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7.2 Analyse und kritische Würdigung der Hypothesen

7.2.1 Der Einfluss des Präsenzgrades auf die Zufriedenheit mit der

Die potentielle Präsenz entspricht hier der herkömmlichen Arbeitsweise, dass Führungskraft und Mitarbeiter:in grundsätzlich am selben Dienstort tätig sind, unabhängig davon, wie häu-fig sie tatsächlich im persönlichen Austausch sind.

Entgegen der Behauptung von Hypothese 1a, dass bei weniger physischer Präsenz auch die wahrgenommene Führungsqualität abnimmt, zeigen die Ergebnisse, dass die Befragten, die mehr als drei Tage pro Woche von einem anderen Arbeitsort aus als dem Dienstort tätig sind, zufriedener mit der wahrgenommenen Führungsqualität sind als die Befragten derjeni-gen Gruppe, die überwiederjeni-gend am selben Dienstort tätig sind wie ihre Führungskraft. Dem-nach konnten die theoriegestützten Annahmen, dass der fehlende physische Kontakt sich negativ auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen auswirkt283 und generell die Kommuni-kation durch fehlende Präsenz erschwert ist284 anhand der vorliegenden Ergebnisse nicht bestätigt werden.

Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Führungsqualität ohne physische Präsenz bzw. auf Distanz und der Förderung von Eigen-ständigkeit und Selbstverantwortung. Sind die Mitarbeiter:innen und die Führungskraft an unterschiedlichen Arbeitsorten, beispielsweise im Home-Office, kann davon ausgegangen werden, dass die Eigenständigkeit und Autonomie vermehrt gefordert werden, da die Füh-rungskraft nicht jederzeit kurzfristig physisch vorbeikommen kann. Die vorliegenden Er-gebnisse zeigten, dass die wahrgenommene Führungsqualität in Situationen aus sogenann-tem „Teilzeit-Teleworking“, hier bestehend aus mehr als drei Tagen pro Woche an

283 Vgl. Picot et al. (2020), S. 58.

284 Vgl. Colbert, A./Yee, N./George, G. (2016): The digital workforce and the workplace of the future, in:

Academy of Management Journal, Vol. 59, Issue 3, pp. 731–739, p. 734.

unterschiedlichen Dienstorten, im oberen Zufriedenheitsbereich lagen. Auf der Seite der Führungskraft kann dies in einem angemessenen Führungsverhalten auf Distanz begründet werden. Angemessen dahingehend, dass die Führungskraft ein geeignetes Maß zwischen der Hilfestellung im Arbeitsprozess und der Ermöglichung von selbstständigem Arbeiten ge-währleistet hat. Möglicherweise aber haben sich die Führungskräfte aufgrund der Ausnah-mesituation durch die Covid-19-Pandemie verstärkt um ihre Mitarbeiter:innen gekümmert, da das hohe Ausmaß an Home-Office für beide Seiten teilweise eine neue Situation war.

Die fehlende physische Präsenz beider Seiten am selben Dienstort kann seitens der Füh-rungskräfte zwar zunächst als ein Kontrollverlust gesehen werden. Dabei können unter-schiedliche Arbeitsorte den Weg zu einem Vertrauenszuwachs einleiten, denn die Zuschrei-bung von Bestimmungsmöglichkeiten kann Vertrauen, Loyalität und Motivation fördern.285 Andererseits kann die hohe Zufriedenheit mit der Unterstützung im Arbeitsprozess auch da-ran liegen, dass die befragten Mitarbeiter:innen grundsätzlich eigenständig arbeiten konnten und diese von vornherein weniger Führung benötigten.

