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2.2.1 Definition von virtueller Führung

Bevor es um die Definition von virtueller Führung geht, wird zunächst auf die Bedeutung von „Virtualität“ bzw. „virtuell“ eingegangen.

Wörtlich bedeutet „virtuell“ „entsprechend seiner Anlage als Möglichkeit vorhanden“ und

„nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden“58. Scholz (1994) versteht unter „Virtualität“

„[…] die Eigenschaft einer Sache, die zwar nicht real ist, aber dennoch in der Möglichkeit existiert […]“59, das heißt, in ihrer Wirkung oder Funktion der „realen“ Sache gleicht.

56 Vgl. Lang, R./Rybnikova, I. (2014): Aktuelle Führungstheorien und -konzepte: „Alter Wein in neuen Schläuchen?“, in: Lang, R./Rybnikova, I. (Hrsg.): Aktuelle Führungstheorien und -konzepte, Wiesbaden, S. 16–31, S. 16.

57 Vgl. Larsson, M./Lundholm, S. E. (2010): Leadership as Work-embedded Influence: A Micro-discursive Analysis of an Everyday Interaction in a Bank, in: Sage Publications, Vol. 6, Issue 2, p. 162.

58 Duden online (2021): Eintrag „virtuell“, https://www.duden.de/node/198732/revision/198768, 2. Mai 2021.

59 Scholz, C. (1994): Virtuelle Unternehmen – Faszination mit (rechtlichen) Folgen, in: JurPc, Nr. 2, S. 2927–

2935, S. 2927.

Demnach kann ein konkretes, physisch existierendes Objekt durch den Einsatz von „Zusatz-spezifikationen“ (z.B. digitalen Kommunikationsmitteln) „virtuell“ realisiert werden.60 Scholz bezieht sich bei seinen Überlegungen u.a. auf virtuelle Organisationen, die spezielle Formen von Organisationen darstellen. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Führungs-qualität in „realen“ Unternehmen zu untersuchen, weshalb virtuelle Organisationen nicht weiter betrachtet werden.

Eine weitere Definition von Virtualität geben Konradt/Hertel (2002). Sie beschreiben „Vir-tualität“ als eine von Computern zugänglich gemachte „elektronische Repräsentation“61. Demnach bedeutet die Virtualisierung der Arbeitswelt, „eine digitale Repräsentation von Inhalten und Strukturen zu entwickeln, bei der zunächst ein abstraktes Modell der realen Umgebung erzeugt und in Form einer digitalen Repräsentation umgesetzt wird“62. Inhalte und Strukturen, die sich virtuell nachahmen lassen sind z.B. Konferenzen, Gebäude, Pro-duktionsabläufe und Arbeitsgruppens.63

Aus den Definitionen von Scholz und Konradt/Hertel lassen sich zum Begriff Virtualität folgende Merkmale festhalten:

• „Virtualität“ bedeutet „nicht real“ und wird computergestützt, d.h. künstlich erzeugt.

• Virtualität repräsentiert einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit („elektroni-sche Repräsentation“).

• Virtualität ermöglicht die Erschaffung eines virtuellen Raumes.

• Um diesen virtuellen Raum zu nutzen, bedarf es bestimmter „Zusatzqualifikationen“

(u.a. digitale Medien).

In der Literatur aber auch im Alltag existiert eine Vielzahl an Bezeichnungen für „Virtuali-tät“ bzw. „virtuell“. Das Komplex der Begriffsvielfalt macht das Zitat von Woolgar (2002) deutlich: „In this usage, ‚virtual‘, like ‚interactive‘, ‚information‘, ‚global‘, ‚remote‘,

60 Vgl. Wald, P. M. (2014): Virtuelle Führung, in: Lang, R./Rybnikova, I. (Hrsg.): Aktuelle Führungstheorien und -konzepte, Wiesbaden, S. 355–386, 357–358.

61 Konradt, U./Hertel, G. (2002): Management virtueller Teams. Von der Telearbeit zum virtuellen Unterneh-men, Weinheim u.a., S. 13.

62 Konradt/Hertel (2002), S. 14.

63 Herrmann, D./Hüneke, K./Rohrberg, A. (2012): Führung auf Distanz. Mit virtuellen Teams zum Erfolg, 2.

Aufl., Wiesbaden, S. 257.

‚distance‘, ‚digital‘, ‚electronic‘ (or ‚e-‘), ‚cyber-‘, ‚network‘, ‚tele-‘, and so on, appears as an epithet applied to various existing activities and social institutions“64.

Grundsätzlich versteht sich Virtualität nicht als Gegenteil von Realität. Das Gegenteil von real wäre fiktiv (= erfunden). Virtuelle Führung versteht sich nicht als etwas Fiktives, son-dern sie existiert tatsächlich, ist also real. Der Begriff „virtuelle“ Führung stellt somit im wörtlichen Sinne ein Paradox dar, denn Führung als sozialen Einflussprozess, der zwischen

„echten“ Menschen stattfindet, kann nicht künstlich hergestellt werden. Die hier verstandene Führung ist also insofern „virtuell“, als dass sie unter virtuellen Bedingungen stattfindet.

Hierzu zählen die Standortverteilung und Standortunabhängigkeit der beteiligten Personen65 und ebenso, dass diese primär oder ausschließlich über computervermittelter bzw. virtueller Kommunikation miteinander interagieren.66 Aufgrund der irreführenden Bedeutung von

„virtuell“, als „nicht real vorhanden“ verwenden z.B. Konradt/Hertel die präzisere Bezeich-nung „telekooperativ“67.

