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In der Literatur zu virtueller Führung besteht Konsens darüber, dass sich die Einflussnahme von herkömmlichen und virtuellen Bedingungen grundsätzlich unterscheiden.182 Neben neuen Kompetenzen (z.B. der Umgang mit Technik) werden auch neue Anforderungen so-wohl an Führungskräfte als auch an Mitarbeiter:innen gestellt.183 Tabelle 5 zeigt eine Aus-wahl solcher Anforderungen an Führungskräfte im virtuellen Kontext.

Anforderungen Beispiele

Kommunikation bzw.

kommunikative Fähigkeiten

Zuhören, Sondieren, Beratungen führen Anreicherung der Kommunikation

Medienkompetenz und Fähigkeit zum konstruktivem Feedback, Kommuni-kation einer klaren Vision

Vertrauen bzw.

Vertrauensaufbau

Förderung von Bindung und Commitment

Aufbau und Unterstützung des Vertrauens durch neue Medien, Sicherstel-lung, dass Diversität angenommen wird

179 Vgl. Hertel/Konradt (2007), S. 70.

180 Vgl. Herrmann/Hüneke/Rohrberg (2012), S. 248.

181 Vgl. Avolio/Kahai/Dodge (2001), p. 616.

182 Vgl. Wald (2014), S. 374.

183 Vgl. Blessin/Wick (2017), S. 369.

Fairnessbewusstsein, hohe Integrität und Vertrauensaufbau Umgang mit

Beziehungen

Gezielter Aufbau und Erhalt der Beziehungen auch durch IKT/soziale Me-dien

Erkennen von Bedürfnissen über Distanz sowie partizipative Orientierung Förderung einer Atmosphäre der Zusammenarbeit und Empowerment Distanzführung Arbeitsfortschritte erkennen, Zielerreichung kontrollieren,

Work-Life-Ba-lance sichern, Umgang mit Komplexität

Steuerung virtueller Work-Life-Zyklen, Teamfortschritte (mit Medien be-obachten), Ausbau der Sichtbarkeit der Teammitglieder

Niedriges Kontrollbedürfnis und realistische Zielsetzung

Tabelle 5: Ausgewählte Anforderungen an Führungskräfte im virtuellen Kontext

Quelle: Wald, P. M. (2014): Virtuelle Führung, in: Lang, R./Rybnikova, I. (Hrsg.): Aktuelle Führungstheorien und -konzepte, Wiesbaden, S. 355–386, S. 375.

Die ausgewählten Anforderungen lassen sich prinzipiell auch auf andere Führungskontexte übertragen, beziehen sich also nicht nur auf virtuelle Führung. Beispielsweise lässt sich die Anforderung „Zuhören, Beratungen führen“ auch bei der „face-to-face“-Führung als wichtig erachten. Dennoch gibt die Tabelle von Wald (2014) einen Überblick über die Herausforde-rungen, welche im Rahmen der Umsetzung von virtueller Führung auftreten können. Es zeigt sich, dass Führungskräfte unter virtuellen Bedingungen „anders konstruierte Aufgaben [ha-ben], wenn auch nicht völlig andere Anforderungen an sie gestellt werden.“184

Zu den gegenwärtigen Anforderungen an erfolgreiche Führung im Allgemeinen zählen etwa Team-, Koordinations-, und Motivationsfähigkeiten der Führungsperson.185 Hertel/Lauer (2012) sprechen von zwei wesentlichen Anforderungen an Führungskräfte unter virtuellen Bedingungen: 1) spezifische Kompetenzen (Medien-, Kommunikationskompetenzen etc.) sowie 2) eine Führungsstrategie, die Vertrauen und Motivation der Mitarbeiter/innen för-dert.186 Herrmann/Hüneke/Rohrberg (2012) schlagen vier Kompetenzfelder vor, die sich ge-genseitig ergänzen (Abbildung 7).

184 Blessin/Wick (2017), S. 385.

185 Vgl. Rosenstiel/Regnet/Domsch (2003), S. 1–2.

186 Vgl. Hertel/Lauer (2012), S. 104.

Abbildung 7: Die Facetten der Kommunikations- und Medienkompetenz

Quelle: Herrmann, D./Hüneke, K./Rohrberg, A. (2012): Führung auf Distanz, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 35.