Auf der Seite der Geführten kann angenommen werden, dass zu den befragten Mitarbei-ter:innen solche Menschen zählten, welche mit den Anforderungen der erhöhten Autonomie im Home-Office gut umgehen können. Erfolgt die Verhaltensbeeinflussung anstatt von der Führungskraft vom Mitarbeiter/der Mitarbeiterin selbst aus, so wird auch von „Selbstfüh-rung“ gesprochen. „Selbstfüh„Selbstfüh-rung“ versteht sich als ein „Selbstbeeinflussungsprozess“, durch welchen Menschen die notwendige selbstständige Motivation erreichen, die für die Leistungserbringung notwendig sind ist.286 Laut Müller/Niesser (2019) nimmt die Fähigkeit der Selbstführung eine entscheidende Rolle im Kontext von Teilzeit-Telearbeit ein.287 Interessant ist auch, dass diejenigen Mitarbeiter:innen, die mehrmals pro Woche ortsunge-bunden tätig sind, ihrer Wahrnehmung nach ihre Ideen besser einbringen konnten, als dieje-nigen Mitarbeiter:innen, die überwiegend am offiziellen Dienstort arbeiteten. Csikszentmi-halyi (2014) erklärt dies damit, dass, wenn den Mitarbeiter:innen gewisse Bestimmungs-möglichkeiten bezüglich der flexiblen Wahl ihres Arbeitsort zugestanden werden, diese

285 Vgl. Landes, M. et al. (2020): Führung von Mitarbeitenden im Home Office Umgang mit dem Heimar-beitsplatz aus psychologischer und ökonomischer Perspektive, Wiesbaden, S. 10.

286 Vgl. Müller, T./Niessen, C. (2019): Self‐leadership in the context of part‐time teleworking, in: Journal of Organizational Behavior, pp. 883–898, p. 884.

287 Vgl. Müller/Niessen (2019), p. 884.

motivierter sind ihre Ideen einzubringen.288 Möglicherweise kann Kreativität auch dadurch begünstigt werden, dass das Arbeiten von zu Hause aus weniger Ablenkung aufgrund zwi-schenmenschlicher Differenzen mit den Kollegen/Kolleginnen oder mit der Führungskraft selbst mit sich bringt. Möglicherweise fördert das ortsungebundene Arbeiten (z.B. Home-Office), den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin produktiv arbeiten zu lassen, was sich wiederum positiv auf die Zufriedenheit mit der Führungsqualität auswirken kann. Andererseits wird durch das Arbeiten im virtuellen Raum keine Spontanität ausgelöst. Manchmal können spon-tane Gespräche auf dem Flur oder in der Mittagspause kreative Einfälle fördern, die im vir-tuellen Raum nicht möglich sind. So betrachtet kann, je nach Tätigkeit, der Dienstort als Ort der sozialen Interaktion und Vernetzung gesehen werden und das Home-Office bzw. eine sonstige ortsungebundene Arbeitsform als Ort für konzentriertes Arbeiten.289

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass die physische Präsenz nicht generell notwendig dafür ist, dass Mitarbeiter:innen mit der Führungsqualität ihrer Führungskraft zufrieden sind.

Durch den Einsatz von virtueller Führung wird die physische Präsenz jedoch nicht zwangs-läufig obsolet. So zeigt z.B. eine Studie von Elron/Vigoda (2003), dass der face-to-face Kon-takt einen positiven Einfluss auf Zusammenhalt und Vertrautheit hat, was sich in einem ge-steigerten Engagement seitens der Mitarbeiter:innen widerspiegeln kann.290 Andererseits er-wähnen die Autoren, dass eine sehr enge Vertrautheit zwischen Führungskraft und Mitar-beiter:in möglicherweise die Effektivität im Arbeitsprozess verringern kann, wenn sich Füh-rungskraft und Mitarbeiter:in „zu nahe“ stehen und sich dadurch möglicherweise weniger rationale Entscheidungen gegen übereinander treffen.291

Die tatsächliche Präsenz versteht sich hier als die direkte Verhaltensbeeinflussung der Füh-rungskraft auf die Mitarbeiter:innen. Anhand der vorliegenden Ergebnisse konnte die Hypo-these 1b, dass ein höheres Ausmaß an tatsächlicher Präsenz auch mit einer höheren Zufrie-denheit mit der Führungsqualität einhergeht, bestätigt werden. Dabei wurde zwischen der tatsächlichen Präsenz und dem Erhalt von Feedback ein signifikanter Zusammenhang

