich der ganze Osten deutsch gewesen sei, jedenfalls alles, was als kulturell „wertvoll“ galt, bedeutete das eine „totale Erfassung des Landschaftsraumes“, eine Aufgabe, die nicht zu lösen sei „auf dem Wege problematischer Untersuchungen und im Ausgleich der verschiedensten einan-der wieinan-derstrebenden wirtschaftlichen und ästhetischen Auffassungen, soneinan-dern aus einan-der Verantwortung gegenüber Volk, Raum und Kultur allein aus der Tat.“10 Darüber, dass allein die Partei – im besonderen Heinrich Himmler und seine SS − für diese Aufgabe zuständig war, herrschte allgemeiner Konsens:

„Die Ausweitung des deutschen Lebensraumes nach Osten und das Ziel einer totalen völkischen Erschließung dieses Raumes erfordern eine Besiedelung nach politischen Grundsätzen, die sich auf die Bildung einer gesunden Bevölkerungsstruktur und den Aufbau der Landschaft nach raumpolitischen Erkenntnissen erstrecken. Das

7 Das kriegswichtige Forschungsprogramm der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, in:

RF&RO, Heft 10/1939, S. 502.

8 Böckler, Städtebau im Osten (BSW 1940), S. 331 – 334.

9 Hitler, Mein Kampf, zit. nach Münk, Organisation des Raumes (1993), S. 74.

10 Der Aufbau der deutschen Kulturarbeit im Osten (BSW 1940), S. 134.

erfordert totale Planung und Gestaltung der gesamten Aufsiedelung des deutschen Ostens.“11

Ab Kriegsbeginn traten die expansiv-imperialistischen Zielsetzungen der Raumord-nung auch in der Siedlungs- und WohRaumord-nungspolitik immer unverhüllter zutage:

„Die Befriedung der Raumnot im Osten ebenso wie die Lösung des größten sozialen Problems der Gemeinschaft – jedem Deutschen die ihm zustehende Wohnform – zur Sicherung und Erhaltung der deutschen Familie haben zur Voraussetzung die totale Planung und Gestaltung des Landschaftsraumes.“12

Schon ist sie wieder da, die „geniale Einfachheit“, die Idee der Gleichsetzung von Ein-zelnem und Gemeinschaft! Der „deutsche Mensch ohne Wohnung“ entspricht dem

„Volk ohne Raum“ − eine „logische“ Schlussfolgerung! Diesem Volk die „Ernährungs-basis“ zu sichern ist daher Gebot der Stunde. Die Phrase vom „Volk ohne Raum“ sug-gerierte dafür ein unerschöpfliches Landpotential, und sogar moralisch integre Leute wie der damals als Soldat einberufene Heinrich Böll erlagen in der Phantasie kurzzei-tig der trügerischen Vorstellung eines „kolonialen Daseins hier im Osten nach einem gewonnenen Krieg“13.

In diesem Segment suchte und fand auch die Ostmark ihre Berufung, mit leicht verschwenkter geographischer Orientierung: „Diese Ostmark [ist] nicht nur das Tor des Großdeutschen Reiches nach dem Südosten, sondern auch sein Bollwerk und sein Pfeiler, von dem aus sich die ganze Ostfront der Nation aufbaut und entrollt.“ Erste Aufgabe sei es, den ostmärkischen Raum möglichst frühzeitig den Plänen des „Alt-reichs“ anzuschließen. Ziel sei „die Gestaltung, Sicherung und Mehrung des gemein-samen, nunmehr um die Ostmark bereicherten reichsdeutschen Siedlungsgebietes zu einem dauernd tragfähigen, allen lebendigen Fortschrittskräften die erforderliche Ent-faltungsfreiheit gönnenden und sichernden großdeutschen Lebens- und Kulturraum.“14 1.2. Wandlungen in Städtebau und Siedlungsplanung

Reagrarisierung und Siedlerideologie

Großstadtkritik und die Forderung nach Auflockerung von dicht bebauten Hochhaus- und Elendsvierteln gab es seit dem 19. Jahrhundert, und ebenso lang wurden Gegen-maßnahmen diskutiert. Auch die Nationalsozialisten propagierten angesichts von Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit mit wechselnden Akzentuierungen Lösungsmög-lichkeiten und nahmen dazu alle Theoretiker der Vergangenheit und alle Leitbilder der Zukunft je nach Bedarf in Dienst.