Neben der Basiskompetenz eines grundlegenden technischen Verständnisses, um das ent-sprechende Medium bedienen zu können, ist eine weitere Facette, ein passendes Medium entsprechend der Situation und der Aufgabe auszuwählen und einsetzen zu können (siehe Kap. 4.3 Theorien der Medienwahl). Die Kompetenz „Medienangemessen Verhalten“

schließt spezifische Eigenarten oder Kommunikationsformen mit ein, die sich je nach Me-dium unterscheiden (z.B. gängige Anreden und Grußformeln in E-Mails oder auch der dia-logische Charakter einer E-Mail-Konversation). Darüber hinaus haben Medien eine gewisse Eigenlogik, die in der Anwendung beachtet werden sollten. So lässt die zur Sachlichkeit tendierende E-Mail-Konversation den Beziehungsaspekt von vornherein weniger durch-kommen.187

Darüber hinaus zeigen sich im virtuellen Kontext einige widersprüchliche Entwicklungen, die zusätzliche Anforderungen an Führungskräfte stellen. Folgende Führungsdilemmata las-sen sich aus der Literatur zu virtueller Führung identifizieren:

Erschwertes Beziehungsmanagements vs. hohe Bedeutung des Beziehungsmanagements Während in der Literatur einerseits betont wird, dass die Distanz und der fehlende physische Kontakt den Aufbau und Erhalt von Beziehungen erschwert, wird genauso betont, dass eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Führungskraft und Geführten im virtuellen Kontext

187 Vgl. Herrmann/Hüneke/Rohrberg(2012), S. 35–37.

besonders wichtig ist. Darüber hinaus erschwert die Distanz den Aufbau von Netzwerken sowie den Beziehungsaufbau über informelle Kommunikation. „Management-by-Walking-around“ bezeichnet einen Führungsstil, bei welchem dem direkten persönlichen Kontakt zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:in ein hoher Stellenwert zugeschrieben wird.188 Möglicherweise kommt es durch den Einsatz von Medien zu einer neuen Art der Beziehung zwischen den Beteiligten.189 Gleichzeitig macht der fehlende physische Kontakt, diesen wie-derum immer wichtiger. Kraft (2019) sagt hierzu: „It is ironic, but true, that in this age of electronic communications, personal interaction is becoming more important than ever.“190

Komplexitätsreduzierung vs. Komplexitätssteigerung durch geteilte Führung

Durch den reduzierten physischen Kontakt aufgrund der Distanz, werden in der Literatur für den virtuellen Kontext vor allem gesteigerte Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeiter:in-nen und Partizipation an Entscheidungen als Erfolgsfaktoren für virtuelle Führung ge-nannt.191 Gibt die Führungskraft gewisse Teile ihrer Führungsaufgaben an die Mitarbei-ter:innen ab, kann dies möglicherweise Komplexität reduzieren. Andererseits befördert die virtuelle Führung die Komplexität z.B. aufgrund einer erschwerten Koordination von Auf-gaben über Distanz. Im Zusammenhang mit der Zunahme von Komplexität taucht in der Führungsforschung der Begriff „VUCA“-Welt auf, welcher die gegenwärtigen und zukünf-tigen Herausforderungen der Führung zusammenfasst (volatility, uncertainty, complexity and ambiguity bzw. im deutschen Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutig-keit). Teilweise wird virtuelle Führung auch als Ergebnis dieser Herausforderungen der VUCA-Welt betrachtet.192

Abnahme der Kontrollmöglichkeiten vs. Ausgleich des Kontrollverlusts

Sind Führungskraft und Mitarbeiter:in auf verschiedene Standorte verteilt, verliert die Füh-rungskraft an Kontrollmöglichkeiten. Die Abnahme der Kontrollmöglichkeiten wird z.B.

dadurch aufgegriffen, indem Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit seitens der

188 Vgl. Durrah, O./Eltigani, M. O/Bilal, Z. O. (2018): Practicing management by walking around and is impact on the service quality, in: International Journal of Commerce and Management Research, Vol. 4, Issue 5, pp. 45–55, p. 45.

189 Vgl. Wald (2014), S. 377.

190 McKenna, R., zitiert bei: Scholz, C./Scholz, T. M. (2019): Grundzüge des Personalmanagements, 3. Aufl., München, S. 406.