288 Vgl. Csikszentmihalyi, M. (2014): Flow im Beruf. Das Geheimnis des Glücks am Arbeitsplatz, Stuttgart, S. 187.

289 Vgl. Institut für Wissenschaftsdialog (Hrsg.) (2020), https://www.th-owl.de/elsa/down-load/3673/3674/20201007_Erhebung_Wie%20arbeitest%20du%20heute_Broschuere_final.pdf, 19. Juli 2021, S. 10.

290 Vgl. Elron/Vigoda (2003), p. 321

291 Vgl. Elron/Vigoda (2003), p. 321.

festgestellt. Dies ergibt Sinn, da Feedbackprozesse komplexe Situationen sind, die den per-sönlichen Austausch und insbesondere direkte Rückkopplung benötigen.

Die vorliegenden Ergebnisse decken sich mit dem Führungsstil „Management By Won-dering Around“ bzw. „Management By Walking Around“ (kurz: MBWA), bei dem der di-rekte persönliche Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:in einen hohen Stel-lenwert hat. Die Anwendung dieses Führungsstils beschreibt Führungskräfte, die ihr Büro außerhalb formeller Meetings verlassen und ihre Mitarbeiter:innen an deren/dessen gewohn-ter Arbeitsumgebung aufsuchen. Dabei wird einerseits die Bedeutung der Präsenz einer Füh-rungskraft betont und andererseits der informelle Austausch, welcher sich positiv auf die Führenden-Geführten-Beziehung sowie der Vorbeugung von Konflikten auswirken kann.292 Der MBWA-Führungsstil bezieht sich primär auf die face-to-face Kommunikation. In der vorliegenden Untersuchung wurde der tatsächliche Austausch unabhängig des Kommunika-tionskanals erhoben. Dennoch decken sich die Erkenntnisse des MBWA mit den vorliegen-den Ergebnisse dahingehend, dass die Präsenz der Führungskraft Einfluss auf die wahrge-nommene Führungsqualität hat.

Darüber hinaus ist nicht ausschließlich die Häufigkeit des Austausches ausschlaggebend für den Führungserfolg, sondern auch der Eindruck, den Führungskräfte auf die Geführten wäh-rend der Kommunikation hinterlassen. Nehmen die Mitarbeiter:innen ihre Führungskraft als sozial-präsent wahr, so kann sich dies positiv auf den Zusammenhalt und Engagement aus-wirken.293 Nach Lengel/Daft (1988) löst die soziale Präsenz einer Person beim Gegenüber Assoziationen von Vertrauen, Einfühlungsvermögen und Status aus.294 Durch soziale Prä-senz können die persönliche Haltung und der Stil der Führungskraft auf die Geführten und auf die Organisation einwirken.295

Gemäß der Media Richness-Theorie variiert die soziale Präsenz in Abhängigkeit des einge-setzten Kommunikationsmediums. Demnach schafft jede Form der elektronischen

292 Vgl. Katopol, P. F. (2018): The truth is out there. Management by walking around, in: Library Leadership and Management, Vol. 34, Issue 4, pp. 1–5, p. 1–3.

293 Vgl. Avolio, B. J. et al. (2014): E-leadership. Re-examining trans-formations in leadership source and transmission, in: The Leadership Quarterly Vol. 25, Issue 1, pp. 105–131, p. 114.

294 Vgl. Lengel, R. H./Daft, R. L. (1988): The selection of communication media as an executive skill, in: The Academy of Management Executive, Vol. 2, Issue 3, pp. 225–232, p. 230.