11 Der Aufbau der deutschen Kulturarbeit im Osten (BSW 1940), S. 134.

12 Neupert, Totale Planung und Gestaltung (BSW 1940), S. 130.

13 Brief Heinrich Bölls an seine Eltern vom 31.12.1943, zit. nach Aly, Volksstaat (2005), S. 30.

14 Rafelsberger, Wirtschaftliche Eingliederung der Ostmark (1938), S. 481.

Raumordnung, Stadt- und Siedlungsplanung im Dritten Reich

In einer ersten Phase ab 1933 hatten noch die Reagrarisierer und Rassebiologen das Wort: Landflucht schwäche die „Blutkraft des Landes“, der Strom „wertvollen bäuer-lichen Blutes“ versiege in der alles aufsaugenden Stadt. „Verstädterung ist, biologisch betrachtet, so gefährlich, weil sie zugleich die Familien mit höherwertigen Erbanla-gen verzehrt und die Familien mit minderwertiErbanla-gen ErbanlaErbanla-gen sich vermehren läßt.“15 Eine Zeit lang, vor allem in der Stadtrandsiedlungsphase, dominierte diese agrarbiolo-gische Orientierung auch politisch. Walter Darré, Reichsminister für Landwirtschaft und Ernährung bis 1942, vertrat ein rigoros rasseorientiertes Bauernansiedlungspro-gramm16. Industrieverlagerung war wiederum für den „Rassebiologen“ Alfred Rosen-berg17 und den Stadtplaner Gottfried Feder18 Voraussetzung für die Errichtung eines flächendeckenden Netzes von Kleinstädten, beide boten das „gesamte Arsenal der The-sen zu Großstadtfeindschaft, Agrarromantik, Rassismus und Antikapitalismus“19 auf.

Dass die Ideen weiter virulent waren, beweist die Wahl eines Rosenberg-Zitats als Motto der Schlussbetrachtung des Planungsheftes „Die Siedlung“ 1939, verfasst von Georg Laub, dem Siedlungsplaner in Wien:

„Die Entproletarisierung unserer Nation … ist aber nur durch den bewußten Abbau unserer Weltstädte und Gründung neuer Zentren denkbar. … An Stelle von viel-leicht 100 großen volksverseuchenden Zentren, können einst 10.000 kulturfördernde bestehen, wenn willensstarke Köpfe über unser Schicksal bestimmen und nicht Mar-xismus und Liberalismus.“20

Der Kompromiss zwischen Siedlerideologie und Arbeiterunterkunft fand seine Realisie-rung in der Heimstättensiedlung. Der Traum vom eigenen Häuschen mit Garten sollte sich – in gewisser Komfortsteigerung zum Kleinsiedlerhaus der Stadtrandsiedlung, die als Schöpfung der „Systemzeit“ abgelehnt wurde – in öffentlich geförderten Anlagen erfüllen. Das Reichsheimstättenamt stellte dazu 1934 in seinen Richtlinien fest:

„Die Heimstättensiedlung ist die Wohn- und Werkform des deutschen Arbeiters, die es ihm ermöglicht, von dem heiligsten Recht auf ein Stück der Heimaterde einen solchen Gebrauch zu machen, daß der Familie daraus gesunde Kräfte für Leib und Seele erwachsen. Durch die Bewirtschaftung soll ihre Lebenshaltung wesentlich bessert und in Krisenzeiten drückendste Not von ihr ferngehalten werden. Sie ver-dient daher als bevölkerungspolitische wie als nationalwirtschaftliche Notwendig-keit bevorzugte Förderung vor jeder anderen Wohnform.“21

15 Günther, Hans Friedrich, Die Verstädterung. Ihre Gefahren für Volk und Staat, Berlin 1936, S. 25, zit. nach Münk, Organisation des Raumes (1993), S. 95.

16 Darré, Walter, Um Blut und Boden. Reden und Aufsätze, München 1940.

17 Rosenberg, Alfred, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1930 (zahlreiche Auflagen).

18 Feder, Gottfried, Die neue Stadt. Versuch einer Begründung einer neuen Stadtplanungskunst aus der sozialen Struktur einer Bevölkerung, Berlin 1939.

