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Mit dem Motto „Die einzige Konstante ist der Wandel“ lässt sich die Führungsforschung wohl am ehesten beschreiben, denn was Führung auszeichnet, ist die Anpassung an gesell-schaftliche, ökonomische und technologische Wandlungsprozesse.148 Im Folgenden werden die Aspekte des Wandels der Führungsforschung mit Blick auf die geschichtliche Entwick-lung skizziert, um dann im nächsten Schritt die virtuelle Führung in die gegenwärtige Füh-rungsforschung einzuordnen.

Als ersten Aspekt des Wandels ist die Veränderung der Perspektive auf Führung selbst zu nennen. Im „Dschungel der Führungstheorien“149 lassen sich verschiedene historisch ge-wachsene Personalführungsansätze unterscheiden, die sich jeweils auf einen bestimmten Ausschnitt von Führung fokussieren: Die Eigenschaften der Führungskraft ist, das Verhalten der Führungskraft, die Beziehung zwischen Führenden und Geführten, die Situation bzw.

situativen Einflüsse auf Führung, die Integrativen Ansätze, welche mehrere Gegenstände miteinfließen lassen, darunter z.B. die transformationale Führung und das System aus Per-sonen, Märkten und Gesellschaften, in welchem Führung eingebettet ist.150 Inwiefern der jeweiligen Perspektive besonderes Gewicht beim Führungserfolg zukommt, wird viel disku-tiert. Nach Yukl (2013) findet sich bis heute kaum eine Theorie, die alle Variablen, d.h.

Eigenschaften, Verhalten, Einflussprozesse, situative Variablen und Outcome, gleicherma-ßen miteinschliegleicherma-ßen lässt.151

Der zweite Aspekt des Wandels in der Führungsforschung ist das veränderte Menschenbild der Geführten. Obwohl Menschenbilder lediglich „Kunstprodukte“ darstellen, haben sie dennoch Einfluss auf zwischenmenschliches Verhalten.152 Vermutungen über Qualitäten, Persönlichkeitsmerkmale oder Fähigkeiten, die eine Führungskraft von ihren Mitarbeiter:in-nen hat, bestimmen maßgeblich wie geführt, motiviert und beeinflusst wird. Das

148 Vgl. Franken (2016), S. V.

149 Vgl. Lang/Rybnikova (2014), S. 6.

150 Vgl. Yukl (2013), p. 13.

151 Vgl. Yukl (2013), p. 13.

152 Vgl. Peters, T. (2015): Leadership. Traditionelle und moderne Konzepte, Wiesbaden, S. 6.

Menschenbild entwickelte sich im Laufe der Zeit vom „Economic Man“ Anfang des 20.

Jahrhunderts als „maschinenähnliches Wesen“ über den „Social Man“ (1930), dem „Self-actualising Man“ (1950), dem „Complex Man“ (1960) zum „Brain-directed Man“ (2000) als autonomiefreundliche:n und selbstständige:n Mitarbeitende:n.153 Mittlerweile wird auch von

„Virtual Man“ gesprochen, dessen Arbeiten durch Informations- und Kommunikationstech-nologien geprägt ist.154

Mit den Veränderungen der Menschenbilder gehen drittens veränderte Rollenbilder der Füh-renden und Geführten einher. Die Mitarbeiter:innen werden heute nicht mehr nur als passive Mit-Arbeiter:innen, sondern auch als aktive Mit-Gestalter:innen betrachtet. Der Führungs-kraft wird heute nicht mehr ausschließlich die Rolle der reinen Autoritätsperson als Vor-gesetzte zugeschrieben, sondern auch die Rolle als Partner:in in sozialen Beziehungen und Gestalter:in der Unternehmenskultur.155

Schließlich haben sich viertens die Organisationsstrukturen verändert. Wurden Organisatio-nen zu Beginn der Führungsforschung als rein technische Systeme betrachtet, werden sie heute zunehmend als sozio-digitale Systeme mit dezentralen Strukturen und der Zusammen-arbeit durch die Nutzung digitaler Medien (Mail, Internet, etc.) verstanden.156

Aus den genannten Überlegungen zu den Aspekten des Wandelns wird deutlich, dass das jeweilige Führungsverständnis und das, was von einer Führungskraft erwartet wird, Spiegel-bilder des Zeitgeistes und der jeweiligen gesellschaftlichen Umstände sind.