295 Vgl. Lengel/Daft (1988), p. 230.

Kommunikation zunächst eine größere psychologische Distanz zwischen den Kommunika-tionspartnern als die face-to-face Kommunikation.296 Im Vergleich zur face-to-face Kom-munikation werden bei virtueller KomKom-munikation die Wahrnehmung der nonverbalen und paraverbalen Signale durch das eingesetzte Medium in gewissem Maße vermindert. Jedoch sind Videokonferenzen fähiger die soziale Präsenz einer Person zu übermitteln, als schrift-liche Medien, wie E-Mail oder Chats.297 Mit Blick auf die fortschreitenden technischen Ent-wicklungen der virtuellen Kommunikation werden Bild- und Tonqualität zunehmend quali-tativ hochwertiger, was eine immer „natürlichere“ Kommunikation ermöglicht und daher auch die Vermittlung von sozialer Präsenz auf Distanz erleichtern kann. Die vorliegenden empirischen Ergebnisse beziehen sich auf den tatsächlichen persönlichen Austausch, wobei es durchaus sein kann, dass die hier beurteilten Führungskräfte auch über Videomeetings ihre soziale Präsenz vermitteln konnten.

7.2.2 Der Einfluss der Dichte der virtuellen Kommunikation auf die Zufrieden-heit mit der Führungsqualität

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass die wahrgenommene Führungsqualität bei einer hohen Dichte der virtuellen Kommunikation besser bewertet wurde als bei einer niedrigen Dichte der virtuellen Kommunikation. Die Einteilung in niedrige, mittlere und hohe Virtua-lität ist angelehnt an Purvanova et al. (2020). Sie charakterisieren den VirtuaVirtua-litätsgrad einer Arbeitssituation u.a. dadurch, ob die Interaktion persönlich oder virtuell stattfindet. Nach Purbanova et al. liegt eine geringe Virtualität vor, wenn die Interaktion überwiegend face-to-face stattfindet (entspricht hier 17 % bis 33 % virtuelle Kommunikation), eine mittlere Virtualität liegt vor, wenn virtuelle und face-to-face Interaktion abwechseln und etwa in ei-nem 50/50 Verhältnis stattfinden (entspricht hier 40 % bis 67% virtuelle Kommunikation) und eine hohe Virtualität liegt vor, wenn überwiegend virtuell interagiert wird (entspricht hier 75 % bis 100 % virtuelle Kommunikation).298

296 Vgl. Lengel/Daft (1988), p. 230.

297 Vgl. Lengel/Daft (1988), p. 230.

298 Vgl. Purvanova, R. K et al. (2020): Who emerges into virtual team leadership roles? The role of achieve-ment and ascription antecedents for leadership emergence across the virtuality spectrum, in: Journal of Business and Psychology, „The Interplay Between Achievement and Ascription“.

Die vorliegenden Ergebnisse zeigten, dass die Beurteilung der wahrgenommenen Führungs-qualität entlang des Virtualitätsgrades variiert. Bezüglich Variable i1 „Meine Ziele sind ge-nau definiert“ ergab sich ein signifikanter Unterschied zwischen hoher und niedriger Virtu-alität und bezüglich Variable i7 „Ich erhalte Feedback hinsichtlich der Zufriedenheit mit meiner Leistung“ ein signifikanter Unterschied zwischen hoher und mittlerer Virtualität.

Purvanova et al. fanden in ihrer Studie über die Wahrnehmung von Führungspersonen her-aus, dass bei niedriger Virtualität die Zuschreibung von Führungseigenschaften (z.B. Extra-version, Gewissenhaftigkeit, kognitive Fähigkeiten) eine höhere Bedeutung in der Emergenz von Führungsrollen zukommt als das konkrete Führungsverhalten (z.B. das Begleiten und entwickeln der Mitarbeiter:innen). Umgekehrt, in Arbeitskontexten mit hoher Virtualität, hat das konkrete Führungsverhalten mehr Einfluss auf die Wahrnehmung einer Führungsrolle als die Zuschreibung von Führungseigenschaften.299