19 Münk, Organisation des Raumes (1993), S. 182.

20 Laub, Die Siedlung (1939), S. 9f.

21 Laub, Die Siedlung (1939), S. 9.

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Landschaftsgebundenes Bauen

„Landschaftsgebundenes Bauen“, „Städtebild und Landschaft“, „Landschaftliche Grund-lagen des deutschen Bauschaffens“, „Städtebau aus Volk, Raum und Landschaft“ sind die Titel gebenden Schlagzeilen ab 1935. Die romantisierende Idee einer Harmonie von Landschaft und Siedlungsgemeinschaft, von Bauern und Arbeitern, von Nährstand und Wehrstand, aus der die „Volksgemeinschaft“ erwachsen würde, suggerierte zugleich Zukunft und Frieden:

„Die Zukunft Deutschlands hängt davon ab, daß sie [Stadt und Land] sich heute wieder zusammenfinden und der Bauer und der Arbeiter in enger Kameradschaft und Nachbarschaft politisch und wirtschaftlich ein neues Reich aufbauen. Diese Einheit muß aber gerade durch die Siedlung zum Ausdruck kommen … Weil der

„Siedlung“ das Gemeinschaftliche fehlte, gab es keinen Ortseingang, keinen Stra-ßenraum und keinen Platz und somit auch keine räumliche Führung und Steige-rung vom Ortsrand zur Ortsmitte, als dem Sammelplatz der Gemeinschaft und, weil dem einzelnen die Bindung an den Boden und an den Betrieb fehlte, gab es keinen bodenständigen Hausrat.“22 […]

„Die Siedlung als Ganzes muß sich dem Charakter der Landschaft harmonisch ein-ordnen und darf ihre Eigenart und Schönheit nicht beeinträchtigen. … Nicht Gleich-heit der Stellen und endlose Aneinanderreihung, sondern Mannigfaltigkeit bestimmt das Wesen einer organischen Siedlung und eines guten Bebauungsplanes.“23

Der „Raum“-Begriff galt für „Landschaft“ und „Siedlung“ gleichermaßen, und ein wahres Bombardement an „schöpferischen Raumgestaltungen“ brach über Städte, Dörfer und Gemeinden via Planungsheften und Bauzeitschriften mit unzähligen Lehrbeispielen und didaktischen Gegenüberstellungen von Plus und Minus im Sied-lungsbau herein, bevor ab Mai 1940 wirkliche Bombardements durch die Alliierten im

„Altreich“ die Probleme des Städtebaus gespenstisch zur Realität machten.

Das neue Siedlungsleitbild hieß nun Gemeinschaftssiedlung. Aufrüstung hatte Arbeitskräfte- und Materialmangel zu Folge gehabt – Reagrarisierung und Sied-lungstätigkeit waren hier kontraproduktiv. Gefragt war daher die Industrieansied-lung an Stadträndern mit Werkswohnungsbau ohne subsistenzwirtschaftliche Zuga-ben. Dass neue Industrieanlagen gern über das Land verteilt wurden, passte ganz gut zum Schlagwort der Entstädterung, hatte aber zugleich den Vorteil, Standorte nach geringster Luftkriegsgefährdung wählen zu können.24 Um diese Betriebe entwickelten sich entsprechend Kleinsiedlungen, ja sogar regelrechte Kleinstädte wie z. B. Salzgitter oder Wolfsburg. Die Gemeinschaftssiedlung mit gemischter Bevölkerung in gemischter Bebauung wurde landesweit in so genannten Lehr- oder Mustersiedlungen vorgestellt,

22 Laub, Die Siedlung (1939), S. 15.

23 Laub, Die Siedlung (1939), S. 15.

24 Bis 1935 lagen noch 82 % im „unmittelbaren Schussbereich“ des angrenzenden Auslandes (Mitt-mann, Braunschweig-Mascherode (2003), S. 34).