Führung wurde hier grundsätzlich definiert als die absichtliche Einflussnahme zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:in in Hinblick auf gemeinsame Ziele. Die Definition von vir-tueller Führung unterscheidet sich in der Definition von allgemeiner (Personal-)Führung le-diglich in dem Zusatz der virtuellen Kommunikation.68 Eine erste Definition geben Avo-lio/Kahai/Dodge (2001) unter der Bezeichnung „E-Leadership“ (Electronic-Leadership):

„E-leadership is defined as a social influence process mediated by AIT to produce a change in attitudes, feelings, thinking, behavior, and/or performance with indi-viduals, groups, and/or organizations.“69

Wesentliches Merkmal der virtuellen Führung ist, dass die Interaktion zwischen Führungs-kräften und Mitarbeiter:innen nicht über direkten face-to-face Kontakt erfolgt, sondern auf Basis von Informations- und Kommunikationstechnologien (engl. Advanced Information

64 Woolgar, S. (Ed.) (2002): Five rules of virtuality, in: Virtual society? Technology, cyberbo-le, reality, Ox-ford, a.o, p. 3.

65 Vgl. Picot et al. (2020), S. 126.

66 Vgl. Döring, N. (2013): Theorien der Computervermittelten Kommunikation, in: Kuhlen, R./Semar, W./Strauch, D. (Hrsg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumenta-tion, 6. Aufl., Berlin, S.

424–430, S. 428.

67 Konradt/Hertel (2002), S. 12–13.

68 Vgl. Wald (2014), S. 355–386, 358.

69 Vgl. Avolio, B. J./Kahai, S./Dodge, G. E. (2001): E-Leadership. Implications for Theory, Research, and Practice, in: Leadership Quaterly, Vol. 11, Issue 4, pp. 615–668, p. 617.

Technology, AIT). Die Zunahme der Führung und Zusammenarbeit ohne physischen Kon-takt begründen Hofmann/Regnet (2003) in der zunehmenden internationalen Präsenz von Unternehmen, die globale Arbeits- und Informationsprozesse erfordern, darunter auch der verstärkte Einsatz des mobilen Arbeitens.70

Der überwiegende Teil bisheriger Studien zu virtueller Führung bezieht sich auf Teamfüh-rung. Zum Teil wird virtuelle Führung mit virtueller Teamführung gleichgesetzt und virtu-elle Führungskräfte als „virtuvirtu-elle Teamplayer“ bezeichnet.71 Wie in Kapitel 2.1.2 erwähnt, wird Teamführung in dieser Arbeit als spezifische Form der Personalführung verstanden.

Mit diesem Hintergrund wird für die vorliegenden Untersuchung davon ausgegangen, dass sich die grundlegenden Erkenntnissen zu virtueller Teamführung ebenso auf die interperso-nale Führung zwischen Führungskraft und individuellem Mitarbeiter/individueller Mitarbei-terin beziehen lassen.

2.2.2 Begriffsvielfalt zu virtueller Führung

Im Rahmen der theoretischen Auseinandersetzung mit Führung im virtuellen Kontext stößt man auf verschiedenen Begriffsbezeichnungen. Nachstehende Tabelle 1 gibt einen Über-blick über die Begriffsvielfalt zu virtueller Führung. Die Reihenfolge der Begriffe ist zufällig und die aufgeführten Namen stellen lediglich einen kleinen Ausschnitt aus der Literatur dar.

Bezeichnung Autor:in (Jahr)

Virtuelle Führung / Virtual Leadership z.B. Wald (2014); Müller (2018) Electronic-Leadership (E-Leadership) z.B. Avolio/Kahai/Dodge (2001) Computer-mediated Leadership z.B. Fischer/Manstead (2004)

Digitale Führung / Digital Leadership z.B. Creusen/Gall/Hackl (2017);

Kollmann (2020)

Führung auf Distanz / Distance Leadership z.B. Herrmann/Hüneke/Rohrberg (2012);

Hülsbusch/Utsch/Remdisch/Groß (2006)

Remote Leadership z.B. Kelley/Kelloway (2012)

70 Vgl. Hofmann, L. M./Regnet, E. (2003): Führung und Zusammenarbeit in virtuellen Strukturen, in: Rosen-stiel, L. von/Regnet, E./Domsch, M.E. (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern, 5. Aufl., Stuttgart, S. 677–687, S. 678.

71 Vgl. Schulze, J./Krumm, S. (2017): The ‘virtual team player’. A review and initial model of knowledge, skills, abilities, and other characteristics for virtual collaboration, in: Organizational Psychology Review, Vol. 7, Issue 1, pp. 66–95, p. 67.

Telekooperation z.B. Konradt/Hertel (2002)

Führung 4.0 z.B. Graf/Rascher/Schmutte (2020)

Tabelle 1: Begriffsvielfalt zu virtueller Führung

Die Begriffsbezeichnungen werden je nach Autor:in teilweise austauschbar verwendet. Bei-spielsweise verwenden Herrmann/Hüneke/Rohrberg (2012) die Begriffe „Remote Lea-dership“ (Führung mittels Fernzugriff) und „Führung auf Distanz“ als Synonyme.72 Die Bezeichnungen „digitale Führung“ und „Führung 4.0“ sind meist weiter gefasst und meinen die Führung in einer immer stärker digitalisierten Wirtschaft und in automatisierten Wert-schöpfungsprozessen.73 Im Kern der verschiedenen Begriffe um Führung im virtuellen Kon-text geht es jeweils um die Aspekte der computervermittelten (= virtuellen) Kommunikation und der Zusammenarbeit ohne permanenten persönlichen Kontakt.74 In dieser Arbeit wird dafür die Bezeichnung virtuelle Führung verwendet.

Nachdem geklärt wurde, was sich unter Personalführung im Allgemeinen und unter virtuel-ler Führung im Speziellen versteht, untersucht der folgende Abschnitt die Person des/der Führenden.