Warum die wahrgenommen Führungsqualität bei hoher Virtualität in der vorliegenden Un-tersuchung überwiegend positiv bewertet wurde, kann sich damit erklären lassen, dass im virtuellen Kontext das tatsächliche Verhalten der Führungskraft (also z.B. ob sie sich für ihre Mitarbeiter:innen interessiert) ein höheres Gewicht in der Wirksamkeit von Führung hat als die Eigenschaften einer Führungskraft, beispielsweise Charisma oder Extravertiertheit. Sol-che nonverbalen Kommunikationssignale werden – im Vergleich zur face-to-face Kommu-nikation – in gewissen Maße verringert, sobald sich ein Medium, hier ein computerfähiges Endgerät, zwischen den Kommunikationspartnern/Kommunikationspartnerinnen befindet.

Persönlichkeitsmerkmale wie etwa die Ausstrahlung einer Person kommen bei virtueller Kommunikation möglicherweise weniger „an“ als das konkrete Führungsverhalten. Die Er-gebnisse lassen außerdem schließen, dass im virtuellen Kontext die Zuschreibung von Füh-rungseigenschaften für die Wahrnehmung der Qualität von Führung anders gewichtet wer-den kann. Möglicherweise sind im virtuellen Kontext solche Führungskräfte erfolgreicher, die ihre Mitarbeiter:innen über ihr eigenes Verhalten, also ihre tatsächlichen Handlungen führen, als solche Führungskräfte, deren Führungswirkung im face-to-face Kontakt über Per-sönlichkeitsmerkmale stattfindet. Bezüglich der Wirkung von transformationaler Führung im virtuellen Kontext liegen bisher unterschiedliche Ergebnisse vor. Einerseits scheint die Umsetzung der transformationalen Führung unter virtuellen Bedingungen erschwert,

299 Vgl. Purvanova et al. (2020), „Discussion“.

andererseits kann visionäre Kommunikation auch über digitale Medien stattfinden.300 Hier-bei kommt es vor allem auf den Medienumgang der Führenden und Geführten an.

Die vorliegenden Ergebnisse decken sich mit den Empfehlungen aus der Literatur, dass sich für die virtuelle Führung der aufgabenorientierte Führungsstil empfiehlt, mit der Begrün-dung, dass das Führen über virtuelle Kommunikationskanäle zu Defiziten auf der Bezie-hungsebene führt.301 Die Aussagen i10 „Auf meine Motivation und Leistungsfähigkeit wird vertraut“ und i11 „Als Person fühle ich mich wertgeschätzt“ ergaben in der vorliegenden Untersuchung keine signifikanten Zusammenhänge, weder hinsichtlich des Virtualitätsgra-des noch hinsichtlich Virtualitätsgra-des PräsenzgraVirtualitätsgra-des. Die Eignung Virtualitätsgra-des aufgabenorientierten Führungs-stiles begründet sich für die vorliegenden Ergebnisse darin, dass die Aufgabeorientierung im virtuellen Kontext nicht deshalb besser ist, weil die Beziehungsebene defizitär ist, sondern weil im virtuellen Kontext möglicherweise von vornherein das Handeln der Führungskraft im Fokus steht. Ebenso kann es sein, dass bei virtueller Kommunikation und ohne physi-schen Kontakt weniger die Aufrechterhaltung einer Beziehung von den Mitarbeiter:innen erwartet wird, sondern von vornherein das tatsächliche Handeln der Führungskraft vermehrt im Vordergrund der Wahrnehmung steht. Dabei kann ein gezielt eingesetztes Führungsver-halten das Zusammengehörigkeitsgefühl und gegenseitiges Vertrauen im virtuellen Kontext stärken.302 Außerdem lässt sich schließen, dass die Nutzung des Potentials synchroner Kom-munikationskanäle voraussetzt, dass der persönliche Austausch nicht ausschließlich für den Informationsaustausch genutzt wird, sondern auch für das Zusammenarbeiten an gemeinsa-men Aufgaben. Somit ist nicht ausgeschlossen, dass auch über Videokonferenzen eine ge-wisse Beziehung aufgebaut oder aufrechterhalten werden kann.