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Raumordnung, Stadt- und Siedlungsplanung im Dritten Reich

kleinere Anlagen im Rahmen von Siedlungsausstellungen präsentiert. Wesentliches Element der Gemeinschaftssiedlung waren die „Bauten der Gemeinschaft“ wie Feier-haus, Parteigebäude und HJ-Heim an entsprechend gestalteten zentralen Plätzen. Die Planung hatte die notwendige Infrastruktur für wirtschaftliche und soziale Versor-gung, Freizeitmöglichkeiten, Kindergarten und Schule bereitzustellen. Sowohl Tren-nung von Verkehrs- und Wohnflächen als auch von Wohnen und Arbeiten zählten zu den unverzichtbaren Vorgaben für die Planung. Obwohl man Vielfalt und Durchmi-schung zur Vermeidung von „Klassensiedlungen“ predigte, wurden in der Praxis ab 1936 fast nur mehr Wohnbauten für Stammarbeiter und Werksangehörige im Rahmen des Vierjahresplans genehmigt. Die Gemeinschaftsbauten blieben immer häufiger auf der Strecke, und mit den vom Luftschutz geforderten Abständen zwischen Wohnsied-lung und Industriebetrieb nahm man es bald auch nicht mehr so genau.

Mit der Einsicht, dass der Anspruch jedes Deutschen auf eigenen Grund und Boden nicht realisierbar war, schien zunehmend die Rehabilitierung der Großstadt geboten, als Arbeitskräftereservoir sowieso unverzichtbar. Die Kehrtwende wurde auch im Schrifttum kommuniziert:

„Vorübergehend gab es sogar eine heftige Missachtung der Leistung der großen Städte. Man unterschätzte dabei ihren Anteil am Neuaufbau Deutschlands und erklärte ihre Kinderarmut aus der Stadt selbst, statt aus den Lehren der Zeit und aus den unmöglichen Wohnzuständen der Arbeiterschaft. Endlich übersah man wohl auch, dass wir die Werkstätten unserer Rüstung, die Häfen unseres Handels und die Ansammlung kulturtragender Menschengruppen brauchen, um jene Höchstleistun-gen zu erzielen, in denen wir mit den Nachbarvölkern wetteifern.“25

„Auflockerung“, „Entballung“, „Entschandelung“ der Großstädte hießen nun die städ-tebaulichen Imperative. „In den Architekturausstellungen … wurde es beim Anblick künftiger Meisterwerke fühlbar, wie die ordnende Hand Adolf Hitlers auch das Chaos der Großstädte lichtet und ihnen neue, harmonische Maße verleiht.“26 „Lichtung“

durch Abrisse und „Entkernung“ von Zinskasernen und Wohnblöcken wurden in Aus-sicht gestellt, um den Forumsanlagen der Neugestaltungspläne Platz zu machen.

Das journalistische Planungsaufkommen war enorm. Die „deutsche Stadt“ müsse nun die „schicksalsschwere Störung des Gleichgewichts der ländlichen und städtischen Kräfte“ überwinden27. Denn „so wie die Stadt sinnfällig herauswächst aus dem mütter-lichen Boden der Landschaft, so hat sie ihre Lebenswurzeln im Lande, im ländmütter-lichen Volkstum.“ Drängten sich früher die Häuser zu städtischen Fluchtburgen eng anein-ander, so

„weiten sich jetzt die Städte gewaltig, um Luftangriffen weniger ausgesetzt zu sein. Es ist daher von tiefer und glückhafter Bedeutung, daß die Auflockerung der Städte aus

25 Lindner/Böckler, Die Stadt (1939), S. 9.

26 Wächtler, Die neue Heimat (1940), S. 16.

27 Weidemann, Die deutsche Stadt (1939), S. 76f.

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gesundheitlicher und volkspolitischer Notwendigkeit kein Hemmnis, sondern einen äußerst starken Antrieb erfährt durch diese Erfordernisse kriegsbetonter Überlegun-gen des Luftschutzes.“