191 Vgl. Wald (2014), S. 377.

192 Vgl. Kraft, M. (2019): How to lead with digital media effectively? A literature-based analysis of media in an E-leadership context, in: Journal of Economic Development, Environment and People, Vol. 8, Issue 4, pp. 42–53, p. 44.

Mitarbeiter:innen sowie gegenseitiges Vertrauen betont wird. Durch welche Führungsauf-gaben die fehlenden Kontrollmöglichkeiten der virtuellen Führungskraft kompensiert wer-den können und inwiefern sie für unterschiedliche Mitarbeiter:innen erforderlich sind, scheint in der Literatur nicht vollständig geklärt. Darüber hinaus ist bisher unklar, wie die gesteigerten Mitwirkungsmöglichkeiten seitens der Mitarbeiter:innen tatsächlich realisiert werden können.193

Planbarer Einsatz technischer Möglichkeiten vs. emergente Entwicklungen

Ob virtuelle Führung umgesetzt wird und wie, scheint zunächst planbar durch die zur Ver-fügung stehenden Kommunikationsmedien zu sein. In der Umsetzung von virtueller Füh-rung kann es jedoch zu Emergenzen kommen, z.B. wennFührungsaufgaben ungeplant von Mitarbeiter:innen übernommen werden.194

Vertrauen als unverzichtbar vs. Vertrauen über Distanz schwierig aufrechtzuerhalten Wechselseitiges Vertrauen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:in ist Voraussetzung und „Klebstoff“ für erfolgreiche virtuelle Führung. Jedoch lässt sich der Aufbau von Ver-trauen nicht erzwingen, zumal fraglich ist, inwiefern sich VerVer-trauen ohne physische Begeg-nung aufbauen bzw. erhalten lässt.195

Der Umgang mit den genannten Führungsdilemmata spiegelt sich in den in der Führungsli-teratur identifizierten Handlungsempfehlungen und Strategien für virtuelle Führung wider.

Solche Handlungsempfehlungen für erfolgreiche virtuelle Führung sind zumeist sehr allge-mein gehalten. Hertel/Lauer (2012) nennen als Erfolgsfaktoren für virtuelle Führung die Förderung sozialer Fähigkeiten der Beteiligten (u.a. Kooperationsfähigkeit, Lernbereit-schaft, Flexibilität, Eigenverantwortlichkeit), die Schaffung und der Erhalt von Vertrauen, die Aufstellung von Deeskalationsregeln zum Umgang mit Konflikten sowie die überlegte Wahl eines geeigneten Kommunikationsmediums.196

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es im virtuellen Kontext sowohl um den Aufbau und Erhalt von Beziehungen, insbesondere von Vertrauen geht, als auch um den geeigneten

193 Vgl. Wald (2014), S. 377.

194 Vgl. Wald (2014), S. 378.

195 Vgl. Wald (2014), S. 377–378.

196 Vgl. Hertel/Lauer (2012), S. 113–114.

Einsatz der digitalen Kommunikationsmedien. Hierzu werden als Anforderungen für Füh-rungskräfte insbesondere Medien- und Sozialkompetenzen sowie kommunikative Fähigkei-ten genannt. Nachdem in diesem Kapitel der Forschungsstandes zur virtueller Führung skiz-ziert wurde, folgt im nächsten Abschnitt die Betrachtung der führungsrelevanten Erkennt-nisse zu Kommunikation im Allgemeinen und der virtuellen Kommunikation im Speziellen.

Kommunikation

4 Führungsrelevante Erkenntnisse zu Kommunikation und Be-sonderheiten der virtuellen Kommunikation

Es wurde bereits erwähnt, dass Unternehmen Orte der arbeitsteiligen Zusammenarbeit sind, die Führung erforderlich machen. Es wurde ebenso erwähnt, dass sich Führung in Hinblick auf Zielerreichung, Funktion und Aufgabenerfüllung als Prozess der Kommunikation zur Übermittlung der dafür relevanten Informationen beschreiben lässt. Folgender Abschnitt widmet sich den Fragen, wie zwischenmenschliche Kommunikation im Allgemeinen wirkt, welche Besonderheiten die virtuellen Kommunikationskanäle auszeichnen und inwiefern sich diese Erkenntnisse auf den Führungskontext beziehen lassen.