In Tabelle 3 stellen Lang/Rybnikova (2014) die Merkmale von älteren und neueren Ansätzen gegenüber. „Ältere“ Führungsansätze sind ab dem Beginn der Führungsforschung um das Jahr 1920 einzuordnen (z.B. autoritäre Führung), während die „neueren“ Ansätze in den 1970er und 1980er im Zuge der „New-Leadership“-Bewegung entstanden (z.B. transforma-tionale Führung) und in den 1990er mit weiteren Ansätzen wie Teamführung oder globale Führung ergänzt wurden.157

153 Vgl. Peters (2015), S. 6–7.

154 Vgl. Kauffeld, S./Sauer, N. C. (2019): Vergangenheit und Zukunft der Arbeits- und Organisationspsycho-logie, in: Kauffeld, S. (Hrsg.): Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor, 3. Aufl., Berlin, S. 21–46, S. 33.

155 Vgl. Berger (2018), S. 79.

156 Vgl. Kauffeld/Sauer (2019), S. 21–46, S. 34.

157 Vgl. Lang/Rybnikova (2014), S. 16.

Klassische Ansätze Neuere Ansätze

Einflussübung Einseitig Wechselseitig

Führungshandeln Führungsstil Strategien, Taktiken

Machtbeziehung Herrschaft der Führer Anteil der Geführten, Machtbalan-cen

Instrument der Zielerreichung

Erfolg abhängig von Führungsstil,

„on best way“ Viele Faktoren, vernetzt, zirkulär, viele Alternativen

Merkmal der Persönlichkeit

Eigenschaften der Führungskraft Zuschreibung durch Geführte Gruppenphänomen Formelle Führung, Statik Informelle, emergente Prozesse,

Dynamik Wirklichkeits-

auffassung

Eindeutig, transparent, machbar Mehrdeutig, komplex, unberechen-bar

Rationalitätstyp Fakten, Wirkungen Selektive Bedeutung und Tiefen-strukturen

Paradigmen Naturwissenschaftlich-positivis-tisch

Sozial-konstruktivistisch, struktura-listisch

Gesellschaftsbezug Psychologischer Mikrokosmos Einflüsse von Kultur, Diskursen, Leitbildern, gesellschaftlichen Struk-turen von Macht und Herrschaft Führungsansätze Eigenschaftsansatz,

Verhal-tensansatz, Situativer Ansatz

Symbolische Führung,

Implizite Führungstheorien, (...) [ver-teilte und ge[ver-teilte Führung, globale Führung, virtuelle Führung]

Tabelle 3: Vergleich klassischer und neuerer Führungsansätze

Quelle: Lang, R./Rybnikova, I. (2014): Aktuelle Führungstheorien und -konzepte: „Alter Wein in neuen Schläuchen?“, in: Lang, R./Rybnikova, I. (Hrsg.): Aktuelle Führungstheorien und -konzepte, Wiesbaden, S.

16–31, S. 24.

Tendenziell sind die „älteren“ Ansätze eher einseitig auf die Person des Führenden fokus-siert. Die „neueren“ Führungsansätze beziehen die Seite der Geführten mit ein, sowie wei-tere Einflüsse u.a. aus kulturellen und gesellschaftlichen Strukturen. In der heutigen Füh-rungsliteratur lassen sich zwei Entwicklungen in Bezug auf die Erforschung von Führung erkennen: 1) Fokus auf bestimmte Gruppen (z. B. Führung von verschiedenen Generationen, Führung durch Frauen, Führung von multikulturellen Teams) und 2) Führung in Bezug auf externe Einflussfaktoren (z.B. Anpassung an technische Entwicklungen).158

Nachdem skizziert wurde, wie sich das Führungsverständnis über die Zeit hinweg wandelte, erfolgt nun die Betrachtung des Forschungsstandes zu virtueller Führung.

158 Vgl. Lang/Rybnikova (2014), S. 27–28.

3.2 Zum Forschungsstand der konzeptionellen Einrahmung von