Diese Überlegungen traf der Oberbürgermeister von Halle zehn Tage vor Kriegsaus-bruch, der offenbar allseits erwartet wurde und nicht „überraschend“ hereinbrach! Für ihn sei es klar, dass die „neue deutsche Stadt“ Raum für den deutschen Arbeitsmen-schen brauche zur „freien Gestaltung der großen Ziele und Aufgaben, die aus ihrer völkischen Sendung empordrängen.“ Abgesehen davon erfordere auch der „kommende Kraftwagen wie eine Naturgewalt sein „Lebensrecht“ und werde damit „neue Lebens-werte für Städter und Stadt erkämpfen“. Das Meer der Häuser müsse „immer auf-gelockerter langsam im weiten Land verebben und das Land sich in die Großstadt drängen.“28 Was der Bürgermeister in seiner pathetischen Naivität formulierte, wurde nun auch Thema bei den DAF-Theoretikern. Es war bald klar, dass sich Urbanität nicht durch Multiplizierung von Kleinstadtentwürfen gestalten ließ:

„Diese landschaftsgebundene Bauweise läßt sich indessen nicht auf alle Aufgaben anwenden. Die moderne Großstadt und technische Werke aller Art fordern aus ihren eigenen Zwecken entwickelte neue Formen. Verantwortungsvolle Architekten [wer-den sich] bemühen, auch die Werke der Städte- und Industriebauten so zu gestalten, daß sie mit dem allgemeinen kulturellen Antlitz eines Gebietes harmonieren.29 Georg Laub war einer der „verantwortungsvollen Architekten“, er setzte sich im Rah-men des „landschaftsgebundenen Bauens“ über die gängige Kritik am baulichen Erbe hinaus mit der Großstadt auseinander:

„Man wird im Gegensatz zur Stadt,erweiterung‘ über die Ordnung in der Land-schaft zu einem Stadt,aufbau‘ kommen. Es ist dabei wichtig, die selbständigen Orts-teile in eine gute optische Beziehung zueinander zu bringen …, sodaß sie zusammen mit dem vorhandenen Kern als ein zusammengehöriges Ganzes abgelesen werden können. Die räumliche Gliederung und Führung innerhalb des Ganzen hat nicht mehr die bebaute Straße, sondern die Grünzone mit den Verkehrsbändern. … Hat man früher die Bebauung in die Landschaft hinausgeschoben – und dies meist ohne organischen Grundplan – so wird heute die Landschaft in großen Streifen in die Bebauung hereingeholt, am besten bis zu dem Punkt, wo sich gemeindlich gesehen, die Interessen der Stadt mit denen des Hinterlandes berühren und wo sich das Zen-trum (Forum) der neuen Einheit von Stadt und Land entwickelt. […] Liegt nicht der wilden Besiedlung am Rande der Städte in zum Teil hervorragend gelegenen Landschaftsabschnitten (Beispiel Wien) dieselbe Tatsache zugrunde, daß der Städter von der Natur nicht abgeriegelt werden darf, andernfalls er sich diese Beziehung in

28 Weidemann, Die deutsche Stadt (1939), S. 76.

29 Wächtler, Die neue Heimat (1940), S. 15.

Raumordnung, Stadt- und Siedlungsplanung im Dritten Reich

geradezu elementarem Drange sucht, der eine vernünftige Planung weit hinter der augenblicklichen Notwendigkeit zurückläßt.“30

Den planerischen Vorhaben Georg Laubs in Wien liegen solche Überlegungen zugrunde, doch inzwischen waren in Berlin neue Orientierungen angesagt.

Hand in Hand mit verstärkter Blockbebauung ging entsprechend auch der Trend zum Geschoßwohnungsbau, nicht offen deklariert als wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern in der üblichen Weise umetikettiert als Wunschbild mancher „Volksgenossen“

und solcherart auch als Beweis für die Vielfalt des Angebots und die „Freiheit der Ent-scheidung“:

„Man kann weder sagen, daß das Einzelhaus mit so und so viel Land richtig ist, noch wird man die Mietskaserne als Ideal bezeichnen wollen. Der eine will lieber allein wohnen und hat keinen Sinn für die Bodenbewirtschaftung, der andere liebt mehr eine helle und schöne Mietwohnung und hat keine Lust, nach seinem schweren

„Man kann weder sagen, daß das Einzelhaus mit so und so viel Land richtig ist, noch wird man die Mietskaserne als Ideal bezeichnen wollen. Der eine will lieber allein wohnen und hat keinen Sinn für die Bodenbewirtschaftung, der andere liebt mehr eine helle und schöne Mietwohnung und hat keine Lust, nach seinem schweren

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