Zu beachten ist, dass Purvanova et al. in ihrer Studie die virtuelle Kommunikation im All-gemeinen untersuchen, dabei aber nicht in asynchrone und synchrone Kommunikationska-näle differenzieren. Der Fokus der vorliegenden Untersuchung liegt auf den synchronen Kommunikationskanälen, womit im virtuellen Kontext überwiegend Video- und Audiokon-ferenzen gemeint sind. Bezüglich der Effektivität synchroner Kanäle besagen die Theorien der Medienreichhaltigkeit und Mediensynchronizität, dass bei komplexen, d.h.

300 Vgl. Kerschreiter (2017), S. 50.

301 Vgl. Hertel/Konradt (2007), S. 70.

302 Vgl. Avolio et al. (2014), p. 115.

mehrdeutigen und unsicheren Aufgaben, die face-to-face Kommunikation grundsätzlich die effektivste Kommunikationsform ist.

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass in Abhängigkeit der Dichte der virtuellen Kom-munikation zielsetzendes Führungsverhalten (i1 „Meine Ziele sind genau definiert“) und feedbackgebendes Führungsverhalten (i7 „Ich erhalte Feedback hinsichtlich der Zufrieden-heit mit meiner Leistung“) aus Sicht der Mitarbeiter:innen gegeben ist. Die Festlegung von individuellen Zielen, angepasst an die Kompetenzen des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin und an die Unternehmensziele erfordern, dass Führungskraft und Mitarbeiter:in mehr oder we-niger ein gemeinsames Verständnis über das entsprechende Ziel haben und aufeinander ein-gehen. Gemäß der Theorie der Medien-Synchronizität wird diesbezüglich von konvergenten Prozessen gesprochen. Ebenso sind Feedbackprozesse mehrdeutige Situationen, da sie der Interpretationsfähigkeit der Beteiligten unterliegen und die gegenseitige Rückkopplung er-fordern. Zielsetzung und Feedbackprozesse werden hier folglich als komplexe Situationen verstanden. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen entgegen der Theorien der Medien-Reich-haltigkeit und Medien-Synchronizität, dass auch komplexe Situationen über (synchron) vir-tuelle Kommunikation erfolgreich stattfinden kann. Zu beachten ist, dass die Theorien der Medienreichhaltigkeit und Mediensynchronizität grundsätzlich davon ausgehen, dass Infor-mationsübermittlung und Konvergenz die Ziele von Kommunikation sind.

Außerdem ist zu erwähnen, dass die technischen Möglichkeiten der virtuellen Kommunika-tion derzeit so entwickelt sind, dass beispielsweise eine Mischung aus synchronen und asyn-chronen Kommunikationsformen umsetzbar ist. Plattformen wie z.B. BlueJeans oder Micro-soft Teams ermöglichen synchrone Kommunikation mit immer besserer Video- und Audio-qualität und bieten gleichzeitig einen textbasierten Chat an, der während des Gesprächs ge-nutzt werden kann, um zusätzliche Informationen und Links auszutauschen. Diese techni-schen Möglichkeiten bieten reichhaltige Kommunikationsumgebungen, in denen Mitarbei-ter:in und Führungskraft kommunizieren und interagieren können. Mit Blick auf zukünftige Entwicklungen kann erwartetet werden, dass die Programme immer effizienter und qualita-tiv hochwertiger werden. Schmidt (2014) nimmt sogar an, dass für manche Teamkontexte die virtuelle Umgebung effektiver sein wird als die face-to-face-Umgebung, lässt aber offen, welche konkreten Situationen dabei gemeint sind.303

303 Vgl. Schmidt (2014), p. 186.

7.2.3 Der Einfluss des Alters und der Einstellung zu virtueller Kommunikation